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Anomalie (Wissenssoziologie)

Physik

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Definition


Als Anomalie im Sinne der Wissenssoziologie bezeichnet man eine beobachtete Tatsache, die nur schwer in den Begriffen bestehender Konzepte erklärt werden kann[1], ein Rätsel, ohne überzeugende Erklärung[2]. Solche Anomalien stehen oft am Anfang neuer wissenschaftlicher Entdeckungen[3], besonders wenn die Anomalien hartnäckig (recalcitrant) sind[4]. Die Anomalie der Wissenssoziologie hat ihre Entsprechung in der Individualpsychologie etwa als Disäquilibrium oder einer kognitive Dissonanz.

Beispiele bewusster Anomalien


Die Milchstraße


Der (Natur)Philosoph Immanuel Kant (1724 bis 1804) hat im Jahr 1755 eine Schrift veröffentlicht, in dem er als erster die Entstehung unseres heutigen Sonnensystems in groben Zügen richtig beschrieb. In der Schrift bemerkte er auch, wie leicht man am Nachthimmel die Milchstraße erkennt. Und er bemerkt auch, dass niemand bis zu seiner Zeit darüber nachgedacht hat, warum es das helle Band der Milchstraße geben sollte.


ZITAT:

Kant, 1755: "Jedermann, der den bestirnten Himmel in einer heiteren Nacht ansieht, wird denjenigen lichten Streif gewahr, der durch die Menge der Sterne, die daselbst mehr als anderwärts gehäuft sind, und durch ihre sich in der grossen Weite verlierenden Kenntlichkeit derselben, ein einförmiges Licht darstellt, welches man mit dem Namen der Milchstrasse bennant hat. Es ist zu bewundern, dass die Beobachter des Himmels durch die Beschaffenheit dieser am Himmel kenntlich unterschiedenen Zone nicht längst bewogen worden, sonderbare Bestimmungen in der Lage der Fixsterne daraus abzunehmen. Denn man sieht ihn die Richtung eines grössten Zirkels und zwar in ununterbrochenem Zusammenhange um den ganzen Himmel einnehmen; zwei Bedingungen, die eine so genaue Bestimmung und von dem Unbestimmten des Ungefährs so kenntlich unterschiedene Merkmale mit sich führen, dass aufmerksame Sternkundige natürlicher Weise dadurch hätten veranlasst werden sollen, der Erklärung einer solchen Erscheinung mit Aufmerksamkeit nachzuspüren."


Kant hält fest oder bemängelt, dass "aufmerksame Sternkundige" eine Erklärung für das Phänomen der Lichtstraße zu suchen. Offensichtlich ist das aber bis zum Jahr 1755 noch nicht geschehen. Zumindest im Mittelalter herrrschte das Bild einer Sphäre der Fixterne vor. Man dachte sich die Fixsterne als Teil einer gigantischen Kugelfläche, auf der sie feste Flächen einnehmen. Dass schon der freiäugige Blick in den Nachthimmel aber zumindest keine gleichmäßige Verteilung der Sterne über das gesamte Himmelsgewölbe gibt muss Astronomen bewusst gewesen sein. Doch sie scheinen dieser Tatsache, dieser Anomalie in ihrem Weltbild, kein besonderes Interesse geschenkt zu haben.

Die Mondrotation


Immanuel Kant hatte im Jahr 1755 eine Theorie aufgestellt, seine Nebularhypothese, die die Entstehung der Sonne, ihrer Planeten und deren Monde als Folge der newtonschen Anziehungskraft erklärt. Während der Entstehung eines Himmelskörpers aus eine protoplanetarischen Scheibe müsste dieser eine beträchtliche Eigenrotation erhalten. Dieser Theorie zufolge dürfte aber ein Mond nicht immer dieselbe Seite zu seinem Planeten hinwenden. Dass der Mond der Erde das aber dennoch tat war aus Kants Theorie heraus eine Anomalie:


ZITAT:

"Allein wenn die Bildung eines Körpers selber die Achsendrehung hervorbringt, so müssen sie billig alle Kugeln des Weltbaues haben; aber warum hat sie der Mond nicht, welcher, wiewohl fälschlich, diejenige Art einer Umwendung, dadurch er der Erde immer dieselbe Seite zuwendet, einigen vielmehr von einer Art einer Überwucht der einen Halbkugel, als von einem wirklichen Schwunge der Revolution herzuhaben scheint?"


Heute geht man davon aus, dass der Mond nicht durch die Zusammenballung von vorher verteiltem Material entstand, sondern ein Überbleibsel einer kosmischen Kollision der Erde mit einem anderen Himmelskörper ist.[29] Die Anomalie der Mondrotation verwies also schon im Jahr 1755 zur Recht auf eine Erklärungslücke. Sich solche Anomalien früh bewusst zu machen, kann helfen, die eigene Aufmerksamkeit auf die wichtigen Aspekte des zu untersuchenden Materials zu richten.

