Goethes Farbenlehre
Naturphilosophie
Basiswissen
Es ist heute wenig bekannt, dass der Dichter Johann Wolfgang von Goethe einen Großteil seiner Schaffenskraft der Geologie, der Biologie und der Physik[29] der Farben widmete. In seiner Farbenlehre[4] sah Goethe seine wichtigste Leistung.
Goethes Versuche zur Optik
Goethe hat in seiner Farbenlehre über 200 Phänomene rund um Farben beschrieben, von Effekten der Sonne im Harz bis hin zu aufwändigen Versuchen wie sie auch heute noch an Schulen und Universitäten durchgeführt werden. Dazu hier eine Beispiele, wie sie in einer Lernwerkstatt in Aachen öfters nachgestellt werden:
Goethes Wassertrübungsversuch gelb ↗
Goethes Wassertrübungsversuch blau ↗
Goethes Wasserhebungsversuch ↗
Goethes Graustreifenversuch ↗
Goethes Farbschattenversuch ↗
Goethes Zweikerzenversuch ↗
Goethes Lupen-Verrückungsversuch ↗
Goethes Kantenspektrum ↗
Goethes Prismaversuch ↗
Viele der Versuche Goethes kann man selbst mit einfachen Mitteln nachstellen. Was man in Goethes Darstellungen jedoch vergeblich suchen wird ist jede Form der Mathematisierung[16] oder auch jede Modellbildung.
MERKSATZ:
1.0 Goethe entwickelte seine Farbenlehre, als andere Physiker das Wellenbild des Lichts entwickelten. Sie nutzten dabei eine ausgefeilte, abstrakte Mathematik.
1.0 Goethe entwickelte seine Farbenlehre, als andere Physiker das Wellenbild des Lichts entwickelten. Sie nutzten dabei eine ausgefeilte, abstrakte Mathematik.
Als Goethe an seiner Farbenlehre arbeitete, um das Jahr 1804, sammelte der Engländer Thomas Young Belege für Interferenzerscheinungen von Licht und entwickelte dabei Vorläufer des heutigen Doppelspaltexperimentes[17]. Während sich in der Gemeinde der Physiker von Goethes Zeit die Frage zuspitzte, ob Licht denn aus Teilchen oder Wellen bestünde, schien Goethe die Frage, was Licht denn eigentlich sei, nicht interessiert zu haben[21]. Für Goethe interessant war nur die Frage, was uns die Natur sagen will.
Goethe in der Sicht anderer Physiker
Noch im selben Jahr 1810, als Goethe seine Farbenlehre erstmals veröffentlichte[4], antworteten anerkannte Physiker mit deren Zurückweisung[5]. Obwohl namhafte Physiker Goethes manche von Goethes Grundideen durchaus würdigten[1][2], ist Goethes Farbenlehre unter Physikern heute nicht anerkannt.
MERKSATZ:
2.0 Goethes Farbenlehre wurde von den Physikern seiner Zeit weitgehend ignoriert.
2.0 Goethes Farbenlehre wurde von den Physikern seiner Zeit weitgehend ignoriert.
Ein Grund dafür war sicherlich Goethes Weigerung oder Unfähigkeit, sich auf einem mathematisierte Darstellung seiner Ergebnisse einzulassen[7]. Und Mathematik galt und gilt als ein Passwort für ernsthafte Physik.[30] Auch lehnte Goethe jede Modellbildung ab. Während Newton Licht etwa als Strahlen deuten wollte[8] oder Francesco Maria Grimaldi als Wellenphänomen[9], zeigte Goethe kein Interesse an der Frage, was Licht den eigentlich sei, sondern was uns die Natur mit ihren Lichtphänomen sagen will.
Bemerkenswert ist, dass viele spätere Physiker es wert fanden, sich mit Goethes Farbenlehre zu beschäftigen. Hermann von Helmholtz[1], Franz Serafin Exner[2], Werner Heisenberg[13][14] und Carl Friedrich von Weiszäcker[15] sind nur einige Namen von herausragenden Physikern, die sich respektvoll mit Goethes Gedanken zur Physik auseinandersetzten.
MERKSATZ:
3.0 Herausragende Physiker nach Goethes Zeit, unter anderem Quantenphysiker, beschäftigten sich mit Goethes Gedanken zum Farbempfinden.
3.0 Herausragende Physiker nach Goethes Zeit, unter anderem Quantenphysiker, beschäftigten sich mit Goethes Gedanken zum Farbempfinden.
