Technologische Singularität
Menschheits-Schicksal
Basiswissen
Als technologische Singularität bezeichnet man den Zeitpunkt oder das Ereignis wenn künstliche Intelligenz erstmals die menschliche Intelligenz überragt und Menschen das Geschehen weder nachvollziehen noch kontrollieren können[7]. Unklar ist, woran dieses Ereignis sicher erkannt werden soll. Manche Personen sehen die technologische Singularität bereits als geschehen an, andere verorten sie in den kommenden Jahrzehnten[28]. Einige gewichtige philosophische Aspekte sind hier kurz behandelt.
Die erste Erwähnung einer technologischen Singularität
Der Begriff wurde spätestens im Jahr 1958 zum ersten Mal in dem heute üblichen Sinn erwähnt. Der Mathematiker Stanisław Ulam schreibt in seinen Erinnerung über ein Gespräch mit dem Computer-Pionier John von Neumann folgende Worte: "Ein Gespräch drehte sich um die stete Beschleunigung des technischen Fortschritts und der Veränderungen im Lebenswandel, die den Anschein macht, auf eine entscheidende Singularität in der Geschichte der Menschheit hinauszulaufen, nach der die Lebensverhältnisse, so wie wir sie kennen, sich nicht fortsetzen könnten."[2].
KI als Katalysator der technologischen Singularität
1965 hat der Statistiker Irving John Good (1916 bis 2009) den Begriff explizit auf künstliche Intelligenz bezogen, womit die heutige Bedeutung von Singularität erfasst ist: "Eine ultraintelligente Maschine sei definiert als eine Maschine, die die intellektuellen Fähigkeiten jedes Menschen, und sei er noch so intelligent, bei weitem übertreffen kann. Da der Bau eben solcher Maschinen eine dieser intellektuellen Fähigkeiten ist, kann eine ultraintelligente Maschine noch bessere Maschinen bauen; zweifellos würde es dann zu einer explosionsartigen Entwicklung der Intelligenz kommen, und die menschliche Intelligenz würde weit dahinter zurückbleiben. Die erste ultraintelligente Maschine ist also die letzte Erfindung, die der Mensch zu machen hat."[3]
Das Militär als Katalysator der Singularität
Der Krieg ist der Vater aller Dinge[15]: Der polnische Schriftsteller Stanislaw Lem[5] sah im Militärwesen treibende Kräfte hin zu einer Singularität. Der Zwang in kriegerischen Auseinandersetzungen zu bestehen zwingt zur Verwendung bestmöglicher Waffensysteme. Diese können zunehmend nur noch mit Hilfe von KI erschaffen werden. Lem zeichnete bereits im Jahr 1980 das Bild hybrider Mensch-Maschinen-Systeme, in denen dem Menschen eine immer unbedeutendere Rolle zukommt. Doch während Planer im Jahr 2022 von einer gleichberechtigten, fast symbiotischen Miteinander von Mensch und Technik ausgingen (human-AI collaborative decision-making[13]), sagte Lem 1980 voraus, dass die Generäle irgendwann nur noch pro forma entscheiden und de facto stets den Vorchlägen der Computer folgen würden. Lem zufolge würden Menschen sich immer weiter zurückentwickeln und gerade dadurch das Gesamtsystem effizienter machen. Lem sah das Militär der Zukunft einem Insektenschwarm ähnlich, seine Effizienz beruhe auf degenerierten Einzelindividuen, die aber gerade deshalb im Schwarm zu erfolgreich seien. Lem bezeichnete diese scheinbar paradoxe Entwicklung als soziointegrative Degeneration ↗
Woran kann man die technologische Singularität erkennen?
Oder noch besser gefragt: könnte man sie überhaupt erkennen? Im Rückblick mag uns heute die Industrielle Revolution im frühen 19ten Jahrhundert wie ein gewalteriger Umbruch erscheinen. Tatsächlich lag das Gefühl eines Umbruchs wohl auch in der Luft. Goethe klagte um 1821: "Das überhandnehmende Maschinenwesen quält und ängstigt mich, es wälzt sich heran wie ein Gewitter[14]". Doch werden die meisten Menschen in Mitteleuropa über ihre Lebensspanne eher langsame Veränderungen als plötzliche Umbrüche beobachtet haben. Am Anfang von Goethes Leben, im 1749, fuhren reiche Menschen genauso mit der Kutsche wie in seinem Todesjahr 1832. Und obwohl zwischenzeitlich das Dampfschiff erfunden waren, reisten viele Menschen noch weit Richtung 1900 mit Segelschiffen über die Meere.