Die Bahn des Merkur


Mit den physikalischen Gesetzen von Isaac Newton ließen sich die Bewegungen der Planeten mit großer Genauigkeit vorhersagen. Die Gesetze waren so mächtig, dass man aus der Abweichungen in der Bewegung eines Planeten sogar erfolgreich auf neue, bisher noch nie beobachtete neue Planeten schließen konnte. Das Paradebeispiel dafür ist die Entdeckung des Planeten Neptun im Jahr 1846.[21] Es gab aber eine Ausnahme: der Merkur zeigte Auffälligkeiten in seiner Bahn, die überhaupt nicht im bestehenden Rahmen der newtonschen Mechanik erklärt werden konnten. Das wurde zum Beispiel im Jahr 1859 klar ausgesprochen.[24] In der Encyclopædia Britannica aus dem Jahr 1911 heißt es dann:


ZITAT:

"Ein hartnäckiges Problem ergibt sich aus der langfristigen Bewegung des Perihels von Merkur. Im Jahr 1845 stellte Leverrier fest, dass diese Bewegung, abgeleitet aus der Beobachtung der Durchgänge, um 35″ pro Jahrhundert größer war, als es sich aus der Gravitation aller anderen Planeten ergeben sollte. Diese Schlussfolgerung wurde durch nachfolgende Untersuchungen vollständig bestätigt, eine aktuelle Diskussion zeigt, dass der Überschuss der Bewegung 43″ pro Jahrhundert beträgt. Daraus folgt entweder, dass Merkur von unbekannten Massen beeinflusst wird, oder dass die Stärke der Gravitation nicht exakt dem Gesetz von Newton folgt."[22]


Der Merkur wandert, wie alle Planeten, auf einer mehr oder minder elliptischen Bahn um die Sonne. Den sonnennächsten Punkt nennt man Perihel. Nun könnte man annehmen, dass dieser Punkt fest im Raum auch über Jahrhunderte an einer Stelle bleiben könnte. Das ist aber nicht der Fall. Das Perihel der Planeten bewegt sich über die Jahrhunderte messbar fort. Die Erklärung fand man darin, dass nicht nur die Anziehungskraft der Sonne auf einen bestimmten Planeten wirkt. Auch die anderen Planeten haben einen Einfluss. Für alle Planeten, außer für den Merkur, konnte man die Perihelbewegung korrekt voraussagen. Die Bahn des Merkur blieb eine Anomalie. Und wie das Zitat oben zeigt, war man sich der Tragweite dieser klassischen Anomalie bis hin zur Fragwürdigkeit der Newtonschen Gesetze voll bewusst.

Die seltsame Bewegung des Merkur um die Sonne konnte aber bald darauf erklärt werden. Im Jahr 1915 veröffentlichte Albert Einstein seine Allgemeine Relativitätstheorie. Und damit konnte dann auch die Merkurbahn sehr exakt voraus bestimmt werden. Heute gilt die Abweichung der Merkurbahn von den Newtonschen Vorhersagen als ein klassisches Beispiel für eine Anomalie im Sinne der Wissenschaftsgeschichte.[23]

Atommodelle um 1910


Nach der Vorstellung der klassischen Elektrodynamik[5] müssten Elektronen in beliebigen Abständen vom Atomkern um diesen kreisen können. Diese Vorstellung vertrug sich jedoch nicht mit der Beobachtungstatsache, dass eine Art von Atomen nur ganz bestimmte Spektrallinien aussendet. Diese Anomalie wurde Anfang des 20ten Jahrhunderts beobachtet. Zur Bruchstelle zwischen alter und neuer Vorstellung, zum Versuch, die Anomalie pragmatisch zu greifen, siehe den Artikel Bohrsches Atommodell ↗

Retrorekognition von Anomalien


Anomalien können eine lange Zeit existieren, ohne dass sie von der größeren Gemeinde aller Wissenschaftler eines Fachgebiet ernsthaft betrachtet werden. Zunächst verweist nur eine kleine Gruppe von Personen auf die Anomalie. Erst wenn die ehemalige Anomalie im Rahmen einer neuen Theorie erklärt werden kann, wird sie auch von der Mehrheit der Wissenschaftler mitbetrachtet.[6] Dieses Phänomen wird als Retrorekognition, als rückwirkende Anerkennung, bezeichnet.[6]

Beispiel Flachheitsproblem


Das Flachheitsproblem in der Kosmologie beschreibt das scheinbar unnatürliche Phänomen, dass die Geometrie unseres Universums nahezu flach ist, was durch den Dichteparameter Ω ausgedrückt wird: Ω ist das Verhältnis der Gesamtdichte zu jener kritischen Dichte, die notwendig ist, um die Expansion des Universums (seine kinetische Energie) im perfekten Gleichgewicht mit der Gravitations-Anziehung (seiner potenziellen Energie) zu halten; für ein flaches Universum muss Ω genau 1 betragen. Das Problem entsteht, weil jede kleine Abweichung von Ω=1 im Laufe der Zeit drastisch verstärkt wird – damit das Universum heute noch annähernd flach ist (Ω etwa 1), musste der Anfangswert kurz nach dem Urknall auf ein unvorstellbar exaktes Maß feinabgestimmt sein. Diese Notwendigkeit einer unplausiblen Anfangsbedingung wird durch die Theorie der Kosmischen Inflation gelöst, die eine extrem schnelle, exponentielle Expansion des Raumes postuliert, welche jegliche ursprüngliche Krümmung wie das Glätten eines Ballons beseitigt und den Wert von Ω automatisch auf 1 treibt.

