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Kopenhagener Deutung


Quantenphysik


Basiswissen


Die sogenannte Kopenhagener Deutung der Quantenphysik war ein Versuch, die anschaulich nicht fassbaren Befunde der Quantenphysik, wie bis zum Jahr 1927 bekannt, zu deuten. Das zentrale Problem war die schwierige Beziehung der Objekte der Theorie, etwa einer Wellenfunktion, zu möglichen Objekten der Wirklichkeit.

Die Kopenhagener Deutung in Kürze



Die Problemlage um das Jahr 1925


Die gemeinsame Wurzel aller Probleme, die Niels Bohr und Werner Heisenberg in Kopenhagen gemeinsam[22] lösen wollten, war der Verlust einer anschaulichen Deutbarkeit des Verhaltens von Photonen und Elektronen[19]. Dieses Problem kann wiederum in zwei Felder aufgeteilt werden: a) die gleichzeitige Berechtigung von Teilchen- und Wellenbildern[21] sowie b) die damals unter anderem von Heisenberg als notwendig gedachte Idee von sprunghaften Vorgängen in der Natur, der sogenannten Quantensprünge[17].

Die Kernaussage der Kopenhagener Deutung, um 1927


Niels Bohr ging davon aus, dass man zur Beschreibung von Vorgängen in Atomen das Teilchenbildes gleichzeitig neben dem dazu widersprüchlichen Wellenbild bestehen lassen soll[18]. Und Bohr zufolge kann man Teilchen außerhalb eines Experimentes keine Eigenschaften zuweisen[23]. Zulässig ist nur eine Beschreibung dessen, was man direkt beobachten könne, und das seien im Wesentlichen die Anzeigen der Messinstrumente. Heisenberg gestand dazu passend ein, dass man auf eine anschauliche Vorstellung der Vorgänge wohl verzichten müsse[19].

Sicher ist nur, was man direkt als Messergebnis beobachten kann. Darüberhinaus kann man keine Aussagen über Eigenschaften von Objekten treffen. Auf eine anschauliche Deutung der Objekte der Quantenwelt muss man damit verzichten.

Das ist eine beachtliche Haltung. Bohr will offensichtlich widerspüchliche Sichten gleichzeitig für wahr halten[32]. Und Heisenberg verzichtet darauf, die Wirklichkeit verstehen zu wollen[33]. So gesehen wird das Wort Deutung im Begriff der Kopenhagener Deutung zu einem Paradoxon, meint die Kopenhagener Deutung doch im Kern, dass man auf eine intuitiv akzeptable Deutung dessen, wass Objekte der Quantenwelt wirklich sind, verzichten soll[34].

Der Einfluss von Ernst Mach auf die Kopenhagener Deutung


Der Physiker Ernst Mach (1838 bis 1916) führte bereits im 19ten Jahrhundert eine Reihe von Problemen mit einer real für sich existierenden Außenwelt an[24], die von späteren Physikern sehr ernst genommen wurden[25]. Bemerkenswert ist, dass zu Machs Zeit die Probleme der Relativititätstheorie und der Quantenphysik noch völlig unbekannt waren. Gleichwohl hatten Philosophen schon immer auf Schwierigkeiten hingewiesen, wenn man sich eine Welt außerhalb des eigenen Bewusstseins vorstellt[26] oder dieser zuverlässig Eigenschaften zuschreiben möchte[27]. Mach entwickelte die Idee einer Physik, die ganz ohne die Annahme einer realen Außenwelt auskommt. Machs Physik beschränkt sich dabei konsequent darauf, nur nach Wahrscheinlichkeiten zu suchen, die zwischen zeitlich aufeinander folgenden Sinneseindrücken gelten. Auch die vermuteten Objekte der Realitität übersetzte Mach folgerichtig in die Sprache von Sinneseindrücken. Genau das, die Selbstbeschränkung auf Sinneseindrücke, nämlich die der abgelesenen Messerergebnisse, ist der Kern der Kopenhagener Deutung nach Bohr und Heisenberg. Siehe auch Außenwelthypothese ↗

Ist die Kopenhagener Deutung noch aktuell?