Und bemerkenswert ist auch, wie wenig die Menschen des frühen 19ten Jahrhunderts sich die heraufkommende Welt wirklich vorstellen konnten. Kühne Bilder der Zukunft gingen so weit, dass man sich transatlantische Reisen in einem Ballon vorstellte[16]. Und noch im Jahr galt Jules Vernes Roman "Reise um die Welt in 80 Tagen[17]" als phantastisch. Moderne Touristen könnten theoretisch die Welt in knapp zwei Tagen in einem Flugzeug umrunden.
Epochale Umbrüche werden von Historikern meist nur rückwirkend vergeben. Man spricht von Zeitenwenden, oft symbolisch verdichtet auf Sternstunden der Geschichte. Erst im "makroskopischen" Blick über die Jahrhunderte, erkennt man, was wirklich sich geändert hat.
Die Singularität erkennen: schleichende Vereinnahmung
In seinem Roman David Copperfield schildert der englische Schriftsteller Charles Dickes (1812 bis 1870) die durch und durch intrigante Figur des Uriah Heep. Heep arbeitet als Angestellter in der Rechtsanwalts-Kanzlei Wickfield. Schleichend übernimmt er von Wickfield immer mehr seiner Tätigkeiten, ermuntert ihn zum Alkoholismus. Letztendlich erpresst Heep seinen Chef Wickfield übernimmt die Kontrolle über die Kanzlei. Heeps bleibende Beliebtheit als fiktiver Charakter - eine Rock Band benannte sich nach ihm - beruht unter anderem auf seiner gespielten Unterwürfigkeit als Schmeichler.
Das Motiv des Uriah erinnert an Goethes (1749 bis 1832) Zauberlehrling. Auch in der Ballade Goethes wächst der ehemalige Helfer seinem Herrn schnell über den Kopf. Bei Goethe ist es ein Besen, der auf einen Zauberspruch hin beginnt, Wasser in ein Bad zu tragen. Doch hat der Lehrling, der den Besen den Befehlt dazu erteilte, den Spruch vergessen, dass der Besen auch wieder aufhöhre. So trägt der Besen immer mehr Wasser ins Haus, bis dieses droht unterzugehen. Gegen Ende der Ballade kommt dann das berühmte Wort Goethes: "Herr, die Not ist groß! Die ich rief, die Geister werd ich nun nicht los."
Uriah Heep und der Zauberbesen wurden beide von einem Helfer zu einer Plage. Sie wuchsen beide ihrem ehemaligen Gebieter über den Kopf. Und beide ließen sich nur schwer wieder in ihre Schranken verweisen.
Der Unternehmer und Visionär Elon Musk sieht die Künstliche Intelligenz in einer ähnlichen Rolle wie Dickens' Uriah Heep oder Goethes Zauberbesen. Im Jahr 2021 warnte warnt: The percentage of intelligence that is not human is increasing: der Anteil nicht-menschlicher Intelligenz wächst[1].
Musks lakonische Feststellung umgeht problematische Fragen der Art, ob Computer wirklich denken können oder wie man Intelligenz überhaupt messen könnte. Wenn wir Intelligenz dort sehen, wo Menschen für eine Tätigkeit oder Entscheidung Bewusstsein benötigen, dann kann man im Umkehrschluss defiieren: wenn Maschinen etwas tun, wofür Menschen Bewusstsein brauchen, dann können wir dort den Maschinen auch Intelligenz zugestehen. Und so wie sich die tragische Figur Wickfields den Schmeicheleien Heeps hingab, so geben sich auch immer mehr Menschen den komfortablen digitalen Helfern hin.
- Navigationssysteme führen Menschen sicher durch die Geographie.
- Apps schlagen Menschen vor, wann wir wo billig einkaufen sollten.
- Soziale Medien wählen aus, mit wem ein Mensch wann in Kontakt kommen sollten.
