Denkkollektiv
Wissenschaft
Basiswissen
Als Denkkollektiv beschrieb der polnische Wissenschaftler eine Gruppe von Menschen, „als Gemeinschaft der Menschen, die im Gedankenaustausch oder in gedanklicher Wechselwirkung stehen“. Die Gruppen entwickeln Beharrungstendenz, neue Annahmen erscheinen oft als undenkbar. Oft bilden die Gruppen einen inneren Zirkel der Eingeweihten sowie der sie umgebenden Laien. Es ensteht letztendlich ein fester Denkstil. Das ist hier kurz mit einem Beispiel vorgestellt.
Wissenschaft als Arbeitsteilung
Der Molekulargenetiker Carsten Bresch legt dar, wohl aus eigener Erfahrung, wie sehr Wissenschaft ein Ergebnis vieler Menschen ist. Von der einen Seite, so Bresch, kommen experimentelle Daten. Von anderer Seite kommen dann „Teilinterpretationen“, manche tragen zerstreutes Gedankengut zusammen, wiederum anderen verhelfen bestehenden Konzepten durch eine „prägnante Formulierung“ zur Verbreitung. Wissenschaft ist so oft ein Ergebnis von Arbeitsteilung ↗
Flecks Idee eines Denkstils
Flecks Idee von einem Denkkollektiv geht aber über die Vorstellung einen rein pragmatischen Arbeitsteilung hinaus. Bei Fleck entwicklen die Gruppenmitglieder gemeinsam akzeptierte Frage - und im Umkehrschluss auch solche, die sie ablehnen. Es gibt akzeptierte Methoden und Begriffe, und wiederum auch abgelehnte. Flecks Beschreibung eines Denkkollektivs erinnert an später aufgekommene Begriffe wie Gruppendenk und Echoraum. Fleck macht aber deutlich, dass die Beschränkungen der Gruppe oft einen guten methodischen Grund haben oder überhaupt eine Aufgabe erst praktisch bewältigbar machen. Mehr zum Fleckschen Denkkollektiv steht im Artikel zur Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache ↗
Fußnoten
- [1] Ludwik Fleck: Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache. Einführung in die Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv. Ersterscheinung bei Benno Schwabe & Co. in Basel. 1935. Seite 130. Siehe auch Ludwik Fleck ↗
- [2] Zwischenstufe Leben. Evolution ohne Ziel? Piper, München 1977. ISBN 3-492-02270-7. Seite 18.
- [3] Markus Arnold, Roland Fischer (Herausgeber): Disziplinierungen: Kulturen der Wissenschaft im Vergleich. Verlag Turia und Kant. Wien. 2004. ISBN: 978-3851323900.
- [4] Howard Bloom: The Global Brain: The Evolution of Mass Mind from the Big Bang to the 21st Century. Wiley, 2000, ISBN 978-0-471-29584-6; deutsch: Global Brain: die Evolution sozialer Intelligenz. Aus dem Amerikanischen und mit einem Nachwort von Florian Rötzer. DVA, 1999, ISBN 978-3-421-05304-6. Dort im Kapitel 8 "Die Wirklichkeit ist eine gemeinsame Halluzination" auf den Seiten 122 und 137.
- [5] Stephen Toulmin: Kritik der kollektiven Vernunft. Suhrkamp Verlag. Fankfurt am Main. 1978.
- [6] Gruppen bilden sich aus moralischen Neigungen, ohne welche sie auch wieder vergehen: "Il en est ainsi pour chaque espèce de production humaine, pour la littérature, la musique, les arts du dessin, la philosophie, les sciences, l'État, l'industrie, et le reste. Chacune d'elles a pour cause directe une disposition morale, ou un concours de dispositions morales; cette cause donnée, elle apparaît; cette cause retirée, elle disparaît; la faiblesse ou l'intensité de cette cause mesure sa propre intensité ou sa propre faiblesse." Der hier zitierte Abschnitt trägt die Randnotiz: "Loi de formation d'un groupe. " und findet sich im Kapitel VII von: Hippolyte Taine: Histoire de la Litterature Anglaise. Band I. Zweite überarbeitete Ausgabe. Paris. 1866.
- [7] Auch scheinbar individualistische Figuren wie Richard Feynman waren eingebettet in den "Denkstil" seiner Zeit: Christian Forstner: Genial in Gemeinschaft. Zum 100. Geburtstag des Physik-Nobelpreisträgers Richard P. Feynman (1918 – 1988)2018. Physik Journal 17 (2018) Nr. 6. Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim. Online: https://pro-physik.de/zeitschriften/download/19072