Panpsychismus
Naturwissenschaftlich
Grundidee
Als Allbeseelungslehre[10] oder Panpsychismus bezeichnet man Weltbilder, in denen grundsätzlich alle Objekte und Stoffe[17] des Kosmos beseelt sein könnten. Dies könnten Steine, Meeresströmungen oder ganze Himmelsobjekte sein. Das ist hier kurz erklärt.
Vermutete Ursprünge
Unter Naturvölkern ist die Vorstellung verbreitet, dass die gesamte Natur von Geistern oder anderen seelenhaften Wesen bewohnt ist. Bäume[12][13], Geister, Moore aber auch die Gestirne und Wolken sind Wohnort oder Ausdruck lebendiger Wesenheiten. Wettergeister müssen dann beschworen werden, Gott kann sich in einem brennenden Dornenbusch zeigen (Exodus 3,1-5) sein oder Schamanen verbinden sich in Ritualen mit Tiergeistern. Man geht heut davon aus, dass der Animismus[14] bis zur Entstehung vergeistigter Gottesvorstellungen die vorherrschende Form von Religion war. Siehe auch Animismus ↗
Von Animismus zum Panpsychismus
Die Unterscheidung eines Animismus vom Panpsychismus ist im Wesentlichen nur ein Unterschied in der Reflektion der eigenen Auffassung: während ein Animismus meist unreflektierte Grundüberzeugungen und tradierte Gewissenheiten bezeichnet, steht Panpsychismus eher für durchdachte Theorie zu einer möglichen Allbeseeltheit der Welt. Die Wurzeln dieses Denkens sieht man in der altgriechischen Antike ↗
Panpsychismus als Forschungsfeld
Jede Untersuchung der Frage, ob der gesamte Kosmos oder scheinbar tote Teile davon belebt sein[10] könnten scheitert zurzeit an a) einer fehlenden Definition von Lebendigkeit und b) einer fehlenden "Testanleitung", um Leben naturwissenschaftlich feststellen zu können. Der gängige Ansatz ist es, nach Abweichungen und Unrgelmäßigkeiten, etwa seltsamer Sternenbewegungen, zu suchen und das als Ausdruck von Leben zu deuten[4]. So befinden sich Annahmen über einen Panpsychismus meist im Stadium einer Proto-Theorie, was aber nicht als Abwertung sondern als Stand der Wissenschaft zu sehen ist. Schon im Jahr 1874 wurde aufgrund einer darwinistischen Evolution über beseelte Sterne spekuliert[9] und später, im Jahr 2023 das Konzept der Evolution von der Biologie auch auf Sterne, Minerale und Atmosphären erweitert[10]. Siehe dazu auch Evolvierbarkeit ↗
Naturwissenschaftlich motivierte Hypothesen
- Ein planetarer Organismus aus Menschen, Maschinen und IT-Infrastruktur Kybiont ↗
- Weltumspannendes Wesen aus Maschinen und Menschen Metaman ↗
- Als Lebewesen handelnde Staaten oder Unternehmen Energon ↗
- Beseelter Termitenhügel The Soul of the White Ant ↗
- Beseelte Sterne Gregory Matloff ↗
Warum steht Gaia nicht in der Liste?
In der Esoterik wird der Name Gaia oft als Synonym für eine uns wohlwollende und beseelte Mutter Erde verwendet. Der Urheber der naturwissenschaftlichen Gaia-Theorie, James Lovelock, betonte jedoch mehrfach, dass er in seiner Gaia kein beseeltes oder bewusstes Lebewesen sieht sondern nur naturwissenschaftlich fassbare Mechanismen einer Selstregulierung wie sie typisch sind für biologische Lebewesen. Lies mehr zur Naturwissenschaft von Gaia unter Gaia-Theorie ↗
Zitat: Ernst Häckel
"Die beiden Hauptbestandteile der Substanz, Masse und Äther, sind nicht tot und nur durch äußere Kräfte beweglich, sondern sie besitzen Empfindung und Willen (natürlich niedersten Grades!); sie empfinden Lust bei Verdichtung, Unlust bei Spannung; sie streben nach der ersteren und kämpfen gegen letztere."[2]
Zitat: H. P. Lovecraft
“How do we know that that form of atomic and molecular motion we call ‘life’ is the highest of all forms? Perhaps the dominate creature—the most rational and god-like of all beings—is an invisible gas. Or perhaps it is a flaming and effulgent mass of molten stardust. Who can say that men have souls while rocks have none?”[3]
Science Fiction
- Sir Arthur Conan Doyle The Horror of the Heights ↗
- Sir Arthur Conan Doyle When the World Screamed ↗
- H. P. Lovecraft The Color out of Space ↗
- William Olaf Stapledon Nebula Maker ↗
- William Olaf Stapledon Star Maker ↗
- William Olaf Stapledon Solaris ↗
Fußnoten
- [1] James Grier Miller, (1978). Living systems. New York: McGraw-Hill. ISBN 0-87081-363-3. Eine umfassende Theorie des Panpsychismus.
