Einstein-Podolsky-Rosen-Paradoxon
Physik
Basiswissen
Das Einstein-Podolsky-Rosen-Paradoxon, kurz auch EPR war zunächst ein Gedankenexperiment.[1] Es kann heute experimentell nachgestellt werden.[9] Das EPR wirft bisher ungelöste Fragen auf, was man eigentlich mit dem Sein oder der Existenz eines physikalischen Objektes meint. Insbesondere bedrängen die experimentellen Befunde die strikte Trennbarkeit von beobachtenden Subjekten und beobachteten Dingen.
Das EPR im ursprünglichen Sinn von 1935
Das Einstein-Podolsky-Rosen Paradoxon ist nach einem im Jahr 1935 gemeinsam veröffentlichten Artikel der Physiker Albert Einstein (1879 bis 1955), Boris Podolsky (1896 bis 1966) und Nathan Rosen (1909 bis 1995) benannt. Der Artikel dreht sich um die Verschränkung von Teilchen, was zuvor schon von Rosen untersucht worden war[12]. Verfasst wurde der Artikel von Boris Podolsky[13].
Die zentrale Fragestellung des Artikels ist, ob die Quantenmechanik eine korrekte und vollständige (complete) Theorie der Wirklichkeit ist. Als Maß der Korrektheit dient die Übereinstimmung der Theorie mit den menschlichen Erfahrungen. Aus Sicht der Physik besteht diese Erfahrung vor allem aus Messungen im Rahmen von Experimenten (experiment and measurement). Als notwendige Bedingung für eine Vollständigkeit fordern die Autoren, dass jedem Elemente der Wirklichkeit ein Element der Theorie entsprechen müsse.
Objekte der physikalischen Realität definieren die Autoren folgendermaßen: wenn man den Wert einer physikalisch messbaren Größe (quantity) an einem System mit hoher Zuverlässigkeit vorhersagen kann, dann existiert ein Element der Wirklichkeit (element of physical reality) das dieser Messgröße entspricht. Dieses Kriterium halten die Autoren für hinreichend, aber nicht notwendig (not necessary, but merely as sufficient).
Anhand von zwei verschränkten Teilchen, bei denen für jedes Teilchen entweder der Ort (coordinates) oder der Impuls (momentum) gemessen werden kann, wird gezeigt, dass die quantenmechanische Beschreibung der Realität nicht vollständig ist.
In der Quantenmechanik, die Autoren weiter, nimmt man üblicherweise an (it is usually assumed), dass die Wellenfunktion keine vollständige Beschreibung der Realität des betreffenden Systems ist.
Der Widerspruch wird dann zugespitzt auf das eigentliche Paradoxon. Man hat zwei Systeme P und Q die einmal in Wechselwirkung standen, nun aber zeitlich und räumlich weit von dieser Wechselwirkung entfernt sind.
ZITAT:
Die Realität von P und Q hängen von der Art der Messung ab, mit der man das erste System misst, ohne dabei in irgendeiner Weise das zweite System zu beeinflussen. Keine sinnvolle Definition von Realität würde das erlauben.[14]
Die Realität von P und Q hängen von der Art der Messung ab, mit der man das erste System misst, ohne dabei in irgendeiner Weise das zweite System zu beeinflussen. Keine sinnvolle Definition von Realität würde das erlauben.[14]
Der grundlegende Effekt wurde später in vielfacher Weise anschaulicher dargestellt.
Der grundlegende Effekt
Zwei Quantenobjekte, etwas Lichtteilchen (Photonen) werden gleichzeitig an einem Ort erzeugt und bewegen sich dann voneinander weg. Jedes der Teilchen hat mindestens zwei unterschiedlich messbare Eigenschaften. Im übertragenen Sinne könnten das die Größe und die Farbe sein. Jedes Teilchen könnte schwarz oder weiß sowie groß oder klein sein. Misst man an beiden Teilchen, gleichzeitig die Farbe, dann wird man in 100 % der Fälle feststellen, dass die Teilchen immer die gleiche Farbe haben. Misst man an beiden Teilchen gleichzeitig die Größe, dann wird man feststellen, dass die Teilchen immer gleiche Größe haben[8]. Aus diesem Befund kann man schließen, dass die zwei gleichzeitig erzeugen Teilchen identische sind, also Zwillinge. Misst man aber an dem einen Teilchen die Größe und an dem anderen Teilchen die Farbe, dann zeigt eine statistische Auswertung, dass es in nicht mehr als zum Beispiel 86 % der Fälle Zwillinge gewesen sein können. Das aber heißt, dass die Teilchen in Abhängigkeit von den gemessenen Merkmalen entweder Zwillinge sind oder nicht.