Das Flachheitsproblem wurde spätestens im Jahr 1969 klar beschrieben.[7] Doch Kosmologen hätten das Problem beseite geschoben, es als "philosophisch" abgetan[8] oder es schlicht ignoriert. Erst als im Jahr 1981 Alan Guth vom Massachusetts Institute of
Technology (MIT) die Theorie des Urknall um die kosmologische Inflation erweitert hatte[9], wurde das Flachheitsproblem physikalisch handhabbar und lösbar. Und damit konnte es zum Teil der anerkannten Fakten oder Themen der breiten Wissenschaftsgemeinde werden.

Beispiel Planetenschleife


Verfolgt man über mehrere Tage, Wochen, Monate und Jahre hinweg die Bewegung eines Planeten, etwa des Mars, durch den Himmel der Fixsterne, so stellt man fest, dass sich ein Planet die meiste Zeit von Tag zu Tag ein kleines Stückchen weiter in eine bestimmte Richtung bewegt. Aber manchmal kommt es vor, dass der Planet seine Bewegung in diese übliche Richtung verlangsamt, stehen zu bleiben scheint, kurze Zeit (Tage, Wochen) rückwärts läuft und dann langsam wieder seine alte und auch vorwiegende Richtung einnimmt. Diese Erscheinung nennt man in der Astronomie eine Planetenschleife.[10] Diese Planetenschleifen wurden spätestens schon von dem antiken Astronomen Claudius Ptolemäus (100 bis 160 n. Chr.) beschrieben. Und diese Planetenschleifen, auch das war in der Antike bereits bekannt, passierten immer dann, wenn die Sonne, die Erde und der beobachtete Planet in etwa auf eine Linie Lagen. Für einen der äußeren Planeten wie dem Mars etwa heißt dass, dass wir den Planeten dann auch maximal von der Sonne auf genau jener Hälfte beleuchtet wird, die wir auch sehen. Damit erscheint der Planet dann im Zeitpunkt seiner Schleife auch am hellsten.

Um die Planetenschleifen in einem geozentrischen Weltbild, wie es bis zur Zeit von Kopernikus, Galilei und Kepler als offizielle Lehrmeinung vorherrschte, zu erklären, musste man den Planeten komplizierte Bewegungen unterstellen. Die Planeten sollten sich auf sogenannten Epizyklen bewegen, das heißt, sie sollten kleine Kreisbewegungen auf ihrer großen Kreisbahn machen. Damit konnte man die Plantenschleife erklären, nicht aber, dass die Schleifen und die hellsten Phasen der äußeren Planeten zeitlich zusammenfallen. Man nahm das als Fakt einfach hin.[11] Es war bekannt, man maß ihm aber keine größere Bedeutung zu.

Erst als Nikolaus Kopernikus (1473 bis 1543) mit seinen Argumenten den Weg frei machte für das heliozentrische Weltbild mit der Sonne im Zentrum der Planetenbewegungen, ließen sich die Planetenschleifen an sich und auch ihr zeitliches Übereintreffen mit der hellsten Erscheinung der Planeten am Nachthimmel auf natürliche Weise und einfach erklären. Die Erklärung lieferte aber nicht Kopernikus sonder ein Gemma Frisius (1508 bis 1555) aus dem ostfriesischen Dokkum.[12]

Der springende Punkt hier ist, dass ein auffälliger Fakt über gut anderthalbjahrtausende einfach ohne ein Bedürfnis nach tieferer Erklärung mitgezogen wurde. Hätte Astronomen der Antike hartnäckig darauf beharrt die zeitliche Gleichheit der Schleifenbewegung des Mars, Jupiter oder Saturn mit dem Moment ihrer hellsten Erscheinung am Himmel möglichst einfach zu erklären, hätte sich das heliozentrische Weltbild vielleicht schon über tausend Jahre früher als tatsächlich geschehen durchsetzen können.

Beispiel Kontinentaldrift


Ein weiteres Beispiel für eine Anomalie die über Jahrhunderte mehr oder minder ignoriert und dann, ab etwa 1950, schlagartig anerkannt wurde ist die Theorie der Kontinentaldrift. Schon Kartographen im 16. Jahrhundert muss aufgefallen sein, wie gut die Küstenlinien Südamerikas und Afrikas wie Puzzleteile zueinander passen. Naturforscher wie Alexander von Humboldt (1769-1859), der Franzose Antonio Snider-Pellegrinie, Osmond Fischer oder Alfred Wegener wiesen immer wieder auf diese unklärte Tatsache, die Anomalie in den bestehenden Welterklärunge hin.[13] Ihre Argumente aber wurden de facto alle ignoriert. Erst als Ozeanographen in den 1960er eindeutige Belege fanden, wurde die Theorie einer Bewegung der Kontinenete über die Erdkugel hinweg angenommen. Binnen kurzer Zeit galt sie dann als Selbstverständlichkeit. Siehe dazu den Artikel zur Kontinentaldrift ↗

Beispiel Evolution


Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein galt der Kreatonismus als anerkannte Erklärung der Vielfalt der tierischen und pflanzlichen Lebensformen: Gott hat die Welt erschaffen und jedes Lebewesen hat er perfekt angepasst an seine Umwelt ausgestattet. In diesem Weltbild gab es auch keine Veränderung. Arten verändern sich nicht und sie sterben auch nicht aus.


