Kombinationsproblem
Definition
Basiswissen
Als Kombinationsproblem[2][3], eng verwandt mit dem Bindungsproblem der Neurowissenschaften[8], bezeichnet man in der Philosophie des Geistes die Frage, ob oder wie eine psychische Einheit aus einfacheren Elementen zusammengesetzt ist. Die Vorstellung wurde schon früh[11] als rätselhaft bezeichnet und später unter anderem von William James (1842 bis 1910) klar als Problem ausformuliert. Das Kombinationsproblem wirft eine Fülle philosophischer Fragen auf.
Die Grundidee des Kombinationsproblems
Eines der hartnäckigisten, ungelösten Problemen der Philosophie ist die Verbindung von Geist und Materie, vom Leibern und Seele. Stellt man sich die Welt getrennt in Geist und Materie vor[10], so treten mehrere Frage auf: entsteht Geist aus Materie (Epiphänomenalismus)? Entsteht Materie aus Geist (Idealismus)? Wie wirkt Geist auf Materie, wie Materie auf Geist (Interaktionismus?). Und: wenn man elementare Einheiten von Psyche, Geist oder Bewusstsein annimmt, die sich wie Atome dann zu komplexeren Gebilden zusammenfügen[1], wie soll man sich das konkret vorstellen? Dieses letztere Problem bezeichnet man als das Kombinationsproblem. Es wurde klar formuliert von dem amerikanischen Philosophen William James (1842 bis 1910)[15]:
MERKSATZ:
„Where the elemental units are supposed to be feelings, the case is in no wise altered. Take a hundred of them, shuffle them and pack them as close together as you can (whatever that might mean); still each remains the same feeling it always was, shut in its own skin, windowless, ignorant of what the other feelings are and mean. There would be a hundred-and-first feeling there, if, when a group or series of such feeling were set up, a consciousness belonging to the group as such should emerge. And this 101st feeling would be a totally new fact; the 100 original feelings might, by a curious physical law, be a signal for its creation, when they came together; but they would have no substantial identity with it, nor it with them, and one could never deduce the one from the others, or (in any intelligible sense) say that they evolved it […] Take a sentence of a dozen words, and take twelve men and tell to each one word. Then stand the men in a row or jam them in a bunch, and let each think of his word as intently as he will; nowhere will there be a consciousness of the whole sentence. […] The private minds do not agglomerate into a higher compound mind.“
„Where the elemental units are supposed to be feelings, the case is in no wise altered. Take a hundred of them, shuffle them and pack them as close together as you can (whatever that might mean); still each remains the same feeling it always was, shut in its own skin, windowless, ignorant of what the other feelings are and mean. There would be a hundred-and-first feeling there, if, when a group or series of such feeling were set up, a consciousness belonging to the group as such should emerge. And this 101st feeling would be a totally new fact; the 100 original feelings might, by a curious physical law, be a signal for its creation, when they came together; but they would have no substantial identity with it, nor it with them, and one could never deduce the one from the others, or (in any intelligible sense) say that they evolved it […] Take a sentence of a dozen words, and take twelve men and tell to each one word. Then stand the men in a row or jam them in a bunch, and let each think of his word as intently as he will; nowhere will there be a consciousness of the whole sentence. […] The private minds do not agglomerate into a higher compound mind.“
Diese Problemstellung von William James wurde zuerst im Englischen als "combination problem" bezeichnet[16] und später als Kombinationsproblem eingedeutscht[12].
Das Kombinationsproblem und Überwesen
Die Erde als Gaia-Wesen, Termitenstaaten als ein Superorganismus, die Summe aus Internet, Natur, Technik und Menschen als das bewusste Global Brain: es gibt eine große Anzahl von Theorien und Thesen zu der Idee, das psychische Grundbausteine sich so zusammenfügen können, dass daraus ein höheres, ein zusammengesetztes, also kombiniertes Bewusstsein entsteht. Den Theorien mangelt es aber meist an präzisen Vorstellungen, in welcher Beziehung die elementare Bewusstseins-Bausteine (z. B. Menschen, Computer) zum hypothetischen Überwese (z. B. Global Brain, Metaman) stehen sollen. Siehe auch Metasystem-Bewusstsein ↗
Quaestiones
- Was genau wird kombiniert: Geist, Wille, Bewusstsein oder Qualia ↗
- Gehört das was kombiniert wird, das Psychische zu den Erhaltungsgrößen ↗
- Wenn aus Bewusstseins-Bausteinen ein Überbewusstsein entsteht, verlieren die Bausteine dabei ihr altes psychisches Ich?