Das Paradoxon als statistische Abhängigkeit
In der Sprache der Statistik zeigt das Einstein-Podolsky-Rosen-Paradoxon eine sogenannte statistische Abhängigkeit oder eine bedingte Wahrscheinlichkeit. Die Wahl des Experimentators, entweder die eine oder die andere Eigenschaft zu messen bedingt, das heißt beeinflusst, den Zustand der gemessenen Teilchen. Siehe dazu auch statistische Abhängigkeiten ↗
Ein Gleichnis aus der Alltagswelt
Eingekleidet in alltagsferne physikalische Versuche ist schwer begreifbar, was überhaupt paradox erscheinen soll. Es geht im Wesentlichen um die strikte Trennung des beobachtenden Subjekts vom beobachteten Objekt.
- Hinter einem Vorhang auf einer Bühne sitzt eine Frau mit einem Spielwürfel.
- Im Zuschauerraum sitzt ein Mann. Er ruft der Frau zu: würfele jetzt.
- Dann würfelt die Frau. Dann ruft der Mann entweder:
- "Was hast du gewürfelt?" Oder er ruft: "Welche Zahl?"
- Wenn er die erste Frage stellt, dann antwortet die Frau öfters mit "6".
- Wenn er die zweite Frage stellt, dann antwort die Frau seltener mit "6".
- Wichtig: die Frau sagt ehrlich was sie gewürfelt hat.
- Die Frau schummelt nicht.
Die Würfel existieren also nicht unabhängig objektiv vom Beobachter getrennt. Ihre Eigenschaften hängen zum Beispiel davon ab, wie jemand in der Zukunft und von einem fernen Ort aus, auf sie blicken wird. Das hielt Einstein für absurd. Einstein ging entgegen der Ansicht vieler seiner Kollegen[10] von einer objektiv existierenden Wirklichkeit aus[11].
Wird die Logik verletzt?
Das wird diskutiert. Es gilt zum Beispiel das Prinzip der Zweiwertigkeit. Eine Aussage ist entweder wahr. Oder ihre Verneinung ist wahr. Die Möglichkeit einer Verletzung des Satzes tritt bei folgender Frage auf: Wo oder in welchem Zustand ist das Teilchen kurz vor seiner Messung? Die Antwort kann durch die nachfolgende Messung beeinflusst werden. Nimmt man an, Teilchen existieren zeitlich lückenlos mit eindeutigen Zuständen, dann muss es kurz vor der Messung in mehreren Zuständen gleichzeitig sein.
Fußnoten
- [1] "In a complete theorery there is an element corresponding to each element of reality. A sufficient condition for the reality of a physical quantity is the possibility of predicting it with certainty, without disturbing the system. in quantum mechanics in the case of two physical quantities described by non-commuting operators, the knowledge of one precludes the knowledge of the other." In: Albert Einstein, B. Podolsky, N. Rosen: Can quantum-mechanical description of physical reality be considered complete?, Phys. Rev. 47 (1935), S. 777–780. Online: https://cds.cern.ch/record/405662/files/PhysRev.47.777.pdf
- [2] Niels Bohr, Can Quantum-Mechanical Description of Physical Reality be Considered Complete?, (= Erwiderung), in: Physical Review, 48 (1935), S. 700. doi:10.1103/PhysRev.48.696.
- [3] C. Kiefer (Herausgeber), Albert Einstein, Boris Podolsky, Nathan Rosen: Kann die quantenmechanische Beschreibung der physikalischen Realität als vollständig betrachtet werden? Abdruck der Originalarbeit in deutscher Übersetzung mit ausführlichem Kommentar. doi:10.1007/978-3-642-41999-7.
- [4] David Bohm, Y. Aharonov: Discussion of Experimental Proof for the Paradox of Einstein, Rosen and Podolsky, Phys. Rev. 108 (1957), S. 1070–1076 doi:10.1103/PhysRev.108.1070
- [5] Anton Zeilinger: Einsteins Spuk. Teleportation und weitere Mysterien der Quantenphysik. C. Bertelsmann Verlag, 2005. ISBN: 978-3570006917. (Ausführliche Erklärung)
- [6] Anton Zeilinger: Einsteins Spuk. Teleportation und weitere Mysterien der Quantenphysik. C. Bertelsmann Verlag, 2005. ISBN: 978-3570006917. Siehe auch Einsteins Spuk ↗
- [7] Henry Stapp: Mind, Matter and Quantum Mechanics. Springer Verlag. 1993. ISBN: 3-540-56289-3. (Philosophische Deutungen). Siehe auch Henry Stapp ↗
