Überakademisierung (Didaktik)
Ein Appell
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- 2025
Grundidee|
Bedeutungen von Überakademisierung|
Historische Einstimmung|
Was ist ein akademischer Denkstil?|
Die Interessen akademischen Denkens|
Die Methoden akademischen Denkens|
Ursachen oder Katalysatoren einer Überakademisierung|
Pseudoakademisierung|
Fußnoten
Grundidee
„Alle wollen Abi“[7]: verschiedene Autoren sprechen von einem „Akademisierungswahnsinn“[8] oder einer Überakademisierung unserer Bildung. Sie meinen damit meist, dass zu viele Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene eine Bildung Richtung Hochschulstudium einschlagen[10]. Seltener wird die Akademisierung des Schulstoffes selbst betrachtet. Die Seite hier ist ein Appell dazu, offen zu hinterfragen, ob der Schulstoff selbst nicht oft unangemessen akademisch vermittelt wird, und zwar auch auf Haupt- oder Realschulen und in Ausbildungsberufen.
Bedeutungen von Überakademisierung
Überakademisierung kann heißen, dass a) zu viele Menschen ein Hochschulstudium aufnehmen[10] oder aufnehmen sollen[7], b) dass Berufe unnötigerweise ein Hochschulstudium als Zugangsvoraussetzung verlangen[8] oder c) dass Lerninhalte akademisch vermittelt werden[11], wo dies (noch) nicht nötig oder sogar hinderlich für den Lernerfolg ist. Die Seite hier betrachtet nur diesen letzten Aspekt, nämlich den Sinn eines akademischen Denkstils und dessen Grenzen.
Historische Einstimmung
Viele Personen die in den 1930 und 1940er Jahren geboren wurden waren sehr gut und schnell im Kopfrechnen.[16] Alte Schulbücher zeigen, dass dies aber nicht unbedingt angeborenes Talent sondern eher das Ergebnis von viel Übung war. Textaufgaben nah an den alltäglich zu verrichtenden Aufgaben rauf und runter füllen viele Seiten von alten Lehrmaterialien. Dass so etwas wie ein einfacher Dreisatz kein Kinkerlitzchen ist, sondern erst nach viel Üben beherrscht wird und auch Zeit benötigt, findet man in einem sehr bemerkenswerten Zeitungsartikel von 1961 geschildert.
„Darf's auch etwas mehr sein?“ So ist ein etwas längere Glosse in der Frankfurter Rundschau von 1961 übertitelt. Der Artikel beklagt die Unsitte, dass in Geschäften die Verkäuferinnen (von Verkäufern ist nicht die Rede) oft fragen, ob es denn etwas mehr sein dürfe. Tester seien durch mehrere Läden gegangen und könnten die Klage vieler Kunden bestätigen. Stimme man der Forderung, ob es auch mehr sein dürfe, nicht bereitwillig zu, bekomme man oft ein "energisches" bis "schnippisches" Kontra. Der Artikel spricht dabei wörtlich vom "Erschleichen von Zugaben" für die Verkäuferseite. Bemerkenswert ist dabei mindestens zweierlei. Zum einen stammt der Artikel noch nicht aus der späteren Zeit der Überflussgesellschaft: "Die Haushaltskasse einer großen Familie gerate doch leicht genug in Unordnung" wenn der Endpreis die Planung "um mehrere Groschen übersteigt". Ein Groschen waren 10 Pfennige, was den Cent heute enstpräche. Zum anderen dürfte uns heute nicht nur die enge Geldplanung beim Kaufen von Grundnahrungsmitteln fremd sein. Auch das Rechnen habe viele Verkäuferinnen früher große Probleme bereitet. Ein Viertel Pfund, also 125 Gramm, "Katenrauchwurst am Stück" hätten 1,40 Mark gekostet. Nun habe ein Testverkäufer 200 Gramm verlangt. Die Verkäuferin habe erst 2,25 Mark errechnet, dann auf einen "scharfen Blick" des "Reporters" auf 2,23 Mark abgeändert. Korrekt, so der Artikel, seien 2,20 Mark gewesen [sic]. Das habe der Reporter "schriftlich" und nach "kompliziertem Dreisatzsystem nachgerechnet. Der Artikel schließt mit der Empfehlung "die Chefs könnten durch entsprechende Tabellen die Umrechnungschwierigkeiten erleichtern."[17]
Der Artikel zeigt, dass vermeintlich so einfache Dinge wie Dreisatzrechnen erst nach langem Üben routiniert von der Hand gehen. Und selbst dann, nach viel Übung, ist die Rechenart wohl oft noch so kompliziert, dass Tabellen mit fertigen Ergebnissen Sinn machen würden. Erinnere ich mich nun an meine eigene Schulzeit, und beoachte ich, wie der Unterricht auch in den ersten drei Jahrzehten des dritten Jahrtausends abläuft, dann scheinen die Kinder seit den 1970er Jahren den Dreisatz nach spätestens drei Schulstunden zu beherrschen, so zumindest die unausgesprochene Erwartung des Systems Schule. Die Zeit, die früher über 90 % der Schüler mit Textaufgaben, Dreisätzen und derlei mehr verbracht haben, wird heute selbst auf Haupt- und Realschulen mit abstrakteren Themen wie Potenzen, linearen Funktionen oder Termen gewidmet. Und darunter, so meine Einschätzung, ist ein großer Teil von Kindern, der von diesen Themen niemals genug verstehen wird, um sie jemals erfolgreich oder gar mit Freude wird anwenden können. Genau das meine ich mit Überakademisierung des Schulstoffs.
