Causa finalis
Naturphilosophie
Basiswissen
Causa finalis ist der lateinische Begriff für eine sogenannte Finalursache (auch Zielursache, Zweckursache oder Endursache) im Sinne des griechischen Philosophen Aristoteles: wenn ein Deutscher die indische Sprache Tegulu lernt, um damit besser die indische Kultur verstehen zu können, dann war der Wunsch nach Kulturverständnis die causa finalis des Sprachenlernens. Das ist hier näher mit Bezug auf die Naturwissenschaften vorgestelt.
Die causa finalis bei Aristoteles
Der antike griechische Denker Aristoteles (384 bis 322 v. Chr.) lebte zur Zeit von Alexander dem Großen. Er gilt heute als der Begründer der abendländischen, das heißt der westeuropäischen Philosophie[3]. Aristoteles formulierte Regel des Denkens, eine Logik, über deren Anwendung man zu sicherem Wissen gelangen könne. Eine typische Denkweise ist die vom Denken mit Ursachen. Aristoteles zufolge war die causa finalis eine von insgesamt vier Urachen:
Die causa finalis als Antrieb für Handlungen
Für Aristoteles war ein absichtsvoll angetrebtes Ziel, eine causa finalis zwingend notwendig für ein sinnvolles Handeln von Menschen. Aritstoteles ging davon aus, dass „alles sinnvolle Tun zielgerichtet“ ist[2]. Auch in den modernen Wissenschaften ist die Idee des Tuns ganz im Sinne von Aristoteles eng mit der Idee von Zielen und Zwecken verbunden. In der Philosophie, Psychologie und Soziologie bezeichnet man ein absichtsvolles Tun heute oft als Handlung ↗
===== Drei Arten einer causa finalis
Man kann sich mindestens drei Mechanismen einer causa finalis, einer Zielursache vorstellen, einer Ursache, die den Gang der Welt auf ein zukünftiges Ziel ausrichtet:
- 1) Als sogenannte Entelechie nimmt Aristoteles eine Kraft in der Materie oder Form einer Sache an, die auf die Verwirklichung eines inneren Wesens drängt[7]. So gesehen würde die causa finalis aus der angelegten Vergangenheit in die Zukunft wirken. Siehe auch Entelechie ↗
- 2) Eine causa finalis ist auch im menschlichen Willen denkbar. Hat der Mensch ein Ziel gefasst, so richtet er seine Handlung daran aus. Fraglich ist hier, ob der menschliche Wille nur Produkt seiner Herkunft ist oder ob er frei entsteht und Zukunft damit neu anlegen und gestalten kann. Siehe dazu auch Freier Wille ↗
- 3) Denkbar ist auch, dass eine wirkende Kraft aus der Zukunft rückwärts oder von außerhalb der Ablaufes der Zeit in die Welt wirkt und diese dort auf ein Ziel hin ausrichtet. Dieser Gedanke ist physikalisch möglich als sogenanntes Blockuniversum ↗
Die causa finalis der Religionen als Sinn des Lebens
Menschen werden auf der Erde geboren, sodass sie sich dort für ein Leben nach dem Tod bewähren können. Oder: Kometen und der Lauf der Gestirne sind Zeichen des Himmels, die uns Hinweise zur guten Gestaltung unseres Lebens geben. Die Idee, dass die Welt für einen Endzweck eingerichtet ist, zumindest aber die Geschehnisse, auch der scheinbar unbelebten Welt, oft absichtsvoll sind, scheint eine unbewusste Haltung vieler Menschen zu sein. Wo Religionen oder Philosophien eine causa finalis für das individuelle Leben oder die Welt als Ganzes anbieten, zielen sie damit oft ab auf den Sinn des Lebens ↗
Die causa finalis in der Physik: Objektivismus
Die Physik klammert Fragen nach einem Wozu des Naturgeschehens, nach einer causa finalis als Zielursache bewusst aus[1]: der Mond läuft nicht deshalb in etwa 28 Tagen einmal um die Erde, sodass die Menschen sich an ihm erfreuen können oder ein gutes Maß für ihre Zeiteinteilung haben, sondern weil die physikalischen Gesetze der Gravitation und Bewegung es so bestimmen. Dass dieses Ausblenden menschlicher Empfindungen in der Physik eine Selbsttäuschung ist, das betonte unter anderem der Physike Max Planck[4]. Man darf nämlich zwei Dinge nicht verwechseln: a) die bewusste und methodisch sinnvolle Vernachlässigung von jeder Frage nach Sinn und Zweck in der Physik und b) die möglicherweise irreführende Annahme, dass es keinen Sinn und keinen Zweck, keine causa finalis, im Weltablauf gibt. Würde man etwa beim Studium der Bewegung der Planeten ständig nach dem Sinn fragen, hätte dies Schaffenskraft abgezogen von der zunächst reinen Beschreibung und Analyse der Bewegungen der Planeten. Wenn man zu viel will, erreicht man am Ende vielleicht gar nichts. Indem sich Physiker auf das Messbare, das in Mathematik fassbare beschränken, geben sie sich die Chance, dort Fortschritte zu erzielen. Wenn man aber mit dieser Methode dann viele Naturabläufe gut beschreiben kann, dann wäre es dennoch logisch falsch, zwingend daraus zu schließen, dass es in der physikalischen Realtitä keine causa finalis, keinen Sinn und Zweck gibt. Mehr zur methodischen Ausschaltung der causa finalis, und überhaupt von allem Subjektiven in der Physik steht im Artikel zum Objektivismus ↗
