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Kollaborative Physik


Naturphilosophie


Grundidee


Sind die Gesetze der Physik so gestaltet, dass sie - bildhaft gesprochen - eine Art kollaborative Software für verschiedene Akteure darstellen? Ist die Physik eine Art Betriebssystem für ein Miteinander verschiedener Wesen? Einige Indizien zu diesem Gedanken sind hier zusammengestellt.

Einführendes Zitat von John Archibald Wheeler


Der Physiker John Archibarld Wheeler (1911 bis 2008) trug im Jahr 2006 zu einer Radio Präsentation im australischen Rundfunk bei. Dort sagte er zu seiner Idee des partizipatorischen Universums: "We are participators in bringing into being not only the near and here but the far away and long ago. We are in this sense, participators in bringing about something of the universe in the distant past and if we have one explanation for what's happening in the distant past why should we need more?[2]" Siehe auch partizipatorisches Universum ↗

Das Begrenzende als Leitmotiv?


Warum können sich Energie und Information im Kosmos nicht schlagartig ohne Zeitverzug ausbreiten? Warum kollabieren quantenphysikalische Wellenfunktion nach einger Zeit in konkrete Zustände? Warum sind Energie und elektrische Ladung im Kosmos Erhaltungsgrößen? Die verbindende Gemeinsamkeit scheint hier das Begrenzende zu sein. Das Begrenzende wird hier als notwendige Voraussetzung für ein sinnvolles Miteinander intellektuell begrenzter Wesen aufgefasst. Die Gesetze der Physik bilden den Rahmen, in dem jedes einzelne Wesen die Welt verändern kann, diese gemeinsame Welt aber für andere Wesen noch verstehbar bleibt.

Gemeinschaft als Weltzweck?


Eine unser Handeln begrenzende Physik würde kaum Sinn machen, wenn es in der Welt nur ein Wesen gäbe. Ein Gott könnte mit seiner Welt alleine sein oder man selbst ist das einzige Wesen in der Welt (Solipsismus). Warum sollte man dann die Welt nicht jederzeit auf einen Schlag seinen eigenen Wünschen anpassen können? Was spräche dagegen, dass die Welt jederzeit nur ein direktes Abbild unserer momentanen Wünsche oder Willen ist? Wenn der Wunsch nach einer von außen einwirkenden Begrenzung nicht in dem einsamen Weltbewohner selbst angelegt ist, macht es keinen Sinn, die Wirkung des Weltwesens auf die Welt irgendwie zu beschränken. Wenn aber die Welt selbst nur ständig Abbild der Wünsche des Weltwesens sein soll, dann kann man auch den Zweck der Welt selbst hinterfragen. Die Idee einer solipsistischen Welt führt den nach Sinn suchenden Geist ins Leere, in die Aporie (Auswegslosigkeit). Diese Auswegslosigkeit verweist dann auf einen gegenteiligen Weltentwurf, die Idee, dass die Welt nicht für ein Wesen alleine existierte, sondern für eine Gruppe von Wesen. Das ist der Gedanke der partizipatorischen Physik.

Der Ausgleich von Freiheit und Zuverlässigkeit


Die Idee der Freiheit und die Idee einer Gemeinschaft laufen einander zunächst zuwider. Wo individuelle Freiheit konsequent zu Ende gedacht wird, wird sie für Mitbewohner desselben Universums zu Zwang und Terror. Ein Leitgedanke der Idee vom kollaborativen Universum ist es, dass die Gesetze der Physik einen ausgleichenden Kompromiß schaffen zwischen den zwei konträren Werten Freiheit und Zuverlässigkeit. Die physikalischen Gesetze erlauben gerade so viel individuelle Freiheit, dass die gemeinsam geteilte Welt für andere Bewohner in erträglichen Grenzen noch stabil und zuverlässig bleibt. Bildhaft veranschaulichen kann man diesen Gedanken am sogenannten Schmetterlingseffekt ↗

Die Zahlen-Scrabble-Metapher


In dem Spiel Scrabble ist es das Ziel, aus einer fest vorgegebenen Menge an Buchstaben möglichst lange Worte zu bilden. Ähnlich dazu könnte man sich auch vorstellen, dass aus einer gegebenen Menge von Ziffern und Rechenzeichen ein Rechenterm mit möglichst großem Zahlenwert gebildet werden soll. Aus den 9 Zeichen 4,1,1,1,+,0,-,9 und 2 kann man zum Beispiel den Term 94211-0+1 bilden oder auch den Term 94+2111-0. Der erste Term gibt als Zahlenwert ausgerechnet 94212, der zweite Term aber nur 2205. Damit ist der erste Term vom Zahlenwert her sehr viel größer. Angenommen, zehn Personen sitzen in getrennten Räumen an Computern und sehen die neun Zeichen in einer zunächst zufälligen Reihenfolge. Jede der Spieler kann diese Zeichen dann in der Reihenfolge ändern. Dabei gibt es immer nur eine Version, die alle Spieler gleichzeitig sehen. Was ein Spieler verändert, ergibt immer und sofort die einzige Version, die auch alle anderen Spieler sehen. Außer dem umändern der Zeichenreihenfolge, gibt es keine Möglichkeit wie die Wesen ansonsten miteinander kommunizieren können. Je nach den intellektuelle Fähigkeiten der Spieler eineserseits und der Komplexität der Lösungsmöglichkeiten andererseits werden bessere Lösungen genau dann schneller entstehen, wenn die Änderungsmöglichkeiten eines jeden Wesens so begrenzt sind, dass sich die Reihenfolge nicht schneller verändert, als dass die anderen Wesen ihre momentanen Gedanken damit produktiv in Verbindung halten können.