- Gibt es bei der Verbindung eine Mischform neuer Zustände: wird aus traurigen und freudvollen Ichs ein ausgeglichenes Ich?
- Gibt es bei der Verbindung eine Konkurrenz gegenseitiger Ausschlüsse: wird aus traurig und freudvoll entweder nur traurig oder nur freudvoll?
- Den einzelnen Zellen eines menschlichen Körpers kann man eine elementare Psyche zusprechen. Wenn man ihnen aber zum Beispiel nicht die Fähigkeit zur Gemütslage der Wehmut zusprechen möchte, wie kann dann aus einer Kombination die Wehmut eines individuellen Menschen werden? Gibt es für die kombinierten Dinge also eine Emergenz [?] ↗
- Bestimmen die psychischen Zustände der Elemente immer eindeutig die Psyche des kombinierten Wesen oder kann das kombinierte Wesen Freiheiten entwicklen, dich nicht eindeutig aus den Teilen resultieren (Emergenz)? Gibt es eine echte Emergenz ↗
- Ist eine wirkungsvolle Kombination mehrer psychischer Einzelteile an zeitliche oder räumliche Nähe der elementaren Psychen gebunden? Oder können sie über weite Distanzen oder über weite Zeiträume hinweg erfolgen?[19]
- Was löst eine Kombination aus? Ein genau definierbarer Zustand wie etwa eine zeitliche oder räumliche Nähe? Ein Wille der psychischen Elemente selbst?
- Können sich einzelne psychische Elemente aktiv einer Verschmelzung widersetzen oder läuft diese bei geeigneten Umständen naturgesetzmäßig automatisch ab?
- Kann ein Element gleichzeitig Teil verschiedenen Überwesen sein?[18]
- Können sich die Überwesen die Bewusstseinszustände ihrer Teile bewusst machen?
- Wenn es insgesamt eine Menge von 4 elementare Psychen A, B, C und D gibt, welche Teilmengen kombinieren sich dann? Alle möglichen? Also zum Beispiel AB, AC, AD, ABC, ABD, ABCD, BC, BCD etc.?
Fußnoten
- [1] William James darüber, dass die die Analogie von Atomen und Molekülen zu kurz greift: "Let it not be objected that H2 and O combine of themselves into 'water,' and thenceforward exhibit new properties. They do not. The 'water' is just the old atoms in the new position, H-O-H; the 'new properties' are just their combined effects, when in this position, upon external media, such as our sense-organs and the various reagents on which water may exert its properties and be known." In: William James: The Principles of Psychology. Henry Holt. New York 1918. Dort das Kapitel CHAPTER VI. THE MIND-STUFF THEORY. Dort die Seite 159. Online: https://www.gutenberg.org/cache/epub/57628/pg57628-images.html
- [2] Uwe Voigt: Eingestimmte Subjekte? Das Kombinationsproblem des Panpsychismus im Licht der Atmosphärenkonzeption der Neuen Phänomenologie, in: Wolf, Barbara/Julmi, Christian (Hrsg.): Die Macht der Atmosphären, Freiburg: Karl Alber, (Neue Phänomenologie ; 31), 60-74. 2020.
- [3] Peter Ehrensberger: Panpsychismus und der Raum des Erlebens: Eine Darstellung der Argumentation und der Versuch das Kombinationsproblem zu umgehen. GRIN Verlag; 2. Edition (13. März 2011). 24 Seiten. ISBN: 978-3640858101.
- [4] "Das Bindungsproblem (eng. binding problem) ist ein zentrales Thema in den Neurowissenschaften und in der Philosophie des Geistes. Es geht dabei um die Frage, durch welche neuronalen Prozesse die Vielzahl der Sinneseindrücke zu einer einheitlichen Wahrnehmung verbunden werden." In: AnthroWiki. Abgerufen am 16. November 2023. Online: https://anthrowiki.at/Bindungsproblem
- [5] David J. Chalmers, David: The Combination Problem for Panpsychism. In: Godehard Bruntrup, and Ludwig Jaskolla (eds), Panpsychism: Contemporary Perspectives, Philosophy of Mind Series (New York, 2016; online edn, Oxford Academic, 20 Oct. 2016). Online: https://doi.org/10.1093/acprof:oso/9780199359943.003.0008
- [6] Sam Coleman: The Real Combination Problem: Panpsychism, Micro-Subjects, and Emergence. In: Erkenntnis 79 (1):19-44. 2013.
