Dunkle Materie
Physik
Basiswissen
Die Geschwindigkeit, mit der sich manche Sterne um das Zentrum ihrer Galaxie bewegen ist zu niedrig für die bekannten Formeln. Das lässt zwei Möglichkeiten zu: a) die bisherigen Formeln gelten dort nicht oder b) es gibt im Weltall für uns noch unerkannte Materie. Der zweite Fall ist hier besprochen.
Wie kam man auf die Idee Dunkler Materie?
Noch um 1928 ahnte man nichts von dunkler Materie.[18] Welcher Gedanken führt dann zu der Idee? Man kann genau berechnen, wie stark sich zwei Massen gegenseitig anziehen. Das entsprechende Naturgesetz dazu heißt Graviationsgesetz. Mit ihm kann man die Bewegung von Sternen in einer Galaxie berechnen. Dem Gesetz zufolge müssten sich die Planeten am Rand des Sonnensystems langsamer um die Sonne bewegen als die Planten näher an der Sonne. Und genau das ist auch der Fall. Die Beobachtungen der Astronomen passen exakt zu den Berechnungen der Physiker.
MERKSATZ:
1.0 Mit Hilfe des Gravitationsgesetzes kann man die Bewegung von Himmelskörpern berechnen.
1.0 Mit Hilfe des Gravitationsgesetzes kann man die Bewegung von Himmelskörpern berechnen.
Wendet man das Gravitationsgesetz aber auf die Bewegung von Sternen innerhalb einer Galaxie an, versagt es: theoretisch müssen sich die Sterne am Rande der Galaxie langsamer um den Mittelpunkt der Galaxie bewegen als die Sterne in der Mitte. Das tun sie abe nicht. Sie bewegen sich mit einer sehr viel größeren Geschwindigkeit um die Mitte der Galaxie als die Theorie des Gravitationsgesetzes es vorhersagt[2].
MERKSATZ:
2.0 Die Sterne am Rand einer Galaxie bewegen sich schneller als die Theorie der Gravitationskraft es vorhersagt.
2.0 Die Sterne am Rand einer Galaxie bewegen sich schneller als die Theorie der Gravitationskraft es vorhersagt.
Um diesen Widerspruch zwischen der Theorie des Gravitationskraft und den beobachteten Bewegung der Sterne zu erklären gibt es im Moment zwei Ansätze. Zum einen könnte das Gravitationsgesetz gerettet werden, wenn es im Weltraum unsichtbare Materie gäbe, die die Bewegung der Sterne am Rand einer Galaxie erklärt. Das ist die Idee der dunklen Materie.
MERKSATZ:
3.0 Dunkle Materie am Rand der Galaxie könnte das Gravitationsgesetz retten.
3.0 Dunkle Materie am Rand der Galaxie könnte das Gravitationsgesetz retten.
Die Dunkle Materie wäre dabei für uns unsichtbar und vor allem im sogenannten Halo der Galaxien zu suchen, einem Bereich rund um die Galaxie[17]. Zum anderen könnte man auch das Gravitationsgesetz in Frage stellen. Auch das wird getan[4].
Was ist an der Dunklen Materie dunkel?
Materie im Sinne der Physik ist alles, was man in Kilogramm wiegen kann: Holz, Eisen, Luft, Wasser: das alles besteht aus Materie. In einem dunklen Raum ist auch Holz dunkel. Man würde es aber nicht "dunkle Materie" nennen. Denn theoretisch könnte man den Raum erleuchten und dann würde man das Holze sehen.
MERKSATZ:
4.0 Dunkle Materie zeigt vermutlich keine Wechselwirkung mit Licht.
4.0 Dunkle Materie zeigt vermutlich keine Wechselwirkung mit Licht.
Auch Planeten an sich leuchten nicht, erst wenn das Licht einer Sonne auf sie fällt werden sie sichtbar. Auch dort würde man nicht von dunkler Materie sprechen. Die Dunkle Materie heißt dunkel, weil sie möglicherweise keinerlei Wechselwirkung mit Licht eingeht[5]. Wenn sie aber mit Licht nicht wechselwirkt, dann kann sie auch mit optischen Instrumenten nicht beobachtet werden. Sie ist dann im eigentlichen Sinn des Wortes unsichtbar.
