Disputation
Wissengesellschaft
Basiswissen
Als Disputation bezeichnet man ein geregeltes, moderiertes Streitgespräch mit festgelegten Rollen. Disputationen waren in der mittelalterlichen Scholastik und der Zeit der Reformation eine Methode zur „Erforschung der Wahrheit[1]“. Die Disputation wurde üblicherweise auf Latein abgehalten, was dem internationalen Charakter der Bildung entsprach.
Zur Methode einer Disputation
Eine Person, der sogenannte Defendent[1], Disputant[8][9] oder Respondent[1] stellt einem "Streit oder Disputiersatz[2]", also eine These auf und stellt sie vor. Der eine oder mehre Opponenten[1] versuchen diese nun anzugreifen. Teilweise durften die Opponenten auch aus dem Kreis der Zuhörer stammen (ex corona). Ein sogenannter Präses[1] moderiert dabei das Streitgespräch und fasst am Ende die gewonnen Erkenntnisse zusammen[3].
====Die Disputation als gemeinsame Wissensarbeit
Der ursprüngliche Zweck einer Disputation in der Tradition der mittelalterlichen Scholastik war die „Erforschung der Wahrheit[1]“. So wird in einem Buch über die Geschichte der Friesen erzählt, dass in Norden oder Norddeich zur Zeit der Reformation ein Mann unsicher in Glaubenangelenheiten gewesen sei. Zur Klärung seiner Fragen, organisierte er einen Disput, worauf hin er seine alte Position aufgegeben haben soll[6]. Die Disputation war so angelegt, dass den Teilnehmern (Defendent, Opponent, Präses) und dem Publikum (corona) möglichst viel Wissen und möglichst viele Sichtweisen geboten wurden. Durch die gemeinsame Entwicklung von Argumenten wirkten mehrere Menschen sozusagen als Denkkollektiv[7]. Im Idealfall führte die Disputation zu einer weiteren Klärung eines vorher verschwommeneren Sachverhaltes. Siehe auch Denkkollektiv ↗
Die Disputation als Prüfung
Im akademischen Umfeld, also an Universitäten und anderen Hochschulen ist eine Disputation häufig eine öffentliche Feierlichkeit[2] oder ein öffentliches Streitgespräch[4], die oft auch Prüfungscharakter hat, etwa zur Verteidigung einer Dissertation (Doktorarbeit)[2], zur Habilitation[1] oder als Inauguraldisputation vor dem Antritt eines Lehramtes an einer Hochschule. Siehe auch Universität ↗
Fußnoten
- [1] 1837: Wahrheitsgewinn als Hauptzweck: "Disputation bedeutet jeden Streit um Meinungen, und disputiren streiten; beide Ausdrücke werden aber besonders von mündlich und unter gewissen Feierlichkeiten öffentlich von zwei oder mehren Personen veranstalteten gelehrten Streiten gebraucht, wie sie auf Universitäten in lat. Sprache gewöhnlich sind. Es wird dabei das von dem Einen, dem Respondenten oder Defendenten, Behauptete vom Andern, dem Opponenten, bestritten, wobei ein älterer Universitätslehrer zur Aufrechthaltung der Ordnung den Vorsitz führt und davon Präses heißt, auch wol den von dem Opponenten zu heftig angegriffenen Unternehmer der Disputation in Schutz nimmt. Ist auch der eigentliche Zweck einer Disputation die Erforschung der Wahrheit über streitige Punkte einer Wissenschaft, so wird doch meist nur der Nebenzweck besonders ins Auge gefaßt, seine Kenntnisse, Gewandtheit im Denken und in der lat. Sprache zu beweisen, und es muß daher in der Regel Jeder eine Disputation halten, der eine akademische Würde erlangen oder Universitätslehrer werden will. Darnach unterscheidet man auch Promotions-, Habilitations-und Inauguraldisputationen, wovon erstere zur Erwerbung einer akademischen Würde, die andere zur Erlangung des Rechts, Vorlesungen an einer Universität zu halten, und letztere zum Antritt eines Lehramts gehalten wird. Misbräuchlich wird auch die beim Disputiren zum Grunde gelegte gelehrte Streitschrift die Disputation und Dissertation genannt." In: Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 574. Online: http://www.zeno.org/nid/2000082237X
- [2] 1854, als geregeltes Streitgespräch: "Disputation (vom latein. disputare, verschiedener Meinung sein), Streit, besonders der gelehrte Streit, näher die nach Regeln geordnete Erörterung über streitige oder bestreitbare Punkte der Wissenschaft, welche auf Hochschulen u. häufig noch in latein. Sprache bei Ertheilung des Doktorgrades, im philologischen Seminar u.s.f. üblich ist. Einer stellt als Respondent u. Defendent (Antwortgeber u. Vertheidiger) einen Streit- oder Disputirsatz auf, einer oder mehre fechten als Opponenten (Widersacher) denselben an, das Concediren und Negieren (Zugeben und Leugnen) aber dauert, bis der Präses (Vorsteher), gewöhnlich ein academischer Lehrer, das Ergebniß des Ganzen zusammenfaßt u. ausspricht; Disputatoria, Streitsätze, dann minder geregelte D.en, den Conversatorien, gelehrten Unterredungen entsprechend; disputiren, streiten, besonders einen Streit über gelehrte oder politische Dinge führen." In: Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1854, Band 2, S. 406-407. Online: http://www.zeno.org/nid/20003302423
