Korrespondenztheorie
Physik
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Grundidee|
Einführung|
Antike & Mittelalter|
Aristoteles|
Thomas von Aquin|
Wahr ist das was gesehen wird|
Wahrheit ist relativ|
Wahr ist nur, was gesehen wird|
Das Universalienproblem|
Realisten|
Nominalisten|
Sprache|
Physik|
Neuzeit|
Modelldenken|
Abstraktion|
Persönliche Einschätzung|
Fußnoten
Grundidee
Theorien, oder oft nur Skizzen von Theorien[2] einer Korrespondenz gehen davon aus, dass es einen irgendwie gearteten Zusammenhang zwischen Wahrheit und einer faktisch real existierenden Welt gibt.[1][2] Das wird hier mit einigen allgemein verständlichen Beispielen aus der Physik und Mathematik kurz vorgestellt.
Einführung
Der Korrespondenztheorie, man sollte etwas vorsichtiger von einer Korrespondenzvermutung sprechen, zufolge gibt es zumindest teilweise Übereinstimmungen (Korrespondenzen) zwischen der Wirklichkeit und unseren Vorstellungen, die wir uns von dieser Wirklichkeit machen. Eine Art von Vorstellung, nur ein Beispiel, ist das Weltbild der Physik. Spielen wir die Vermutung einer weitgehenden Korrespondenz am Beispiel der Vorstellungswelt der Physik einmal durch.
Fragen
- Gibt es zu jedem Objekt der Wirklichkeit eine Entsprechung in der Vorstellung? Zum Beispiel: wie könnte man das wirkliche Gefühl nostalgischer Tagträumerei in der Vorstellungswelt der Physik abbilden?
- Gibt es zu jedem Objekt der Vorstellung eine Entsprechung in der Wirklichkeit? Zum Beispiel: wo und wie in der Wirklichkeit könnte man ein Wellenpaket als Denkbild der Physik beobachten. Kann man ein echtes Wellenpaket auf einer Photographie erkennen?
- Wenn unsere Vorstellungskraft, unser Denkvermögen, unsere Logik und Intelligenz auf die Wirklichkeit passen, wie ist das dann zustande gekommen? Evolutionäre Auslese? Göttliche Eingabe?
- Wenn in der Welt der (gut abgesicherten) Vorstellungen ein logischer Schluss gezogen wird (etwa: es muss so etwas wie Schwarze Löcher geben), kann man dann erwarten, dass die Wirklichkeit dem folgt?
- Was heißt Korrespondenz: Dinge der Wirklichkeit werden 1-zu-1 in der Vorstellung als scharfe Definitionen abgebildet? Die Vorstellung kann die Wirklichkeit vorhersagen? Will man Unschärfen, Unsicherheiten erlauben? Falls ja, in welchem Maß?
- Kann die Welt der Vorstellungen die weitere Entwicklung der Wirklichkeit lückenlos für alles vorhersagen? Dieser Anspruch wird oft mit der Physik verbunden.
- Kann es sein, dass die Wirklichkeit so komplex ist, dass es keine vollständige Vorstellung von ihr geben kann?
- Kann es logisch zueinander widersprüchliche Vorstellungen von der Wirklichkeit geben, die aber beide im Sinne der Korrespondenztheorie wahr sind? Man denke etwa an den Dualismus von Welle und Teilchen.
- Wer hat den Vorrang: bestimmt der Raum möglicher Vorstellung, was in der Wirklichkeit erscheinen kann? Oder gibt die Wirklichkeit vor, welche Vorstellungen richtig sind?
E=h·f
Ein schönes Beispiel ist die Formel E=h·f. Sie ist für die gegenwärtige Physik des Lichts und von Quanten absolut grundlegend. Sie sagt, dass die Energie eines Photons, eines gedachten Teilchens des Licht, gleich dem produkt aus einer festen Zahl h, der Planck-Konstanten, und der Freuqenz f ist. In der Vorstellungswelt gibt es also eine Frequenz. Eine Frequenz heißt anschaulich, dass etwas hin und her schwingt. Was aber schwingt bei einem Lichtteilchen in der Wirklichkeit hin und her? Durchfliegt das echte Lichtteilchen eine Art Schlängelbahn, wie eine Sinuskurve? Zittert es die ganze Zeit um seinen Schwerpunkt hin und her? Physiker antworten dann, dass es elektrische und magnetische Felder sind, die schwingen. Dann kann man im Sinne der Korrespondenztheorie weiter fragen: woraus bestehen die Felder in der Wirklichkeit?
Stand
Solche und ähnliche Fragen sind in der Philosophie, der Wissenschaft aber auch in der Literatur seit über 2500 Jahren immer wieder besprochen worden. Es gab viele zum Teil vehement ausgesprochene Antworten. Aber viele der aufgeworfenen Fragen gelten bis heute als ungelöst. Und keine große Theorie zur Erklärung der Welt gilt heute als allgemein angenommen.
Antike & Mittelalter
Aristoteles
Bereits Aristoteles (384 bis 323 v. Chr.) machte eine Unterscheidung zwischen dem was wir als wahr empfinden und dem was wirklich ist. In seiner Metaphysik findet sich folgender kurzer Satz:
ZITAT:
Aristoteles: "Zu sagen nämlich, das Seiende sei nicht oder das Nicht-seiende sei, ist falsch, dagegen zu sagen, das Seiende sei und das Nicht-seiende sei nicht, ist wahr. Wer also ei Sein oder ein Nicht-sein prädiciert muss Wahres oder Falsches aussprechen."[3]
Aristoteles: "Zu sagen nämlich, das Seiende sei nicht oder das Nicht-seiende sei, ist falsch, dagegen zu sagen, das Seiende sei und das Nicht-seiende sei nicht, ist wahr. Wer also ei Sein oder ein Nicht-sein prädiciert muss Wahres oder Falsches aussprechen."[3]
Die Übersetzung stammt aus dem dem 19ten Jahrhundert, daher die etwas ungewöhnliche Sprache. Im Wesentlichen geht Aristoteles davon aus, dass eine Aussage nur dann wahr ist, wenn sie eine Fakt, eine Tatsache, eine Sache oder irgendeinen Ablauf aus der realen Wirklichkeit genau wiedergibt.