Was ist ein akademischer Denkstil?
Begriffspaare wie "theoretisch und praktisch", "rein und angewandt", "abstrakt und konkret", "Erdkunde und Geographie" oder "Universität und Fachhochschule" deuten alle auf den Kern der Sache hin, nämlich den Unterschied zwischen Theorie und Praxis. Der akademische Denkstil zielt auf die Entwicklung von Gedankengebäuden ab. Das erfolgreiche Ergebnis akademischer Tätigkeit ist eine möglichst umfassende Theorie, die möglichst viele Erscheinungen der Welt erfolgreich erklären oder handhabbar machen kann. Während man im praktischen Denken meist eine konkrete Aufgabe lösen möchte, sucht das akademische Denken mögichst viele ähnliche Aufgaben ganz allgemein zu lösen. Wir können den akademischen Denkstil noch weiter aufteilen in die ihm zugrundliegenden Denkinteressen und die damit einhergehenden Methoden. Diese Differenzierung ist Gegenstandes des Artikels akademisch [als Denkstil] ↗
Die Interessen akademischen Denkens
Wenn ich hier von "dem akademischen Denken" schreibe, dann meine ich damit einen Denkstil, wie er in der großen Gruppe der akademisch tätigen Menschen vorkommt, nicht aber in jeder einzelnen Person vorkommen muss. So können innerhalb eines Institutes zur Grundlagenforschung der Quantenphysik auch weit überwiegend praktisch interessierte Menschen arbeiten, etwa als Handwerker, in der Öffentlichkeitsarbeit, in der Beschaffung von Fördergeldern oder sogar in der Leitung des Institutes wenn dort soziale Fähigkeiten von großer Bedeutung sind. Diese Menschen arbeiten dann zwar an einer Hochschule, sie benötigen dazu aber keinen akademischen Denkstil. Aber selbst einzelne Grundlagenforscher, müssen nicht alle Züge des akademischen Denkens in sich vereinigen. Sie können durchaus begrenzt gültige Theorien entwickeln, die in offenem Widerspruch zu anderen Theorien stehen, ohne sich daran zu stören. Früher oder später wird es aber hier oder dort Wissenschaftler geben, die den Widerspruch aufgreifen und zu beseitigen versuchen. Das akademische Denken ist daher weniger eine reine Ausprägung von einzelnen Personen sondern eher eine Ansammlung von Denkrichtungen innerhalb einer Gruppe, eines Denkkollektivs.[13] Folgende Ziele denkerischer Tätigkeit charakterisieren den akademischen Denkstil:
- Verallgemeinerung: es interessiert nicht nur, ob der Vulkan Ätna in den kommenden Wochen ausbrechen könnte. Was eigentlich interessiert ist, woran man allgemein erkennen kann, wann irgendein Vulkan ausbrechen wird. Siehe auch Verallgemeinerung ↗
- Letztbegründbarkeit: es interessiert nicht vorrangig, wie die Formel für die Anziehung zweier Massen lautet, sondern wie sicher die zugrunde gelegten Annahmen sind. Siehe auch Letztbegründung ↗
- Interdisziplinarität: es genügt nicht, dass ein Soziologe ein praktisches Modell zur Vorhersage politischer Trends erzeugt. Im Ideallfall soll das Modell auch in der Sprache der Politik oder von anderen Fachgebieten formuliert werden können. Siehe auch interdisziplinär ↗
- Konsistenz: es befriedigt nicht, dass man mit Hilfe der Strahlenoptik viele Alltagsphänomene des Lichts befriedgigend beschreiben kann. Es interessiert eher, wie die Widersprüche zur Wellenoptik beseitigt werden können. Das Ziel ist stets Stimmigkeit aller Erkenntnisse. Siehe auch Konsistenz ↗
Die Methoden akademischen Denkens