ZITAT:

Jean-Jacques Rousseau (1712-1778): "Wie viel Sophisterei wäre nötig, um die Harmonie der Geschöpfe und jene bewundernswerte Ordnung zu leugnen, in der alle Teile des Systems zum Erhalt des Ganzen beitragen? … Es ist mir unmöglich vorzustellen, dass ein System von Wesen so weise geregelt sein kann, ohne dass irgendeine intelligente Ursache existiert, die diese Regelung bewirkt … Daher glaube ich, dass die Welt von einem weisen und mächtigen Willen regiert wird."[14]


Man kann dabei etwa an Giraffen denken, deren langer Hals perfekt auf ihre Blätternahrung in den Kronen von Bäumen angepasst ist. Und das Kamel hat sein Fett in einem Höcker gespeichert, sodass es den Körper im heißen Klima nicht unnötig noch warm hält.

Dass ein weiser Weltenschöpfer die Welt so wie sie ist intelligent und gut eingerichtet hat ward im 18. und frühen 19. Jahrhundert das allgemein anerkannte Paradigma der Naturforscher. Aber wie auch in den Beispielen aus der Kosmologie, der Astronomie und der Geographie oben, gab es auch zu dieser Zeit unerklärliche und sonderbare Fakten, Spiele der Natur, die man nicht erklären konnte. Man nahm sie einfach hin und schenkte ihnen keine größere Aufmerksamkeit. Lesen wir dazu Charles Darwin:


ZITAT:

Charles Darwin: "Wer glaubt, dass jedes Wesen so erschaffen wurde, wie wir es jetzt sehen, muss gelegentlich überrascht gewesen sein, wenn er auf ein Tier traf, dessen Gewohnheiten und Aufbau nicht übereinstimmten. Was kann deutlicher sein, als dass die Schwimmhäute von Enten und Gänsen zum Schwimmen bestimmt sind? Und doch gibt es Hochlandgänse mit Schwimmhäuten, die nur selten ans Wasser gehen."


Weitere Beispiele für eine schlechte Angepasstheit sind blinde Höhlenbewohner mit großen Augen, flugunfähige Vögel mit Flügeln (Strauß, Pinguin) oder flugunfähige Insekten mit Stummelflügeln auf sturmumtosten Inseln.

Und wieder war es so, dass diese Anomalien von Naturforschern weitgehend als uninteressant ignoriert wurden. Auf keinen Fall führten sie dazu, das bestehende Weltbild des Kreationismus ernsthaft zu hinterfragen. Das tat erst Charles Darwin. Mit seiner Evolutionstheorie konnten die Anomalien erklärt werden. Ab dann fanden sie auch Eingang in den Wissensbestand der "Mainstream Wissenschaft".

Beispiel Schwerkraft


In der Schulphysik lernt man das kleine g in verschiedenen Formeln kennen. In der Formel m·g·h für die potentielle Energie, die Höhenenergie wird das kleine g oft als Ortsfaktor g bezeichnet. Noch einfacher ist die Formel F=m·g. Hier muss man den Ortsfaktor g mit der Masse eines Körpers m malrechnen. Das Ergebnis ist dann die Kraft F, mit der dieser Körper nach unten zieht. Als Wert wird oft 9,81 N/kg (Newton pro Kilogramm) angegeben. Der Ortsfaktor g sagt, wie viel Kraft an jedem Kilogramm nach unten zieht.[16] Dasselbe g kommt auch aber in Formeln vor wie v=g·t oder s=½·a·t². Hier steht das kleine g für die sogenannte Erdfallbeschleunigung. In diesen Formeln für den freien Fall steht die Erdfallbeschleunigung g für 9,81 m/s² (Meter pro Sekunde quadrat). Anschaulich gibt der Wert an, um wie viele Meter pro Sekunde ein frei nach unten fallender Körper in jeder Sekunde schneller wird.[17]

Diese doppelte Rolle von g mit seinem Zahlenwert von 9,81 bezeichnet man in der Physik mit den Begriffen schwere Masse und träge Masse. Die Masse, das was man in Kilogramm angibt, spielt offensichtlich zwei unterschiedliche Rollen. Die Masse bestimmt einmal, wie schwer etwas angezogen wird. Sie bestimmt aber auch wie schnell etwas beim Fallen schneller wird. In beiden Formelkreisen taucht ja das m für die Masse auf.

