Bewusstsein
Physikalisch
Basiswissen
Das Bewusstsein gehört zu jenen wenigen aber uferlos ausgreifenden Fragen der Philosophie, die in jede ernsthafte Beschäftigung mit den Grundlagen verschiedenster Fachgebiete der Wissenschaft hineindrängen. Die Physik hatte das Bewusstsein vor einigen Jahrhunderten mehr oder weniger erfolgreich ausgeblendet. Was einst ein Erfolg der physikalischen Methode war, wird aber möglicherweise zunehmend zu einen hinderlichen blinden Fleck für den weiteren Fortschritt.
Was ist Bewusstsein?
Zunächst ist unser menschliches Bewusstsein ein Strom von Wahrnehmungen, inneres Erleben, ein ständig im Fluß sich befindlicher Wechsel von Farbeindrücke, Gerüchen, Abneigungen, Wünschen und vielem mehr. Geist und Seele werden oft mit Bewusstsen ausgestattet gedacht. Doch während Bewusstsein nur der Zustand der reinen Gewwahrwerdung ist, verbinden sich mit Geist und Seele spezielle Ausprägungen, Formen oder Ausstattungen des Bewusstseins.
Bewusstsein und Geist
Der Geist steht für „das dem Bewusstsein, dem Fühlen, Wollen und Denken zugrunde liegende Prinzip und dessen Organisationsformen“.[12] Meist schwingt beim Gebrauch des Wortes Geist ein Mindestmaß an Intellektualität mit, was deutlich wird, wenn man etwa als geistlos bezeichnet. Das Bewusstsein kann die intellektuellen, die denkerischen Aspekte des Geistigen wahrnehmen, hat dieses aber nicht notwendigerweise nötig. Man kann einem Tier wie einer Spinne vielleicht Bewusstsein zuschreiben, wenn es zum Beispiel Anzeichen einer Traumtätigkeit zeigt[13], aber damit schreibt man ihm noch keinen Geist zu. In einem religiösen Zusammenhang verwendet deutet Geist oft auch eine ewisse Nähe zum Göttlichen an, oft verbunden mit einer moralischen Urteilsfähigkeit. Siehe auch Geist ↗
Bewusstsein und Seele
Von der Seele unterscheidet sich das Bewusstsein vor allem durch deren Individualität. Bewusstsein kann an ein individuelles Wesen gebunden gedacht werden, muss es aber nicht. Der Physiker Erwin Schrödinger sah im Bewusstsein etwas Überindividuelles, was sich zum Beispiel darin andeutet, dass das Wort keine Mehrzahl kennt.[7] Man kann sich eine Seele nicht ohne Bewusstsein denken, aber ein Bewusstsein ohne Seele ist durchaus denkbar. Auch steht der Begriff der Seele, vielleicht noch enger als Geist, oft nahe an religiösen Vorstellungen. Individuelle Wesen müssen dann erst "beseelt" werden. Und beim Tod kann die Seele als eigenständige Substanzn nach vielen Religionen den Körper wieder verlassen. Ungewöhnlich hingegen wirkt die Vorstellung, dass beim Tod eines Menschen dessen Bewusstsein aus ihm ausströmt und individuell weiter existiert. Siehe mehr unter Seele ↗
Auftreten von Bewusstsein
Es ist weitgehend unklar, bei welchen Lebensformen Bewusstsein überhaupt und falls ja, in welchen Formen auftritt. Die Körpersprache vieler Haustiere (treu blickende Hunde, schmusende Katzen) legt nahe, dass sie ein bewusstes inneres Erleben haben. Wie sieht es aber mit Fischen oder Amöben aus? Und haben Kinder bei der Geburt ein Bewusstsein? Manche Forscher verneinten das.[5] Viele Forscher gehen heute davon aus, dass Bewusstsein fließende Übergangsformen hat und auch bei weniger komplexen Lebensformen vorhanden ist.