- KI entscheidet über Geldanlagen von Firmen und Privatpersonen.
- Chatbots verfassen erfolgreich Analysen von schwierigen Texten.
- KI erstellt medizinische Diagnosen zunehmend besser als Ärzte.
- KI übersetzt erfolgreich viele schwere Dokumente der EU[11].
- Militärische Einschätzungen werden von KI geleistet[13].
Manche Autoren[12][19] deuten dieses geschmeidige Einsickern von KI in alle unsere Lebensbereiche als Indiz dafür, dass wir bereits inmitten eines Prozesses der Singularität stecken. Der Philosoph Kazem Sadegh-Zadeh (geboren 1942) sieht den modernen Menschen gefangen in seinen Alltäglichkeiten. Die materielle Verkörperung der technologischen Singularität sieht er in einer weltumspannenden Globalmaschine. Er sieht eine Welt „wo die Tägigkeit des Menschen nur noch darin bestehen wird, die Globalmaschine zu bedienen ... er wird mittels ubiquitäter Sprechanlagen und transportabler Handys in das Internet nur noch sprechen, um seine Wünsche erfüllt zu bekommen.“ Und: „Er wird nur noch in den Fernseher starren ... um Produkte wie Big Brother zu genießen ... und er wird immer noch nicht wahrnehmen, wie weit er gekommen, zurückgeschritten, aufgestiegen oder gefallen ist. Denn er wird nicht verstehen, daß hier eine Frage besteht.[18]“
Wie Stanislaw Lem seine fiktiven militärischen Führer blind in dem Glauben untergehen sieht, sie träfen sie träfen eigene Entscheidugnen, derweil Computer sie wirklich trafen, so sieht auch Sadegh-Zadeh den modernen als blind gegenüber den großen Veränderungen, die über ihn hinweggehen, oder die er macht. Siehe mehr zu Sadegh-Zadehs Sicht im Artikel über seine Machina sapiens ↗
Die Singularität erkennen: quantitative Indikatoren
Empirische Sozialwissenschaftler versuchen, Konzepte einer qualitativen Veränderungen messbar zu machen. Das zwingt unter anderem zu gut definierten Worten. Als Methode spricht man hier von einer Operationalisierung. Autoren charakterisieren die Technologische Singularität oft qualitativ mit Konzepten wie "Explosion künstlicher Intelligenz" (explosion of growth in artificial intelligence), Maschinen die "schlauer" (smarter) als Menschen sind, oder einer "Verschmelzung von Menschen und KI" (humans become so integrated with AI), dass Menschen als solche nicht mehr zu erkennen sein würden (that we could no longer be called human in the traditional sense)[19].
Was genau meint nun zum Beispiel ein Begriff wie die Explosion von Künstlicher Intelligenz? Woran will man das objektiv festmachen? Kann man von einer Explosion sprechen, wenn der Jahresumsatz der KI-Branche um mehr als zum Beispiel 20 % steigt? Oder sollte man den Begriff einem explosionsartigen Wachstum von KI daran festmachen, irgendwie verbinden mit dem Anteil menschlicher Arbeit an der Wertschöpfung einer Volkswirtschaft? Zumindest bis 2023 scheint es seitens der quantitativen Sozialforschung keinen im Internet leicht auffindabaren Vorschlag zu einer Messung der technologischen Singularität zu geben[20].
In der Sprache der empirischen Sozialforschung kann man zunächst ein sogenanntes Skalenniveau festlegen. Anschaulich gesagt, gibt man mit dem Skalenniveau an, wie gut ein Phänomen zahlenmäßig fassbar ist. Die klassischen Zahlenniveaus sind:
- Man kann entscheiden, ob es eine technologische Singularität gibt oder nicht Nominalskala ↗
- Man kann eine Rangfolge verschiedener Ausmaße der technologische Singularität bilden Ordinalskala ↗
- Man kann sinnvoll zahlenmäßige Abstände definieren: im Jahr 2040 wird es 10 Einheiten mehr technologische Singularität geben als im Jahr 2020 Intervallskala ↗
- Man kann zusätzlich zum Abstand auch geomtrische Verhältnisse angeben: Im Jahr 2040 ist doppelt so viel technologische Singularität wie im Jahr 2020 Verhältnisskala ↗
Die Singularität erkennen: Nominalskala
- Die von Maschinen erzeugten Worte machen erstmals mehr als 90 Prozent aller von Menschen in sozialen Medien gelesenen Worte aus.
