Weltformel
Physik
Basiswissen
Die Weltformel, auch TOE (theory of everything) ist eine hypothetische Theorie, in der alle Phänomene der physikalischen Welt mathematisch erfasst werden können. Das Wort wurde spätestens im Jahr 1872 verwendet[1]. Hier werden kurz der Anspruch und die Grenzen einer möglichen Weltformel besprochen.
Das historische Leitbild: der Laplacesche Dämon
Im frühen 19ten Jahrhundert prägte der französische Mathematiker das griffige Bild von einem Dämon. Dieser Dämon ist eine Intelligenz, die mit Hilfe der Kenntnis aller Naturgesetze und des gegebenen Zustandes der Welt den weiteren Verlauf der Welt bis in alle Ewigkeit vorausberechnen kann. Dazu dient ihm eine Weltformel[3]. Siehe dazu Laplacescher Dämon ↗
Der heutige Anspruch an eine Weltformel
Im Jahr 1908 sprach Max Planck noch vom Ideal einer einzigen Weltformel[4]. Sprechen Physiker heute von einer Weltformel, dann meinen sie damit durchaus auch eine größere Theorie, nicht nur eine einzige Formel. Die angestrebte Theorie muss widerspruchsfrei alle beobachteten physikalischen Phänomene beschreiben können. So wie sich im frühen 19ten Jahrhundert die Lehre von der Elektrizität und der Magnetismu zum vereinheitlichten Elektromagnetismus verbanden, so hofft man heute, dass letztendlich alle Teilgebiete der Physik in einer Theorie aufgehen. Eine große Hürde (von mehreren) stellt dabei der heute noch bestehende Widerspruch von der Quantenphysik und der Relativitätstheorie dar. Wo beide Theorien angewandt werden, treten zwangsläufig Widersprüche auf.
Die Grenzen einer Weltformel
Unausgesprochen verbindet sich mit dem Begriff der Weltformel der Wunsch, dass mit Kenntnis der Formel alle wichigen Fragen beantwortbar sind. Diese Hoffnung muss aber aus meheren philosophischen Gründen enttäuscht werden. So kann a) die Naturwissenschaft aufgrund ihrer selbstgewählten Beschränkung auf beobachtbare Ereignisse niemals auf ein Sollen schließen, Gut von Schlecht unterscheiden. Ein Forensiker kann die Flugbahn eines tödlichen Geschosses minutiös naturwissenschaftlich beschreiben. Das Ergebnis, ganz gleich wie exakt, wird ihm aber niemals Auskunft darüber geben, ob die Kugel zu Recht oder Unrecht flog. Wer den Schluss vom Ist auf das Soll macht, begeht einen sogenannten naturalistischen Fehlschluss. Auch muss man heute b) bedenken, dass alle Naturgesetze nur Zufallsgesetze sind, also stochastisch in ihrem Wesen. Sie können nur Aussagen über statistische Mittelwerte machen. Nach Einschätzung von Quantenphysiker ist es beispielweise außerhalb der Reichweite der Quantenphysik zu erkennen, wann genau ein einzelnes Atom radioaktiv zerfällt und wann nicht. Es liegt hier keine technische Grenze vor sondern möglicherweise eine in der Natur selbst angelegte Unbestimmtheit. Desweiteren c) legt die Quantenphysik nahe, dass es möglicherweise keine objektiv von uns getrennt existierende Außenwelt existiert. Bestimmte Versuchsergebnisse sind untrennbar mit menschlichen Entscheidungen verbunden (Einstein-Podolsky-Rosen-Paradoxon). Diese Einwände mögen hier genügen, um die engen Grenzen der möglichen Aussagekraft einer Weltformeln anzudeuten. Zu den Grenzen der Erkenntnis siehe beispielhaft Die sieben Welträtsel [du Bois-Reymond, 1872] ↗
Der Sinn einer begrenzten Weltformel (Spekulation)
Möglicherweise, so eine Spekulation, hat die grundsätzliche Begrenztheit einer möglichen Weltformel einen tieferen und guten Grund. Möglicherweise ist die Physik gerade nicht dazu da, die Welt in ihren Abläufen festzulegen und vorhersagbar zu machen. Möglicherweise stellt sie einen Kompromiss zur Verfügung, um einer von Lebewesen bewohnten Welt gleichzeitig Verlässlichkeit und Verstehbarkeit sowie auch Freiheit zu bieten. Was ein Wesen an Freiheit mehr bekommt, verlieren die anderen an Freiheit und Verlässlichkeit. Die physikalsichen Gesetze regeln vielleicht genau diese zwei widerstreitenden Pole in einem pragmatischen Kompromiss ein. Mehr zu dieser Spekulation steht im Artikel kollaborative Physik ↗
Was ist die Große vereinheitlichte Theorie?