Die Gedanken von Aristoteles mögen spitzfindig klingen. Aber sie ihre Aktualität wurde gerade in der Physik der Neuzeit, ab etwa der Zeit um 1600 bis heute, immer wieder aufgezeigt. Nehmen wir als Beispiel, dass jemand behaupt "das Nicht-seiende sei". Jemand benennt also eine Sache, die es gar nicht gibt und behauptet dennoch, es gäbe sie, sie existiere oder sei. Was könnte dafür ein Beispiel aus der modernen Wissenschaft sein?
Nehmen wir die klassische Gravitationskraft im Sinne von Isaac Newton. Wenn man etwa sagt, "Die Gravitationskraft der Erde hält den Mond auf seiner Umlaufbahn", dann sagt man mit einem solchen Satz auch, dass es die Gravitationskraft gibt, sie also "sei" oder existiere. Tatsächlich aber ist es höchst strittig, ob es so etwas wie eine Gravitationskraft überhaupt gibt. In Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie wurde die Gravitationskraft zugunsten einer sogenannanten Raumkrümmung aufgegeben.[4]
Thomas von Aquin
Thomas von Aquin (1225 bis 1274) gilt als einer der großen westeuropäisch-mittelalterlichen Philosophen der Zeit der Scholastik. Ziel der Scholastik, einer über Jahrhunderte erkennbaren Denkströmung, war es, die Übereinstimmung des christlichen Glaubens mit den Philosophien der Antike und der Vernunft überhaupt zu zeigen. Die Frage, inwiefern die Konstrukte unseres Kopfes und die Wirklichkeit zusammenhängen könnten, trieb die Denker weiterhin an.
Ich möchte hier ausdrücklich Werbung dafür machen, sich gerade auch mit den großen Philosophen des westeuropäischen Mittelalters zu beschäftigen. Ganz anders als oft angenommen waren es keine dogmatischen oder engstirnigen Köpfe. Ganz im Gegenteil. In ihren Schriften war es üblich, zunächst alle Positionen zu einem Thema darzulegen und dann Argumente gegeneinander abzuwägen. Erst danach gestanden sich die Autoren eine eigene Position zu. Mit dem Niedergang der Scholastik, etwa im 14ten Jahrhundert, so mein Eindruck, ist bis heute ein hoch entwickelte Kultur des Denkens und Debattierens abhanden gekommen.[5] Lesen wir aber Thomas von Aquin zu dem was wir heute als Korrespondenztheorie bezeichnen.
ZITAT:
"Die Wahrheit scheint mehr den Dingen innezuwohnen, als der Vernunft. Denn: I. Augustin (8. Soliloq. cap. 5.) mißbilligt diesen Ausdruck: „Wahr ist das, was gesehen wird;“ weil danach die Steine, welche in der Erde verborgen sind, deshalb nicht wahre Steine wären, weil sie nicht gesehen würden."[6]
"Die Wahrheit scheint mehr den Dingen innezuwohnen, als der Vernunft. Denn: I. Augustin (8. Soliloq. cap. 5.) mißbilligt diesen Ausdruck: „Wahr ist das, was gesehen wird;“ weil danach die Steine, welche in der Erde verborgen sind, deshalb nicht wahre Steine wären, weil sie nicht gesehen würden."[6]
Mit Augustin ist der Kirchenvater Augustinus von Hippo (354 bis 430 n. Chr.) aus der Endzeit des weströmischen Reiches gemeint. Seine abenteuerliche Lebensgeschichte in einer abenteuerlichen Zeit[7] wäre einen Exkurs wert. Ein Exkurs würde aber hier zu sehr vom eigentlichen Gedanken ablenken. Wie könnten wir uns mit Beispielen aus der heutigen Physik in den Gedanken des Thomas von Aquin einmischen? Versuchen wir einmal, die Ideen aus dem Mittelalter an physikalischen Phänomen durch zu spielen:
Wahr ist das was gesehen wird
Betrachten wir zunächst nur diesen Satz, den Augustinus ja nicht akzeptieren will. Spielen wir ihn einmal an einigen Beispielen selbst gewählten Beispielen durch. Würde man überall zustimmen, das das Gesehene auch wirklich existiert?
- a) Man sieht einen Stern am Himmel, also ist da auch ein Stern.
- b) Man sieht den Mond, also gibt es auch den Mond.
- c) Man sieht bunte Farben, also gibt es da etwas Buntes.
- d) Man sieht einen geknickten Stab, also ist da ein geknickter Stab.
- e) Man sieht seine eigenen Hände, also hat man auch Hände.
Naive Köpfe würden vielleicht jedem der Sätze zustimmen. Aber keiner der Sätze ist mit letztendlicher Sicherheit zuverlässig wahr. Zu allem was man sieht, kann man berechtigte Zweifel anführen:
- a) Wir können mit bloßem Auge Sterne am Himmel sehen, die über 1000 Lichtjahre von uns entfernt sind. Wenn ein solch weit entfernter Stern vor 900 Jahren aufgehört hätte zu leuchten, würde wir ihn heute aber noch immer am Himmel leuchten sehen, obwohl es ihn nicht mehr gibt.[8]
- b) Ob es den Mond wirklich gibt, auch wenn man gerade nicht hinsieht, war eine berühmte Frage, die Einstein zugeschrieben wurde. Nur weil man einen Mond sieht, kann man noch nicht mit Sicherheit davon ausgehen, dass es ihn unabhängig von unserem Sehen dauerhaft gibt.[9]
- c) Farbeffekte kann man auf vielerlei Weise aus nicht-bunten Objekten erzeugen. Man kann zum Beispiel eine Kreisscheibe, die nur schwarz und weiß bemalt ist, in eine leichte Drehung versetzen. Viele (nicht alle) Personen sehen dann verschiedene Farben. Kehrt man die Richtung der Drehung um, sehen viele Leute die Farben an anderen Stellen. Offensichtlich gibt es hier nicht real in der Außenwelt existierendes Buntes. Also ist das was man sieht (die Farben) nicht automatisch auch real existierend in der Außenwelt. Siehe dazu den Versuch zur Benham-Scheibe ↗
- d) Man kann einen Strohhalm nehmen und ihn zur Hälfte in ein Glas Wasser eintauchen. Je nach Blickrichtung sieht der Halm deutlich geknickt aus. Das aber ist bloß eine optische Täuschung. Tatsächlich ist der Strohhalm ja die ganze Zeit gerade. Die Ursache für den Effekt ist die optische Lichtbrechung ↗
- e) Dass Menschen Teile des eigenen Körpers sehen ohne dass sie existieren ist ein verstörender Befund. Es gibt Menschen mit amputierten Händen, die durch nichts davon zu überzeugen sind, dass sie nicht noch zwei Hände haben.[10]
Wahrheit ist relativ
Thomas von Aquin erörtere auch, ob Wahrheit nicht vielleicht relativ in dem Sinn ist, dass sie davon abhängt wer und wie sie betrachtet wird. Hören wir noch einmal Aquin in einer deutschen Übersetzung:
ZITAT:
Thomas von Aquin: "Wenn also die Wahrheit nur in der Vernunft sich vorfindet, so wäre nichts in anderer Weise, als je nach dem es verstanden wird. Und dies wäre der Irrtum der alten Philosophen [Verweis auf Aristoteles' Metaphysik im Original], die da sagten, alles sei wahr, je nach dem es erscheine. Danach würde, was sich gegenseitig widerspricht, auf beiden Seiten zugleich wahr sein, da von verschiedenen Menschen es verschieden aufgefaßt würde; der eine vom fraglichen Dinge das Gegenteil denke dessen, was der andere denkt."