- Die zwischen Menschen ausgetauschten Worte wurden erstmals zu mehr als 99 % von Maschinen nicht nur weitergegeben, sondern auch in irgendeiner Weise bearbeitet (übersetzt, transkribiert, kontrolliert, verbessert).
- Die von Menschen in Lohn- oder Auftragsarbeit verrichtete Wertschöpfung macht erstmals weniger als 5 % des gesamten Bruttonationaleinkommen aus. Umgekehrt: die von Maschinen produzierten Werte machen erstmals mehr als 95 % aller produzierten Werte aus.[21]
- Die Überlebensfähigkeit von mehr als 95 % der Menschen ist bereits 30 Minuten nach einem Ausfall des Internets nicht mehr sichergestellt. Siehe auch Homo integratus ↗
- Es gibt Wirtschaftsräume, die gegenüber dem Basisjahr 2020 die inflationsbereinigte Summe aus privaten und öffentlichen Bildungsausgaben um mehr als 90 % ohne messbaren Schaden für die Wirtschaft kürzen konnten. Siehe auch soziointegrative Degeneration ↗
- Der Anteil der geographischen Oberfläche eines Wirtschaftsraumes, der nicht mehr direkt der Befriedigung menschlicher Bedürnisse dient (Häuser, Land- oder Fortswirtschaft, Erholungsräume, Verkehrsinfrastruktur für Menschen), beträgt erstmals weniger als 5 % der Gesamtfläche. Siehe auch Globalmaschine ↗
Die Singularität erkennen: Ordinalskala
Man könne die unter der Nominalskala beispielhaft vorgeschlagenen Indikatoren verwenden und sie im Sinne von mehr oder weniger definieren. Wenn man zum Beispiel feststellen kann, dass der Anteil der von Maschinen erzeugten Worte in sozialen Medien am Anteil aller dort gelesenen Worte steigt, dann könnte man folgern, dass der Grad der technologischen Singularität zunimmt. Siehe auch Ordinalskala ↗
Die Singularität erkennen: Intervallskala
Bei einer Intervallskala müsste man für jeden Indikator einen Zahlenwert angegeben. Dieser Zahlenwert müsste sich sinnvoll als ein zahlenmäßiges Mehr oder Weniger deuten lassen. Das Bruttonationaleinkommen ist so definiert, dass es recht gut wirklich produzierte Güter abbildet. Den Anteil der von Menschen durch eigenes Tun erzeugten Werte am Bruttonationakeinkommen könnte man dann als Humananteil am Bruttonationaleinkommen bezeichnen. Komplementär dazu könnte man auch von einem Maschinenanteil am Bruttonationaleinkommen sprechen. Diesen Maschinenanteil könnte man dann als Proxyvariable für den Grad der Erreichung der technologischen Singularität verwenden. Bei 10 % mehr Maschinenanteil hätte man auch 10 % mehr technologische Singularität erreicht[24]. Analog könnte man mit weiteren Indikatoren verfahren. Siehe auch Proxy-Variable ↗
Die Singularität erkennen: Verhältnisskala
Immer dann wenn man den Indikator zahlenmäßig messen kann und auch gilt dass der doppelte Zahlenwert sinvoll für das Doppelte seines Merkmals steht, hat man eine Verhältnisskala. Das soll am Beispiel der Oberflächenverwendung veranschaulicht werden. Man kann zum Beispiel eine Liste von Arten von Flächennutzungen definieren, die direkt notwendig für den Lebenserhalt von Menschen bei der gegebenen Anzahl von Menschen auf der Erde sind: man kann nicht auf ein Mindestmaß an Wohnflächen, Landwirtschaftsfläche und Industrieflächen zur Aufrechterhaltung der Lebensmittelversorgung verzichten. Man könnte diese Flächen der Art und der Größe nach als Lebenserhaltungsflächen bezeichnen. Umgekehrt könnte man die komplementären Flächen, die nicht notwendig für das Überleben aller jetzt lebenden Menschen sind, als Entbehrlichkeitsflächen bezeichnen. Sind diese Entbehrlichkeitsflächen wirtschaftlich genutzt, etwa als Solarparks, Rechenzentren oder Infrastruktur, so könnte man sie als produktive Entbehrlichkeitsflächen