Ein Zug der Goetheschen Farbenlehre ist ihre konsequente Ablehnung jeder Abstraktion[18], jede Modellbildung[21], und, nach Werner Heisenberg damit eng verbunden, auch die Angst Goethes, dass man in den Naturwissenschaften das Richtige vom Guten und Wahren abtrennt[19].
Goethes Ablehnung der Optik Newtons
Goethe formuliert bereits im Vorwort[24] zum didaktischen Teil seiner Farbenlehre, das Zeil einer "Enthüllung der Newtonischen Theorie, welche einer freien Ansicht der Farbenerscheinungen bisher mit Gewalt und Ansehen entgegengestanden". Goethe vergleicht "die Newtonische Farbentheorie mit einer alten Burg". Sein Ziel sei es diese Burg "von Giebel und Dach herab […] ohne weitere Umstände abzutragen, damit die Sonne doch endlich einmal in das alte Ratten- und Eulennest hineinscheine".
MERKSATZ:
5.0 Die Ablehnung der Optik von Isaac Newton durchzieht Goethes gesamtes Werk.
5.0 Die Ablehnung der Optik von Isaac Newton durchzieht Goethes gesamtes Werk.
Goethe deutet Newton so, oder er unterstellt ihm, dass er weißes Licht für eine Zusammensetzung von verschiedenen Farben halte, die er durch "hunderterlei Art in die Enge gebracht" habe, um sie in die Farben zu zerlegen[22]. Dabei, so Goethe, seien die Farben kein Bestandteil des Lichts. Vielmehr entstünde "die Farbe zugleich von dem Lichte und von dem, was sich ihm entgegenstellt"[22]. Sie entstünden als " Wirkung und Gegenwirkung des Auges selbst"[25].
MERKSATZ:
6.0 Goethe zufolge ist Farbe keine Eigenschaft von Licht. Sie entsteht erst in der Wirkung mit der Umwelt.
6.0 Goethe zufolge ist Farbe keine Eigenschaft von Licht. Sie entsteht erst in der Wirkung mit der Umwelt.
Ein Experiment, das diesen Punkt Goethes auf verblüffende Weise illustriert ist eine weiße Kreisscheibe, auf der einige schwarze Muster gezeichnet sind. Dreht man die Scheibe mit einer ausreichend hohen Geschwindigkeit, zeigen sich dort auf einmal Farben wie Rot, Blau oder Braun. Und noch verblüffender ist, dass die Farben ihre Orte vertauschen, wenn man die Scheibe anders herum dreht[23]. Es scheint, als seien die hier gesehen Farben keine objektiven Eigenschaften der Scheibe oder der Versuchsanordnung, sondern in hohem Maße subjektiv[26]. Dass Goethe zumindest mit der wichtigen Rolle des Beobachters bei der Farbwahrnehmung einen wichtigen Aspekt der Optik getroffen, zeigt auch der Artikel zur Farbwahrnehmung ↗
Die Botschaft der Farbenlehre
In einführenden Teil seiner Farbenlehre schreibt Goethe selbst, worauf es ihm ankommt, nämlich die Erkenntnis einer gewissen Polarität in der Welt: "So mannigfaltig, so verwickelt und unverständlich uns oft diese Sprache scheinen mag, so bleiben doch ihre Elemente immer dieselbigen. Mit leisem Gewicht und Gegengewicht wägt sich die Natur hin und her, und so entsteht ein Hüben und Drüben, ein Oben und Unten, ein Zuvor und Hernach, wodurch alle die Erscheinungen bedingt werden, die uns im Raum und in der Zeit entgegentreten."[10]
MERKSATZ:
7.0 Die Polarität ist für Goethe Ausdruck einer Einheit hinter allen Dingen.
7.0 Die Polarität ist für Goethe Ausdruck einer Einheit hinter allen Dingen.
"Treue Beobachter der Natur, wenn sie auch sonst noch so veschieden denken, werden doch darin miteinander übereinkommen, daß alles, was erscheinen, was uns als ein Phänomen begegnen solle, müsse entweder eine ursprüngliche Entzweiung, die einer Vereinigung fähig ist, oder eine ursprüngliche Einheit, die zur Entzweiung gelangen könne, andeuten. Und sich auf eine solche Weise darstellen. Das Geeinte zu entzweien, das Entzweite zu einigen, ist das Leben der Natur; dies ist die ewige Systole und Diastole, die ewige Synkrisis und Diakrisis, das Ein- und Ausatmen der Welt, in der wir leben, weben und sind.“[11] Goethes Bemühen, in der Natur das Wirken einer höheren, endgültigen Ordnung erkennen zu wollen, bezeichnet man auch als natürliche Theologie[20] ↗
Goethe betrachtete seine Farbenlehre aber nicht als abgeschlossene Theorie. Vielmehr wollte er dem Leser damit Stoff für eigene Betrachtungen liefern. Newton Farbenlehre als "Bastille zu schleifen und einen freien Raum zu gewinnen" sei seine erste Absicht. Das abgerissene Gebäude Newtons aber "sogleich wieder mit einem neuen Gebäude zu überbauen" sei nicht seine Absicht. Vielmehr wolle Goethe sich darauf beschränken "eine schöne Reihe mannigfaltiger Gestalten vorzuführen." Das ist ihm auf jeden Fall gelungen[24]. Wer Freude an Experimenten und Naturbeobachtungen rund um die Optik hat, wird in Goethes Farbenlehre viele wertvolle Anleitungen dazu finden. Siehe auch Goethes Versuche zur Optik [Auswahl] ↗
Persönliche Einschätzung
Zwei Leistungen Goethes scheinen mir[27] besonders wertvoll für die moderne Fortführung der Physik hin zu einem umfassenderen Weltbild zu sein. Zum einen wichtig ist seine Warnung vor Abstraktionen, was man heute vielleicht als Modelldenken bezeichnen würde. Das zeigte sich unter anderem in den Versuchen einer anschaulichen Vorstellung von Quantenobjekten im Rahmen der Kopenhagener Deutung[28]. Zum anderen halte ich Goethes Gedanken für möglicherweise richtungsweisend für eine befriedigende Deutung von Physik überhaupt, dass nämlich die Effekte erst im Zusammenspiel mit dem Beobachter entstehen. Das Goethe diesbezüglich die Worte "Wert" und "Würde" verwendet[22] gefällt mir. Meine persönliche Einschätzung ist, dass Goethe recht haben könnte mit der Idee, dass die Welt der Sinneserfahrung auf einen tieferen Sinn verweist. Sehr nahe kommt dieser Deutung Archibald Wheelers Idee partizipatorisches Universum ↗
Einteilung und Wirkung der Farben
Fußnoten
- [1] Helmholtz H: Über Goethe’s naturwissenschaftliche Arbeiten. Vortrag zu Königsberg 1853. Braunschweig, Friedrich Vieweg, 1896, vol 1.
- [2] Franz Serafin Exner: Vorlesungen über die physikalischen Grundlagen der Naturwissenschaften. Deuticke, Wien 1919, OBV. Dort speziell: 85. Vorlesung: Herings und Goethes Theorie der Farben. Seiten 651—656. Siehe auch Grundlagen der Naturwissenschaften (Exner) ↗
- [3] Gunter Heim: Goethes Farbenlehre und die moderne Physik. Begleitmanuskript zu einem Experimentiertisch. Ein Beitrag im Rahmen einer Tagung der Vennland-Akademie für philosophische Erwachsenenbildung. 74. Wochenendtagung: Goethes Naturforschung und Naturphilosophie - Überholt oder Weitung des Blicks? Online: https://www.rhetos.de/html/pdf/vennland-vortrag_2016_goethes_farbenlehre.pdf
- [4] Johann Wolfgang von Goethe: Zur Farbenlehre. Cotta'sche Verlagsbuchhandlung. 1810. Als Nachdruck aus dem Jahr 1944 auch: Online: http://www.zeno.org/Literatur/M/Goethe,+Johann+Wolfgang/Naturwissenschaftliche+Schriften/Zur+Farbenlehre
- [5] Carl Brandan Mollweide: Prüfung der Farbenlehre des Herrn v. Goethe und Vertheidigung des Newton’schen Systems wider dieselbe. 1810.
- [6] Carl Brandan Mollweide: Darstellung der optischen Irrthümer in Herrn v. Goethe's Farbenlehre. 1811.
