Apeiron
Naturphilosophie
Grundidee
Das Apeiron ist ein hypothetischer Urstoff oder Urgrund von allem Sein. Der Begriff geht auf den antiken Naturphilosophen Anaximander von Milet (etwa 610 bis 547 v. Chr.) zurück[7]. Mit solchen Ideen versuchten die antiken griechischen Philosophen erstmals, das Sein der Welt nicht mehr nur aus Göttern, Geistern oder mythischen Prinzipien abzuleiten. Sie suchten nach einem geregelten, frei von Willkür sich gestaltendem Weltprinzip. Diese Tradition des Denkens kann man verfolgen bis zum heutigen Bemühen in der Suche nach Urstoff der Welt[4][5] oder der Weltformel[6]. Siehe mehr zu diesem Gedanken zum Artikel Urgrund ↗
Fußnoten
- [1] In einem Lexikon, 1904: "Apeiron (apeiron): das Unbegrenzte. So nennt ANAXIMANDER das Princip, den Urgrund aller Dinge (archên kai stoicheion to apeiron, Diog. L. II, 1; tôn ontôn archên einai to apeiron, Stob. Ecl. I, 10, 292). Das Apeiron ist eigenschaftlich unbestimmt; in den aus ihm entstandenen Dingen beharrt es unveränderlich (ametableton), unzerstörbar (anôlethron), unsterblich (athanaton; Aristot., Phys. III 4, 203b 13). Es umfaßt und beherrscht alles (periechein panta kai panta kybernan, l.c. 203b 11). Die Dinge entstehen aus ihm durch Aus- oder Abscheidung (ekkrinesthai, apokrinesthai; Simpl. ad Arist. Phys. 24, 23), zuerst das Warme und Kalte, dann das Flüssige, Feste (Erde), Luftförmige, Feurige (l.c. Diels 150, 22). Die Zahl der entstehenden Welten, die wieder vergehen müssen, ist unbegrenzt (Stob. Ecl. I, 10, 292). Der Urgrund selbst muß apeiron sein, damit das Werden sieh nicht erschöpfe (hina mêden elleipê hê genesis hê hyphistamenê, l.c. I, 10, 292). Immer wieder kehren die Dinge ins Apeiron zurück: ek gar toutou panta gignesthai kai eis touto panta phtheiresthai (ib.), um zu büßen für ihr Verschulden gemäß der Zeitordnung (didonai gar auta tisin kai dikên tês asikias kata tês tou chronou taxin, Simpl. l. c; vgl. ZELLER, G. d. gr. Ph. I, 15, S. 229). Die Einzelexistenz erscheint hier als eine Art Schuld, als ein Raub am Sein, der an diesem wieder gutgemacht werden muß. – Das Apeiron ist wohl nicht als » migma« (ARISTOTELES, Met. XII 1, 1069b 22), als Gemenge fertiger Qualitäten anzusehen (so RITTER, BÜSGEN, Üb. d. Apeir. 1867, TEICHMÜLLER, Stud. zur Gesch. d. Begr. S. 71, u. a.), sondern als ein stofflich Unbestimmtes (STRÜMPELL, SEYDEL, TANNERY, KÜHNEMANN, Grundl. d. Philos. S. 2), das die Qualitäten der Dinge potentiell in sich birgt (ÜBERWEG, Grundr. I, 45; ZELLER, G. d. gr. Ph. I, 15, 201, 218). Bemerkenswert ist die Ansicht WINDELBANDs: »Das Wahrscheinlichste ist hier noch, daß Anaximander die unklare Vorstellung des mystischen Chaos, welches eins und doch alles ist, begrifflich reproduciert hat, indem er als den Weltstoff eine unendliche Körpermasse annahm, in der die verschiedenen empirischen Stoffe so gemischt seien, daß ihr im ganzen keine bestimmte Qualität mehr zugeschrieben werden dürfe, daß aber auch die Ausscheidung der Einzelqualitäten aus dieser selbstbewegten Materie nicht mehr als eigentliche qualitative Veränderung derselben angesehen werden könnte« (G. d. Phil. S. 25 f.). (Vgl. NATORP, Phil. Monatshefte XX, 36. ff.; J. COHN, Geseh. d. Unendl. S. 13 ff.). Den pythagoreischen Gegensatz des Bestimmten und Unbegrenzten (peras und apeiron) erneuert PLATO. Das apeiron ist das Unbestimmte, Nicht-Seiende (mê on), das erst durch das peras, die quantitative Bestimmtheit und Ordnung, zum Seienden (peperasmenon, ousia) wird (Phileb. 16C, D, 24, 25 A). Nach ARISTOTELES (Met. I, 6; XIV, 1) hat Plato auch in den Ideen als Factoren derselben ein peras und apeiron angenommen. Vgl. Idee." In: Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 1. Berlin 1904, S. 55. Online: http://www.zeno.org/nid/20001780476