bezeichnen. Treten die produktiven Entbehrlichkeitsflächen dauerhaft erfolgreich in einen wirtschaftlichen Verdrängungswettbewerb mit den Lebenserhaltungsflächen[22], so werden auf der Erde zunehmend weniger Menschen lebensfähig sein. Der Anteil von produktiven Entbehrlichkeitsflächen zu den insgesamt nutzbaren Flächen könnte man in Anlehnung an Kazem Sadegh-Zadehs Konzept der Globalmaschine kurz als Globalmaschinen-Wert oder als Sadedh-Zadeh-Zahl bezeichnen. Eine solche Zahl könnte wiederum als Proxy-Variable für die technologische Singularität verwendet werden. Sie gibt an, wie gut der Mensch seine essentiellen biologischen Lebensbedürfnisse gegen das Vordringen von Maschinen verteidigen kann. Steigt der Anteil an produktive Entbehrlichkeitsflächen an allen vom Menschen nutzbaren Flächen von 20 % auf 40 %, so könnte man sinnvoll sagen, dass der Grad der technologischen Singularität sich verdoppelt habe. Siehe auch Flächenverbrauch ↗
Ein soziotechnisches Überwesen als Ergebnis einer Singularität?
Für eine Übergangszeit oder auch dauerhaft für die Zeit nach der Singularität werden verschiedene Szenarien einer engen Verflechtung von menschlichen und technischen Komponenten beschrieben. Der Mensch könnte körperlich mit Hardware verbunden werden (enhancement) oder in seiner jetzigen organischen Form lediglich eine enge funktionale Verbindung mit Computerintelligenzen eingehen (Symbiose). Daraus - so manche Autoren - entstünde dann eine zusammenhängende Intelligenz in Form eines Meta- oder Superorganismus. Lies mehr dazu unter Technosoziobiont ↗
Das Phänomen des Kontrollverlust: auch schon vorindustriell
Als Kennzeichnen einer technologischen Singularität wird oft der Übergang der Kontrolle oder der Nachvollziehbareit der menschlich wichtigen Angelegenheiten auf eine maschinenbasierte Form von kollektiver Intelligenz genannt. Wo das Spezifische hier der Kontrollverlust oder der Verlust der Nachvollziehbarkeit sein soll, ist das Phänomen aber keineswegs an Maschinen oder künstliche Intelligenz gebunden. Auch in quasi maschinenfreien menschlichen Gesellschaften schwindet ab einer gewissen Größe der Einfluss und der Durchblick individueller Personen soweit, dass sie sich einfluss- und orientierungslos fühlen können. Ein Textstück aus dem Jahr 1917 beschreibt, wie der Einzelne niemals die Regungen des sozialen Organismus als Ganzes wird erfassen önne: "The processes of civilizational activity are almost unknown to us. The self-sufficient factors that govern their working are unresolved. The forces and principles of mechanistic science can indeed analyze our civilization; but in so doing they destroy its essence, and leave us without understanding of the very thing which we seek. The historian as yet can do little but picture. He traces and he connects what seems far removed; he balances; he intergrates; but he does nor really explain, nor does he transmute phenomena into something else. His method is not science; but neither can the scientist deal with historical material and leave it civilization, nor anything resembling civilization, nor convert it wholly into concepts of life and leave nothing else to be be done. What we all are able to do is to realize this gap, to be impressed by its abyss with reverence and humility, and to go our paths on its respective sides without self-deluding attempts to bridge the eternal chasm, or empty boasts that its span is achieved."[6]
Zitate zur technologischen Singularität
- Elon Musk: "The percentage of intelligence that is not human is increasing"[1]
