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Lernwerkstatt


Lernort


Definition


Als Lernwerkstatt bezeichnet man eine materialreiche Umgebung für ein Lernen auch außerhalb der Schule. Im Mittelpunkt steht das praktische Lernen durch eigene Erfahrungen. Im Unterschied zu einem Lernlabor sind die Materialien in einer Lernwerkstatt eher alltagsnah und ungefährlich. Das ist hier kurz anand einer realen Lernwerkstatt (Aachen) erklärt.

Eine Beispiel-Situation in einer Lernwerkstatt


Was bedeutet es praktisch, wenn man sagt, dass die Wahrscheinlichkeit zum Würfeln einer Sechs genau 1/6 beträgt? Das kann mit einer Schale mit 200 gleichartigen Würfeln selbst ausprobiert werden: man würfelt sehr oft hintereinander mit den 200 Würfeln und zählt, wie viele Sechser darunter waren. Es fällt auf, dass man meistens zwischen etwa 25 bis vielleicht 40 Sechser hatte. Das entspricht einem Anteil von etwa 1/8 bis zu einem 1/5. Viele Lernende sind fasziniert von der Zuverlässigkeit dieser Beobachtung und kommen dann oft im Gespräch selbst auf die Idee der Wahrscheinlichkeit. Durch das eigene Tun wird das Thema oft auch nach einer ganzen Stunde noch nicht langweilig. Eine möglichst lange Beschäftigung mit einer Sache und das berühmte Aha-Erlebnis gehören eng zusammen. Siehe auch Werkstattversuche ↗

Lernwerkstatt und Schule


Das selbsterkundene Lernen kann nur ohne Zeitdruck funktionieren. Kinder stellen Fragen, deren Antwort oft lange dauert, sie haben gute Lösungsideen, die aber am Ende nicht zum Ziel führen. Und sie wollen beobachten und probieren, auch wenn es nicht direkt der Lösung dient. In der Schule hingegen folgen die Themen oft sehr schnell aufeinander. Nach jeder Arbeit gibt es ein "neues Thema", das für Kinder nicht erkennbar etwas mit dem "alten Thema" zu tun hat. Eine Lernwerkstatt eignet sich daher nicht, um dem Schulgeschehen eng im Wochentakt zu folgen. Ihre Stärken entwickelt eine Lernwerkstatt dort, wo sie Themen aus der Schule über Monate oder Jahre vertiefen kann. Mehr zu diesem Gedanken siehe unter Spiralcurriculum ↗

Kreativ lernen in einer Lernwerkstatt


Spricht man mit erfolgreichen Naturwissenschaftlern und Mathematikern, so hört man oft heraus, dass sie ihre Arbeit als sehr kreativ empfinden. Kreativ sein zu können ist für viele Menschen eine der wichtigsten Motivationen. Indem eine Lernwerkstatt keinen Zeitdruck erzeugt, anregende Fragen stellen kann und vor allem geeignetes Material zum Ausprobieren eigener Ideen bereit hält, kann man dort die eigene Kreativität erleben und entwickeln. Lies mehr dazu unter Kreativität ↗

Typische Erscheinungsformen von Lernwerkstätten


Lernwerkstätten im Sinne der Didaktik trifft man vor allem als außerschulische Lernorte an. Die Träger sind oft Hochschulen oder andere Bildungsreinrichtungen, seltener kommerzielle Anbieter. Viele Lernwerkstätten bieten eher kompakte kurze als eine langfristig stetige Förderung an.

Sind Lernwerkstätten eine Art Nachhilfe?


Nein, nicht zumindest im klassischen Sinn. Nachhilfe im engeren Sinn hat meist die "nächste Arbeit" oder die nächste Halbjahresnote im Blick. Welches Thema wann behandelt wird, überlässt man dabei der Schule. Die Stärke einer guten Nachhilfe kommt dann vor allem durch das Wie einer Erklärung zum Tragen. Wo aber die Schule vorgibt, wann welches Thema behandelt wird, kann die Stärke einer Lernwerkstatt nicht zum Tragen kommen, nämlich ein weitgehend selbstgesteuertes Lernen der Kinder. Siehe auch Nachhilfe ↗

Ein blinder Fleck vieler Lernwerkstätten: Mathematik


Lernwerkstätten und auch viele Wissenschaftsmuseum sind gut darin, Faszination, Kreativität und Neugier Stoff zu bieten. Man baut selbst Brücken, lässt Raketen in den Himmel steigen, programmiert Roboter oder experimentiert mit Pflanzen unter Wasser. Tatsächlich aber gehören die zwei "harten" Naturwissenschaften Physik und Chemie seite Jahrzehnten zu den unbeliebtesten Fächern. Den Grund sehen wir darin, dass etwa ab der Klasse 7 der Schulunterricht in diesen beiden Fächern fast schlagartig mathematisiert wird. In der Klasse 10 haben dann die meisten Schüler diese zwei Fächer abgewählt. Der Grund ist aber nicht, dass sie kein Interesse für Chemie oder Physik haben, sondern die plötzlich über sie hereinbrechnede Formalisierung und Abstrahierung nicht verstehen. Während der Schulunterricht zu stark mathematisiert, tun die meisten Lernwerkstätten das zu wenig.

Beispiel: die Mathe-AC Lernwerkstatt in Aachen


Im Jahr 2010 wurde in Aachen die Mathe-AC Lernwerkstatt Mathematik gegründet. Das Ziel war es von Anfang an, die Stärken einer Lernwerkstatt mit den Anforderungen des laufenden Schulbetriebs zu verbinden. Der typische Unterricht heute ist eine Mischung aus Lernwerkstatt, Coaching, Nachhilfe und Interessensförderung. Über Jahre entwickelte Versuche verbinden naturwissenschaftich spannende Fragen mit der Mathematik aus der Schule. Siehe auch Mathe-AC Lernwerkstatt Aachen ↗

3D-Rundgang durch eine Lernwerkstatt



Die Lernwerkstatt als Teil einer Wissensgesellschaft


Im Jahr 1966 veröffentlichte der Amerikaner Robert E. Lane seine Vision einer Wissensgesellschaft (knowledgeable society). Darin spielen nicht Computertechnologischen die tragende Rolle sondern kritische, forschende, neugierige und diskussionsfreudige Menschen. Eine Lernwerkstatt im ursprünglichen Sinn ist ein Baustein einer so verstandenen Wissensgesellschaft ↗

Fußnoten