A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z 9 Ω
Das Banner der Rhetos-Website: zwei griechische Denker betrachten ein physikalisches Universum um sie herum.

Geistverschmelzung

Philosophie

Definition


In der Science Fiction ein etablierter Begriff[1] ist Geistverschmelzung auch eine passende Übersetzung der englischen Idee der „coalescing minds[2]“. Koaleszenz bezeichnet im Deutschen soviel wie ein eine „innere Vereinigung[3]“, ein „Verwachsen[3]“, auch ein „Zusammenfließen[4]“ oder „Verschmelzen[5]“. Und Mind wird meist übersetzt mit Geist[6]. Als ein technisches Hilfsmittel[7] für eine Geistverschmelzung vorgeschlagen wird ein sogenannter Exokortex. Das Konzept wirft einige philosophische Fragen auf.

Eckeharts mystisches Ideal der Verschmelzung mit Gott


Der mittelalterliche Gelehrte und Mystiker Meister Eckehart (1260 bis 1386) beschrieb einen Zustand inniger Verschmelzung der eigenen Seele mit dem Wesen Gott im sogenannten Seelengrund. Es kam zu einer völligen Aufhebung des eigenen Selbst: "Gott und ich, wir sind eins. Durch das Erkennen nehme ich Gott in mich hinein; durch die Liebe hingegen gehe ich in Gott ein. … Gott und ich, wir sind eins in solchem Wirken; er wirkt, und ich werde.[13]" Die Aufhebung eines individuellen Bewusstseins zugunsten eines übergeordneten, göttlichen oder kosmischen Erlebnisses bezeichnet man auch als transpersonales Bewusstsein ↗

Ernst Haeckels Seelenzellen als historischer Vorgänger


Im 19ten Jahrhundert spekulierte der deutsche Biologe Ernst Haecke (1834 bis 1919), dass auch einzelne Zellen von Tieren eine Seele, eine psychische Wahrnehmung haben[11]. Veranlasst sah er sich dazu vor allem durch die analogen Vorgänge und Bauweisen der Körper der Wesen. Haeckels philosophische Position war die des Monismus. Er ging von einer untrennbaren Einheit von psychischen und materiellen Vorgängen und Dingen aus[12]. Damit musste er nicht erklären, wie aus Materie Geist werden könne. Die Frage jedoch, wie aus den Seelen der Zellen die Seele eines Menschen werden könne, oder in welcher Beziehung diese zueinander stehen, behandelte er zumindest in seinem einschlägigen Buch nicht. Mehr zu Haeckels Idee steht in der Besprechung seines Buches Zellseelen und Seelenzellen ↗

Die Geistverschmelzung als Vision des Transhumanismus


Seit den frühen 2000er Jahren formulierten verschiedene Technik-Visionäre Bilder Ideen der Art, dass Menschen ihr Bewusstsein auf Computer übertragen können oder über Schnittstellen direkt miteinander kommunizieren[17][18]. Die Grundidee ist es, dass zwei Gehirne Schritt für Schritt um technologische Komponenten erweitert werden und viele dieser Komponenten teilen. Dann müssten sich die Gedanken oder Regungen des einen Bewusstseinsstromes unmittelbar dem anderen Bewusstseinstrom mitteilen[2]. Eien technische Möglichkeit, so einige Forscher, sei ein sogenannter Exokortex ↗

Das Gegenteil: split brain


Die Verheißung, getrennte Bewusstseinsströme mit Technik zu verbinden sollte man skeptisch sehen. Ein Grund dafür ist, dass selbst in rein biologischen Gehirnen wahrscheinlich sehr komplexe kognitive Vorgänge ablaufen, von denen das eigenen Bewusstsein nichts mitbekommt[14]. Den Extremfall stellen sogenannte Split-Brain Patienten. Bei ihnen ist ein Großteil der Nervenbahnen zwischen den zwei Hälften ihres Gehirns durchtrennt. Davon merken die Patienten nichts. Bereits das ist bemerkenswert. Und in verschiedenen Experimenten konnte sich Experimentatoren mit zwei Gehirnhälften getrennt unterhalten. Dabei hatten die Experimentaroren den Eindruck, als sei jede Gehirnhälfte eine eigene Persönlichkeit. Jede Hirnhälfte für sich nahm jedoch nichts von den Aktivitäten der jeweils anderen Hälfte wahr. Siehe auch Split Brain ↗

Persönliche Einschätzung


Mein Eindruck nach gut 50 Jahren philosophischen Tastens ist der, dass unsere Bewusstseinsströme möglicherweise getrennt sein sollen. Ein Sinn davon kann eine Art in die Welt einprogrammierter Persönlichkeitsschutz sein. Das eigene Bewusstsein ist diesem Gedanken zufolge ein sicherer Rückzugsort, in den nichts und niemand folgen kann. Jede Kommunikation mit anderen Bewusstseinen erfolgt immer nur auf dem Umweg über einen speziell dazu geschaffenen gemeinsamen Kommunikationsraum. Was wir heute als Physik bezeichnen ist - so die Spekulation - sozusagen nur das Kommunikationsprotokoll in diesem gemeinsamen Erlebnisraum. Siehe mehr zu dieser Idee im Artikel kollaborative Physik ↗

Quaestiones


Die Bewusstseinsströme der Menschen sind voneinander getrennt. Das ist eine Erfahrungstatsache. Das wird schon Kindern bewusst mit einer einfachen Frage: woher kann ich wissen, dass jemand anderes mit rot nicht genau das fühlt, was ich mit grün fühle? Die Antwort ist: man kann es nicht wissen. Diese einfache Betrachtung soll bescheiden machen. Mit Konzepten wie der einer Geistverschmelzung sind eher Fragen als einfache Antworten verbunden.


Fußnoten