- Ray Kurzweil: "Wenn wir die gesamte Materie und Energie des Weltalls mit unserer Intelligenz gesättigt haben, wird das Universum erwachen, bewußt werden – und über phantastische Intelligenz verfügen. Das kommt, denke ich, Gott schon ziemlich nahe."[4]
- Stanislaw Lem: "Jede politische Partei hatte Experten als Berater. Wie man weiß, machten die Berater der verschiedenen Parteien über dieselben Fragen ganz unterschiedliche Aussagen. Mit der Zeit nahmen sie Computersysteme zu Hilfe, und zu spät erkannte man, daß die Menschen zu Sprachrohren ihrer Computer wurden. Sie meinten, sie selbst seien es, die die Dinge überdenken und Schlüsse ziehen [...] Doch tatsächlich opierierten sie mit einem vom Rechenzentrum vorfabrizierten Material, und dieses Material bestimmte die menschliche Entscheidungen."[5, Seite 74]
Fußnoten
- [1] Elon Musk.Videobotschaft auf der Internet-Plattform Youtube: I tried to warn you. 2021. In einer Zusammenstellung verschiedener Aussagen finden sich untre anderem: "We are the biological boot-loader of AI", "The percentage of intelligence that is not human is increasing. And eventually we will represent a very small percentage of intelligence." Online: https://www.youtube.com/watch?v=9jkRcrM6XKA&ab_channel=ElonMuskFanZone
- [2] Stanisław Ulam: Tribute to John von Neumann. In: Bulletin of the American Mathematical Society. 64, Nr. 3, Teil 2, Mai 1958, Seite 5.
- [3] Zitiert nach dem Wikipedia-Artikel "Technologische Singularität", abgerufen am 18. Dezember 2021. Dort ohne Quellenangabe.
- [4] Ray Kurzweil: Menschheit 2.0. Die Singularität naht. Berlin 2013, ISBN 978-3-944203-04-1, Seite 385.
- [5] Stanislaw Lem: Waffensysteme der Zukunft. Suhrkamp Verlag. Originaltitel: Weapon Systems of the 21st Century or The Upside Down Evolution. Suhrkamp Taschenbuch 998. Erste Auflage 1983. Seite 68.
- [6] A. L. Kroeber: The Superorganic. In: American Anthropologist, Vol. 19, No. 2 (April - June, 1917), pp. 163-213. Seite 182.
- [7] Vernor Vinge: Technological Singularity. Department of Mathematical Sciences. San Diego State University. 1993. Online Technological Singularity ↗
- [8] Heylighen, F. Return to Eden? Promises and Perils on the Road to Global Superintelligence. In The End of the Beginning: Life, Society and Economy on the Brink of the Singularity; Goertzel, B., Goertzel, T., Eds.; Humanity+ Press: Leeds, UK, 2015; ISBN 0692457666.
- [9] Cadell Last: Global Brain Singularity. Universal History, Future Evolution and Humanity’s Dialectical Horizon. Springer. 2020. ISBN: 978-3-030-46966-5.
- [10] Antonio Paolillo et al. ,How to compete with robots by assessing job automation risks and resilient alternatives.Sci. Robot.7,eabg5561(2022).DOI:10.1126/scirobotics.abg5561
- [11] Jakob Mayr: Mensch vs. Künstliche Intelligenz in der EU. Wie die KI die Arbeit der Übersetzer ändert. Tagesschau. 15. August 2023. Kernaussage: Menschen werden im Übersetzungsdienst der EU zunehmend überflüssig. Die Personalzahlen gehen deutlich zurück. Online: https://www.tagesschau.de/ausland/europa/eu-uebersetzer-ki-100.html
- [12] Gillings, Michael R;Hilbert, Martin;Kemp, Darrell J: Information in the Biosphere: Biological and Digital Worlds. In: Trends in Ecology and Evolution. Volume 31, Issue 3, Pages 180-189, March 2016. DOI: 10.1016/j.tree.2015.12.013. Die Autoren gehen in ihren Schlussbemerkungen (concluding remarks) von der Entstehung eines globalen Superorganismus, eines Digitalen Organismus, aus: "We argue that we are already in the midst of a major evolutionary transition that merges technology, biology, and society". Online: https://escholarship.org/uc/item/38f4b791