- [2] Ernst Häckel: Die Welträthsel. Gemeinverständliche Studien über Monistische Philosophie. Erstauflage 1899.
- [3] Howard Lovecraft: Letter to Rheinhart Kleiner, Ira Cole, and Maurice Moe. August 8th, 1916. Siehe auch H. P. Lovecraft (Zitate) ↗
- [4] Gregory L. Matloff: Can Panpsychism Become an Observational Science? In: Journal of Consciousness Exploration & Research. Volume 7, Number 7. 2016. ISSN: 2153-8212. Siehe auch Gregory Matloff ↗
- [5] Andy Clark, David Chalmers: The extended mind. In: Analysis 58(1). 1998. Siehe auch Erweiterter Geist ↗
- [6] Andy Clark: Supersizing the Mind: Embodiment, Action, and Cognitive Extension. Oxford: Oxford University Press. 2008.
- [7] Clement: Stellivore Extraterrestrials? Binary Stars as Living Systems. Acta Astronautica. 2016. 128: 251–56. doi:10.1016/j.actaastro.2016.0
- [8] Tibor Ganti: From quarks to galactical societies. Evolution of matter from elementary particles to galactical societies. Ungarischer Originaltitel: A kvarkoktól a galaktikus társadalmakig Alcíme: Az anyag evolúciója az elemi részektől a csillagközi társadalmakig. 1975. ISBN: 963-09-0384-9. [nur ungarisch].
- [9] 1874, Karl Freiher du Prel: Der Kampf ums Dasein am Himmel: Die Darwin'sche Formel nachgewiesen in der Mechanik der Sternenwelt von Karl Freiherr du Prel. Denicke's Verlag. Berlin. 1874. 110 Seiten. Auf Seite 9 wird der Darwinismus auch auf den Himmel übertragen: "Die Biologie in ihrer neueren Gestalt, für welche Darwins Untersuchungen grundlegend geworden sind, zeigt uns, daß wir alle Anpassung der Organismen an ihre respektiven Lebensverhältnisse, alle Zweckmäßigkeit in der leiblichen Verfassung der Individuen als das natürliche Resultat langer Entwicklungszustände zu erachten haben, daß aber keine Entwicklung ohne die Inkonvenienz begleitender Kämpfe auftritt. Daß aber dieses Gesetz keineswegs auf die biologischen Veränderungen beschränkt sei, sondern vielmehr in modifizierter Form nach Maßgabe der Verschiedenheit der von den Spezialwissenschaften behandelten Objekte auf alle übertragen werden kann, möchte schon daraus erhellen, daß alle Zeige der empirischen Forschung dem Erklärungsprinzip der Entwicklung zutreiben. Wenn wir nun in Bewunderung der zweckmäßigen Anordnung der Gestirne auch an sie den gleichen Maßstab legen und nach Analogien suchen wollen zwischen den biologischen und den kosmischen Vorgängen, so erscheint das bei der totalen Verschiedenheit der Objekte vorerst allerdings unthunlich; wir werden aber gleichwohl sehen, daß in allgemeiner Hinsicht sehr mekrwürdige Analogien vorhanden sind, und dies erfüllt uns mit dem Vertrauen, daß auch für die Astronomie etwas Ähnliches geleistet werden kann, wie es durch Darwin für die Biologie geleistet ist." Auf Seite 95 geht du Prel von einem Bewusstsein der evolvierten Himmelskörper aus: "Und wenn wir in diesen Specialentwicklungen überhaupt eine Absicht walten sehen wollten, so könnte dieselbe nur darin liegen, daß mit Hülfe jenes Kampfes um's Dasein auf den Sternen eine hochgesteigerte Stufe des Bewußtseins erzielt werde, mit welcher das Gestirn seine Aufgabe erfüllt hätte und abtreten müßte , um anderen Plaß zu machen." Siehe auch Evolvierbarkeit ↗
- [9] Michael L. Wong, Carol E. Cleland, Daniel Arend Jr., Robert M. Hazen: On the roles of function and selection in evolving systems. In: Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America (PNAS). 2023. 120 (43) e2310223120. Online: https://doi.org/10.1073/pnas.2310223120