Als Große vereinheitlichte Theorie (GUT) bezeichnet man eine Theorie, welche drei der vier physikalischen Fundamentalkräfte vereinheitlicht: die elektromagnetische, die schwache und die starke Wechselwirkung[2]. Siehe auch Große vereinheitlichte Theorie ↗
Fußnoten
- [1] Emil du Bois-Reymond über einen hypothetischen Dämon, der alles in der Welt berechnen kann: "In der That, wie der Astronom nur der Zeit in den Mondgleichungen einen gewissen negativen Werth zu ertheilen braucht, um zu ermitteln, ob, als Perikles nach Epidaurus sich einschiffte, die Sonne für den Piraeeus verfinstert ward, so könnte der von Laplace gedachte Geist durch geeignete Discussion seiner Weltformel uns sagen, wer die Eiserne Maske war oder wie der „President“ zu Grunde ging. Wie der Astronom den Tag vorhersagt, an dem nach Jahren ein Komet aus den Tiefen des Weltraumes am Himmelsgewölbe wieder auftaucht, so läse jener Geist in seinen Gleichungen den Tag, da das griechische Kreuz von der Sophienmoschee blitzen oder da England seine letzte Steinkohle verbrennen wird. Setzte er in der Weltformel t = — ∞, so enthüllte sich ihm der räthselhafte Urzustand der Dinge. Er sähe im unendlichen Raume die Materie bereits entweder bewegt oder ungleich vertheilt, da bei gleicher Vertheilung das labile Gleichgewicht nie gestört worden wäre. Liesse er t im positiven Sinn unbegrenzt wachsen, so erführe er, ob Carnot's Satz erst nach unendlicher oder schon nach endlicher Zeit das Weltall mit eisigem Stillstande bedroht. Solchem Geiste wären die Haare auf unserem Haupte gezählt, und ohne sein Wissen fiele kein Sperling zur Erde. Ein vor- und rückwärts gewandter Prophet, wäre ihm, wie schon d'Alembert in der Einleitung zur Encyklopaedie, Laplace's Gedanken im Keime hegend, es ausdrückte, „das Weltganze nur „eine einzige Thatsache und Eine grosse Wahrheit“ In: Emil du Bois-Reymond: Über die Grenzen des Naturerkennens. Ein Vortrag in der zweiten öffentlichen Sitzung der 45. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte. von Veit & Co., Leipzig 1872. S. 4 ff. Siehe mehr zu diesem Dämon unter Laplacescher Dämon ↗
- [2] Stephen Hawking: Eine kurze Geschichte der Zeit. Die Suche nach der Urkraft des Universums. Englischer Originaltitel: A Brief History of Time. From the Big Bang to Black Holes. Deutsch im Rohwolt Taschenbuch Verlag. 1988. ISBN: 3-499-188-50-3. Dort im Glossar die Seite 226.
- [3] Der Begriff Weltformel wird in einem Lexikon aus dem Jahr 1912 verwendet: "Laplace, P. S., 1740-1827, der berühmte Astronom, ist philosophisch durch seine »Exposition du système du monde« (1796), mit ihrer bekannten Theorie der Weltentstehung (vgl. Kaut) von Bedeutung, ferner durch den »Laplaceschen Geist«, welcher aus einer gegebenen Weltformel alle künftigen Weltzustände erkennen könnte. SCHRIFTEN: Mécanique céleste, 1799 ff. – Essai philos. sur les probabilités, 1814; deutsch 1819." In: Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 384. Online: http://www.zeno.org/nid/20001826557
- [4] Max Planck in einem Vortrag aus dem Jahr 1908: "Von jeher, solange es eine Naturbetrachtung gibt, hat ihr als letztes, höchstes Ziel die Zusammenfassung der bunten Mannigfaltigkeit der physikalischen Erscheinungen in ein einheitliches System, womöglich in eine einzige Formel, vorgeschwebt…" In: Die Einheit des physikalischen Weltbildes. (Vortrag, gehalten am 9. Dezember 1908 in der naturwissenschaftlichen Fakultät des Studentenkorps an der Universität Leiden.)