Ja: zwar war die Kopenhagener Deutung bereits zur Zeit ihrer Entstehung umstritten. Das ist sie auch heute noch. Vor allem Albert Einstein fühlte sich ihr immer fremd. Ihr tieferer Sinn aber, dass man nämlich bei Aussagen über die Eigenschaften von Quantenobjekten über die engen Versuchsergebnisse hinaus sehr vorsichtig sein sollte, wird auch heute noch von führenden Physikern vertreten. So mahnt der Nobelpreisträger des Jahres 2022, Anton Zeilinger am Beispiel des Einstein-Podolsky-Rosen-Paradoxon an: "Es ist hier jedoch sicher am besten, ebenfalls wieder die Aussage der Kopenhagener Interpretation [ …], nämlich die, daß wir es in der Naturwissenschaft zu tun haben mit Aussagen über beobachtete Phänomene, und daß es für die Verstehbarkeit der Welt in der Quantenphysik Grenzen gibt.[23]" Ähnlich äußerte sich auch der spätere Nobelpreisträger Richard Feynman im Jahr 1964[35]. Man hört hier Bohr heraus, der stets betonte, dass man jenseits der beobachtbaren Dinge der makroskopischen Welt nichts mit Sicherheit sagen könne; und Heisenberg, der stets die Grenzen des anschauliche Vorstellbaren hervorhob. Es gab und gibt aber auch Skepsis gegenüber der Kopenhagener Deutung. Hier wird unter anderem Albert Einstein oft zitiert.

Die Simulationshypothese als Lösung?


Die Vorstellung, dass die Welt nur ein Traum sei reicht bis in die Antike zurück. In der mittelalterlichen Theologie wurde der Gedanke formuliert, dass die Welt ein andauernder Schöpfungsakt Gottes sei.[28] Im 20ten Jahrhundert stand dann die Metapher von einem Gehirn im Tank für die Idee, dass unsere gesamten Eindrücke der Welt von einem Computer erzeugt sein könnten.[29] Im Jahr 1970 stellte der Computerpionier Konrad Zuse seine Idee von einem rechnenden Raum vor[30], die die Welt bereits nahe an einer Simulation durch Rechenmaschinen zeichnete. Und im 21ten Jahrhundert schließlich wird die Idee einer rechnerisch simulierten Welt von Physikern ernsthaft erwogen.[31] Wäre die Welt tatsächlich eine Simulation, die uns lediglich Sinnesdaten ins Gehirn einspielt und vielleicht unsere Reaktionen darauf irgendwie verarbeitet, dann wären die Probleme der Kopenhagener Deutung bedeutungslos: wenn man in einem Computerspiel einen Baum sieht, dann weiß man sicher, dass man den Sinneseindruck Baum hat. Aber niemand käme bei einem Computerspiel ernstaft auf den Gedanken zu fragen, ob oder in welcher Form der simulierte Baum wirklich existiert. Siehe mehr zur Idee einer von Computern erzeugten Realität unter Simulationshypothese ↗

Ähnliche Positionen


Die Kopenhagener Deutung entstand nicht isoliert als Geistesblitz von Niels Bohr und Werner Heisenberg. Die beiden Urheber wiesen immer wieder auf die ideengeschichtlichen Wurzeln ihres Denkens hin.


Von 1924 bis 1936, und damit um die Zeit der Entstehung der Kopenhagener Deutung tauschten sich Physiker, Logiker, Mathematiker, Philosophen und Denker anderer Disziplinen unter anderem im sogenannten Wiener Kreis aus. Die zentrale Figur des Kreises war Moritz Schlick ()[38].

Persönliche Einschätzung


Die Kopenhagener Deutung mahnt davor, aus den beobachteten Versuchsergebnisen vorschnell Schlüsse über die Wirklichkeit zu ziehen. Das halte ich[36] für berechtigt und wichtig. Dass das Paradoxon von Einstein, Podolsky und Rosen eine Art ganzheitlich spirituelles Universum ermöglicht, ist vielleicht denkbar, aber nicht sicher. Dass die Idee einer bloß simulierten Welt die Probleme mit dem Welle-Teilchen-Dualismus lösen könnte ist wiederum denkbar, aber nicht zwingend. Als Ermahnung zur Vorsicht ist die Kopenhagener Deutung auf jeden Fall anzuerkennen. Zweifeln möchte ich aber daran, ob man sie als endgültige Grenze unserer Erkenntnisfähigkeit hinnehmen soll. Ein bloßes Gefühl, eine Intuition, lässt mir die Idee einer simulierten Welt sinnvoll erscheinen. Dabei ist die Simulation aber kein sinnloses Spiel oder gar eine bösartige Täuschung. Sie wäre vielmehr ein gemeinsamer Erlebnisraum für dann darin frei handelnde Wesen, wie wir uns selbst empfinden.[39]

Fußnoten