Wenn man sich nicht nur dafür interessiert, den Ausbruch eines konkreten Vulkans vorherzusagen, sondern ganz allgemein dafür, die Vorhersagbarkeit von Vulkanausbrüchen an sich zu verbessern, dann wird man mit der Zeit einen gänzlich anderen Arbeitsstil entwickeln (müssen) als mehr praktisch interessierte Menschen. Typische Denkmuster eines akademischen Denkstils sind:
- Die bewusste Vernachlässigung von Konkretem zugunsten des Allgemeinen Abstraktion ↗
- Das Ableiten konkreter Einzelfälle aus allgemeinen Aussagen Deduktion ↗
- Die Formulierung von Vermutungen aufgrund von Beobachtungen Induktion ↗
- Die Anpassung von Annahmen bei unerwarteten Ergebnissen Abduktion ↗
- Definition von Worten im Rahmen einer Theorie Konstrukt ↗
- Bestätigung an der Wirklichkeit Empirismus ↗
- Begriffe messbar machen Operationalisierung ↗
- Präzisierung von Intuitionen Explikation ↗
- Zunehmende Verwendung der Mathematik ↗
- Ausbildung einer Bildungssprache ↗
Diese Denkfiguren haben ihre Berechtigung, wenn es um die Erschaffung von Theorien mit möglichst großer Aussagekraft und innerer Stimmigkeit geht. Es ist aber nicht so, dass das immer das angestrebte Ziel ist. Entsprechend ist ein akademischer Denkstil nicht automatisch auch der bessere Denkstil. Es hängt von der Art des Zieles ab.
Ursachen oder Katalysatoren einer Überakademisierung
- Akademische Abschlüsse werden als höherwertig im Vergleich mit berufsorientierten Abschlüssen angesehen.
- Arbeitgeber bevorzugen zunehmend Schüler mit Abitur.
- Schüler rutschen aus Trägheit Richtung Abitur.[14]
- Lerninhalte werden zunehmend in akademischer Form abgefragt (nicht aber zwingend so unterrichtet).
- Fachhochschulen und Universitäten gleichen sich an. So streben Fachhochschulen oft das Promotionsrecht an. Siehe auch Fachhochschule ↗
- Lehrbücher, etwa an Berufsschulen, werden zunehmend von Akademikern verfasst (Hörensagen).
Pseudoakademisierung
Seit etwa 2018 fällt uns gerade in der Oberstufe auf, dass viele Lehrer die oft hohen Anforderungen nur noch pro Forma einfordern.[15] Auch die Lehrpläne und Lehrmitteln deuten zunehmend darauf hin, dass das Ziel einer echten akademischen Schulbildng immer mehr einer Pseudoakademisierung Platz macht. Gründe dafür könnten sein, dass a) ein akademisches Denken als höherwertig gegenüber einem eher praktischen Denken angesehen wird und dass b) der akademische Denkstil de facto von einer größeren Anzahl von Schülern gar nicht entwickelt wird oder entwickelt werden kann. Dazu hier einige Beispiele.
- In der Statistik werden im Zusammenhang mit der Binomialverteilung oft sehr anspruchsvolle Textaufgaben gestellt, zu deren Lösung komplexe Formeln nötig sind. Die Formeln setzen unter anderem einen routinierten Umgang mit Potenzen sowie Fakultäten voraus. Tatsächlich können viele Schüler der Oberstufe die Formeln mit dem Taschenrechner zwar nutzen, wissen aber nicht, was eine Fakultät ist. Schon das Wort ist ihnen nicht geläufig, sie sprechen dann von "der Rechnung mit dem Ausrufezeichen". Siehe auch Bernoulli-Ketten-Formel ↗
- In der Physik werden in der Oberstufe viele Versuche zur Quantenphysik besprochen, etwa der Doppelspaltversuch zur Interferenz von Licht. Bei der behandelten Mathematik wird unter anderem die Trigonometrie nötig, die viele Schüler überhaupt nicht mehr können. Die Lehrer geben dann vor einer Arbeit oft den Wink, was in der Klausur drankommt, etwa auswendig lernbare Skizzen. Überhaupt beobachten wir in der Physik der Oberstufe, dass zunehmend oft das Beschriften von Bildern (ähnlich wie schon in der Biologie) eine Prüfungsleistung wird.