Thomas von Aquin: "Wenn also die Wahrheit nur in der Vernunft sich vorfindet, so wäre nichts in anderer Weise, als je nach dem es verstanden wird. Und dies wäre der Irrtum der alten Philosophen [Verweis auf Aristoteles' Metaphysik im Original], die da sagten, alles sei wahr, je nach dem es erscheine. Danach würde, was sich gegenseitig widerspricht, auf beiden Seiten zugleich wahr sein, da von verschiedenen Menschen es verschieden aufgefaßt würde; der eine vom fraglichen Dinge das Gegenteil denke dessen, was der andere denkt."
Dass dieser Gedanke alles andere als trivial ist, kann wieder ein Beispiel aus der Schulphysik zeigen: eine elektrische Ladung, die vor dem Gesicht eines ruhenden Beobachters vorbei fliegt, hat für diesen Beobachter eindeutig eine magnetische Wirkung. Die Ladung, so eine gängige Sprechweise, erzeugt ein Magnetfeld. Aber für einen Beobachter, der sich ständig neben der Ladung her laufend mit dieser bewegt, hat die elektrische Ladung keinerlei magnetischen Effekt. Für diesen laufenden Beobachter gibt es kein Magnetfeld.
ZITAT:
Albert Einstein: "Ist ein punktförmiger elektrischer Einheitspol in einem elektromagnetischen Felde bewegt, so ist die auf ihn wirkende Kraft gleich der an dem Orte des Einheitspoles vorhandenen elektrischen Kraft, welche man durch Transformation des Feldes auf ein relativ zum elektrischen Einheitspol ruhendes Koordinatensystem erhält." Und: "Analoges gilt über die 'magnetomotorischen Kräfte'. Man sieht, daß in der entwickelten Theorie die elektromotorische Kraft nur die Rolle eines Hilfsbegriffes spielt, welcher seine Einführung dem Umstande verdankt,daß die elektrischen und magnetischen Kräfte keine von dem Bewegungszustande des Koordinatensystems unahbängige Existenz haben."[16]
Albert Einstein: "Ist ein punktförmiger elektrischer Einheitspol in einem elektromagnetischen Felde bewegt, so ist die auf ihn wirkende Kraft gleich der an dem Orte des Einheitspoles vorhandenen elektrischen Kraft, welche man durch Transformation des Feldes auf ein relativ zum elektrischen Einheitspol ruhendes Koordinatensystem erhält." Und: "Analoges gilt über die 'magnetomotorischen Kräfte'. Man sieht, daß in der entwickelten Theorie die elektromotorische Kraft nur die Rolle eines Hilfsbegriffes spielt, welcher seine Einführung dem Umstande verdankt,daß die elektrischen und magnetischen Kräfte keine von dem Bewegungszustande des Koordinatensystems unahbängige Existenz haben."[16]
Das ist starker Tobak: für den einen Beobachter existiert ein Magnefeld, für einen anderen Beobachter, der zur gleichen Zeit die gleiche Sache betrachtet existiert es nicht. Dasselbe Beispiel aus dem Elektromagnetismus diskutierte auch der Physiker Richard Feynman in seinen berühmten Vorlesungen.[17]
Eine Korrespondenztheorie, die den Zusammenhang zwischen den Inhalten und Regelns unseren Denkens mit der Wirklichkeit erklären will, muss eine Antwort darauf liefern, ob es Magnetfelder wirklich gibt, oder ob es bloße Gedanken, Worte oder Modelle sind. Einstein nannte so etwas wie die elektromotorische Kraft einen reinen "Hilfsbegriff".
Wahr ist nur, was gesehen wird
Thomas von Aquin zufolge habe Augustinus den die Zuverlässigkeit unserer Seheindrücke über einen Umkehrschluss zu entkräften versucht. Der Satz "was man sieht, existiert auch" sei deshalb falsch, weil der Umkehrschluss offensichtlich falsch sei: "wenn man etwas nicht sieht, existiert es auch nicht". Tatsächlich aber können die zwei Aussagen jede für sich alleine richtig oder falsch sein. Bemerkenswert und im im 13ten Jahrhundert in eine weite Zukunft weisen ist aber eben der Umkehrschluss: wenn man etwas nicht sieht, existiert es auch nicht.
Quantenphysik
Während es die meisten Menschen offensichtlich erscheint, dass Erze tief im Untergrund auch dann real existieren, wenn sie gerade niemand sieht, lieferte die Quantenphysik irritierende Versuchsergebnisse die das zweifelhaft machen. Zumindest für sogenannte Quantenobjekt scheint es so zu sein, dass sie möglicherweise erst dann in eine reale Existenz treten, wenn man sie beobachtet. Und nach der Beobachtungs sind sie sofort wieder in einem irrealen Zustand bloßer Möglichkeiten. Ich spiele hier unter anderem auf das sogenannte Einstein-Podolsky-Rosen-Paradoxon[11] sowie Archibald Wheelers Idee eines kreativen Universums[12] an.