Nun haben viele Personen die Intuition, dass schwere Dinge schneller nach unten fallen als leichte Dinge. Ein Papierblatt fällt langsamer als ein Stein. Ohne den Einfluss der Luftreibung aber, etwa auf dem Mond, würden alle Körper gleich schnell nach unten fallen. Das hatte schon im 17. Jahrhundert Galileo festgehalten:


ZITAT:

Galileo Galilei (1564 bis 1642): "Die Geschwindigkeitsunterschiede in der Luft zwischen Kugeln aus Gold, Blei, Kupfer, Porphyr und anderen schweren Stoffen sind so gering, dass bei einem Fall aus hundert Ellen [etwa 46 m] eine Goldkugel eine Kupferkugel sicherlich nicht um mehr als vier Fingerbreiten überholen würde. Nachdem ich dies beobachtet hatte, kam ich zu dem Schluss, dass in einem Medium, das völlig frei von Widerstand ist, alle Körper mit derselben Geschwindigkeit fallen würden."[18]


Das ist ein sehr bemerkenswerter Befund. Er entspricht auch überhaupt nicht der Intuition der meisten Menschen. Astronauten hatten in den 1970er Jahren dazu eigens den Versuch gemacht, auf dem luftleeren Mond einen Hammer und eine Feder beide nach unten fallen zu lassen: sie waren gleich schnell.

Das kann man so deuten: die schwere Masse bewirkt, dass der Hammer und die Feder nach unten gezogen werden. Dabei wirkt auf den Hammer, wegen seiner größeren Masse, aber eine sehr viel größere Schwerkraft. Er wird vom Mond tatsächlich mit sehr viel mehr Newton nach unten gezogen wie die Feder. Aber warum fällt er dann nicht auch schneller? Hier kommt die zweite Rolle der Masse ins Spiel: ihre Trägheit. Die Trägheit ist menschelnd gesprochend ein Widerwille gegen eine Veränderung. Der Hammer hat mehr Masse, die sich dann auch mehr oder besser der Beschleunigung widersetzten kann als die leichtere Feder. Das Verwunderliche ist, dass sich die schwer und die träge Masse in ihrer Wirkung exakt gegenseitig ausgleichen. Es gibt keinen tieferen logischen Grund warum das so sein sollte. Newton und alle Wissenschaftler nach ihm, nahmen es als Fakt einfach so hin.

Deutung


So weit die Beispiele für die sogenannte Retrorekokogntion, die rückwirkende Anerkennung von längere bekannten aber ignorierten Anomalien in alten Denkgebäuden. Ich folgte in der Darstellung weitgehend der Darstellung von Alan Lightman und Owen Gingerich in einem Artikel aus dem Jahr 1992.[1] Die zwei Autoren machen drei immer wiederkehrende Schritte aus, die ich hier sinngemäß wiedergebe.

  • 1. Ein Fakt wird in einem bestehenden Erklärungsrahmen beobachtet.
  • 2. Der Fakt kann nicht logisch erklärt werden und wird dann einfach hingenommen.[20]
  • 3. Eine neue Theorie ist entstanden. In ihr hat der Fakt eine fesselnde (compelling) Erklärung. Er wird rückblickend als Anomalie in der alten Theorie behandelt.[21]

Aktuelle Anomalien


Es gibt in den Naturwissenschaften eine Reihe von vielbeachteten Anomalien, von weniger beachteten aber durchaus akzeptierten Anomalien und dann auch einige Anomalien, die von der Gemeinde der Wissenschaft weitgehend ausgeblendet werden. Schwer zu beantworten ist die Frage, ob unter diesen Anomalien vielleicht solche mit Systemsprenger-Potential ist, Anomalien also, die völlig neue Denkkonzepte erfordern.

Vielbeachtet

  • Mathematisch passen die Relativitätstheorie und die Quantentheorie nicht zusammen TOE ↗

Akzeptiert

  • Wozu dient Schlafen, etwa bei Würmern Schlaf ↗

Unbeleuchtet


Persönliche Anmerkung


 Portrait von Gunter Heim Das Thema der Anomalien in der Geschichte und Praxis der Wissenschaft ist für mich mit zwei Aspekten besonders bedeutsam. Zum einen glaube ich, dass eine stark konservative Haltung zwar bremsend auf den Fortschritt wirken kann. Aber diese bremsende Wirkung hat ihren Sinn vielleicht darin, dass Gruppen von Wissenschaftlern über einen längerne Zeitraum hinweg überhaupt erst gemeinsam als Denkkollektiv arbeiten können. Dass die menschlichen Spielweisen, die einen Konservatismus in der Wissenschaft erzeugen, oft zweifelhaften Beweggründen entstammen können (Besitzstandswahrung, Rechthaberei, Eitelkeit, Phantasielosigkeit, Engstirnigkeit etc), soll dabei auf einem anderen Blatt stehen. Reizvoll finde ich den Gedanken, nach dem rein praktischen Zweck sozialer Phänomene zu fragen.