- Ebenfalls in der Physik wird oft die Schrödingergleichung durchgenommen. Dabei weiß kaum jemand was eine Differenzialgleichung ist. Das präsentierte Wissen kann von den Schülern nicht denkerisch mit bekanntem Wissen verbunden werden. Die darauf verwendete Zeit verpufft ohne nachhaltigen Lerneffekt während oft gleichzeitig ein so grundlegender Zusammenhang wie etwa U=R·I für Gleichstrom unbekannt ist.

Fußnoten
- [1] 1854, akademisch "bezeichnet alles, was sich auf Universität bezieht; es gibt z.B. akademische Freiheiten, Bürger, Lehrer, Grade u.s.w." In: Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1854, Band 1, S. 85-86. Online: http://www.zeno.org/nid/20003187586
- [2] 1857, akademisch nennt man, "was Bezug auf eine Akademie (s.d. 6)–8), bes. aber auf eine Universität hat, so Akademischer Senat, die aus dem Rector (Prorector) u. den ordentlichen Professoren od. im engern Sinne den Decanen der Universität zusammengesetzte Verwaltungsbehörde einer Universität". Und so weiter. In: Pierer's Universal-Lexikon, Band 1. Altenburg 1857, S. 241. Online: http://www.zeno.org/nid/20009322124
- [3] 1904, akademisch auch abwertend: "Akademisch, in den bildenden Künsten Bezeichnung für das Hergebrachte, Regelrechte, häufig mit dem Nebensinne des Pedantischen; in der Technik das Schulgemäße, aus Büchern Erlernte, im Gegensatz zum Wissen aus Erfahrung." In: Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 1 Stuttgart, Leipzig 1904., S. 107. Online: http://www.zeno.org/nid/20005950708
- [4] 1905, mit Bezug auf eine Universität, auch pedantisch: "Akadēmisch, auf eine Akademie (Universität) bezüglich; z. B. akademischer Senat, akademischer Bürger, akademische Studien, Würden, akademische Freiheit, akademische Gerichtsbarkeit (s. Universitäten). Auch allgemein: gelehrt, schulmäßig. Daher parlamentarisch Gegensatz von praktisch oder aktuell. In der Kunstkritik: schulgerecht, regelmäßig, mit dem Nebensinn: steif, pedantisch." In: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1905, S. 221. Online: http://www.zeno.org/nid/20006203418
- [5] 1911, in Bezug auf Universtiäten, in Tradition erstarrt: "Akadēmisch, was sich auf die Akademie bezieht; gewöhnlich aber von Universitäten gebraucht, so akademische Bürger, die Studierenden, weil sie unter den akademischen Gesetzen und der akademischen Gerichtsbarkeit (jetzt auf Handhabung der Disziplin beschränkt) stehen. Akademische Freiheit, der Inbegriff der besondern Rechte und Immunitäten der Studierenden, sowie die Lehr- und Lernfreiheit. In der bildenden Kunst heißt A., oft mit dem Nebenbegriff des Pedantischen, diejenige Richtung, welche das Hauptgewicht mehr auf die Beobachtung der überlieferten Kunstformen und Regeln legt, als auf eine selbständige Weiterbildung derselben." In: Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 1. Leipzig 1911., S. 28. Online: http://www.zeno.org/nid/20000890642
- [6] 2024: mit Bezug zu Hochschulen, lebensfern: "2) Universitäts-, Hochschul- ⟨das akademische Viertel⟩ 2) [übertragen] allzu gelehrt, lebensfern". Der Artikel "akademisch". In: DWDS – Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Abgerufen am 6. Januar 2024. Online: https://www.dwds.de/wb/akademisch
- [7] Rainer Dollase: Alle wollen „ABI“ und „UNI“. Über tabuisierte Ursachen von Bildungshysterie und Bildungsdünkel. In: Paula Bodensteiner, Josef Kraus (Hrsg.): Akademikerschwemme versus Fachkräftemangel. Hanns-Seidel-Stiftung. 2016, S. 21–54.
- [8] Julian Nida-Rümelin: Der Akademisierungswahn. Zur Krise beruflicher und akademischer Bildung. Körber-Stiftung, 2014, ISBN 978-3-89684-161-2.
- [9] P. J. Sloane: Much ado about Nothing? What does the Overeducation Literature Really Tell us? In: F. Büchel, A. de Grip, A. Mertens (Hrsg.): Overeducation in Europe. Cheltenham 2004, ISBN 1-84376-361-3, S. 11–45.