Esse est percipi
Was Augustinus also eigentlich als eine Art offenstliche Absurdität ablehnte, wurde von späteren Philosophen geradezu als Grundwahrheit angenommen: wenn Augustinus davon ausgehen will, dass Steine unter der Erde unabhängig von unserem Hinsehen sind, so fromulierte über 1300 Jahre später der Ire George Berkeley gerade das als Ausgangspunkt seines Denkens: wahr ist nur, was wahrgenommen wird, auf Latein Esse est percipi ↗
Das Universalienproblem
Im mittelalterlichen Denken spielte auch das sogenannte Universalienproblem eine große Rolle: gibt es "Das Gute" oder "Die Schönheit" oder "den Menschen" an sich als für sich alleine existierende Dingen? Oder sind das Worte, reine Gedankengebilde, denen nichts aus der Wirklichkeit wirklich entspricht? Diese Frage trieb die Denker der Scholastik lange Zeit um.
Realisten
Die Realisten gingen davon aus, dass es so etwa wie "Das Gute" oder vielleicht auch "das Böse" auf irgendeine Weise wirklich gäbe. Diese allgemeinen Worte könnten etwa als Ideen im Sinne von Platon Reich der Ideen existieren. Besonders bei einer Vorstellung von einem real seienden Bösen denkt man schnell an eine personifizierte Form wie den Teufel, Satan oder Luzifer.
Nominalisten
Die Nominalisten hingegen sahen in den Begriffen von einem Guten oder Bösen und Ähnlichem bloße Worte, Gebilde des Geistes, denen nichts in der Realität als seiendes Objekt entspricht.
Sprache
Der Physiker und Philosoph Carl Friedrich von Weizsäcker (1912 bis 2007) machte eine interessante Beobachtung. Von Weizsäcker konnte Altgriechisch lesen und bemerkt, dass die alten Griechen eine Neigung hatten, aus Adjektiven oder Verben Substantive zu bilden.[14] Diese Möglichkeit besteht auch im Deutschen: aus der guten Schuhen, den guten Mensch oder den guten Argumenten kann man rein sprachlich korrekt "Das Gute" bilden. Indem man Ideen zu einem Substantiv macht, bringt man sie aber auch in die gedankliche Nähe von Dingen, Objekten, für sich alleine existierenden Sachen.
Physik
Nehmen wir ein Beispiel aus der Physik: gibt es "Die Wärme" als Ding der Wirklichkeit? Sprachlich behandeln wir die Wärme als ein Ding: "die Wärme erreicht langsam den Fuß des Gletschers", oder "die Wärme besteht letztendlich aus der kinetischen Energie von Teilchen", oder auch: "die Wärme hat als Formelzeichen oft ein großes Q". In all diesen Sätzen ist die Wärme das Subjekt. Aber worauf zielt die Frage ab, ob es Wärme wirklich gibt? Es gibt vielleicht Teilchen wie Moleküle. Und es gibt eine Bewegung dieser Teilchen. Und rein rechnerisch bildet man aus statistischen Mittelwerten der Bewegung dieser Teilchen physikalische Größen wie Wärme und Temperatur. Aber niemand könnte mit dem Finger auf ein Stück Wirklichkeit zeigen und mit Recht aussagen: da ist sie, da seht ihr die Wärme! Das einzige was man sehen könnte wären vielleicht warme Dinge, aber nicht die Wärme an sich.
Die im Mittelalter so drängende Frage, ob es nicht nur gute und böse Menschen gebe, sondern auch das Gute und das Böse als reale Dinge scheint nicht weichen zu wollen. Gibt es eine Gravitationskraft (Einstein sagt nein[15])? Gibt es elektromagnetische Felder und Wellen? Falls man das bejahen möchte, was hat man sich dann unter einem Feld vorzustellen? Besteht es aus Materie? Falls nicht, aus was besteht ein Feld dann?
Neuzeit
Die Neuzeit ist ganz allgemein die Zeit, die auf das Mittelalter folgt. Die meisten Autoren sehen die Grenze zwischen Mittelalter und Neuzeit irgendwo im 15ten Jahrhundert. In der Übergangszeit scheint es eine zunehmende Anzahl von Denkern gegeben zu haben, die ihre jeweiliges Interessensgebiet abtrennen wollten von den großen philosophischen und theologischen Fragen. Ist es wirklich nötig, sich Klarheit darüber zu verschaffen, ob es "das Gute" wirklich gibt oder nicht, wenn man die Bewegung der Planeten oder einen Kanonenkugel studieren möchte? Für die Physik ein Befreiungsschlag waren vielleicht vor allem zwei methodische Kunstgriffe: das Denken in Modellen und das Ausblenden aller Dinge, die sich nicht messen lassen, eine Form der Abstraktion.
Modelldenken
Es gab einmal mechanische Modelle von der Erde, der Sonne, dem Mond und den Planeten die falsch aber gut waren: in diesem Modellen befand sich die Erde in der Mitte während die anderen Himmelskörper in mehr oder minder kreisartigen Bewegungen sich darum bewegten.[19] Solche Modelle waren falsch, aber sie bildeten einen Teil der Wirklich korrekt ab: mit ihnen konnte man recht genau die Stellung der Himmelskörper am Nachtimmel vorhersagen. Später, zur Zeit von Kopernikus, erhoben manche Denker ganz ausdrücklich nicht mehr den Anspruch, dass ihre (Denk)Modelle die Wirklich abbilden, sondern nur einige ausgewählte Vorhersagen, etwa die Stellung der Planeten am Nachthimmel.
Als das bahnbrechende Werk des Nikolaus Kopernikus (1473 bis 1543) über die Bewegung der Himmelskörper erschien, hatte ein Andreas Osiander diesem ein bemerkenswertes Vorwort vorangestellt. Dort lesen wir:
ZITAT:
Andreas Osiander: "Allerdings müssen seine [gemeint ist Kopernikus] Hypothesen nicht unbedingt wahr sein, sie brauchen nicht einmal wahrscheinlich sein. Es reicht schon vollkommen, wenn sie zu einer Berechnung führen, die den Himmelsbeobachtungen gemäß ist".[20]
Andreas Osiander: "Allerdings müssen seine [gemeint ist Kopernikus] Hypothesen nicht unbedingt wahr sein, sie brauchen nicht einmal wahrscheinlich sein. Es reicht schon vollkommen, wenn sie zu einer Berechnung führen, die den Himmelsbeobachtungen gemäß ist".[20]
Mit diesem Kniff wichen Kopernikus beziehungsweise die Herausgeber seines Werkes sowie auch Nachfolger in der Astronomie einigen Problemen aus. Sie mussten nicht die Sonderstellung der Erde als Mittelpunkt der Welt angreifen, die ja doch im christlichen Weltbild eine wichtige Rolle spielt. Und sie konnten auch physikalisch begründete Einwände ignorieren: es sollte genügen, wenn das Denkbild, das Modell nur gut genug vorhersagt, wann man wo am Himmel einen hellen Punkt sieht oder nicht.