Zum anderen fallen viele Gemeinsamkeiten zwischen Denkprozessen in individuellen Köpfen und in Denkkollektiven als Gruppen auf. Dabei wundert es mich, dass die vielfältigen Analogien, durchaus funktional und nicht nur oberflächlich, zwischen Organismen und Gesellschaften, keinen ernsthaften Eingang in die Sozialwissenschaften gefunden haben. Was die Anomalien in der Geschichte der Wissenschaft sind, sind bei einzelnen Menschen zum Beispiel kognitive Dissonanzen, Kompartmentalsierungen des Denken, intelligent confusion oder ein Disäquilibrium im Sinne von Jean Piagets Entwicklungspsychologie. Es gibt (randständige) Wissenschaftler, seit über 200 Jahren, die aus allen möglichen Blickwinkeln die Idee plausibel machen wollen, dass Gesellschaften als Ganzes verblüffend viele Übereinstimmungen mit biologischen Organismen zeigen. Stichhaltig ist der Gedanke, dass die kognitiven Aufgaben von Individuen und von Gruppen sehr ähnlich sind. Und evolutionär gedeutet sind Aufgaben Slektionsdrücke. Und damit kommt man zum Phänomen der analogen Evolution (z. B. Körperform von Wal und Fisch). Am aussichtsreichsten in der Wissenschaft ernst genommen zu werden ist aufgrund ihres soliden mathematischen Fundaments heute vielleicht die Denkströmung rund um die Idee der evolutionären Transitionen.[25]

