Kosmopsychismus
Naturphilosophie
Definition
Als Kosmopsychismus bezeichnet man die seit der Antike formulierte Vorstellung, dass der Kosmos als Ganzes ein vernünftiger[1], beseelter[2] Organismus ist oder doch zumindest psychische Qualitäten hat[3], ohne dass dabei aber eine höhere Kognition oder ein steuerndes Ganzes dabei herauskommen müssen[4]. Im Deutschen findet man ähnliche Vorstellungen unter dem Begriff der Weltseele[5]. Der Kosmospsychismus wird oft abgegrenzt zum Pantheismus (die Welt ist Gott)[5] und zum Panpsychismus [mehrere Wesen]. Dazu stehen hier kurz einige Zitate.
Kosmopsychismus und Panpsychismus
Kosmopsychismus steht für die Idee, dass der Kosmos als Ganzes Bewusstsein hat[3][4], während der Panpsychismus davon ausgeht, dass grundstätzlich alles im Kosmos beseelt sein kann, Bewusstsein in verschiedenen Graden der Ausbildung haben kann[10]. Der wesentliche Unterschied ist, dass bei einem Kosmopsychismus davon ausgegangen wird, dass der Kosmos als Ganzes gesehen ein einziges Bewusstsein oder ein zusammenhängendes psychisches Erleben hat. Beim Panpsychismus kann es hingegen getrennte "Bewusstseinsinseln" geben. Siehe auch Panpsychismus ↗
Kosmopsychismus und Kosmotheismus
Wo die Psyche des Kosmos nicht irgendwie als empfindende Lebensform gedacht wird, sondern der Kosmos als Ganzes mit Gott gleichgesetzt wird und Gott auch ganz identisch mit dem Kosmos sein soll[11], dort spricht man von Kosmotheismus ↗
Der belebte Kosmos bei Chrysippos, Apollodor und Poseidonius
„Chrysippos und Apollodoros und Poseidonios sagen, dass die Welt ein Lebewesen ist und eine Seele besitzt. Alle Lebewesen haben nämlich Seelen, auch die Pflanzen. Der Gedanke der Stoiker aber ist: Das Lebewesen ist stärker als das Nicht-Lebewesen. Nichts aber ist stärker als die Welt. Ein Lebewesen (ist) also eine Welt. Die Seelen der Menschen aber kommen aus der Seele der Welt. Aber auch den Sternen, der Sonne und dem Mond sind Seelen (zu eigen).“[1]
Der belebte Kosmos bei Thales von Milet
"Thales der Philosoph, einer der sieben Weisen, spricht etwa wie folgt über die Welt: Der Kosmos hat Vernunft, wie auch die Menschen Vernunft haben. Die Vernunft des Kosmos aber ist Gott. Anaximandros aber sagt, daß es viele Kosmen gibt, im Unendlichen und auch im Himmel. Die Himmel aber hielt Anaximandros für Gott."[2]
Wie aktuell ist der Kosmopsychismus?
Recht aktuell: Probleme mit dem Begriff der Materie (dem Physikalismus), die Idee einer einzigen quantenphysikalischen Wellenfunktion für das gesamte Universum und andere Kernthemen der Philosophie rund um das Geist-Materie-Problem lassen vor allem Physiker seit den 2010er Jahren[6] erneut Varianten eines Kosmopsychismus entwickeln. 2020 listete eine Veröffentlichung eine Reihe zahlenmäßig fassbarer Analogien zwischen neuronalen und kosmischen Strukturen auf.[13] Vorsicht ist aber geboten. Alleine die großen Distanzen bei einer gleichzeitigen Beschränkung der Kommunikationsgeschwindigkeit durch die Lichtgeschwindikeit sind eine mögliche Barriere gegen Denkprozesse im kosmischen Maßstab.[14]
Fußnoten
- [1] Vom Wesen der Welt. In: Kantharos (Griechisch Lehrbuch). ISBN: 3-12-670100-0. Lektion 1. [eigene Übersetzung]
- [2] Die Welt - ein Organismus. In: Kantharos (Griechisch Lehrbuch). ISBN: 3-12-670100-0. Lektion 2. Übersetzt von Christoph Zamaitat. Griechisches Original: Diogenes Laertios / Plutarch VII 142, f; Plutarch, Moralia 1053 a.