Man bezeichnet das heute als Modelldenken:
ZITAT:
Ein Lehrbuch für Schulen definiert Modelle als "auf einen Bereich beschränkte Vorstellungshilfen, sie sind Wirklichkeitskonstruktionen, die eine Theorie exakt erfüllen. Diese Wirklichkeitskonstruktionen sind aber nicht die Wirklichkeit selbst."[21]
Ein Lehrbuch für Schulen definiert Modelle als "auf einen Bereich beschränkte Vorstellungshilfen, sie sind Wirklichkeitskonstruktionen, die eine Theorie exakt erfüllen. Diese Wirklichkeitskonstruktionen sind aber nicht die Wirklichkeit selbst."[21]
Es gibt heute viele "falsche" aber "gute" Modelle: wir können uns Gase vorstellen als bestünden sie aus kleinsten Kügelchen, wie Billardbälle. Und die einzige Art wie sich diese Kügelchen gegenseitig beinflussen können sind elastische Stöße.[22] Man weiß, dass Gase nicht aus solchen Kügelchen besteht. Aber man kann auf dieser Annahme die gesamte Theorie idealer Gase aufbauen, mit der man wunderbar einfach rechnen. Und die Rechenergebnisse passen sehr gut auf viele Beobachtungen und Versuche. Die Korrespondenz zwischen dem gedanklichen Modell und der Wirklichkeit wird hier ganz beschränkt auf die Vorhersagbarkeit von Beoachtungen.
Der Anspruch, mit den Modellen Abbilder der Wirklichkeit erschaffen zu wollen, geschweige denn eine ganzheitlich verstandene Wirklichkeit verstehen zu wollen, ging über die Jahrhunderte immer mehr verloren. Ganz im Sinne von Andreas Osiander Vorwort von 1543 schrieb noch der Physiker Richard Feynman im Jahr 1963:
ZITAT:
Richard Feynman: "Die Prüfung jeden Wissens ist das Experiment. Das Experiment ist der einzige Richter wissenschaftlicher 'Wahrheit'."
Richard Feynman: "Die Prüfung jeden Wissens ist das Experiment. Das Experiment ist der einzige Richter wissenschaftlicher 'Wahrheit'."
Wir sind heute mit der Physik bei einem Zustand angelangt der es uns erlaubt mit sehr großer Genauigkeit die Ergebnisse von Beobachtungen vorherzusagen. Auf die Frage aber, woraus die Welt besteht, was Materie sein soll, ob es Felder wirklich gibt und derlei mehr, bedecken sich die Physiker oft mit Schweigen. Die großen ungelösten Probleme kristallisieren sich unter anderem mit klarer Schärfe im Bereich der Quantenphysik heraus. Wir können äußerst exakt vorausberechnen, wo bei einem Experiment Photonen auf einen Schirm treffen und dabei eher helle oder dunkle Streifen sichtbar werden. Aber kein Mensch kann eine befriedigende Antwort auf die Frage geben, was denn Photonen sein sollen, oder ob es sie überhaupt gibt. Es scheint, als hätten die alten Denker wie Aristoteles, Augustinus und Thomas von Aquin ein Gespür für hartnäckige Probleme gehabt. Siehe mehr zu den fundamentalen Problemen der gegenwärtigen Quantenphysik im Artikel Quantenobjekt ↗
Abstraktion
Ein zweiter, und durchaus ungeheuerlicher Kunstkniff der Physik war es, sich ganz auf messbare Dinge zu beschränken. Und was messbar ist, kann letztendlich auch ganz mathematisch gehandhabt werden. Das schälte sich im späten 16ten und dann sehr deutlich im 17ten Jahrhundert heraus. Sehr schön drückte das Max Planck im Jahr 1909 aus:
ZITAT:
"Welcher Physiker denkt heutzutage bei der Elektrizität noch an geriebenen Bernstein oder beim Magnetismus an den kleinasiatischen Fundort der ersten natürlichen Magnete? Und in der physikalischen Akustik, Optik und Wärmelehre sind die spezifischen Sinnesempfindungen geradezu ausgeschaltet. Die physikalischen Definitionen des Tons, der Farbe, der Temperatur werden heute keineswegs mehr der unmittelbaren Wahrnehmung durch die entsprechenden Sinne entnommen, sondern Ton und Farbe werden durch die Schwingungszahl bzw. Wellenlänge definiert, die Temperatur theoretisch durch die dem zweiten Hauptsatz der Wärmetheorie entnommene absolute Temperaturskala, in der kinetischen Gastheorie durch die lebendige Kraft der Molekularbewegung, praktisch durch die Volumenänderung einer thermometrischen Substanz bzw. durch den Skalenausschlag eines Bolometers oder Thermoelements; von der Wärmeemfpidnung ist aber bei der Temperatur in keinem Fall mehr die Rede. Genau ebenso ist es mit dem Begriff der Kraft gegangen. Das Wort „Kraft“ bedeutet ursprünglich ohne Zweifel menschliche Kraft, entsprechend dem Umstand, daß die ersten und ältesten Maschinen: der Hebel, die Rolle, die Schraube, durch Menschen oder Tiere angetrieben wurden, und dies beweist, daß der Begriff der Kraft ursprünglich dem Kraftsinn oder Muskelsinn, also einer spezifischen Sinnensempfindung, entnommen wurde. Aber in der modernen Definition der Kraft erscheint die spezifische Sinnesempfindung ebenso eliminiert, wie in derjenigen der Farbe der Farbensinn."[23]
"Welcher Physiker denkt heutzutage bei der Elektrizität noch an geriebenen Bernstein oder beim Magnetismus an den kleinasiatischen Fundort der ersten natürlichen Magnete? Und in der physikalischen Akustik, Optik und Wärmelehre sind die spezifischen Sinnesempfindungen geradezu ausgeschaltet. Die physikalischen Definitionen des Tons, der Farbe, der Temperatur werden heute keineswegs mehr der unmittelbaren Wahrnehmung durch die entsprechenden Sinne entnommen, sondern Ton und Farbe werden durch die Schwingungszahl bzw. Wellenlänge definiert, die Temperatur theoretisch durch die dem zweiten Hauptsatz der Wärmetheorie entnommene absolute Temperaturskala, in der kinetischen Gastheorie durch die lebendige Kraft der Molekularbewegung, praktisch durch die Volumenänderung einer thermometrischen Substanz bzw. durch den Skalenausschlag eines Bolometers oder Thermoelements; von der Wärmeemfpidnung ist aber bei der Temperatur in keinem Fall mehr die Rede. Genau ebenso ist es mit dem Begriff der Kraft gegangen. Das Wort „Kraft“ bedeutet ursprünglich ohne Zweifel menschliche Kraft, entsprechend dem Umstand, daß die ersten und ältesten Maschinen: der Hebel, die Rolle, die Schraube, durch Menschen oder Tiere angetrieben wurden, und dies beweist, daß der Begriff der Kraft ursprünglich dem Kraftsinn oder Muskelsinn, also einer spezifischen Sinnensempfindung, entnommen wurde. Aber in der modernen Definition der Kraft erscheint die spezifische Sinnesempfindung ebenso eliminiert, wie in derjenigen der Farbe der Farbensinn."[23]
Erinnern wir uns wieder an die mittelalterliche Diskussion rund um den Universalienstreit. Die Frage war, ob es so etwas wie das Gute oder das Böse real geben könne. Die Physik des 20ten Jahrhunderts entledigte sich dieser Frage. Ich wiederhole den wesentlichen Satz aus Plancks Worten: "in der modernen Definition der Kraft erscheint die spezifische Sinnesempfindung ebenso eliminiert, wie in derjenigen der Farbe der Farbensinn."[23] Die Physik kümmert sich nicht mehr um Fragen der Art, was Farbe sei oder nicht. Es genügt ihr, Frequenzen, Wellängen und Ausbreitungen von Licht korrekt vorhersagen zu können.