- [7] Panpsychism. Stanford Encyclopedia of Philosophy. Stark überarbeitete Version aus dem Jahr 2020. Dort der Abschnitt 4.2: The Combination Problem. Online: https://plato.stanford.edu/entries/panpsychism/#CombProb
- [8] Reynolds JH, Desimone R (1999) The role of neural mechanisms of attention in solving the binding problem. Neuron 24:19-29, 111-25.
- [9] Mind-Stuff ist definiert als "the simple elements of which consciousness is composed". In: William Kingdon Clifford. Encyclopedia Britannica, 30 Apr. 2023. Siehe auch Mind-stuff ↗
- [10] Die Vorstellung einer in Geist und Materie getrennten Welt bezeichnet man als Dualismus ↗
- [11] Bereits im Jahr 1878 bezeichnete der Biologe Ernst Haeckel (1834 bis 1919) die Entstehung von Bewusstsein aus der Tätigkeit einzelner Zellen als rätselhaft: "Und daneben leisten nun außerdem diese bewunderungswürdigen Seelenzellen des Hirns noch jene höchst merkwürdige und rätselhafte Arbeit, welche wir mit einem Worte als Vorstellung bezeichnen. Sie sind es, die bei den höheren Tieren, wie beim Menschen, die vollkommensten aller Seelentätigkeiten, diejenigen des Denkens und des Verstandes und des Bewußtseins vermitteln. Indem wir hier die höchste Grenze und die edelste Leistung des Seelenlebens, Vernunft und Bewußtsein, ber ühren, wollen wir gleich die Bemerkung anschließen, daß uns zwar das eigentliche Wesen dieser rätselhaften Zellenarbeit noch ganz unbekannt ist, daß wir aber trotzdem imstande sind, mit Hilfe der vergleichenden Psychologie und Entwicklungsgeschichte ein erklärendes Licht auf dieselbe fallen zu lassen." [1, Seite 22]. Der gedankliche Hintergrund zu diesem Zitat ist beschrieben auf der Seite über Zellseelen und Seelenzellen ↗
- [12] Mark Werden: Ist Geist elementar? Das Kombinationsproblem in der Panpsychismusdebatte. Diplomarbeit. Westfälische Wilhelms-Universität Münster. Katholisch-Theologische Fakultät. 2014. Online: https://www.academia.edu/35561804/Ist_Geist_elementar_Das_Kombinationsproblem_in_der_Panpsychismusdebatte
- [12] M. Blamauer: Taking the Hard Problem of Consciousness Seriously: Dualism, Panpsychism and the Origin of the Combination Problem. In: Blamauer, M. (Hg.): The Mental as Fundamental. New Perspectives on Panpsychism. Heusenstamm. 2011, 99-116.
- [13] M. Blamauer: Panpsychism without Subjectivity? A Brief Commentary on Sam Coleman’s ‘Mental Chemistry’ and ‘The Real Combination Problem’
- [14] P. Goff: There is no combination problem. In: Blamauer, M. (Hg.): The Mental asFundamental. New Perspectives on Panpsychism. Heusenstamm 2011, 131-140.
- [15] Das Zitat stammt aus: William James: The Principles of Psychology. 1890. Dort der Abschnitt "SELF-COMPOUNDING OF MENTAL FACTS IS INADMISSIBLE." Seite 160.
- [16] W. Seager: Consciousness, Information and Panpsychism. In: Journal of Consciousness Studies, 2, No.3, 1995, 272-288. Dort ab Seite 280.
- [17] G. Dawes Hicks et al.: Symposium: Is the Mind a Compound Substance? In: Proceedings of the Aristotelian Society, vol. 26, 1925, pp. 225–62. JSTOR, http://www.jstor.org/stable/4544103
- [18] Die möglichen Beziehung von Einzelteilen zum Ganzen und umgekehrt betrachtet man in der sogenannten Mereologie ↗
- [19] Der Philosoph und Pionier der Science Fiction, William Olaf Stapledon (1886 bis 1950) beschrieb in seinem Roman Nebula Maker große kosmische Lebensformen, deren Körper sich über viele Lichtjahre erstrecken konnten. Entsprechend seien auch die psychischen Vorgänge, so Stapledon, sehr verschieden von unseren gewesen. Siehe auch Nebula Maker ↗