Locked-In-Syndrom als ohnmächtiges Bewusstsein
Es gibt Patienten mit einer völligen Lähmung des Körpers. Willentlich steuern können sie bestenfalls kleine vertikale Augenbewegungen oder eine Erweiterung der Pupillen, aber auch das nicht immer. Der Hörsinn ist aber normalerweise völlig intakt. Eine Kommunikation kann im Extremfall nur über ein Brain-Compter-Interface stattfinden. Lange Zeit war es nicht erkennbar, ob diese Patienten überhaupt etwas wahrnehmen. Inzwischen weiß man, dass sie üblicherweise bei vollem Bewusstsein sind. Siehe mehr unter Locked-in-Syndrom ↗
Split-Brain als multiples Bewusstsein?
Menschen haben zwei auch optisch gut unterscheidbare Gehirnhälften. Sie sind durch einen Nervenstrang (corpus callosum) mit über 200 Millionen Fasern verbunden. Wurde dieser Strang durch einen Unfall oder eine Operation geht, können die zwei Gehirnhälften nicht mehr miteinander kommunizieren. Das verblüffende: Weder Mitmenschen noch betroffene Patienten merken irgendetwas davon. Die Menschen verhalten sich völlig normal. Nur in ausgeklügelten Experimenten stellt man fest, dass in ein und demselben Kopf augescheinlich getrennte autonome Bewusstseinskerne sitzen, die aber nichts voneinander wissen. Ungeklärt ist, wie aus den verschiedenen Aktivitäten das Gefühl eines Bewusstseinsstromes und einer Persönlichkeit entsteht. Siehe auch Split Brain ↗
Zombies als bewusstseinslose Körper
Als philosophischer Fachbegriff meint Zombie einen Menschen, der bloß mechanisch ohne inneres Erleben funktioniert. Der Zombie-Begriff hilft bei der Diskussion, ob komplexes menschliches Verhalten vollständig durch mechanistische Regeln beschrieben werden kann (komplexe Reiz-Reaktionsmuster) oder ob das erkennbar menschliche Verhalten erst durch eine wirksame Einflussnahme von Bewusstsein entsteht. Siehe auch Zombie [philosophisch] ↗
Bewusstsein: Einzahl oder Mehrzahl?
Die Mehrzahl "Bewusstsein" klingt seltsam. Man verwendet das Wort Bewusstsein meist in der Einzahl. Auf diesen bemerkenswerten Umstand wies zum Beispiel der Physiker Erwin Schrödinger (1887 bis 1961) immer wieder hin[7]. Schrödinger geht davon aus, dass dahinter möglicherweise die Tatsache steht, dass es tatsächlich nur ein Bewusstsein gibt, von dem jeder einzelne Mensch nur ein Teil ist. Die Vorstellung getrennter Bewusstseine[8] ist möglicherweise eine Täuschung[9]. Demgegenüber stehen aber moderne Visionen eines Transhumanismus, bei dem mit Hilfe von Technologie verschiedene Bewusstsein (consicousnesses) miteinander verbunden werden sollten[10]. Siehe auch Geistverschmelzung ↗
Bewusstsein in der Physik
Aus physikalischer Sicht stellen sich zwei Fragen: welche physikalischen Zustände werden von Bewusstsein begleitet? Und: könnte Bewusstsein einen wirksamen Einfluss auf den Ablauf in der Welt haben? Die zweite Frage lässt sich umformulieren: gibt es physikalische messbare Abläufe, die ohne einen Einfluss von Bewusstsein anders ablaufen würden, als sie es tatsächlich tun? Die Frage berührt Konzepte von Kausalität und darüber die Idee eines Freien Willens. Mehr dazu im Artikel Bewusstsein (naturwissenschaftlich) ↗
Bewusstsein in der Psychologie
Aus naturwissenschaftlicher Sicht stellt sich die Frage, ob man das Vorhandensein von Bewusstsein messen kann. So kann man mit Menschen einfache psychologische Versuche machen und sie danach fragen, ob sie etwa bestimmte Zahlenmuster bewusst wahrnehmen oder nicht. Man zeichnet dabei die elektrischen Erregungsmuster im Gehirn auf. Ergibt sic eine statistische signifikante Korrelation von bezeugten Bewusstsein und messbaren Muster, kann man im Umkehrschluss die elekrischen Muster als "Signaturen des Bewusstseins" auffassen. Mehr dazu im Kapitel "Bewusstsein messen" unter Vennland-Vortrag 2019 Panpsychismus => pdf ↗
Fußnoten
- [1] Daniela C. Rößler et al.: Regularly occurring bouts of retinal movements suggest an REM sleep–like state in jumping spiders. In: Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America. 119 (33) e2204754119. August 2022. Online: https://doi.org/10.1073/pnas.2204754119v
- [2] Gotthard Günther: Das Bewusstsein der Maschinen. Eine Metaphysik der Kybernetik. 3., erw. Auflage. Agis, Krefeld, Baden-Baden 2002, ISBN 3-87007-009-9 (Erstausgabe: 1957).