- [10] 1904, in einem Lexikon: "Panpsychismus (pan, psychê) Allbeseelungs-Lehre, die Ansicht, nach welcher alles, das All beseelt, lebendig, seelisch ist, entweder actuell oder doch potentiell. Der Panpsychismus betrachtet die Grenze zwischen Lebendem und »Totem«, Organischem und Anorganischem als eine fließende, nicht als absolut. Er kennt nur Grade der Beseeltheit, nichts absolut Apsychisches, wenn auch nicht alles ein Bewußtsein im Sinne klarer Apperception (s. d.) und Selbstbewußtsein hat. Der Panpsychismus tritt auf als primitiver Animismus (s. d.), als realistischer Panpsychismus (Hylozoismus, s. d.) und idealistischer Panpsychismus (s. Spiritualismus), ferner als monadologischer (s. d.) und pantheistischer Panpsychismus (s. Weltseele)." Es folgt dann eine ausführliche Geschichte des Panpsychismus. In: Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 2. Berlin 1904, S. 68-70. Online: http://www.zeno.org/nid/20001798324
- [12] In einem Zeitungsinterview im Jahr 2024 wird ein Philosoph auf die Beseeltheit von Bäumen angesprochen: "Sie sagen, dass auch Flüsse und Berge eine Seele haben. Diese Annahme stammt aus dem sogenannten Animismus indigener Kulturen. Aber Bewusstsein braucht doch zumindest ein Nervensystem, oder?" Der Philosoph Andreas Weber antwortet: "Bewusstsein kann gar nicht nachgewiesen werden. Wir wissen, dass wir es selbst haben – bei anderen nehmen wir es an, wenn wir mit ihnen kommunizieren können. Wir wissen heute, dass auch Pflanzen kommunizieren, ja sich sogar gegenseitig helfen. Aber Pflanzen haben kein Nervensystem. […] Die Idee, die ich beschreibe, heißt Panpsychismus." Und auf die Frage, ob ein Baum Bewusstsein haben kann antwortet Weber: "Auf jeden Fall! Seine Innenwahrnehmung ist natürlich ganz anders als unsere. Trotzdem gibt es Ähnlichkeiten: Auch er lebt im Wechsel von Werden und Vergehen und auch seine seelische Verfassung ist äußerlich sichtbar: der Lebensüberschwang des Frühjahrs, die Schwere des Absterbens im Herbst." In: Philosoph über die Seele von Pflanzen. TAZ online. 14. Januar 2024. Ein dazu passendes Buch von Andreas Weber ist: Alles fühlt. Mensch, Natur und die Revolution der Lebenswissenschaften. Berlin: Berlin-Verlag 2007; Neuerscheinung (mit einem Vorwort von Michael Succow): thinkOYA, Klein Jasedow, 2014.
- [13] Olaf Stapledon (1886 bis 1950): The Man who Became a Tree. In: An Olaf Stapledon. Syracuse University Press. 1997. ISBN: 0-8156-2724-6. Siehe auch William Olaf Stapledon ↗
- [14] "Animismus, die (bei Naturvölkern häufige) Neigung, die Natur durch Beseelung zu erklären" In: Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 1. Leipzig 1911., S. 69. Online: http://www.zeno.org/nid/20000906700
- [15] "A. wird auch die Weltanschauung mancher Naturvölker genannt, nach der alle Dinge und Naturerscheinungen für beseelt gelten, wobei also alles Wirken und Geschehen in der Natur von innewohnenden Elementargeistern abgeleitet wird. Vgl. Tylor, Die Anfänge der Kultur (deutsch, Leipz. 1873, 2 Bde.); Dorman, Origin of primitive superstitions (Philad. 1881); Borchert, Der A. (Freiburg 1900). Vgl. auch Leben." In: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1905, S. 534. Online: http://www.zeno.org/nid/20006232396
- [16] Gustav Theodor Fechner: Nanna oder über das Seelenleben der Pflanzen. 1848.
- [17] Das der angenommene Äther des Lichts gleichzeitig ein Träger psychischer Funktionen von Organismen im Weltraum sein könnte, erwähnt kurz der Physiker James Clerk Maxwell im Jahr 1878: "Whether this vast homogeneous expanse of isotropic matter [Maxwell bezieht sich hier auf den Äther des Lichts] is fitted not only to be a medium of physical interaction between distant bodies, and to fulfil other physical functions of which, perhaps, we have as yet no conception, but also, as the authors of the Unseen Universe seem to suggest, to constitute the material organism of beings exercising functions of life and mind as high or higher than ours are at present, is a question far transcending the limits of physical speculation." In: James Clerk Maxwell: "Ether", Encyclopædia Britannica Ninth Edition, 8: 568 - 572. 1878. Online: https://en.wikisource.org/wiki/Encyclopædia_Britannica,_Ninth_Edition/Ether_(2.)