- [13] Sue E. Kase1, Chou P. Hung1, Tomer Krayzman, James Z. Hare, B. Christopher Rinderspacher, Simon M. Su: The Future of Collaborative Human-Artificial Intelligence Decision-Making for Mission Planning. In: Front. Psychol., 04 April 2022. Sec. Cognitive Science. Volume 13 - 2022. Beispielhafte Stichworte sind: warfighter-machine interfaces, AI-directed decisional guidance, computationally informed decision-making, realistic representations of decision spaces, human-AI collaborative decision-making. Online: https://doi.org/10.3389/fpsyg.2022.850628
- [14] Johann Wolfgang von Goethe: Wilhelm Meisters Wanderjahre oder die Entsagenden. Erste Veröffentlichung im Jahr 1821. Siehe auch Das überhandnehmende Maschinenwesen ↗
- [15] Das Zitat wird dem antiken griechischen Denker Heraklit (520 bis 460 v. Chr) zugeschrieben. Dabei gibt es zwei Varianten: Der Krieg ist der Vater alles Dinge. Und: Krieg ist Vater von allen. Der Genitiv Plural πάντων pántōn („aller“) wird in der Fachliteratur von manchen Interpreten als Neutrum aufgefasst („aller [Dinge]“), von anderen als Maskulinum mit Bezug auf die anschließend genannten Personen (Götter und Menschen, Sklaven und Freie). Von den Herausgebern, Übersetzern und Kommentatoren bevorzugen die zweitgenannte Deutung Hermann Diels und Walther Kranz: Die Fragmente der Vorsokratiker, Band 1, Hildesheim 2004, S. 208.
- [16] Edgar Allan Poe: Mellonta Tauta. In: Godey’s Lady’s Book in February 1849. In dieser kurzen und dystopischen Geschichte lässt Poe im Jahr 2848 Menschen in einem schnellen Ballon über die Kontinente reisen.
- [17] Jules Verne: In 80 Tagen um die Welt. Französischer Originaltitel: Le Tour du monde en quatre-vingts jours. Verlegt von Pierre-Jules Hetzel. Paris. 1873.
- [18] Kazem Sadegh-Zadeh: Als der Mensch das Denken verlernte. Die Entstehung der Machina sapiens. Tecklenburg. Burgverlag. 2000. Siehe auch Machina sapiens ↗
- [19] Eine Suche mit der Suchmaschine Google am 4. September 2023 ergab für eine Suche nach "Technological singularity quantitative indicactors" oder "empirical sociology technological singularity" keinen einzigen Treffer, der alle Suchbegriffe enthielt.
- [20] M. O’Lemmon: The Technological Singularity as the Emergence of a Collective Consciousness: An Anthropological Perspective. Bulletin of Science, Technology & Society. 2020. 40(1–2), 15–27. Online: https://doi.org/10.1177/0270467620981000
- [21] Patrick Aichroth et al.: Wertschöpfung durch Software in Deutschland. Aktueller Zustand, Perspektiven, Handlungsempfehlungen. Herausgegeben vom Fraunhofer-Verbund IUK-Technologie. Mai 2021.
- [22] Luise Glaser-Lotz: Protest gegen Rechenzentrum: Stadt will mit Mediation Umweltaktivisten beruhigen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ). 7. Janur 2023. In der hessischen Gemeinde soll fruchtbarer Ackerboden einem Rechenzentrum Platz machen.
- [23] Hans Moravec: Die Evolution postbiologischen Lebens. Szenarien der Entwicklung von intelligenten Robotern und Agenten. In: Telepolis. Online präsentiert von Heise Online. 27. März 1996. Übersetzt von Florian Rötzer. In dem Essay beschreibt Moravec vier Entwicklungsstufen von Robotern: a) Erste Generation, 1000 MIPS, 1993 Supercomputer - Kapazität eines Reptils, Wahrnehmung, Manipulation und Mobilität für allgemeine Zwecke. b) Zweite Generation, 2010-2020, Rechenkapazität 30.000 MIPS, Kapazität eines Säugetiers, konditioniertes Lernen. c) 2020-2030, Rechenkapazität 1.000.000 MIPS, Kapazität eines Primaten, Weltmodellierung. d) 2030-2040, rechenkapazität 30.000.000 MIPS, Kapazität eines Menschen, Denken.