Fußnoten


  • [1] "An anomaly in science is an observed fact that is difficult to explain in terms of the existing conceptual framework." In: Alan Lightman, Owen Gingerich: When do anomalies begin? Science. 1992 Feb 7;255(5045):690-5. doi: 10.1126/science.255.5045.690. PMID: 17756947. Online: https://www.pas.rochester.edu/~tim/introframe/GingerichAnomalies.pdf
  • [2] "Anomalies may be understood as enigmas for which existing knowledge systems lack convincing explanations." In: Timothy McGettigan: Anomaly Overload: An Evolutionary Theory of Truth. Theory & Science (2008). ISSN: 1527-5558.
  • [3] "Discovery commences with the awareness of anomaly, that is, with the recognition that nature has somehow violated the preinduced expectations that govern normal science." In: Thomas Kuhn: The Structure of Scientific Revolutions. 2nd ed., University of Chicago Press. 1970. Dort die Seiten 52‑53.
  • [5] Das Versagen der klassischen Elektrodynamik im Atom: "the inadequacy of classical electrodynamics in the atomic domain was indicated by a number of anomalies found in the early 1900s, such as the behavior of electrons in metals, and the stability and emission of electron shells in Rutherford's nuclear model of the atom. These phenomena were later given compelling explanations by the new quantum theory." In: lan Lightman, Owen Gingerich: When do anomalies begin? Science. 1992 Feb 7;255(5045):690-5. doi: 10.1126/science.255.5045.690. PMID: 17756947.
  • [6] Anomalien beginnen erst dann zu interessieren, wenn sie im Rahmen einer neuen Theorie erklärt werden können. Vorher sind sie nur für eine kleine Gruppe von Personen interessant: "the anomaly may be noted by a small segment of the scientific community but not widely regarded as important or legitimized until a good explanation is at hand in a new paradigm. The development of this class of anomalies we call the "retrorecognition" phenomenon.
  • [7] Eine frühe Erwähnung des Flachheitsproblems: R. H. Dicke: Gravitation and the Universe: The Jayne Lectures for 1969 (American Philosophical Society, Philadelphia, 1970), p. 62.
  • [8] Robert Wagoner von der Stanford University: "I don't think any of these arguments [for or against the naturalness of Ω being so close to one] are relevant because I think they are philosophical. Let observation decide what Ω is". In: A. Lightman and R. Brawer, Origins: The Lives and Worlds of Modern Cosmologists. (Harvard Univ. Press, Cambridge, MA, 1990). Dort auf Seite 4.
  • [9] Alan Guth, Phys. Rev. D 23, 347 (1981).
  • [10] Das Phänomen der Planetenschleife benötigt keine längere Beobachtungen am nächtlichen Himmel. Man kann die geometrischen Ursachen auf leichte Weise auf einem Spielplatz oder irgendeinem größeren freien Gelände mit zwei Personen nachstellen. Siehe dazu den Artikel Planetenschleife ↗
  • [11] Zu Zeitgleichheit der Planetenschleife mit dem hellsten Erscheinen des Planeten in der Zeit der sogenannten Opposition heißt es: "It is a basic observational fact, known since antiquity, that retrograde motion occurs only around the time when
the sun is in a direct line with the planet. For the superior planets, Mars, Jupiter, and Saturn, the sun must lie opposite the planet in the sky, hence the designation "opposition." In: Alan Lightman, Owen Gingerich: When do anomalies begin? Science. 1992 Feb 7;255(5045):690-5. doi: 10.1126/science.255.5045.690. PMID: 17756947. Online: https://www.pas.rochester.edu/~tim/introframe/GingerichAnomalies.pdf
  • [12] Gemma Frisius über die natürliche Erklärung der Planetenschleife und der Lösung des Perigäum-Problems im kopernikanischen, heliozentrischen Weltbild: "While at first glance the Ptolemaic hypotheses may seem more plausible than Copernicus', nevertheless the former are based on not a few absurdities, not only because the stars are understood to be moved nonuniformly in their circles, but also because they do not have explanations for the phenomena as dear as those of Copernicus. For example, Ptolemy assumes that the three superior planets in opposition-diametrically opposite the sun-are always in the perigees of their epicycles, that is, a "fact-in-itself." In contrast, the Copernican hypotheses necessarily infer the same thing, but they demonstrate a "reasoned fact."" Zitiert nach: Reiner Gemma Frisius, in Johannes Stadius, Ephemerides Novae etAuctae (Cologne, 1560), si. b3-b3v; trans. by 0. GingeriCh and R. S. Westman, The Wittida Connetion: Conflict and Priority in Late Sixtnth-Century Cosmology, Trans. Am. Philos. Soc. 78, part 7, 42 (1988).
  • [13] "Around 1800, the German naturalist and geographer Alexander von Humboldt (1769-1859) proposed that the lands bordering the Atlantic were once joined. His suggestion was not taken seriously." Es folgen dann noch weitere Beispiele wie der Franzose Antonio Snider-Pellegrinie, Osmond Fischer oder Alfred Wegener. In: Alan Lightman, Owen Gingerich: When do anomalies begin? Science. 1992 Feb 7;255(5045):690-5. doi: 10.1126/science.255.5045.690. PMID: 17756947. Mehr unter Kontinentaldrift ↗
  • [14] Englisch wiedergegeben als: "How much sophistry does it not require to disavow the harmony of created beings and that admirable order in which all the parts of the system concur to the preservation of each other? ... it is impossible for me to conceive that a system of beings can be so wisely regulated, without the existence of some intelligent cause which effects such regulation.... I believe, therefore, that the world is governed by a wise and powerful Will." Jean Jacques Rousseau: Profession of Faith of a Savoyard Vicar (10, pp. 259 and 261). Zitiert nach: Alan Lightman, Owen Gingerich: When do anomalies begin? Science. 1992 Feb 7;255(5045):690-5. doi: 10.1126/science.255.5045.690. PMID: 17756947.
  • [15] Im englischen Original: "He who believes that each being is created as we now see it must have occasionally felt surprise when he has met with an animal having habits and structure not in agreement. What can be plainer than that the webbed feet of ducks and geese are formed for swimming? Yet there are upland geese with webbed feet which rarely go near the water." In: C. Darwin, The Origin ofSpecies (1859) (Collier Books, New York, 1962). Dort auf Seite 11.
  • [16] Wenn man einen 5 Kilogramm schweren Sack Kartoffeln hochhält, dann zieht der Sack mit 5·9,81 Newton Kraft nach unten. Siehe mehr zur Idee von g in diesem Sinn im Artikel zum Ortsfaktor ↗