Kollaborativ heißt: gemeinsam schaffend


Kollaborativ heißt so viel wie zusammen arbeitend, gemeinsam etwas schaffend. Eine Kollaboration ist eine Zusammenarbeit, im Politischen oft verengt auf die Bedeutung einer sträflichen Zusammenarbeit mit Feinden der eigenen Gruppe. Im Sinne der Physik soll unter partizipatorische Physik hier nur verstanden werden, dass sich mehrere unabhängige Wesen, Akteure oder ganz allgemein mit freiem Willen Handelnde eine gemeinsame Welt teilen, in denen ein höherer Sinn erst aus dieser Gemeinsamkeit heraus entsteht.

Die Wesen und Akteure in dieser Welt


Als Personen, Seelen, Akteure, Agenten oder Handlungsträger soll man sich hier möglichst voraussetzungsarm Wesen vorstellen, deren Gedanken und Willen nicht eindeutig aus dem Zustand der gemeinsam geteilten Welt entspringen, die also nicht determiniert sind durch die Welt, sondern eher gegenteilig, diese Welt gestalten. (Diesem abstrakten Begriff nahe kommt vielleicht die leibnizsche Vorstellung einer Monade.) Diesen Wesen unterstellen wir, dass sie eine Absicht haben, in der gemeinsamen Welt zu wirken. Damit wird ihre gemeinsame Welt im eigentlichen Sinn des Wortes auch zu einer gemeinsamen Wirklichkeit. Das was wir in uns als Geist, Seele oder Innenwelt wahrnehmen, ist vielleicht das unmittelbare Selbstempfinden dieser Wesen. Und das was wir als Physik oder Materie oder Außenwelt wahrnehmen ist vielleicht Ausdruck der Regelhaftigkeit zur Erzeugung einer gemeinsam verständlichen Welt (Intelligibilität). Wesentlich für die nun folgenden Gedanken ist, dass diese Wesen nicht direkt miteinander kommunizieren können, sondern nur über den Umweg ihrer gemeinsam geteilten Welt. Für diese Annahme spricht die Alltagsbeobachtung, dass wir unsere Bewusstseinsinhalte nicht direkt mit anderen Menschen - oder Wesen ganz allgemein - teilen können. Jedes Wesen ist eine von anderen Wesen ganz getrennte Bewusstseinsinsel ↗

Zwangs-Subjektivität der Welt als Indiz?


Im 17ten Jahrhundert entstand die naturwissenschafliche Leitidee einer ganz vom Beobachter getrennt existierenden Welt. Man kann und soll sich als Wissenschaftlicher völlig von der Welt losgelöst vorstellen. Als Wissenschaftler begibt man sich damit in die Rolle eines rein beschreibenden Beobachters. Während es in den Sozialwissenschaften schon lange als schwierig gilt, eine Rückwirkung eigener Beobachtungen auf die Welt zu unterdrücken (jede Theorie wirkt in die Gesellschaft zurück), so drängt sich selbst in der Physik seit den 1920er Jahren zunehmend die Einsicht auf, dass es keine für sich alleine objektiv existierende physikalische Realität gibt. Alles ist möglicherweise prinzipiell untrennbar mit psychisch aktiven Beobachtern verbunden. Siehe dazu zum Beispiel das sogenannte Einstein-Podolsky-Rosen-Paradoxon ↗

Intelligibilität als Anforderung?


Bis zur Zeit von Immanuel Kant (18tes Jahrhundert) war die Frage üblich, wie es sein kann, dass der menschliche Geist, das Bewusstsein, überhaupt Objekte der Realität erkennen kann. In dieser Frage unausgesprochen enthalten ist eine gewisse Vorrangstellung dieser Objekte der Realität. Sie sind gegeben und wir wollen und müssen sie erkennen. Kant entwickelte die Idee, dass diese Objekte, er sprach von Dingern an sich, nicht sicher und direkt für uns erkennbar seien. Der Geist, habe eigene Denkkategorien, die nicht notwendigerweise auf die Objekte (Dinger) der Außenwelt passen müssen. Damit war die Vorangstellung der Dinger aufgehoben: Objekte und der nach Erkennen strebende Geist waren auf eine Stufe gestellt. Man kann als Gedankenspiel diese Abänderung der Denkrichtung weiter spinnen und nun dem Geist eine Vorangstellung einräumen und dann fragen: wie muss die Materie, wie müssen die Dinger an sich beschaffen sein, dass der Geist sie erkennen kann? Im Sinn einer partizipatorische Physik sind die physikalischen Gesetze viellicht gerade so gestaltet, dass sie eine für den Geist erkennbare, intelligible Welt erzeugen. Siehe dazu auch Intelligibilität ↗

Datenkonsistenz als Anforderung?


Programmier von Datenbanksystemen, Mehrbenutzerspielen und ganz generell kollaborativer Software kennen das Problem: eine gemeinsam von mehreren Menschen gleichzeitig bearbeitete Datei liegt in verschiedenen Kopien (Instanzen) auf verschiedenen lokalen Computern vor. Jeder Benutzer macht nun eine eigene Änderung, jeder eine andere. Dann wollen alle Nutzer ihre Änderungen in die eine allgemein verbindliche Version zurückspeichern. Welche Änderung gewinnt nun? Die letzte? Die erste? In der Informatik gibt es zahlreiche Antworten auf diese Frage. Die Idee hier ist es, dass die Gesetze der Physik vielleicht auch einen Mechanismus darstellen, der die Konsistenz von gleichzeitig bearbeiteten (von Seelen, Personen, Subjekten) Stücken der Realität herstellt. Was man in der Quantenphysik einen Quantenkollaps nennt ist vielleicht eine Analogie zu dem Speichern (commit) einer aktualisierten Version einbes Datenbestandes. Siehe mehr dazu unter Konsistenzerhaltung ↗

Fußnoten