- [7] Scherzhaft in der Form aber inhaltlich durchaus sehr ernst gemeint: in seinen Spottversen zum Hexeneinmaleins warnt Goehte dichterisch davor, die Mathematik zu einem Selbstzweck zu machen. Siehe auch Hexeneinmaleins ↗
- [8] Isaac Newton definiert Lichtstrahl (ray) als den kleinstens Teil Licht, der für sich alleine vorkommen kann: "By the Rays of Light I understand its least Parts, and those as well Successive in the same Lines, as Contemporary in several Lines. […] The least Light or part of Light, which may be stopp'd alone without the rest of the Light, or propagated alone, or do or suffer any thing alone, which the rest of the Light doth not or suffers not, I call a Ray of Light." In: Isaac Newton: OPTICKS: OR, A TREATISE OF THE Reflections, Refractions, Inflections and colours OF LIGHT. The_ FOURTH EDITION, corrected. By Sir ISAAC NEWTON, Knt. LONDON: Printed for WILLIAM INNYS at the West-End of St. Paul's. MDCCXXX (1730). Dort die Definition I auf Seite 2. Siehe auch Lichtstrahl ↗
- [9] Der Italiener Francesco Maria Grimaldi hat schon um 1665 darüber spekuliert, dass Licht etwas Wellenartiges ein könnte. In einer englischen Übersetzung aus seinem Buch "De lumine" heißt es: "light seem[ed] to be some very fast fluid, sometimes also undulating...". Das englische Wort undulating heißt dabei so viel wie wellenartig auf und ab wogend. In: Oliver Darrigol: A History of Optics. From Greek Antiquity to the Nineteenth Century. Oxford University Press. 2012. ISBN: 978–0–19–964437–7. Dort die Seiten 58 und 59. Siehe auch De Lumine, coloribus, et iride ↗
- [10] Farbenlehre. Didaktischer Teil. Einleitung. Online: http://www.zeno.org/Literatur/M/Goethe,+Johann+Wolfgang/Naturwissenschaftliche+Schriften/Zur+Farbenlehre/Zur+Farbenlehre.+Didaktischer+Teil/Einleitung
- [11] Farbenlehre, Paragraph 739.
- [12] Gunnar Hinrichs: Heisenbergs Auseinandersetzung mit Goethes Farbenlehre. Vortrag im Rahmen der Veranstaltung: Goethes Farbenlehre im Lichte neuerer Untersuchungen aus Physik, Wissenschaftsgeschichte und Philosophie. Farbkonferenz am Philosophicum in Basel, 29. – 30. September 2017.
- [13] Werner Heisenberg: Die Goethe’sche und die Newton’sche Farbenlehre im Lichte der modernen Physik. 1941. Siehe auch Werner Heisenberg ↗
- [14] Werner Heisenberg: Das Naturbild Goethes und die technisch-naturwissenschaftliche Welt. Vortrag Werner Heisenbergs auf der Hauptversammlung der Goethe-Gesellschaft in Weimar am 21. Mai 1967. Jahrbuch der Goethe-Gesellschaft: 29ter Band, 1967. Der Vortrag ist auch als Tonaufzeichung erhalten. Als Text online: https://ghochlaender.de/SprachLitUntrcht/heisenberg.htm
- [15] Carl Friedrich von Weizsäcker. Essay. In: Goethes Werke Band XIII. Verlag C. H. Beck. München. 2002. ISBN: 3-406-08-493-1. Siehe auch Carl Friedrich von Weizsäcker ↗
- [16] Goethes Ablehnung oder besser gesagt Vernachlässigung der Mathematik muss man vor dem Hintergrund betrachten, dass die Mathematik zu seiner Zeit schon sehr weit entwickelt war. Die heutige Integral- und Differentialrechnung wurde von anderen Wissenschaftler gerade auch in der Optik genutzt. Man lese dazu etwa die Veröffentlichungen eines Fresnel oder Poisson. Auch war das Mathematik-Genie Carl Friedrich Gauß (1777 bis 1855) ein Zeitgenosse Goethes. Seine Skepsis gegenüber der Mathematik brachte Goethe zum Ausdruck in seinem Hexeneinmaleins ↗
- [17] Thomas Young, Experimental Demonstration of the General Law of the Interference of Light, "Philosophical Transactions of the Royal Society of London", vol 94 (1804). [Vorläufer des Experimentes mit geteiltem Lichtstrahl]. Siehe auch Doppelspaltexperiment nach Young ↗
- [18] Werner von Heisenberg zitiert in einem Vortrag aus dem Jahr 1967 dazu einige Sätze aus Goethes Einleitung zu seiner Farbenlehre: "»Denn das blosse Anblicken einer Sache kann uns nicht fördern. Jedes Ansehen geht über in ein Betrachten, jedes Betrachten in ein Sinnen, jedes Sinnen in ein Verknüpfen, und so kann man sagen, dass wir schon bei jedem aufmerksamen Blick in die Welt theoretisieren. Dieses aber mit Bewusstsein, mit Selbsterkenntnis, mit Freiheit und, um uns eines gewagten Wortes zu bedienen, mit Ironie zu tun und vorzunehmen, eine solche Gewandtheit ist nötig, wenn die Abstraktion, vor der wir uns fürchten, unschädlich und das Erfahrungsresultat, das wir hoffen, recht lebendig und nützlich werden soll.«" Wesentlich ist hier die Wendung von der Abstraktion, "vor der wir uns fürchten".