- [2] In einem Lexikon, 1907: "Apeiron (gr. apeiron = das Unermeßliche), das Unendliche, Unbegrenzte, nannte Anaximandros aus Milet (geb. 611 v. Chr.) den Grundstoff, aus dem alles andere entstanden sei. Er dachte sich diesen quantitativ unendlich und der Qualität nach wahrscheinlich nicht als Mischung verschiedener Stoffe, sondern als eigenschaftslosen Stoff, aus dem die jetzige Welt durch Ausscheiden der Gegensätze entstanden ist." In: Kirchner, Friedrich / Michaëlis, Carl: Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe. Leipzig 1907, S. 53. Online: http://www.zeno.org/nid/20003577856
- [3] In einem Lexikon, 1912: "Anaximander aus Milet, geb. um 610 v. Chr. Anaximander gehört zu den jonischen Naturphilosophen. Als Prinzip der Dinge bestimmt er einen qualitativ unbestimmten Urstoff, das »Unbegrenzte«, Apeiron (apeiron), welches unsterblich und unvergänglich ist. Er ist wohl nicht ein Gemenge (wie Aristoteles, Ritter, Teichmüller u. a. meinen), sondern eine Substanz, welche die Qualitäten der Dinge nur potentiell, enthielt (Zeller u. a.). Der Urgrund muß unendlich sein, damit das Werden sich nicht erschöpfe. Alles stammt aus dem Apeiron und alle Dinge kehren in dasselbe zurück, »um zu büßen für ihr Verschulden nach der Ordnung der Zeit« (didonai gar auta tisin kai dikên tês adikias kata tên tou chronou taxin). Aus dem Apeiron gehen durch Scheidung zunächst Warmes und Kaltes und dann aus diesem das Feuchte, die Erde, die Luft und das Feuer hervor. Eine unendliche Anzahl von Welten folgt aufeinander. Der ursprüngliche Zustand der Erde war ein flüssiger. Die Tiere haben sich aus dem Feuchten unter dem Einfluß der Wärme entwickelt. Aus Seetieren sind die Landtiere hervorgegangen, darunter auch die Menschen. Hier sind also Anfänge einer Entwicklungstheorie vorhanden. Die Seele des Menschen ist luftartig. SCHRIFTEN: Peri physeôs (vgl. Diels, Vorsokr. I, 11 ff.). – Vgl. SCHLEIERMACHER, WW. III. Abt., 2. Bd. – NEUHÄUSER, A. Milesius, 1883. – NATORP, Philos. Monatshefte, 1884, Bd. 20." In: Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 15. Online: http://www.zeno.org/nid/20001815350
- [4] Hoimar von Ditfurth: Im Anfang war der Wasserstoff. Hoffmann und Campe, Hamburg 1972, ISBN 3-455-01460-7.
- [5] Stephen Hawking: Eine kurze Geschichte der Zeit. Die Suche nach der Urkraft des Universums. Englischer Originaltitel: A Brief History of Time. From the Big Bang to Black Holes. Deutsch im Rohwolt Taschenbuch Verlag. 1988. ISBN: 3-499-188-50-3. Dort im Glossar die Seite 226.
- [6] Die Weltformel in einem Vortrag von Max Planck aus dem Jahr 1908: "Von jeher, solange es eine Naturbetrachtung gibt, hat ihr als letztes, höchstes Ziel die Zusammenfassung der bunten Mannigfaltigkeit der physikalischen Erscheinungen in ein einheitliches System, womöglich in eine einzige Formel, vorgeschwebt…" In: Die Einheit des physikalischen Weltbildes. (Vortrag, gehalten am 9. Dezember 1908 in der naturwissenschaftlichen Fakultät des Studentenkorps an der Universität Leiden.) Siehe auch Weltformel ↗
- [7] Der spätantike Historiograph Simplikios (480 bis 560 n. Chr.) soll das Fragment von Anaximander überliefert haben: "„Anfang und Ende der seienden Dinge ist das Apeiron. Woraus ... den seienden Dingen das Werden, in das hinein geschieht auch ihr Vergehen nach der Schuldigkeit; denn sie zahlen einander gerechte Strafe und Buße für ihre Ungerechtigkeit nach der Zeit Anordnung.“ In: Diels, Kranz (Hgg.): Die Fragmente der Vorsokratiker, Fragment 2, A9 und B1. Siehe auch Simplikios ↗