- [3] Wolfgang Prinz: Bewusstsein erklären. Suhrkamp Verlag. 317 Seiten. 2021. ISBN 9783518299593. [Eine Leitfrage ist Personalität]
- [4] Simone Sarasso et al.: Consciousness and complexity: a consilience of evidence. In: Neuroscience of Consciousness. August 21st, 2021. https://doi.org/10.1093/nc/niab023
- [5] 1878 sprach der Biologe Ernst Haeckel über die fließenden Nuancen von Bewusstsein: "Auch ist ferner die Tatsache jetzt wohl allgemein anerkannt, daß mindestens ein Teil der Seelentätigkeiten, insbesondere Wille und Empfindung, bei den höheren Tieren sich ähnlich wie beim Menschen verhält; und eine psychologische Vergleichung der verschiedenen Tiere zeigt uns eine lange Stufenleiter von verschiedenen Entwicklungsraden der Tierseele [Seite 6]." Haeckel benutzt als Gedankenmodell eine "vergleichende Seelenlehre der Tiere eine lange Stufenleiter der Entwickelung, auf der alle denkbaren Stufen der Vernunft und des Bewußtsein vertreten sind, vom ganz unvernüftigen bis zum ganz vernünftigem Tiere, vom Schwamme und Polypen bis zum Hunde und Elefanten [Seite 22]" Diese Stufenleiter sieht Haeckel auch bei heranreifenden Kindern: "Zweitens sehen wir an jedem Kinde, wie an jedem höheren Tiere daß Vernunft und Bewußtsein bei der Geburt noch nicht vorhanden sind, sondern sich erst langsam und allmählich entwickeln [Seite 22 und 23]." Und auch an sich selbst kann man einen Übergang feststellen: "Drittens endlich nehmen wir an uns selbst wahr, daß eine scharfe Grenze zwischen bewußter und unbewußter Seelentätigkeit so wenig als zwischen vernünftigem und unvernünftigem Denken existiert, daß vielmehr diese Gegensätze ohne fixierte Grenze vielfach sich berühren und ineinander übergehen [ Seite 24]. In: Ernst Haeckel: Zellseelen und Seelenzellen. Vortrag gehalten am 22. März 1878 in der Concordia zu Wien. Als Buch herausgegeben vom Verlag Alfred Krömer im Jahr 1909. Der gedankliche Hintergrund zu diesem Zitat ist beschrieben auf Zellseelen und Seelenzellen ↗
- [6] Günter Ewald: Auf den Spuren der Nahtoderfahrungen. Gibt es eine unsterbliche Seele? Butzon & Berger. 2. korrigierte Auflage von 2012. ISBN: 978-3-7666-1544-2. Dort die Kapitel "Schafft Bewusstsein das Sein?". Seite 105 bis Seite 107. Sowie: "Bewusstsein und Seele". Seite 130 bis Seite 133.