- [8] Der Physiker Anton Zeilinger (geboren 1945) beschreibt das Paradoxon mit zwei "Quantenwürfeln", einer davon in Wien, der andere in Budapest. In einem Gedankenexperiment soll mit beiden würfeln "gleichzeitig" gewürfelt werden. Man würde, so Zeilinger, erwarten, dass bei einer geworfenen 6 in Budapest der Würfel in Wien "jede beliebige Zahl" zeigen könnte. Als "Quantenwürfel" gedacht kann aber die Situation auftreten, dass "wenn immer mit beiden Würfeln gewürfelt wird, sie genau das gleiche zeigen". Zeilinger zufolge ist aber das "Resultat für jeden der beiden Würfel […] vollkommen ungewiß, es herrscht der objektive Zufall". Bewusst anthropomorph sprechend unterstellt Zeilinger den Würfeln, dass "sie wissen […], daß sie beide immer genau das gleiche Resultat zeigen müssen." In: Anton Zeilinger: Jenseits jeder Gewißheit: Das Rätsel der Quantenwelt. Ausstellung in der Neuen Galerie in Graz (1997) und im Ludwig Museum in Budapest (1996). Katalog im Passagen Verlag, Wien. Online: https://homepage.univie.ac.at/franz.embacher/Quantentheorie/sciweek2000/Zeilinger-Artikel/index.html
- [9] Aspect, A., P. Grangier und G. Roger (1982b): Experimental Realization of Einstein-Podolsky-Rosen-Bohm Gedankenexperiment: A New Violation of Bell’s Inequalities. Phys. Rev. Lett., 49: S. 91–94. Online: https://doi.org/10.1103/PhysRevLett.49.91
- [10] Der Physiker Max Born zweifelte zumindest die Erkennbarkeit einer objetiven Außenwelt an. Im Rückblick auf seinen Briefwechsel mit Albert Einstein schrieb Born: "Einstein war fest überzeugt, daß uns die Physik Kenntnisse von der objektiv existierenden Außenwelt liefere. Mit vielen anderen Physikern bin ich langsam durch die Erfahrungen im Gebiete der atomaren Quantenerscheinungen dazu bekehrt worden, daß das nicht so ist, da wir nur in jedem Zeitpunkt eine rohe, angenäherte Kenntnis der objektiven Welt haben und aus dieser nach bestimmten Regeln, den Wahrscheinlichkeitsgesetzen der Quantenmechanik, auf unbekannte (z. B. zukünftige) Zustände schließen können." In: Albert Einstein Max Born Briefwechsel 1916-1955. Geleitworte von Bertrand Russell und Werner Heisenberg. Ullstein Buch, Frankfurt am Main, 1986. ISBN: 3-548-3445-7. Dort über einen Brief Einsteins an Born vom 29. April 1924, Seite 119.
- [11] Albert Einstein forderte eine vom Subjekt unabhängige Wirklichkeit: "die Begriffe der Physik beziehen sich auf eine reale Außenwelt, d. h. es sind Ideen von Dingen gesetzt, die eine von den wahrnehmenden Subjekten unabhängige >reale Existenz< beanspruchen (Körper, Felder etc.), welche Ideen andererseits zu Sinneseindrücken in möglichst sichere Beziehung gebracht sind. Charakteristisch für diese physikalischen Dinge ist ferner, daß sie in ein raum-zeitliches Kontinuum eingeordnet gedacht sind. Wesentlich für diese Einordnung der in der Physik eingeführten Dinge erscheint ferner, daß zu einer bestimmten Zeit diese Dinge eine voneinander unabhängige Existenz beanspruchen, soweit diese Dinge >in verschiedenen Teilen des Raumes liegen<. Ohne die Annahme einer solchen Unabhängigkeit der Existenz (des >So-Seins<) der räumlich distanten Dinge voneinander, die zunächst dem Alltags-Denken entstammt, wäre physikalisches Denken in dem uns geläufigen Sinn nicht möglich." Albert Einstein in einem Brief an Max Born, geschrieben am 5. April 1948. In: Albert Einstein Max Born Briefwechsel 1916-1955. Geleitworte von Bertrand Russell und Werner Heisenberg. Ullstein Buch, Frankfurt am Main, 1986. ISBN: 3-548-3445-7. Dort die Seite 231. Siehe auch Außenwelthypothese ↗
- [12] Nathan Rosen steuerte die Idee verschränkter Zustände bei, die er schon früher untersucht hatte: Normal state of the hydrogen molecule, Physical Review, Bd. 38, 1931, S. 2099.
- [13] Dass der Artikel von Podolsky verfasst wurde steht in: Abraham Pais: Subtle is the Lord. Oxford University Press. Dort auf Seite 494. Dass nicht etwa Einstein den Artikel verfasst hatte ist sehr plausibel. Einstein blieb trotz seines langjährigen Aufenthaltes in den USA mit dem Englischen stets auf Kriegsfuss, vor allem "von wegen der hinterhältigen Orthographie", wie er selbst in einem Brief vom 7. September 1944 an Max Born bemerkte. Auch schrieb er weiterhin auf Deutsch an Born, als dieser spätestens am 10. April 1940 (deutsche Invasion in Dänemark), aus dem britischen Exil, in den 1940er Jahren anfing, Einstein auf Englisch zu schreiben.
- [14] This makes the reality of P and Q depend upon the process of measurement carried out on the first system, which does not disturb the second system in any way. No reasonable definition of reality could be expected to permit this." In: Albert Einstein, B. Podolsky, N. Rosen: Can quantum-mechanical description of physical reality be considered complete?, Phys. Rev. 47 (1935), S. 777–780. Online: https://cds.cern.ch/record/405662/files/PhysRev.47.777.pdf