- [3] Zur Definition von Kosmopsychismus: "Cosmopsychism is the thesis that the cosmos as a whole displays psychological properties, cosmopsychological properties as we might call them, and that the mental states of human beings, and indeed human beings themselves as individual subjects of experience, are metaphysically grounded in the cosmopsychological properties of the cosmos." In: Jonardon Ganeri, Itay Shani, What Is Cosmopsychism?, The Monist, Volume 105, Issue 1, January 2022, Pages 1–5, https://doi.org/10.1093/monist/onab019
- [4] Zur Definition von Kosmopsychismus "The minimal commitment of cosmopsychism is that the universe is conscious; in principle this is compatible with holding that the universe is a derivative entity, grounded in facts about is parts. Cosmopsychism is not to be confused with pantheism: the view that the universe is God. Just as the micropsychist holds that electrons have experience but not thought, so the cosmopsychist holds that the universe has some kind of experience, but may refrain from attributing thought or agency to the universe. It could be that the consciousness of the universe is a gigantic mess that doesn’t add up to anything coherent enough to ground cognition.” In: 2.4 Micropsychism Versus Cosmopsychism. Panpsychism. First published Wed May 23, 2001. In: Stanford Encyclopedia of Philosophy. Online: https://plato.stanford.edu/entries/panpsychism/
- [5] Definition von Weltseele: "Weltseele ist die, von verschiedenen Philosophen angenommene, Seele der Welt, d.h. das einheitliche Lebens- und geistige Princip, das in allen Dingen wirksam ist und von dem die Einzelseelen Teile oder Ausflüsse sind." In: Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 2. Berlin 1904, S. 721-723. Online: http://www.zeno.org/nid/20001810138
- [6] Itay Shani: Cosmopsychism: a holistic approach to the metaphysics of experience. Philos. Pap. 44, 2015. 389–437. doi: 10.1080/05568641.2015.1106709
- [7] Khai Wager: Panpsychism and Cosmopsychism. Dissertation am: Department of Philosophy. University of Birmingham. April 2020. Dort heißt es im Abstract: "A simple version of cosmopsychism says that the cosmos as a whole is conscious". Panpsychismus wird definiert als "Panpsychism: The view that all physical ultimates instantiate phenomenal (or proto-phenomenal) properties."
- [8] Joachim Keppler, Itay Shani: Cosmopsychism and Consciousness Research: A Fresh View on the Causal Mechanisms Underlying Phenomenal States. In: Front. Psychol., 05 March 2020. Sec. Consciousness Research. Volume 11 - 2020. https://doi.org/10.3389/fpsyg.2020.00371
- [9] Y. Nagasawa, K. Wager, K: Panpsychism and priority cosmopsychism. In: Panpsychism: Contemporary Perspectives, eds G. Brüntrup, and L. Jaskolla (New York, NY: Oxford University Press), 2017. 113–129. doi: 10.1093/acprof:oso/9780199359943.003.0005
- [10] Zur Definition von Panpsychismus: "Panpsychismus […] Allbeseelungs-Lehre, die Ansicht, nach welcher alles, das All beseelt, lebendig, seelisch ist, entweder actuell oder doch potentiell. Der Panpsychismus betrachtet die Grenze zwischen Lebendem und »Totem«, Organischem und Anorganischem als eine fließende, nicht als absolut. Er kennt nur Grade der Beseeltheit, nichts absolut Apsychisches, wenn auch nicht alles ein Bewußtsein im Sinne klarer Apperception (s. d.) und Selbstbewußtsein hat." In: Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 2. Berlin 1904, S. 68-70. Online: http://www.zeno.org/nid/20001798324