Wie viel dunkle Materie gibt es?
Um die Bewegungen der Himmelskörper mit Hilfe einer Dunklen Materie zu erklären, müsste der Kosmos aus rund 20 % Dunkler Materie und nur zu rund 5 % aus sichtbarer klassischer Materie bestehen. Die restlichen 75 % wären dann die sogenannte Dunkle Energie[6].
MERKSATZ:
5.0 Es könnte wesentlich mehr Dunkle Materie als klassisch sichtbare Materie geben.
5.0 Es könnte wesentlich mehr Dunkle Materie als klassisch sichtbare Materie geben.
Man muss sich bei solchen Abschätzungen aber immer bewusst halten, dass die Dunkle Materie noch nie nachgewiesen wurde. Sie ist zurzeit eine Hypothese.
Die Dunkle Materie als Sackgasse der Astronomie?
In der Geschichte der Wissenschaft gibt es einige Beispiele für hypothetische Stoffe oder Materie, die man später wieder verworfen hat[9]. So glaubte man bis ins späte 18te Jahrhundert zum Beispiel an besondere Brenn- und Wärmestoffe und gab ihnen Namen wie Phlogiston[7] oder Caloricum[8]. Ein anderes Beispiel ist der sogenannte Lichtäther. Seit dem 17ten Jahrhundert nahm an, dass Licht eine Art Welle sein könnte. Wellen aber benötigen ein Medium, einen Stoff, in dem sie sich ausbreiten. Eine Wasserwelle benötigt Wasser, eine Schallwelle benötigt Luft zur Ausbreitung. Der hypothetische Stoff für die Lichtwelle war der Lichtäther[10]. Aber auch diese Vorstellung musste später fallen gelassen werden[11].
MERKSATZ:
6.0 Die Dunkle Materie könnte wie das Caloricum oder der Äther ein Irrweg der Forschung sein.
6.0 Die Dunkle Materie könnte wie das Caloricum oder der Äther ein Irrweg der Forschung sein.
Die Dunkle Materie ist ein sogenannten Postulat[12], das heißt, eine Annahme, die man macht, um etwas anderes erklären zu können. Was die Dunkle Materie vor allem erklären soll ist die Tatsache, dass Sterne am Rande einer Galaxie zu schnell um deren Zentrum rotieren, als dass es die heute bekannten Gesetze der Gravitation erlauben.
Gibt es Alternativen zur Theorie der Dunklen Materie?
Ja, für die Tatsache, dass die Sterne am Rande von Galaxien zu schnell sind als dass Newtons und Einsteins Gesetze der Gravitation alleine gelten, wird zum Beispiel vorgeschlagen, dass die Gravitationskraft nicht quadratisch mit der Entfernung abnimmt. Newtons Gravitationsgesetz müsste dann abgeändert werden[13]. Aber sogar die Idee, dass die Bewegung der Sterne auf eine bewusste Willensregung der Himmelskörper selbst zurückzuführen sei, wurde vorgeschlagen[14].
MERKSATZ:
7.0 Abgeänderte Versionen des Gravitationsgesetzes aber auch die Beseeltheit von Himmelskörpern wurden als Alternativen zur Dunklen Materie vorgeschlagen.
7.0 Abgeänderte Versionen des Gravitationsgesetzes aber auch die Beseeltheit von Himmelskörpern wurden als Alternativen zur Dunklen Materie vorgeschlagen.
Tatsächlich aber verfolgen die meisten Physiker und Astronomen die Spur der Dunklen Materie weiter. Sie könnte als WIMP[15] feinverteilt, ähnlich dem Lichtäther, im Weltraum vorliegen oder in großen unsichtbaren Objekten, den MACHOS[16] geballt sein.
