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Ockhams Rasiermesser


Physik


Basiswissen


Wilhlem von Ockham (1287 bis 1347)[1], ein englischer Theologe, war nicht der Urheber des nach ihm benannten Denkprinzips. Er soll es aber so häufig benutzt haben, dass sein Name dauerhaft damit verbunden wurde. Die Kernidee besagt: wenn es mehrere Hypothese oder Theorien zur Erklärung von etwas gibt, dann sollte man die einfachere wählen. Das ist hier näher vorgestellt.

Ockhams Rasiermesser vor Ockhams Zeit


Bereits der antike griechische Philosoph Aristoteles (384 bis 322 v. Chr.) soll sinngemäß gesagt haben, dass eine Erklärung, die mit weniger Hypothesen und Postulaten auskommt, anderen überlegen sei[6].

1.0 Die Idee, Erklärungen mit möglichst wenigen Annahmen zu bevorzugen, reicht bis in die antike Philosophie zurück.

Der in Alexandria wirkende Astronom Ptolemäus (100 bis 160 n. Chr.) soll sich fast wortgleich geäußert haben[7]. Im christlich geprägten Westeuropa des Mittelalters schließlich sei das Prinzip der sparsamen Annahmen allgemeines Gedankengut gewesen. Ockhams Zeitgenosse, Duns Scotus (1265 bis 1308) hat nachweislich bereits dieselben Wort genutz wie Ockham[8].

Ockhams Rasiermesser in Ockhams Worten


In Ockhams eigenen Worten besagt das Prinzip, dass man nie eine Vielheit (pluralitas) ohne Notwendigkeit (necessitate) annehmen sollte[2]. Ockham hinterfragte damit zum Beispiel[3], ob man ein eigens einen Begriff der Wirkkausalität (causa efficiens)[4] annehmen soll oder ob es nicht genüge, eine regelmäßige Abfolge von Dingen anzunehmen. Auch sah er keine Notwendigkeit, für jede Sinnesqualität (hören, riechen, sehen etc.) eine eigene psychische Kraft anzunehmen. Und die Vorstellung, dass es im Geiste des Schöpfers eigene Ideen geben könnte, führte er auf die Vorstellung zurück, dass diese Idee letztendlich die Geschöpfe selbst seien.

2.0 Ockhams Anliegen schien es gewesen zu sein, sparsamen mit neuen Begriffen zu sein, wenn schon vorhandene Begriffe ausreichen.

Eine damit übereinstimmende Formulierung Ockhams ist auch "Frustra fit per plura, quod potest fieri per pauciora", auf Deutsch so viel wie: es ist unnütz, mehreres zu bemühen, wenn weniger genügt[5].

Ockhams Rasiermesser nach der Zeit Ockhams


Ockhams Schüler, Johannes Buridan (1300 bis 1358), wandte das Prinzip der Denkökonomie auf astronomische Gedanken an. Entgegen der damalig vorherrschenden Sicht einer in der Mitte der Welt ruhenden Erde[9] spielte er die Idee durch, dass die Erde sich bewege, die himmlischen Sphären aber ruhig stünden. Denn, so wie es besser sei mit wenigen als mit vielen Ursachen auszukommen, so sei es wohl auch besser mit wenig angenommener Bewegung als mit viel Bewegung auszukommen[10].

3.0 Ockhams Rasiermesser wurde nicht nur auf Annahmen oder Hypothesen angewandt, sondern auch auf etwa auf die Bewegung physikalischer Objekte.

Spätestens im 17ten Jahrhundert, dreihundert Jahre nach Ockhams Lebenszeit, wird das Prinzip das umfangreich von Naturforschern genutzt. Isaac Newton schrieb in seinen mathematischen Grundlagen der Naturphilosophie im Kapitel "Leitsätze des Philosophierens": "Nicht mehr Ursachen der natürlichen Dinge dürfen in den Beweisgang eingeführt werden als die, die wahr sind und zur Erklärung ihrer Erscheinungen zureichen. Die Philosophen sagen ja: die Natur tut nichts überflüssigerweise ; überflüssigerweise aber geschieht durch mehr [Ursachen], was durch weniger geschehen kann. Die Natur ist nämlich einfach und treibt keinen Luxus mit überschüssigen Ursachen der Dinge."[10]

4.0 Seit dem 17ten Jahrhundert ist Ockhams Rasiermesser ein Leitgedanke naturwissenschaftlichen Denkens: den Vorzug soll die einfachste Theorie erhalten, die auf anerkannten Tatsachen beruhen.

Überflüssige Gedanken und Annahmen sollten, sinnbildlich gesprochen, mit einem Rasiermesser abgeschnitten werden. So argumentiert Kepler, dass das Weltbild des Kopernikus, mit de Sonne als Mittelpunkt, wesentlich einfacher zur Erklärung der Himmelserscheinungen sei als das viel kompliziertere Bild einer Welt mit der Erde in der Mitte[12].

Um nämlich zu erklären, warum die Planeten am Nachthimmel bei Beobachtungen über mehrere Tage die Richtung ihrer scheinbaren Bewegung ändern, mussten die Vertreter eines geozentrischen Weltbildes mit der Erde in der Mittel immer neu Kreisbewegungen der Planten erfinden: die Planten bewegen sich nicht nur auf einer Kreisbahn um die Erde, sondern auf ihrer Kreisbahn führen sie noch einmal kleinere Kreisbewegungen aus, die sogenannten Epizykel.

5.0 Die Aufgabe des geozentrischen Weltbildes mit seinen komplizierten "Epizykeln" und die Annahme des heliozentrischen Weltbildes mit der Sonne in der Mitte der Welt ist ein klasssisches Beispiel für den Erfolg von Ockhams Rasiermesser.

Der Wunsch, in der Deutung der Erscheinungen unserer Welt, eine möglichst einfache Erklärung zu finden, ist da Leitmotiv wissenschaftlichter Forschung bis heute. Die Suche nach eine möglichst kleinen Anzahl von Elementarteilchen[13] ist eine Fortsetzung der jahrtausende alten Suche nach Atomen als Grundbausteinen der Welt. Auch die Idee, dass die Welt nach einer möglichst einfachen und eleganten Mathematik funktioniere kann eine Form von Ockhams Rasiermesser gedeutet werden[14]. Die vielleicht strengste moderne Fassung von Ockhams Rasiermesser ist Alfred North Whiteheads (1861 bis 1947) Konzept der Kohärenz: die Welt soll aus "fundamentalen Idee" erklärbar sein, von denen keine einzige Sinn macht ohne die anderen[15]. Siehe auch Whiteheadsche Kohärenz ↗

Beispiele zur Anwendung von Ockhams Rasiermesser



Aktuelle Kandidaten für Ockhams Rasiermesser


In der gegenwärtigen Physik existieren eine Reihe von angenommenen Objekten, Dingen oder ganz allgemein gesprochen Entitäten, deren Realität zumindest widerstreitend diskutiert wird. Dazu stehen hier einige Beispiele.


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