- [11] Abgrenzung zu Kosmotheismus: "Pantheïsmus (griech., von pan, das All, und theos, Gott) heißt im weitern Sinn im Gegensatz zu der dualistischen (theologischen) Weltansicht, die Gott und Weltall (Schöpfer und Schöpfung) als verschieden betrachtet, die monistische Weltansicht, die beide als eins ansieht. Im engern Sinne wird nur derjenige Monismus als P. bezeichnet, der Gott mit dem All, dagegen als Kosmotheismus derjenige, der das All mit Gott identifiziert. Nach ersterer Ansicht geht also Gott im Weltall auf, nach letzterer ist dies nur eine Erscheinungsform des göttlichen Seins, neben der es vielleicht noch andre gibt." In: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 15. Leipzig 1908, S. 366-367. Online: http://www.zeno.org/nid/20007209878
- [12] Definition von Kosmopsychismus: "The idea that the (inanimate) universe may be an indivisible whole has proven tempting to those seeking an alternative to bottom-up panpsychism, so to avoid the subject combination problem: they posit that ‘the cosmos as a whole is the only ontological ultimate there is, and that it is conscious’ […] With this, there is no longer any need to explicate how lower-level subjects combine to form higher-level subjects, for the highest-possible-level subject is already the starting point. This general outlook is called ‘cosmopsychism’ In: Bernardo Kastrup: The Universe in Consciousness. In: Journal of Consciousness Studies, Vol. 25, No. 5-6, pp. 125-155. 2018. Dort die Seite 134. Online: https://philpapers.org/archive/KASTUI.pdf
- [13] Problem der Dekombination: "Now the problem cosmopsychists face is the ‘decombination problem’ (also called the ‘decomposition problem’ in Chalmers, 2016a): how do seemingly separate lower-level subjects — which, from now on, I shall follow Shani (2015, p. 415) in referring to as ‘relative subjects’ — form within the conscious cosmos? To paraphrase Coleman (2014, p. 30), how do they acquire their private point of view, whose associated qualitative field other relative subjects have no direct — that is, experiential — access to? After all, I cannot read your thoughts and, presumably, neither can you mine." In: Bernardo Kastrup: The Universe in Consciousness. In: Journal of Consciousness Studies, Vol. 25, No. 5-6, pp. 125-155. 2018. Dort die Seite 134. Online: https://philpapers.org/archive/KASTUI.pdf
- [14] Verblüffende quantitative Ähnlichkeiten zwischen den Strukturen aus Neuronen in Gehirnen und den Strukturen aus Galaxien im Kosmos wurden aufgezeigt in: Vazza F and Feletti A (2020): The Quantitative Comparison Between the Neuronal Network and the Cosmic Web. Front. Phys. 8:525731.
- [14] Die Physikerin Sabine Hossenfelder (geboren 1976) greift eine zunächst nur oberflächliche Ähnlichkeit zwischen den Strukturen großer galaktischer Filamente und der aus Neuronen gebildeten Struktur in menschlichen Gehirnen auf. Ein gewichtiges Argument gegen eine auch funktionale Analogie beider Strukturen als Denkorgane sind die enormen Entfernungen im Kosmos. Wenn eine Galaxie oder ein "Galaxienhaufen" einem "stellaren Neuron" entspräche, so Hossenfelder, dann könnte sich das Universum in seinem bisherigen Leben höchstens tausend mal zwischen benachbarten Neuronen ausgetauscht haben. Ein menschliches Gehirn benötigt dafür nur etwa drei Minuten. In: Sabine Hossenfelder: Mehr als nur Atome. Was die Physik über das Leben verrät. Englisches Original: Existential Physics: A Scientist's Guide to Life's Biggest Questions. Viking, New York. Deutsche im Pantheon Verlag, 2024. ISBN: 978-3-570-53500-2. Dort das "Kapitel 8. Denkt das Universum", speziell die Seiten 217 bis 222. Hossenfelder erwähnt dann noch einige Möglichkeiten, wie die Schranke der Lichtgeschwindigkeit überwunden werden könnte, bleibt selbst aber eher skeptisch.