Gruppendenk
Buch
Basiswissen
Das Wort Gruppendenk, auf Englisch groupthink, wurde von dem Soziologen William Hollingsworth Whyte geprägt. Es steht für einen rationalisierten Vorrang der Gruppe gegenüber dem einzelnen Individuum. Das ist hier kurz vorgestellt.
Originalzitat von W. H. Whyte aus dem Jahr 1952
"Groupthink being a coinage – and, admittedly, a loaded one – a working definition is in order. We are not talking about mere instinctive conformity – it is, after all, a perennial failing of mankind. What we are talking about is a rationalized conformity – an open, articulate philosophy which holds that group values are not only expedient but right and good as well."
Übersetzung von W. H. Whytes Zitat ins Deutsche
"Gruppendenk wurde ein stehender Begriff, zugegebenerweise eine sehr befrachteter, eine Art Arbeitsdefinition. Wir meinten damit nicht bloß eine instinktive Konformität, welche letztendlich ein bleibender Makel des Menschen ist. Was wir hier meinen ist eine durchrationalisierte Konformität, eine ausformulierte Philosophie die behauptet, der Wert von Gruppen sei kein bloßes Mittel zum Zweck sondern ein Wert für sich."
Gruppendenk als bewusstes Ziel
Gruppendenk im Sinne von Whyte heißt nicht bloß, dass eine Gruppe unliebsame Realitäten ausblendet, sondern dass die Gruppe und die Harmonie innerhalb der Gruppe als wichtiger gelten, als Streit, Dissens und Abweichlertum. Whyte betont, dass diese Wertsetzung keine unbewusste oder instinktive menschliche Schwäche ist, sondern eine bewusst durchrationaliserte Personalstrategie. Whyte legt das an vielen Beispielen aus dem US-amerikanischen Wirtschaftsleben der 1940er bis 1950er Jahre dar. Damals sei es das erklärte Ziel vieler Unternehmen gewesen, konforme Mitarbeiter heranzubilden, bewusst auch auf Kosten individueller Genialität oder Durchsetzungsstärke. Whyte warnte davor, wie diese Konformität die Anpassungsfähigkeit von Gruppen an neue Realitäten gefährdet. Die Argumentation Whyte ist ausführlich entwickelt in seinem Klassiker The Organization Man ↗
Beispiele für irregeleites Gruppendenk
1962 unternahmen die USA eine katastrophal gescheiterte Invasion Kubas. 2022 ordnete der russische Diktator Wladimir Putin eine ebenfalls desaströse Invasion des Nachbarlandes Ukraine an. Nach der Vorstellung des Gruppendenk (Groupthink)[1] wurden die Fehlentscheidung durch Gruppen um die Entscheidungsträger gefördert, in denen der Zwang zum gemeinsamen Konsens letztendlich jede Realität ausschaltete, die den gewünschten Ergebnissen widersprachen.
Fußnoten
- [1] Irving Janis: Victims of Groupthink: A Psychological Study of Foreign-Policy Decisions and Fiascoes. Houghton Mifflin, Boston 1972, ISBN 0-395-14044-7.
- [2] William H. Whyte: The Organization Man. First published by Simon and Schuster in 1956. New edition by University of Pennsylvania Press in 2002. ISBN: 0-8122-1819-1
- [3] M. Rokeach: The open and closed mind. Basic Books. 1960.
- [4] William H. Whyte: Groupthink. In: Fortune. Seiten 114–117, 142, 146. März 1952.
- [5] George Orwell: Notes on Nationalism. Erstveröffentlichung in: Polemic. — GB, London. — May 1945.
- [6] Howard Bloom: Global Brain: die Evolution sozialer Intelligenz / Aus dem Amerikan. und mit einem Nachwort von Florian Rötzer. DVA, 1999, ISBN 978-3-421-05304-6. Dort das Kapitel 8: Die Wirklichkeit ist eine gemeinsame Halluzination. Seite 122 ff.
- [7] N Teichler et al.: Entkoppelte Lebenswelten? Soziale Beziehungen und gesellschaftlicher Zusammenhalt in Deutschland. Erster Zusammenhaltsbericht des FGZ. Bremen: SOCIUM, Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt. 2023. DOI: https://doi.org/10.26092/elib/2517
- [8] Wie man das Gruppendenken für eigene Propaganda nutzen kann zeigt am Beispiel englischer Sender im Zweiten Weltkrieg das Buch von Peter Pomerantsev: How to Win an Information War: The Propagandist Who Outwitted Hitler. 304 Seiten. Herausgegeben von PublicAffairs. 2024. ISBN: 978-1541774728
- [9] Gruppen bilden sich aus moralischen Neigungen, ohne welche sie auch wieder vergehen: "Il en est ainsi pour chaque espèce de production humaine, pour la littérature, la musique, les arts du dessin, la philosophie, les sciences, l'État, l'industrie, et le reste. Chacune d'elles a pour cause directe une disposition morale, ou un concours de dispositions morales; cette cause donnée, elle apparaît; cette cause retirée, elle disparaît; la faiblesse ou l'intensité de cette cause mesure sa propre intensité ou sa propre faiblesse." Der hier zitierte Abschnitt trägt die Randnotiz: "Loi de formation d'un groupe. " und findet sich im Kapitel VII von: Hippolyte Taine: Histoire de la Litterature Anglaise. Band I. Zweite überarbeitete Ausgabe. Paris. 1866.