Letztendlich bildet der Physik seine Vorstellung von der Wirklichkeit ganz über Formeln und Zahlenwerke oder mathematische Strukuren ab. Dazu merkte Albert Einstein dunkel an:
ZITAT:
"Insofern sich die Sätze der Mathematik auf die Wirklichkeit beziehen, sind sie nicht sicher, und insofern sie sicher sind, beziehen sie sich nicht auf die Wirklichkeit."[26]
"Insofern sich die Sätze der Mathematik auf die Wirklichkeit beziehen, sind sie nicht sicher, und insofern sie sicher sind, beziehen sie sich nicht auf die Wirklichkeit."[26]
Bleibt man ganz bei der Mathematisierung der Wirklichkeit, könnte man ein Theaterstück ganz damit beschreiben, dass man für jeden Zeitpunkt die Position aller Objekte und Schauspieler auf der Bühne als Zahlenwerk angibt, und dazu noch eine Aufzeichnung aller Schalldrücke und Frequenzen. Damit ist das Theaterstück aus physikalischer Sicht eindeutig und vollständig beschrieben.[27]
Was heißt das jetzt für die Korrespondenz, die Entsprechung der Gebilde der physikalischen Theorie mit der von ihr eigentlich untersuchen Wirklichkeit? Es heißt, dass die Physik eine Gedankenwelt erschaffen hat, mit der messbare Dinge einigermaßen gut (auch das nur teilweise[25]) vorhergesagt werden können. Aber alles was das Leben ansonsten ausmacht, fehlt in der Theorie, ist dort nicht abgebildet: was ist ein gutes Leben? Gibt es einen höheren Sinn? Sind unsere Emotionen bloß ein Spiel der Elektronen im Gehirn oder stehen sie vielleicht mit anderen Seinsbereichen in Verbindung?
Persönliche Einschätzung
Mir scheint es in der Tradition philosophischen und physikalischen Denkens eine Neigung zu geben, die äußere Wirklichkeit, die Realität um uns herum als das eher gegebene zu betrachten. Die Vorstellungen in unserem Kopf werden dann so aufgefasst, also müssten sie sich der äußeren Wirklichkeit irgendwie fügen oder anpassen. Zumindest sollten sich die Gedankenwelten der Menschen möglichst gut an die Wirklichkeit, die Wahrheit anpassen. Ich kenne hingegen keinen Autoren die den Anpassungsdruck auf die Wirklichkeit legen: könnte es nicht sein, dass die Beschaffenheit von Geist, Bewusstsein, Psyche das fundamental Gegebene dieser Welt ist? Und dass die Wirklichkeit gezielt so erschaffen wurde, dass sie dem Geistigen entspricht? Konkret: wenn Farb- und Klangempfinden vielleicht eine wesentliche oder zumindest wichtige Eigenschaft des Geistigen ist, ist dann die Welt gezielt so gemacht worden, dass sie diesem psychischen Erleben etwas bieten kann? Vielleicht kann die Physik neue Wege für sich auftun, wenn die Realität einer ein physikalisch gedachten Welt nicht mehr als fundamental betrachtet wird, sondern umgekehrt, wenn die physikalische Welt als Dienstleister, Befriedigung oder bewusst gestalteter Tätigkeitsbereich für geistartige Wesen gedacht wird?
Fußnoten
- [1] Die Korrespondenztheorie der Philosophie "vertritt die Auffassung bezüglich der Wahrheit, dass Wahrheit in der Übereinstimmung zwischen einer Vorstellung oder einem Urteil und der Wirklichkeit (bzw. deren vorgestelltem Teil) besteht. […] In der scholastischen Formel »veritas est adaequatio rei et intellectus« wird dies explizit zum Ausdruck gebracht." In: Metzler Philosophie Lexikon. Herausgegeben von Peter Prechtl und Franz-Peter Burkard. 2. überarbeitete Auflage. Stuttgart, Weimar, 1999. ISBN: 3-476-01679-X. Dort der Artikel "Korrespondenztheorie", Seite 305.
- [2] David, Marian (2025): The Correspondence Theory of Truth. The Stanford Encyclopedia of Philosophy. Edward N. Zalta & Uri Nodelman (Herausgeber). Online: https://plato.stanford.edu/archives/sum2025/entries/truth-correspondence
- [3] Aristoteles: Metaphysik. Buch IV, Capitel VII. 1011b. Übersetzt von Hermann Bonitz. Herausgegeben von Eduard Wellmann im Verlag Georg Reimer. Berlin. 1890. Dort auf Seite 78.