- [24] Im Jahr 2022 lag die Bruttowertschöpfung der Wirtschaft in Deutschland bei rund 3,5 Billionen Euro. In einer Studie aufgrund einer repräsentativen Befragung von 068 Unternehmen und 1012 Personen in Deutschland hieß es: "In Summe ergibt sich ein möglicher zusätzlicher Beitrag zur Wertschöpfung von 330 Milliarden Euro durch generative KI" Damit liegt der Anteil der Wertschöpfung von Chatbot-ähnlichen KI-Agenten (generative KI) in der Größenordnung von 10 %. Die Studie wurde von Google in Auftrag gegeben, von der IW Consult (Institut der deutschen Wirtschaft Köln Consult GmbH) durchgeführt und im Jahr 2023 vorgestellt.
- [25] Die mögliche technologischen Singularität ist Teil einer übergeordneten, kosmischen Geschichte, der "Big History": "Many major transitions are currently underway in demography, energy use, environment, economic convergence, and global interdependence. With so much rapid change, often timescales for decisions are limited to about five years in the future. It is somewhat paradoxical then that this current rapid change is guiding us to look at very long time-scales." Und: "To place the accelerating trend of complexity in the context of Big History, we need to distinguish the two forms (arms) of megaevolution so far in the Universe. The first arm of megaevolution is the decelerating development of physical matter and energy into galaxies, stars, and planets from the initial Big Bang. The second arm of megaevolution is the accelerating rate of complexity evolution in the form of life, humans, and civilizations." Die Evolution hin zu Komplexität erfolgt jedoch in Sprüngen: "A complex system cannot arise ‘from scratch’; such a system is always the result of combinations of systems of the previous level of evolution." Doch die angedeutete Metasystem-Transition kündigt sich eher durch eine Verlangsamung als eine Beschleunigung der weiteren Ereignisse an: "the end of the second evolutionary arm is the final singular point at which the speed of evolution should formally turn into infinity that is why the point of singularity is unattainable." In: Alexander Panov, Alexander, David LePoire, Andrey Korotayev, Leonid Grinin. Evolution and Singularity. In: Social Studies. Abgerufen am 29. Februar 2024. Eurasian Center for Big History & System Forecasting. Russian Academy of Sciences. Online: https://www.sociostudies.org/almanac/articles/introduction-_evolution_and_singularity/
- [26] Kollektives Bewusstein nach einer technologischen Singularität: "The technological singularity is popularly envisioned as a point in time when (a) an explosion of growth in artificial intelligence (AI) leads to machines becoming smarter than humans in every capacity, even gaining consciousness in the process; or (b) humans become so integrated with AI that we could no longer be called human in the traditional sense. […] technological singularity does not represent a point in time but a process in the ongoing construction of a collective consciousness." Seit über 10 Tausend Jahren entsteht in einem langsamen Prozess, einer "soft singularity" ein gemeinsames kollektives Bewusstsein von Maschinen und Menschen. In: O’Lemmon, M. (2020). The Technological Singularity as the Emergence of a Collective Consciousness: An Anthropological Perspective. Bulletin of Science, Technology & Society, 40(1-2), 15-27. https://doi.org/10.1177/0270467620981000
- [27] Eine ultraintelligente Maschine löst die technologische Singularität aus: "Let an ultraintelligent machine be defined as a machine that can far surpass all the intellectual activities of any man however clever. Since the design of machines is one of these intellectural activities, an ultraintelligent machine could design even better machines; there would then unquestionably be an 'intelligence explosion,' and the intelligence of man would be left far behind. Thus the first ultratintelligent machine is the last invention that man need ever make […]" In: Irving John Good: Speculations Concerning the First Ultraintelligent Machine. Trinity College. Oxford. 1965. Basierend auf Vorträgen der "Conference on the Conceptual Aspects of Biocommunications" des Neuropsychiatric Institute, University of California, Los Angeles, Oktober 1962 und der "Artificial Intelligence Session" des "Winter General Meetings" der IEEE vom Januar 1963. Siehe auch künstliche Superintelligenz">ultraintelligente Maschine ↗
- [28] Ray Kurzweil: Die Nächste Stufe der Evolution. Wenn Mensch und Maschine Eins Werden. Englische Erstausgabe 2024 unter dem Titel: The Singularity is Nearer. Deutsch im Piper Verlag, 2024. ISBN: 978-3-492-07306-6.