- [10] Im Jahr 2013 gab es mit 500 Tausend Einschreibungen an Hoschulen und nur 482 Tausend begonnen Ausbildungen in Deutschland erstmals mehr neue Studenten als Auszubildende. In: Eva Hertzfeldt: DPhV warnt vor den Folgen einer Überakademisierung. TeachersNews. Artikel vom 4. November 2013. Online: https://web.archive.org/web/20141105153319/http://www.teachersnews.net/artikel/nachrichten/bildungspolitik/029266.php
- [11] "Verschulung des Kindergartens, ein fixer Blick auf Noten sowie der Trend zur Akademisierung – eine Eskalationsspirale höherer Bildung setzt Kinder und Eltern unter enormen Erfolgsdruck": die emeritierte Professorin Margrit Stamm (Universität Freiburg) sieht eine allgemeine "Optimierungs- und Hochleistungskultur", die aber letztendlich zu "ausgepressten Leistungspotenzialen" führe. In: Margrit Stamm: Überleister und Langsamlerner – die auf Erfolg getrimmte Konkurrenzgesellschaft droht unsere Kinder mehr und mehr zu überfordern. Gastkommentar in der NZZ (Neue Zürcher Zeitung) vom 21. Mai 2021. Online: https://www.nzz.ch/meinung/ueberleister-und-langsamlerner-kinder-und-konkurrenzgesellschaft-ld.1625751
- [12] "Bisherige Untersuchungen deuten darauf hin, dass Personen mit einer starkenAusprägung des Merkmals Introversion tendenziell besser im Studium abschneiden als extravertierte Personen." In: Mario Fabianek: Welche Merkmale beeinflussen den Erfolg im Studium? Diplomarbeit. Diplomica Verlag GmbH. 2004. ISBN: 9783832480738. Dort die Seite 16.
- [13] Ludwik Fleck: Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache. Einführung in die Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv. Ersterscheinung bei Benno Schwabe & Co. in Basel. 1935. Seite 130. Siehe auch Ludwik Fleck ↗
- [14] Dass Schüler aus Trägheit oder Unwissen über Alternativen oder Gruppeneffekte unreflektiert Richtung Abitur rutschen beobachten wir in unserer Lernwerkstatt in Aachen seit 2010 immer wieder. Schon Grundschüler sagen, dass sie auf ein (oft bestimmtes) Gymnasium müssen, weil dort alle Freunde hingingen. Richtung Realschulabschluss haben dann viele Schüler keinerlei Berufswünsche. Aus Orientierungslosigkeit sozusagen gehen sie "dann erst einmal" in die Oberstufe. Sind zusätzlich die Noten kritisch, gehen viele auf ein Berufskolleg, oft mit kaufmännischer Ausrichtung (Wirtschaftsgymnasium). Sprechen wir ältere Schüler darauf an, dass die Hälfte ihrer Altersgenossen kein Abitur anstreben, sind sie verwundert und antworten dahingehend, dass sie das Abitur für "den normalen Schulabschluss" hielten.
- [15] Ein Schüler im vorletzten Jahr vor dem Abitur (Q1 in Nordhrein-Westfalen) erhielt in einer Arbeit zu Integralrechnung die Note 3+. Der gleiche Schüler kann auch mit beliebig viel Zeit Aufgaben sie 4 geteilt durch 0,5 oder 6 mal 0,2 überhaupt nicht lösen (Pseudodyskalkulie) oder Aufgaben wie 12 mal 13 nur mit erheblichem Zeitaufwand und mehreren Versuchen. Die Beobachtung ist kein Einzelfall. In unserer Lernwerkstatt in Aachen beobachten wir flächendeckend, dass auch gute Schüler in Mathematik Leistungskursen elementare Aufgaben aus den Klassen 5 bis 6, vor allem Bruchrechnung, den Umgang mit Klammern und die vier Grundrechenarten mit Dezimalzahlen nicht nur schlecht sondern zum Teil gar nicht mehr beherrschen und dennoch gute Noten schreiben. Dass unsere Beobachtungen weder Einbildung noch ein Einzelfall sind zeigt der Brandbrief 2017 ↗
- [16] Die Beobachtung, dass viele Personen aus der Generation der in den 1930 und 1940er Jahren Geborenen gut im Kopfrechnen waren stammt aus meiner eigenen Beobachtung aus der Zeit der 1970er bis in die 2020er Jahre. Klassisches Dreisatzrechnen und die im täglichen Verkehr nötigen Rechnungen bereiten den wenigsten dieser Personen Schwierigkeiten.
- [17] „Darf's etwas mehr sein?“ Hausfrauen klagen über eine Unsitte in vielen Geschäften. Artikel in der Frankfurter Rundschau vom 17. Juli 1961, dort im Teil für Hessen. Eine Seitenangabe ist auf den original Seiten nicht zu finden.