- [7] Erwin Schrödinger (1887 bis 1961), Physiker und Nobelpreisträger wies darauf hin, dass das Wort Bewusstsein keine sinnvolle Mehrzahl hat: "Bewußtsein wird nie in der Mehrzahl, stets nur in der Einzahl erlebt. Sogar in den pathologischen Fällen der Bewußtseins- oder Persönlichkeitsspaltung wechseln die zwei Personen, sie offenbaren sich nie gleichzeitig. In einem Traum spielen wir tatsächlich die Rollen verschiedener Personen zur gleichen Zeit, aber nicht ohne zu unterscheiden: Wir sind eine Person und handeln und sprechen als solche unmittelbar, während wir oft ungeduldig die Antworten oder die Reaktion einer anderen Person erwarten, ohne darauf zu achten, daß wir selbst ihr Reden und Handeln gerade so in der Hand haben wie unser eigenes." In: Erwin Schrödinger: Was ist Leben?: Die lebende Zelle mit den Augen des Physikers betrachtet. R. Piper GmbH & Co. KG, München 1987. ISBN: 3-492-11134-3. Dort im Epilog das Kapitel "Determinismus und Willensfreiheit" auf Seite 123. Siehe auch Transpersonales Bewusstsein ↗
- [8] "Das Bewußtsein findet sich in engster Beziehung und Abhängigkeit vom physikalischen Zustand eines begrenzten Teiles des Stofflichen, des Körpers. (Man beachte die geistigen Veränderungen während der körperlichen Entwicklung in der Pubertät, beim Altern, beim Vergreisen usw., oder man denke an die Wirkungen von Fieber, Rausch, Narkose, Gehirnverletzungen usw.) Nun gibt es eine große Vielzahl gleicher Körper. Daher liegt es nahe, sich Bewußtsein oder Geist in der Mehrzahl zu denken. Wahrscheinlich teilen alle einfachen und unverbildeten Menschen diese Denkweise mit den meisten westlichen Philosophen." In: Erwin Schrödinger: Was ist Leben?: Die lebende Zelle mit den Augen des Physikers betrachtet. R. Piper GmbH & Co. KG, München 1987. ISBN: 3-492-11134-3. Dort im Epilog das Kapitel "Determinismus und Willensfreiheit" auf Seite 123. Ein einheitliches Bewusstsein, so Schrödinger, kennt die indische Philosophie in Form des Brahman [Weltgeist] ↗
- [9] Schrödinger über die Vielheit der Bewusstseine als Täuschung: "Uns bleibt nur eines übrig: wir müssen uns an die unmittelbare Erfahrung halten, daß das Bewußtsein ein Singular ist, dessen Plural wir nicht kennen; daß nur eines wirklich ist und das, was eine Mehrzahl zu sein scheint, nur eine durch Täuschung (das indische Maja) entstandene Vielfalt von verschiedenen Erscheinungsformen dieses Einen ist." In: Erwin Schrödinger: Was ist Leben?: Die lebende Zelle mit den Augen des Physikers betrachtet. R. Piper GmbH & Co. KG, München 1987. ISBN: 3-492-11134-3. Dort im Epilog das Kapitel "Determinismus und Willensfreiheit" auf Seite 124.
- [10] In der Mehrzahl, nämlich auf Englisch consciousnesses, ist die Rede in Verbindung mit transhumanistischen Visionen eines sogenannten Exokortext: " A mind may wish to acquire the ability to have several simultaneous consciousnesses at the same time, letting it think and do many things at once. This might be possible by creating a copy of oneself and coalescing with it in the right way." In: Sotala, Kaj, and Harri Valpola. 2012. “Coalescing Minds: Brain Uploading-Related Group Mind Scenarios.” International Journal of Machine Consciousness 4 (1): 293–312. DOI: doi:10.1142/S1793843012400173. Siehe auch Exokortex ↗
- [11] Das Phänomen des Bewusstseins liegt außerhalb der Erklärungskraft der Physik: "[…] the process by which the external world of physics is transformed into a world of familiar acquaintance in human consciousness is outside the scope of physics." In: Arthur Stanley Eddington: The Nature of the Physical World. MacMillan, 1928 (Gifford Lectures). Dort in der Einführung: "Introduction". Seite xiv. Siehe auch Metaphysik ↗
- [12] Der Artikel "Geist", in: Brockhaus in Achtzehn Bänden. F. A. Brockhaus. Leipzig, Mannheim. 2002. ISBN für alle Achtzehn Bände gemeinsam: 3-7653-9320-7. Band 5. Seite 157. Siehe auch Geist ↗