  • [17] Wenn ein Mensch drei Sekunden lang frei gefallen ist (z. b. ein Fallschirmspringer), dann hätte er ohne den bremsenden Einfluss der Luft dann eine Geschwindigkeit von 3·9,81 m/s, also fast 30 m/s oder 108 km/h. Hier wird das kleine g gedeutet als Erdfallbeschleunigung ↗
  • [18] "The variation of speed in air between balls of gold, lead, copper, porphyr, and other heavy material is so slight that in a fall of 100 cubits [about 46 m] a ball of gold would surely not outstrip one of copper by as much as four fingers. Having observed this, I came to the conclusion that in a medium totally void of resistance all bodies would fall with the same speed." In: Galileo, De Motu (1592), trans. in Galileo on Motion and on Mechanics by I. E. Drabkin and S. Drake (Univ. of Wisconsin Press, Madison, 1960). Siehe mehr zu diesem Effekt im Artikel Mondfallbeschleunigung ↗
  • [19] "The term 'retrorecognition' actually stands for recognition after a reasoned explanation." In: Alan Lightman, Owen Gingerich: When do anomalies begin? Science. 1992 Feb 7;255(5045):690-5. doi: 10.1126/science.255.5045.690. PMID: 17756947.
  • [20] Zum Fakt, der einfach hingenommen wird: the fact "is nevertheless unquestioned and ignored, or accepted as a given property of the world, or simply postulated to be true." In: lan Lightman, Owen Gingerich: When do anomalies begin? Science. 1992 Feb 7;255(5045):690-5. doi: 10.1126/science.255.5045.690. PMID: 17756947.
  • [21] Die Krönung der keplerschen und newtonschen Gesetze war die Entdeckung des Planeten Neptun. Mit bloßem Auge ist er nicht sichtbare. Mann muss ein gutes Fernrohr zur exakt richtigen Zeit auf die exakt richtige Stelle am Himmel richten, um ihn sehen zu können. Das gelang im Jahr 1846, nach langen und aufwändigen Berechnungen. Siehe dazu den Artikel Neptunentdeckung ↗
  • [22] Im englischen Original: "A perplexing problem is offered by the secular motion of the perihelion of Mercury. In 1845 Leverrier found that this motion, as derived from observation of the transits, was greater by 35″ per century than it should be from the gravitation of all the other planets. This conclusion has been fully confirmed by subsequent investigations, a recent discussion showing the excess of motion to be 43″ per century. It follows from this either that Mercury is acted upon by some unknown masses of matter, or that the intensity of gravitation does not precisely follow Newton’s law." In: Simon Newcombe:
1911 Encyclopædia Britannica/Mercury (planet). Online: https://en.wikisource.org/wiki/1911_Encyclop%C3%A6dia_Britannica/Mercury
  • [23] "One of the most famous examples of anomalies in the history of science is that of the precession of the perihelion of Mercury." In: María del Rosario Martínez-Ordaz, Moisés Macías-Bustos: Recalcitrant Anomalies, Ignorance, Insights, and Understanding: A Structuralist Approach. 2024. Online: URL: https://philsci-archive.pitt.edu/id/eprint/23970
  • [24] Das Problem der Merkurbahn wurde zum Beispiel im Jahr 1859 klar formuliert, in: Lettre de M. Le Verrier à M. Faye sur la théorie de Mercure et sur le mouvement du périhélie de cette planète. Comptes rendus hebdomadaires des séances de l’Académie des sciences (Paris), Band 49 (1859), Seiten 379-383.
  • [25] Aus Atomen werden Moleküle, aus Molekülen Zellen, aus Zellen Organismen, aus Organismen Gesellschaften und so weiter. Wissenschaftler aus verschiedensten Fachdisziplinen haben immer wiederkehrende Gemeinsamkeiten bei solchen Sprüngen in der Evolution ausgemacht. Sie lassen vorsichtige Extrapolationen in Richtungen Zukunft zu. Siehe dazu evolutionäre Transitionen ↗
  • [26] Das Gebot des Objektivismus in der Physik hat dazu geführt, dass man die Rolle des Subjekts mehr oder mindr ganz ausblendet. Dass bei diesem Ausschalten des Subjekts aus der Physik durchaus etwas Sonderbares geschieht, beschrieb im Jahr 1908 der Physiker Max Planck: "Bedenkt man […] daß doch die Empfindungen anerkanntermaßen den Ausgangspunkt aller physikalischen Forschung bilden, so muß diese bewußte Abkehr von den Grundvoraussetzungen immerhin erstaunlich, ja paradox erscheinen. Und dennoch liegt kaum eine Tatsache in der Geschichte der Physik so klar zutage wie diese. Fürwahr, es müssen unschätzbare Vorteile sein, welche einer solchen prinzipiellen Selbsttäuschung wert sind!" In: Die Einheit des physikalischen Weltbildes. Vortrag, gehalten am 9. Dezember 1908 in der naturwissenschaftlichen Fakultät des Studentenkorps an der Universität Leiden. Dass dieser Schritt vielleicht im 19ten und 20ten Jahrhundert methodologisch zunächst sinnvoll Jahr, aber auf lange Sicht die physikalisch Erkenntnis folgenreich einengen könnten, legen die enge und möglicherweise untrennbare Einflussnahme des Psychischen auf das angenommen Materielle dar. Das klassische Phänomen der Physik dazu ist das Einstein-Podolsky-Rosen-Paradoxon ↗
  • [27] Schopenhauer: "Die Identität nun aber des Subjekts des Wollens mit dem erkennenden Subjekt, vermöge welcher (und zwar nothwendig) das Wort »Ich« beide einschließt und bezeichnet, ist der Weltknoten und daher unerklärlich." In: Arthur Schopenhauer: Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde. 1813. § 42 Subjekt des Wollens.
  • [28] Das Zitat zur Milchstraße von Kant findet man in: Immanuel Kant. Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels oder Versuch von der Verfassung und dem mechanischen Ursprunge des ganzen Weltgebäudes nach Newtonischen Grundsätzen abgehandelt. Petersen, Königsberg und Leipzig 1755.
  • [29] Dass ein Mond seinem Planeten immer dieselbe Seite zuwendet bezeichnet man heute als gebundene Rotation. Dieser Zustand scheint er normal als eine Ausnahme zu sein. Tatsächlich haben die meisten Monde im Sonnensystem eine gebundene Rotation wie auch der Erdmond. Ausnahmen sind die Saturnmonde Hyperion und Phoebe. Die gebundene Rotation des Erdmonds wurde spätestens im Jahr 1610 durch Galilei wissenschaftlich beschrieben (Sidereus Nuncius), 1647 von Hevelius in seiner Selenographia präzisiert und 1687 von Newton in seiner Philosophiae Naturalis Principia Mathematica im Buch III Scholien zu Gezeiten qualitativ erklärt. Warum Kant nicht auf die Erklärung Newtons verwies ist nicht klar. Eine auch quantitativ korrekte Erklärung lieferte dann im Jahr 1880 Johan Howard Darwin, der Sohn von Charles Darwin in seiner Schrift On the secular changes in the elements of the orbit of a satellite.

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