- [4] Dass Gravitation keine Kraft ist, sondern eine Eigenschaft der gedachten Raumzeit, unterstreicht der Astrophysiker Eddington: "On the Newtonian theory no explanation of gravitation would be considered complete unless it described the mechanism by which a piece of matter gets a grip on the surrounding medium and makes it the carrier of the gravitational influence radiating from the matter. Nothing corresponding to this is required in the present theory. We do not ask how mass gets a grip on space-time and causes the curvature which our theory postulates. That would be as superfluous as to ask how light gets a grip on the electromagnetic medium so as to cause it to oscillate. The light is the oscillation; the mass is the curvature. There is no causal effect to be attributed to mass; still less is there any to be attributed to matter. The conception of matter, which we associate with these regions of unusual contortion, is a monument erected by the mind to mark the scene of conflict." In: Arthur Stanley Eddington: The Nature of the Physical World. MacMillan, 1928 (Gifford Lectures). Dort im Kapitel "Gravitation - The Explanation", Seite 156. Siehe auch Gravitationskraft ↗
- [5] Die mittelaltlichte Debattierkultur fand in den sogenannten Disputen zu einer mehr oder minder festen Form. Dispute wurden dabei weniger dazu genutzt, eigene Positionen durchzudrücken. Vielmehr dienten sie dazu, gemeinsam Positionen auszutesten und erst am Ende zu einem Schluss zu kommen. Denkt man an das oft bloß nach Emotionen heischende Durcheinandergerede bei den TV-Formaten des 20ten und 21ten Jahrhunderts (Talkshows, Wahldebatte etc.) und die oft einseitig-reißerischen oder manipulativen "Dokumentationen" auf sozialen Medien, spürt man vielleicht etwas vom Ausmaß des Verlusts. Siehe mehr dazu unter Disputation ↗
- [6] Die Zitate von Thomas von Aquin stammen aus: Summa Theologiae (Summe der Theologie). Prima Pars. Quaestio 16. Erster Artikel. Das Verhältnis der Wahrheit zur Vernunft und zu den Dingen. Übersetzt ins Deutsche als: Summe der Theologie / Die katholische Wahrheit oder die theologische Summa des Thomas von Aquin deutsch wiedergegeben durch Ceslaus Maria Schneider. Verlagsanstalt von G. J. Manz, Regensburg 1886-1892. [12 Bände] 1880. Online: https://bkv.unifr.ch/de/works/sth/versions/summe-der-theologie/divisions/134
- [7] Augustinus von Hippo (430 bis 354 n. Chr.) lebte in den letzten Zügen des Weströmischen Reiches. Verschiedene Stämme Germaniens waren in seiner Lebenszeit dabei, die Gegenden des heutigen Italiens, Frankreichs, Spaniens, Portugals und sogar des nördlichen Afrikas unter sich aufzuteilen. Augustinus kam dabei unter anderem mit den Vandalen in Berührung, die als germanischer Stamm längere Zeit als militärische Oberschicht den Norden Afrikas beherrschten. Siehe auch Augustinus ↗
- [8] Dass man längst erloschene Sterne am Himmel noch immer sehen kann hängt mit der begrenzten Geschwindigkeit des Lichts zusammen. Wenn der Stern vor 900 Jahren erloschen ist aber 1000 Lichtjahre von uns entfernt ist, dann ist noch immer Licht zu uns unterwegs, das vor mehr als 900 Jahren von dem Stern auf die Reise zu uns gegangen ist. Dieses Licht fällt noch in unsere Auge, obwohl es den Stern gar nicht mehr gibt. Eine einfache Analogie wäre hier ein Schiff auf dem Meer, das große Wellen aussendet. Diese Wellen können hunderte von Seemeilen übers Wasser laufen, wofür sie Stunden oder Tage brauchen. Die Wellen kämen auch dann noch am Stränden an, wenn das Schiff schon längst untergegangen ist. Siehe auch Lichtgeschwindigkeit ↗
- [9] "We [Pais, Einstein und Bohr] often discussed his [Einsteins] notions on objective reality. I recall that during one walk Einstein suddenly stopped, turned to me and asked whether I really believed that the moon exists only when I look at it." In: Abraham Pais: Einstein and the quantum theory. In: Rev. Mod. Phys. 51, 863–914 (1979), p. 907. DOI: https://doi.org/10.1103/RevModPhys.51.863
- [10] Ich meine mich zu erinnern, dass das Beispiel mit den amputierten Händen beschrieben ist in: Vilayanur S. Ramachandran, Hainer Kober: Die Frau, die Töne sehen konnte: über den Zusammenhang von Geist und Gehirn. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2013, ISBN 978-3-498-05794-7.
