Denkstil
Definition
Basiswissen
Ein Ingenieur denkt bei humanitären Katastrophen eher an technische Hilfsmöglichkeiten, ein Sozialarbeiter eher an seelische Betreuung: das Wort Denkstil wurde 1934 erstmals von einem polnischen Pionier der Wissenssoziologie verwendet.
Original-Definition
"Der Denkstil besteht, wie jeder Stil, aus einer bestimmten Stimmung und der sie realisierenden Ausführung. Eine Stimmung hat zwei eng zusammenhängende Seiten: sie ist Bereitschaft für selektives Empfinden und für entsprechend gerichtetes Handeln. Sie schafft die ihr adäquaten Ausrücke: Religion, Wissenschaft, Kunst, Sitte, Krieg usw., je nach der Prävalenz gewisser kollektiver Motive und der angewandten kollektiven Mittel. Wir können also Denktstil als gerichtetes Wahrnehmen, mit entsprechendem gedanklichen und sachlichen Verarbeiten des Wahrgenommenen, definieren. Ihn charakterisieren gemeinsame Merkmale der Probleme, die ein Denkkollektiv interessieren; der Urteile, die es als evident betrachtet,; der Methoden, die es als Erkenntnismittel anwendet. Ihn begleitet eventuell ein technischer und literarischer Stil des Wissenssystems.[1]" Mehrere Personen zusammen bilden bei geeigneten Umständen dann ein Denkkollektiv ↗
Fußnoten
- [1] Ludwik Fleck: Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache. Einführung in die Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv. Ersterscheinung bei Benno Schwabe & Co. in Basel. 1935. Seite 130. Siehe auch Ludwik Fleck ↗
- [2] Denkart, Denkungsart, in einem Lexikon von 1907: "Denkart und Denkungsart sind zwei Ausdrücke, die häufig miteinander vertauscht worden sind, so daß ihre Unterscheidung eine unsichere ist; sie ließen sich vielleicht so unterscheiden, daß man mit dem ersten Ausdruck die Art und Weise bezeichnete, wie jemand die Denkgesetze (s. d.) anwendet, mit dem zweiten dagegen die Auffassung, welche man von den Lebensverhältnissen hat. Die beiden Ausdrücke schlössen dann die Begriffe Form und Inhalt in sich ein. Hegel und Haeckel hätten eine verschiedene Denkart, ein Agrarier und ein Gewerbetreibender hätten eine verschiedene Denkungsart. Die Methode des Denkens bestimmte dann die Denkart, Umstände (wie Erziehung, Umgang, Beschäftigung) beeinflußten die Denkungsart. Es gäbe z.B. eine fromme und unfromme Denkungsart, aber keine fromme Denkart (doch sagt gerade Schiller: die Milch der frommen Denkart, Teil IV, 3). Die Denkart wäre rationalistisch oder empirisch, deduktiv oder induktiv, dogmatisch oder kritisch oder skeptisch. Die Denkart wäre eine Seite der Intelligenz, die Denkungsart eine Seite des Charakters des Menschen. – Im allgemeinen ist der Ausdruck Denkart jetzt wenig gebräuchlich, und geläufig nur der Ausdruck Denkungsart und zwar in der Bedeutung Lebensauffassung. Die Unterscheidung beider Ausdrücke hat also etwa Künstliches an sich. Kirchner, Friedrich / Michaëlis, Carl: Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe. Leipzig 1907, S. 139. Online: http://www.zeno.org/nid/20003580652
- [3] Auch scheinbar individualistische Figuren wie Richard Feynman waren eingebettet in den "Denkstil" seiner Zeit: Christian Forstner: Genial in Gemeinschaft. Zum 100. Geburtstag des Physik-Nobelpreisträgers Richard P. Feynman (1918 – 1988)2018. Physik Journal 17 (2018) Nr. 6. Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim. Siehe auch Richard Feynman ↗