- [19] "Der entscheidende Einwand Goethes gegen die seit Newton angewandte Methodik der Naturwissenschaft richtet sich also wohl gegen das Auseinanderfallen der Begriffe »Richtigkeit« und »Wahrheit« in dieser Methodik. Wahrheit war für Goethe vom Wertbegriff nicht zu trennen. Das »unum, bonum, verum«, das »Eine, Gute, Wahre«, war für ihn wie für die alten Philosophen der einzig mögliche Kompass, nach dem die Menschheit sich beim Suchen ihres Weges durch die Jahrhunderte richten konnte. Eine Wissenschaft aber, die nur noch richtig ist, in der sich die Begriffe »Richtigkeit« und »Wahrheit« getrennt haben, in der also die göttliche Ordnung nicht mehr von selbst die Richtung bestimmt, ist zu sehr gefährdet, sie ist, um wieder an Goethes Faust zu denken, dem Zugriff des Teufels ausgesetzt. Daher wollte Goethe sie nicht akzeptieren." Und: "Nicht das Naturerlebnis des einzelnen Menschen, sosehr es ihn als jungen Menschen erfüllt hatte, war dem älteren Goethe wichtig, sondern die göttliche Ordnung, die in diesem Erlebnis erkennbar wird. " In: Werner Heisenberg: Das Naturbild Goethes und die technisch-naturwissenschaftliche Welt. Vortrag Werner Heisenbergs auf der Hauptversammlung der Goethe-Gesellschaft in Weimar am 21. Mai 1967. Jahrbuch der Goethe-Gesellschaft: 29ter Band, 1967. Der Vortrag ist auch als Tonaufzeichung erhalten. Als Text online: https://ghochlaender.de/SprachLitUntrcht/heisenberg.htm
- [20] In der natürlichen Theologie sucht man die Wirkung eines Gottes in der Welt. Der Gedanke kann aber durchaus erweitert werden hin zur Suche nach einer irgendwie gearteten sinnstiftenden Ordnung. Siehe auch Natürliche Theologie ↗
- [21] Das Wesen hinter den Erscheinungen, etwas Modellhaftes, ist nicht das Ziel: "Denn eigentlich unternehmen wir umsonst, das Wesen eines Dinges auszudrücken. Wirkungen werden wir gewahr, und eine vollständige Geschichte dieser Wirkungen umfaßte wohl allenfalls das Wesen jenes Dinges. Vergebens bemühen wir uns, den Charakter eines Menschen zu schildern; man stelle dagegen seine Handlungen, seine Taten zusammen, und ein Bild des Charakters wird uns entgegentreten." In: Johann Wolfgang Goethe. Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche. Band 1–24 und Erg.-Bände 1–3, Band 16, Zürich 1948 ff, S. 9-17. Online: http://www.zeno.org/nid/20004856651
- [22] Hier steht beispielhaft als eine von vielen Polemiken Goethes gegen Newton der Fall der Entstehung von Farben. Das Wort Refraktion heißt dabei so viel wie Brechung des Lichts (etwa an einem Prisma): "Newton behauptet, in dem weißen farblosen Lichte überall, besonders aber in dem Sonnenlicht, seien mehrere verschiedenfarbige Lichter wirklich enthalten, deren Zusammensetzung das weiße Licht hervorbringe. Damit nun diese bunten Lichter zum Vorschein kommen sollen, setzt er dem weißen Licht gar mancherlei Bedingungen entgegen: vorzüglich brechende Mittel, welche das Licht von seiner Bahn ablenken; aber diese nicht in einfacher Vorrichtung. Er gibt den brechenden Mitteln allerlei Formen, den Raum, in dem er operiert, richtet er auf mannigfaltige Weise ein; er beschränkt das Licht durch kleine Öffnungen, durch winzige Spalten, und nachdem er es auf hunderterlei Art in die Enge gebracht, behauptet er: alle diese Bedingungen hätten keinen andern Einfluß, als die Eigenschaften, die Fertigkeiten des Lichts rege zu machen, so daß sein Inneres aufgeschlossen und sein Inhalt offenbart werde. Die Lehre dagegen, die wir mit Überzeugung aufstellen, beginnt zwar auch mit dem farblosen Lichte, sie bedient sich auch äußerer Bedingungen, um farbige Erscheinungen hervorzubringen; sie gesteht aber diesen Bedingungen Wert und Würde zu. Sie maßt sich nicht an, Farben aus dem Licht zu entwickeln, sie sucht vielmehr durch unzählige Fälle darzutun, daß die Farbe zugleich von dem Lichte und von dem, was sich ihm entgegenstellt, hervorgebracht werde." In: Johann Wolfgang Goethe. Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche. Band 1–24 und Erg.-Bände 1–3, Band 16, Zürich 1948 ff, S. 756-758. Online: http://www.zeno.org/nid/20004856627
- [23] Die schwarz-weiße Scheibe zur Erzeugung von Farbeffekten ist die sogenannte Benham-Scheibe ↗
- [24] Seine generelle Absicht der Farbenlehre fasst Goethe knapp im Vorwort zur Farbenlehre zusammen. Johann Wolfgang Goethe. Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche. Band 1–24 und Erg.-Bände 1–3, Band 16, Zürich 1948 ff, S. 9-17. Online: http://www.zeno.org/nid/20004856651
- [25] Das Zitat steht in Goethes Farbenlehre, Vierte Abteilung "Allgemeine Ansichten nach Innen". Goethe betont wiederholt an verschiedenen Stellen, dass Farben erst im Zusammenspiel mit dem Betrachter entstehen und führt im Kapitel "Physiologische Farben" seines Didaktischen Teils der Farbenlehre genau dazu viele Beispiele an. Eine bemerkenswerte Entsprechung von Goethes Bild ist ein Konzept von Archibald Wheelers (1911 bis 2008) Deutung mancher Phänomene der Quantenphysik, nämlich als partizipatorisches Universum ↗
- [26] Eines der erklärten Ziele der modernen Physik ist eine objektive Beschreibung der Naturvorgänge. Der Beobachter, das Subjekt, soll dabei ganz in den Hintergrund werden. Indem Goethe die Farbeffekte als gemeinsamen Effekt von Gegenständen und Betrachtern auffasste, betrachtete er die Effekte ganz gegenteilig, nämlich als subjektiv bedingt. Die Quantenphysik zeigte dann über 100 Jahre nach dem Erscheinen der Farbenlehre, dass sich die Wirklichkeit möglicherweise tatsächlich nicht objektiv vom Betrachter abtrennen lässt. Siehe mehr dazu im Artikel Subjetivismus (externer Link)
- [27] Das mir gehört zu Gunter Heim ↗
- [28] Die sogenannte Kopenhagener Deutung der Physiker Niels Bohr und Werner Heisenberg ist im Wesentlichen ein Eingeständnis, dass sich die Sinnesdaten, Goethe sprach von Wahrnehmungen, nicht anschaulich als Effekt dahinterliegender Objekte deuten lassen. Siehe auch Kopenhagener Deutung ↗
- [29] Johannes Grebe-Ellis, Oliver Passon: Goethe’s Farbenlehre from the Perspective of Modern Physics. In: Dialogue, vol. 1 September 2020 pp. 50-59 .
- [30] Dass die Mathematik eine Art Passwort für die Physik ist, hielt der Astrophysiker Eddington gut 100 Jahre nach Goethe am Beispiel der Entropie fest. Entropie sei kein normaler Begriff der Wissenschaft, doch weil man mit ihr gut rechnen könne, habe sie Zutritt erlangt: "The reason why this stranger [die Entropie] can pass itself off among the aborigines of the physical world is, that it is able to speak their language, viz. the language of arithmetic. It has a measure-number associated with it and so is made quite at home in physics. Beauty and melody have not the arithmetical pass-word and so are barred out." In: Arthur Stanley Eddington: The Nature of the Physical World. MacMillan, 1928 (Gifford Lectures). Dort im Kapitel "Becoming", Seite 105.