Bulimielernen
Praxistipps
Definition
Schnell viel kurz vor einer Prüfung ins Kurzzeitgedächtnis drücken und nach der Prüfung alles wieder schnell vergessen: diese Lernstrategie bezeichnet man umgangssprachlich heute als Bulimielernen[1]. In der Psychologie spricht man von oberflächlichen Lernen (surface learning[1]). Hier stehen einige Tipps, wann Bulimielernen nützlich und wann man es eher vermeiden sollte.
Beispiel Mathe-Arbeiten
Bei der nächsten Mathe-Arbeit geht es um Steigungen, Ableitungen, Hochpunkte und Tiefpunkte. Kurz vor der Arbeit lernt man die Rechenwege zum Ableiten und zur Bestimmung von Hoch- und Tiefpunkten auswendig. Da keine Textaufgaben angekündigt sind, lernt man nicht die tiefere Bedeutung der Begriffe sondern man beschränkt sich ganz auf die formalen Rechenwege. Damit besteht man die anstehende Arbeit ganz gut. Die gelernten Rechenwege gehen aber bald wieder vergessen. Das ist ein typisches Beispiel für Bulimielernen.
Tipps zum effektiven Bulimielernen
- Besorge dir alte Klausuren oder Prüfungsfragen.
- Mache eine Liste: wie wahrscheinlich kommt ein Thema dran?
- Markie die Themen von A (sehr schwer) bis C (sehr leicht)
- Markiere die Themen von 0 (unwichtig) bis 3 (sehr wichtig)
- Lerne zuerst die Theman C3, dann C2 oder B3 und so weiter.
- Bei Zeitnot: setze eher unwichtige und sehr schwere Dinge bewusst auf Lücke.
- Nimm dir kurz vor der Klausur viel Zeit.
- Lerne vor allem mit dem Kurzzeitgedächtnis.
- Können statt verstehen: lerne Lösungswege auswändig.
- Verwende keine Zeit darauf, tiefere Hintergründe zu verstehen.
Wann ist Bulimierlernen sinnvoll?
- Wenn man aus äußeren Umständen (Krankheit, kurzfristige Aufnahmeprüfung etc.) keine andere Wahl hat ✔
- Wenn es um Stoff geht, der später nicht mehr abgefragt wird (Führerscheinprüfung) ✔
- Wenn es um Stoff geht, den man ohnenhin niemals tiefer verstehen kann/will ✔
Wann sollte man Bulimielernen vermeiden?
Bulimielernen wird dann gefährlich, wenn es um Wissen und Fertigkeiten geht, die aufeinander aufbauen und über längere Zeit gekonnt oder wirklich verstanden werden müssen. Das ist vor allem bei vielen Themen der Mathematik der Fall: Gleichungen lösen, Terme umformen, mathematische Symbole erkennen. Vermeide Bulimierlernen in den folgenden Fällen:
- Du möchstest in einer Sache langfristig gut werden (z. B. Astronomie)
- Es geht um langfristig aufeinander aufbauenden Stoff (z. B. Analysis)
- Du musst irgendwann auch Textaufgaben damit lösen können (z. B. im Abitur)
Was ist das Gegenteil von Bulimielernen?
Routine und Deep Learning: wer das Einmaleins dauerhaft gut auswendig kann hat darin Routine. Zu Routine kann man mit Fleiß und Ausdauer gelangen. Versteht man zusätzlich noch gut die Bedeutung der Worte, kann das Thema auf ganz neue Fragen übertragen und erkennt Querbezüge zu anderen Themen spricht man von einem Deep Learning. Deep Learning erfordert einen denkerischen sehr aktiven und kreativen Umgang mit dem Lernstoff. Lies mehr dazu unter Deeper Learning ↗
Was ist der Nürnberger Trichter?
Der Nürnberger Trichter ist ein scherzhaft gemeintes Lernhilfsmittel: man stülpt sich einen Trichter auf den Kopf, in den hinein man den ganzen Lernstoff nur drücken muss. Lies mehr unter Nürnberger Trichter ↗
Was ist die sogenannte Inkubationszeit?
Die Zeit, in der das Unterbewusstsein Ideen für Lösungen entwickelt: angenommen man trainiert die pq-Formel zum Lösen quadratischer Gleichungen. Stunden oder Tage nach einer intensiven Lernsitzung kommt einem plötzlich wie aus dem Nichts die Idee, wie man mit Hilfe der Formel ohne viel Rechnen schnell überprüfen kann, ob eine quadratische Gleichung überhaupt eine Lösung hat. Der springende Punkt ist, dass einem gute Idee oft erst lange nach der eigentlichen Lernsitzung kommen. Ist man im Bulimie-Lern-Modus, beschäftigt man sich meist aber nur wenige Tage mit einem Thema. Das ist oft viel zu kurz zur Nutzung des Inkubationseffektes. Lies mehr dazu unter Inkubation (Psychologie) ↗
Wie sollte man sich entscheiden?
Strategisch: die erste Frage, die man sich vor dem Lernen stellen sollte ist: will ich das nur schnell haben (Bulimie) oder will/muss ich es dauerhaft können. So werden zum Beispiel in manchen Schulen in der 6ten Klasse binärze Zahlen behandelt. Das Thema kommt danach bis zum Abitur so gut wie nie mehr vor. Hier genügt Bulimielernen. Die Bedeutung von Buchstaben, Termen und Gleichungen hingegen sollte man nie auf Bulimie lernen, sondern langfristig immer wieder wiederholen.
Was ist soziointegrative Degeneration?
Gerade dadurch, dass sich einzelne Mensche immer weiter zurückentwickeln, ihre Potentiale immer weniger entwickeln, wird die Gesellschaft als Ganzes immer leistungsfähiger. Der Vorteil eines Menschen gegenüber der Maschine besteht dann nicht mehr darin, dass er etwas besser kann, sondern nur noch darin, dass er eine bestimmte Tätigkeit billiger ausführt als Roboter. Wenn Bulimielernen die vorherrschende Lernmethode wird, befindet man sich vielleicht auf diesem Weg. Die dystopische Vision einer leistungsstarken Gesellschaft aus verkümmerten Einzelindividuen geht zurück auf den polische Science Fiction Autoren Stanislaw. Lies mehr dazu unter soziointegrative Degeneration (Soziologie) ↗
Fußoten
- [1] "Bulimielernen, Bulimie-Lernen, Bulimie-Learning ist ein Ausdruck auf der Szenesprache in Schule und Universität und bezeichnet das Lernen einer großen Stoffmenge am letzten Tag oder allgmeiner betrachtet in der knappen Zeit vor einer Prüfung, so dass man diese Lerninhalte höchstens in der Klausur noch weiß und danach bald wieder vergisst." In: W. Stangl. Bulimie-Lernen. Online Lexikon für Psychologie & Pädagogik. Abgerufen am 24. Juni 2024. Online: https://lexikon.stangl.eu/25376/bulimie-lernen
- [2] Surface learning: Dolmans DHJM, Loyens SMM, Marcq H, Gijbels D. Deep and surface learning in problem-based learning: a review of the literature. Adv Health Sci Educ Theory Pract. 2016 Dec;21(5):1087-1112. doi: 10.1007/s10459-015-9645-6. Epub 2015 Nov 13. PMID: 26563722; PMCID: PMC5119847.
- [3] Dinsmore DL, Alexander PA. A critical discussion of deep and surface processing: What it means, how it is measured, the role of context, and model specification. Educational Psychology Review. 2012;24(4):499–567. doi: 10.1007/s10648-012-9198-7