Fußnoten
- [1] Stephen Hawking: Eine kurze Geschichte der Zeit. Die Suche nach der Urkraft des Universums. Englischer Originaltitel: A Brief History of Time. From the Big Bang to Black Holes. Deutsch im Rohwolt Taschenbuch Verlag. 1988. ISBN: 3-499-188-50-3. Dort die Seite 66.
- [2] "Stars at the edges of galaxies, where gravity is expected to be weakest based on visible matter, ought to be rotating more slowly than stars at the centre. But in reality, the orbital motion of stars does not drop off. From this, astronomers inferred the presence of a halo of unseen (dark) matter exerting a gravitational pull." In: Hannah Devlin: Controversial new theory of gravity rules out need for dark matter. The Guardian. 9. März 2024. Online: https://www.theguardian.com/science/2024/mar/09/controversial-new-theory-of-gravity-rules-out-need-for-dark-matter
- [3] Vera Rubin (1928 bis 2016) war eine US-amerikanische Astronomie. Siehe auch Vera Rubin ↗
- [4] Im Jahr 2024 entwickelten Astronomen einen Vorschlag, der sowohl die Dunkle Energie wie auch die Dunkle Materie überflüssig machen könnte: Jonathan Oppenheim, Andrea Russo : Anomalous contribution to galactic rotation curves due to stochastic spacetime. In: ArXiv. Cornell University. Online: https://arxiv.org/abs/2402.19459
- [5] Man hat bis heute keine genaue Vorstellung, woraus Dunkle Materie bestehen soll, vermutet aber, dass sie nicht mit Licht in Wechselwirkung tritt: "At the microscopic level, we still do not know the composition of this dark, or invisible, matter, which does not interact directly with light. The simplest assumption is that it is made of new particles that interact with gravity and, at most, weakly with known elementary particles." In: Baudis L. The Search for Dark Matter. European Review. 2018;26(1):70-81. DOI: doi:10.1017/S1062798717000783
- [6] Der Kosmos könnte zu rund 20 % aus Dunkler Materie bestehen: "Cosmology has revealed an amazing universe, filled with a “dark sector” that composes 95% of the energy density of our cosmos: only ∼5% of our universe is the normal baryonic matter we are familiar with; ∼20% of the universe is made up of the yet mysterious nonbaryonic dark matter, and ∼75% is the even more mysterious dark energy." In: Neta A. Bahcall: Dark matter universe. In: PNAS Vol. 112. No. 40. September 2015. Online: https://doi.org/10.1073/pnas.1516944112
- [7] Phlogiston als theoretischer Brennstoff: "Phlogiston (gr.), wurde zuerst von G. E. Stahl als eigener Grundstoff der Körper, worauf zunächst die Fähigkeit zu brennen beruhe, aufgestellt. Obgleich nur Hypothese, wurde das P. doch eine Zeitlang eine der Hauptgrundlagen der Chemie, bis nach Entdeckung des Sauerstoffs u. seiner Beziehungen, nicht nur zum Verbrennen, sondern auch zu mehren physischen u. chemischen Vorgängen, man allmälig völlig von dieser Theorie zurückkam; vgl. Chemie B) d)." In: Pierer's Universal-Lexikon, Band 13. Altenburg 1861, S. 79. Siehe auch Phlogiston ↗
- [8] Caloricum als hypothetischer Wärmestoff: "Calorĭcum (lat.), so v. w. Wärmestoff." In: Pierer's Universal-Lexikon, Band 3. Altenburg 1857, S. 582. Online: http://www.zeno.org/nid/20009625445
- [9] Wärmestoff als verworfene Theorie: "Zur Erklärung der Wärmeerscheinungen nahm man früher einen eigentümlichen unwägbaren Wärmestoff an, der, indem er in die Körper in größerer oder geringerer Menge eindringe, ihre verschiedenen Erwärmungsgrade, ihre Ausdehnung, das Schmelzen und Verdampfen etc. hervorbringen sollte. Diese »Wärmestofftheorie« vermochte jedoch weder von den Erscheinungen der Wärmestrahlung noch von der Tatsache, daß durch Reibung oder überhaupt durch mechanische Arbeit W. erzeugt werden kann, befriedigende Rechenschaft zu geben." In: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 377-380. Online: http://www.zeno.org/nid/2000767337X