Die causa finalis in der Geschichte: der Weltprozess
Vor allem im 19ten Jahrhundert wurde unter Historikern und Philosophen die Idee stark, dass der Ablauf der menschichen Geschichte einem Ziel zustrebe[5]. Karl Marx (1818 bis 1883) zum Beispiel ging davon aus, dass mit "geschichtlicher Notwendigkeit" auf den Kapitalismus der Sozialismus folge[6]. Hier tritt die interessante Frage auf, ob sozusagen aus der Zukunft rückwärts eine gestalte Kraft die Menschen zu beeinflusst, dass ihre Geschichte dem angestrebten Ziel zuläuft. Das wäre eine causa finalis im engeren Sinn. Oder könnte es auch sein, dass die Menschen stets immer nur unter aktuellen Notwendigkeiten handeln, gemäß dem Prinzip von Ursache und Wirkung. Dann wäre der Endzweck der Welt sozusagen schon in ihrer Erschaffung mit angelegt gewesen. So dachte wohl eher der Materialist Marx. Im ersten Fall gäbe es sozusagen Ursachen aus der Zukunft, die die Welt in ihre Richtung ziehen, im zweiten Fall würde die Welt auf das selbe Ende zustreben, aber eher aus einer Art materieller oder geistiger Trägheit oder Gesetzmäßigkeit. Beide Varianten fasst man im 19ten Jahrhundert zusammen unter dem Begriff Weltprozess ↗
Fußnoten
- [1] Der Physiker und Nobelpreisträger Richard Feynman (1918 bis 1988) betonte, dass das Denken von Zielurschen inden Naturwissenschaften keinen Platz haben sollte. Er erläuterte zunächst, wie die mittelamerikanische Zivilisation der Maya astronomische Ereignisse wie den genauen Zeitpunkt des Auf- oder Untergangs des Planeten Venus oder auch das Auftreten von Sonnenfinsternissen sehr gut über lange Zeiträume vorhersagen konnen. Die Maya wandten dazu "raffinierte Rechenregeln" und kamen zu Erkenntissen wie der, dass "fünf Venuszyklen ungefähr 2920 Tagen oder acht Jahren entsprechen". Nun, so Feynman, hätten die Maya auch fragen können, warum das so sei. Eine mögliche Antwort sei vielleicht, weil die 20 in ihrem Zahlensystem eine so wichtige Rolle spiele. Aber eine solche "Theorie" hätte "im Grund nichts mit der Venus" zu tun. "Seit der Neuzeit", so Feynman weiter, wisse man, "wie unnütz Theorien dieser Art sind". Für seine Erklärungen zur Physik zieht Feynman daraus folgerichtig den Schluss: "Deshalb werden wir uns, ich wiederhole es, nicht mit der Frage beschäftigen, warum sich die Natur so verhält, wie sie es tut. Es gibt keine brauchbaren Theorien, die das Warum erklären könnten." In: QED: Die seltsame Theorie des Lichts und der Materie. Piper Verlag. 1. Auflage 1992. ISBN: 3-492-21562-9. Siehe auch QED (Feynman) ↗
- [2] Handlung. In: Metzeler Philosophie Lexikon. Herausgegeben von Peter Prechtl und Franz-Peter Burkard. 2. überarbeitete Auflage. Stuttgart, Weimar, 1999. ISBN: 3-476-01679-X. Dort die Seite 225. Siehe auch Handlung ↗
- [4] Dass beim Ausschalten des Subjekts etwas Übersehen werden könnte, deutete der Nobelpreisträger Max Planck an. Über das Ausschalten aller subjektiven Empfindungen in der Forschung schrieb er: "Bedenkt man […] daß doch die Empfindungen anerkanntermaßen den Ausgangspunkt aller physikalischen Forschung bilden, so muß diese bewußte Abkehr von den Grundvoraussetzungen immerhin erstaunlich, ja paradox erscheinen. Und dennoch liegt kaum eine Tatsache in der Geschichte der Physik so klar zutage wie diese. Fürwahr, es müssen unschätzbare Vorteile sein, welche einer solchen prinzipiellen Selbsttäuschung wert sind!" In: Die Einheit des physikalischen Weltbildes. Vortrag, gehalten am 9. Dezember 1908 in der naturwissenschaftlichen Fakultät des Studentenkorps an der Universität Leiden. Das methodische Ausschalten von subjektiven Empfindungen oder Willensregungen bezeichnet man als Objektivismus ↗
- [5] Die Idee eines geschichtlich zwangsläufigen Prozesses wird oft mit dem Philosophen Friedrich Wilhelm Hegel (1770 bis 1831) verbunden. Sein Idealismus sah einen "absoluten Geist", der in der Geschichte sozusagen als causa finalis wirke. In: Das Duden-Lexikon definiert Konsum schlicht als Synonym für das Wort "Verbrauch". In: Duden-Lexikon in drei Bänden. Zweiter Band G bis O. Dudenverlag. Mannheim. 1961. Dort die Seite 932. Siehe auch Weltprozess ↗
- [6] Das Karl Marx (1818 bis 1883) eine "geschichtiche Notwendigkeit" hin vom Kapitalismus zum Sozialismu sah steht in: Duden-Lexikon in drei Bänden. Zweiter Band G bis O. Dudenverlag. Mannheim. 1961. Dort die Seite 1407. Siehe auch Sozialismus ↗
- [7] Die Entelechie ist "die im Stoff sich verwirklichende Wesenform; die im Organismus liegende Kraft, die seine Entwicklung und Vollendung bewirkt." In: In: Duden-Lexikon in drei Bänden. Erster Band: A bis G. Dudenverlag. Mannheim. 1962. Dort die Seite 556. Diese Urache im Sinne Aristoteles bezeichnet man als causa materialis ↗