- [11] Das Paradoxon entsteht dadurch, dass bestimmte Objekte der Quantenphysik (z. B. Paare von Photonen) bestimmte messbare Eigenschaften (z. B. Polarisation) erst dann in einer konkreten Ausprägung annehmen, wenn man sie zur Interaktion mit Materie zwingt. Und dann hängt das Ergebnis der Messung auch davon ab, wie die Messung durchgeführt wird. Hier sind es zumindest die Eigenschaften der Photonen, die erst deren Ausprägung erst dann entstehen, wenn man eine Messung macht, also "hinsieht". Siehe dazu Einstein-Podolsky-Rosen-Paradoxon ↗
- [12] Der Physiker Archibald Wheeler hat aus Phänomen wie dem Einstein-Podolsky-Rosen-Paradoxon (und anderen) die Idee formuliert, dass das Universum seine konkrete Gestalt und Ausprägung im Kleinen immer nur dann konkret ausgestaltet, wenn es zu einem Akt der Beobachtung kommt. Der Beobachter ist dabei untrennbar mit der ständigen Neuerschaffung von Realität verbunden. Die Eigenarten der Physik erlauben es ihm nicht, sich auf eine Rolle als teilnahmsloser Beobachter zurück zu ziehen. Eine objektiv für sich seiende Welt gibt es demnach nicht. Es gibt keine Möglichkeit einer sauberen Trennung von für sich seiendem Objekt und teilnahmslosem Subjekt. Siehe dazu auch partizipatorisches Universum [nach Wheeler] ↗
- [13] Dass die gegenwärtige Physik ihre Probleme nicht mehr nur alleine lösen kann sieht unter anderem der Physiker und Nobelpreisträger Anton Zeilinger genau so. Er fördert ausdrücklich ein interdisziplinären Denken über den Tellerrand der Physik hinaus. Und Zeilinger wünscht sich ausdrücklich eine philosophische Deutung der Befunde der Quantenphysik. Siehe dazu Zeilingers Kant-Forderung ↗
- [14] Wie die alten Griechen aufgrund ihrer Sprache zu einer Verdinglichung von Ideen neigten, wird ausführlich dargelegt in: C. F. von Weizsäcker: Über Sprachrelativismus. In: Ein Blick auf Platon. Ideenlehre, Logik und Physik. Reclam Universal-Bibliothek. 1981. ISBN: 3-15-007731-1. Seite 6 bis 15. Siehe auch Substantiv ↗
- [15] Nach Albert Einsteins allgemeiner Relativitästheorie gibt es keine eigene Kraft der Gravitation. Alle durch diese hypothetische Kraft verursachten Erscheinungen in der Wirklichkeit lassen sich ausnahmslos durch Krümmungen in der Raumzeit (was immer das sein soll) erklären. Siehe dazu auch den Artikel zur Gravitationskraft ↗
- [16] Dass die Existenz von Feldern, etwa eines Magnetfeldes, vom Bewegungszustand des Beobachters abhängt, hat Albert Einstein betrachtet: "Ist ein punktförmiger elektrischer Einheitspol in einem elektromagnetischen Felde bewegt, so ist die auf ihn wirkende Kraft gleich der an dem Orte des Einheitspoles vorhandenen elektrischen Kraft, welche man durch Transformation des Feldes auf ein relativ zum elektrischen Einheitspol ruhendes Koordinatensystem erhält." Und: "Analoges gilt über die 'magnetomotorischen Kräfte'. Man sieht, daß in der entwickelten Theorie die elektromotorische Kraft nur die Rolle eines Hilfsbegriffes spielt, welcher seine Einführung dem Umstande verdankt, daß die elektrischen und magnetischen Kräfte keine von dem Bewegungszustande des Koordinatensystems unahbängige Existenz haben." In: Albert Einstein: Zur Elektrodynamik bewegter Körper. 1905. Siehe auch Einsteins Induktionsparadoxon ↗
- [17] R. P. Feynman, Lectures on Physics, Vol. II, Kap. 13. Dort der Abschnitt "The relativity of electric and magnetic fields". Siehe auch Feynman Lectures ↗
- [18] Das Metzler Physik Lehrbuch definiert Modelle als „auf einen Bereich beschränkte Vorstellungshilfen, sie sind Wirklichkeitskonstruktionen, die eine Theorie exakt erfüllen. Diese Wirklichkeitskonstruktionen sind aber nicht die Wirklichkeit selbst.“ In: Metzler Physik. 5. Auflage. 592 Seiten. Westermann Verlag. 2022. ISBN: 978-3-14-100100-6. Dort die Seite 573.
- [19] Henri Bach: Das Astrarium des Giovanni de’ Dondi, in: Schriften des Historisch-Wissenschaftlichen Fachkreises „Freunde alter Uhren“, Deutsche Gesellschaft für Chronometrie, Band XXIV/B, Sonderdruck, Ditzingen 1985.
- [20] Zitiert nach: Jürgen Hamel. Nicolaus Copernicus. Beitrag in: Karl von Mëyenn (Herausgeber): Die Grossen Physiker. Band I "Von Aristoteles bis Kelvin", Band II "Von Maxwell bis Gell-Mann". C. H. Beck Verlag. München, 1997. ISBN für beide Bände: 3-406-4115-7. Dort auf Seite 136.
- [21] Metzler Physik. 5. Auflage. 592 Seiten. Westermann Verlag. 2022. ISBN: 978-3-14-100100-6. Dort die Seite 573.
- [22] Die Theorie idealer Gase wurde mit großer mathematischer Raffinesse vor allem im 19ten Jahrhundert ausgearbeitet. Sie verhalf wiederum der Thermodynamik zu vielen Erfolgen. Zum Hintergrund siehe ideales Gas ↗
- [23] Im englischen Original: "The test of all knowledge is experiment. Experiment is the sole judge of scientific 'truth'." In: Feynman, R.P.; R.B. Leighton and M. Sands, 1963. The Feynman Lectures on Physics, Reading, MA: Addison-Wesley Publishing Company. Page 1-1. Mit Experiment meint Feynman im Sachzusammenhang so viel wie die Vorhersage von Messergebnissen. Siehe mehr dazu im Artikel zur Vorhersagbarkeit ↗
- [24] Max Planck: Die Einheit des physikalischen Weltbildes. Vortrag, gehalten am 9. Dezember 1908 in der naturwissenschaftlichen Fakultät des Studentenkorps an der Universität Leiden in den Niederlanden. Siehe auch Objektivismus ↗
- [25] Wie wenig die Physik gemessen an ihrem eigenen Anspruch einer Vorhersagbarkeit zu leisten vermag zeigen mehrere Beispiele. Schon die mathematische Berechnung von quantenphysikalischen Systemen aus wenigen Teilchen sprengt die Rechenleistung von Hochleistungsrechnern. Auch chaotische Systeme setzen der Vorhersagbarkeit enge praktische Grenzen. Und dann gibt es noch eine Klasse von Abläufen der Welt, die vielleicht vorherbestimmt sind, aber schon theoretisch nicht vorausberechenbar. Und auch der scheinbar waltende möglicherweise echte Zufall auf der Ebene von Quanten zerstört in vielen Fällen die Voraussagbarkeit. Mehr zu diesen Problemen ist beschrieben im Artikel zur Vorhersagbarkeit ↗
- [26] Einsteins Aphorimus zur Beziehung von Mathematik und Wirklichkeit stammt aus seinem Festvortrag "Geometrie und Erfahrung", den er am 27. Januar 1921 vor der Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin gehalten hat.
- [27] Etwas ähnliches wie die entsteelte Beschreibung eines Theaterstücks nur über Zahlenkolonnen hat der Maschinenbauingenieur und Schriftsteller Robert Musil in seinem Roman "Der Mann ohne Eigenschaften" literarisch umgesetzt. Am Anfang des Buches wird ein tödlicher Autounfall beschrieben. Die redenen Personen beschreiben das Geschehen aber rein technisch oder statistisch aus Sicht einer Versicherung. In: Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften. In drei Bänden erschienen von 1930 bis 1943.