- [10] Schon Zur Zeit von Isaac Newton wurde spekuliert, dass der Äther des Lichts ein sehr feiner Stoff sein könnte. Tatsächlich gefunden wurde der Äther aber nie. Siehe mehr unter Lichtäther ↗
- [11] Dass es einen Lichtäther nicht geben kann war das Resultat eines Experimenten im 19ten Jahrhundert. Offen bleibt dann aber die Frage, was bei einer Lichtwelle schwingt, wenn es keine Materie als Medium gibt. Siehe dazu Michelson-Morley-Experiment ↗
- [12] Ein Postular ist eine "Forderung, Denkforderung, Voraussetzung eines Etwas, dessen Gültigkeit nicht zu beweisen ist, bewiesen werden kann, wohl aber notwendig, zur Begreiflichkeit und Möglichkeit von Tatsachen der Erfahrung, gesetzt werden muß". In: Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 2. Berlin 1904, S. 128-129. Siehe auch Postulat ↗
- [13] Die sogenannte "Modifizierte Newtonsche Dynamik", kurz MOND, geht davon aus, dass die Gravitationskraft zunächst quadratisch mit der Entfernung abfällt. Ab einem gewissen Schwellenwert fällt sie dann aber weniger stark mit der Entfernung ab: "Bei dieser 30 Jahre alten Theorie handelt sich um einen mathematischen Eingriff am bekannten Abstandsgesetz der Gravitationstheorien von Newton und Einstein, der speziell mit dem Ziel durchgeführt wurde, die Dunkle Materie aus den Theorien verbannen zu können." In: Natalie Wolchover: GRAVITATION: Der Anfang vom Ende Dunkler Materie? Ist das Weltall doch nicht dunkel? In: Spektrum die Woche. Ausgabe 06 von 2017. 8. Juli 2017. Online: https://www.spektrum.de/news/der-anfang-vom-ende-dunkler-materie/1437827
- [14] In der Science Fiction wurde die Idee beseelter Himmelskörper bereits im 20ten Jahrhundert durchgespielt (Conan Doyle, Stapledon, Lem). Mit einem wissenschaftlichen Anspruch wurde die Idee beseelter Sterne von dem Raketeningenieur Gregory Matloff vorgeschlagen. Er will damit ausdrücklich auch die Idee einer Dunklen Materie überflüssig machen: "Is dark matter the twenty-first century’s version of the ether? If so, could a radical alternate explanation be not only plausible, but testable? Renowned space scientist Dr. Gregory Matloff examines the paradigm-shifting proposition that the stars might be moving in non-Newtonian manner of their own volition." In: Gregory Matloff: Stars That Wander, Are You Bright: Are Stars Conscious? 2012. Siehe auch Gregory Matloff ↗
- [15] WIMP (engl. weakly interacting massive particles „schwach wechselwirkende massereiche Teilchen“; Wortspiel zu wimp ‚Schwächling‘) sind hypothetische Teilchen mit einer Masse zwischen einigen zehn und etwa tausend GeV/c² (1 GeV/c² ist etwas mehr als die Masse eines Neutrons oder Protons). WIMPs wurden postuliert, um das kosmologische Problem der dunklen Materie im Weltraum zu lösen.
- [16] Als MACHO bezeichnet man große dunkle Objekte, die zur Dunklen Materie beitragen könnten. Siehe auch MACHO ↗
- [17] Zum Dunkle-Materie-Halo: Wechsler, Risa; Tinker, Jeremy (September 2018). "The Connection between Galaxies and their Dark Matter Halos". Annual Review of Astronomy and Astrophysics. 56: 435–487. arXiv:1804.03097. Bibcode:2018ARA&A..56..435W. doi:10.1146/annurev-astro-081817-051756. S2CID 119072496.
- [18] Noch im Jahr 1928 gingen Astrophysiker davon aus, dass die sichtbaren, hellen Sterne den Großteil der Masse in der Galaxie ausmachen: "Another