- [3] 1858, Wurzeln in der Antike: "Disputatĭon (v. lat. Disputatio), 1) Streit; 2) Verhandlung einer Streitsache, so: Disputatio fori, die Verhandlung einer Streitsache vor Gericht durch die beiderseitigen Anwalte, im Französischen Recht Plaidoyer; nach And. vorläufige sorgfältige gemeinschaftliche Berathschlagung, von Juristen über einen verwickelten Rechtsfall, bevor sie öffentlich ihr Gutachten aussprechen; D. inter creditores, so v.w. Prioritätsverfahren; 3) bes. Streit über einen wissenschaftlichen Gegenstand, kunstgemäß geführt. Zeno war Gründer der Disputirkunst, Euklides u. Aristoteles eifrige Beförderer derselben; 4) der auf Universitäten gewöhnliche, nach gewissen vorgeschriebenen Normen, von Zweien od. Mehreren geführte gelehnte Streit über einen controversen Satz, bei welchem ein von dem Einen (Respondent, Defendent) aufgestellter Satz von einem od. mehreren Anderen (Opponenten) angegriffen wird. Die Aufsicht über das Ganze führt ein akademischer Lehrer (Präses), welcher das Endresultat gibt. Die D-en werden meist in Lateinischer Sprache gehalten. In der Regel muß Jeder, welcher ein Lehramt bei einer Universität bekleiden will, bevor er dieses antritt, eine D. (Inaugural-D., Habilitations -D., Disputatio pro loco) halten; sonst auch, um Doctor zu werden (Doctor-D.); 5) mißbrauchsweise so v.w. Dissertation; daher Disputationshändler, Buchhändler od. Antiquare, die in Universitätsstädten mit Dissertationen handeln." In: Pierer's Universal-Lexikon, Band 5. Altenburg 1858, S. 188. Online: http://www.zeno.org/nid/20009794093
- [4] 1906, seit 1848 erstmals auch auf Deutsch: "Disputation (lat.), Wortkampf. gelehrtes Streitgespräch, besonders öffentliches; Disputanten, Streitredner. Im Mittelalter und im Reformationszeitalter wurden Disputationen vorzugsweise über theologische Streitfragen abgehalten (s. Religionsgespräche); heute beschränken sie sich, wenn man von politischen Streitverhandlungen absieht, fast ganz auf den herkömmlichen Gebrauch älterer Universitäten. Man hat hier die Inauguraldisputation (disputatio pro loco) oder Habilitationsdisputation zur Erlangung der Erlaubnis, an der Universität Kollegien zu lesen, und die Promotions- oder Doktordisputation (disputatio pro gradu), zur Erlangung eines akademischen Grades. Schedendisputationen (vgl. Scheda) sind die unter einem Präses, d.h. unter Vorsitz eines Universitätslehrers, über einzelne Thesen zur Übung gehaltenen Disputationen. Der Herausforderer hat seine in bestimmten kurzen Sätzen (theses, Thesen) aufgestellten Behauptungen (als Defendent oder Respondent) gegen jeden, der sie bestreitet (Opponent), zu verteidigen. Gegenwärtig ist das Disputieren meist Scheingefecht mit vorher bestimmten Opponenten geworden. Doch ist das Auftreten von Opponenten aus den Zuhörern (ex corona) gestattet. Erst seit 1848 (zuerst in Breslau) wird dabei neben oder statt der altherkömmlichen lateinischen auch die deutsche Sprache zugelassen. Diese Neuerung hat jedoch die veraltete Form nicht wahrhaft neu zu beleben vermocht." In: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 5. Leipzig 1906, S. 52. Online: http://www.zeno.org/nid/20006497152
- [5] 1911: "Disputation (lat.), Wortkampf, bes. ein öffentlich geführter gelehrter Streit, bei dem die eine Partei (Opponent) zu widerlegen sucht, was die andere (Respondent oder Defendent) behauptet hat, jetzt noch zur Erlangung akademischer Würden (Inaugural-D., Habilitations-D., Promotions-D., disputatĭo pro gradu) üblich. Disputieren, einen Wortkampf, eine D. führen." In: Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 1. Leipzig 1911., S. 441. Online: http://www.zeno.org/nid/20001051040
- [6] Franz Kurowski: Die Friesen. Das Volk am Meer. Manfred Pawlak Verlagsgesellschaft, Herrsching, 1987. 424 Seiten. Die Anekdote ist aus der Erinnerung wiedergegeben. Das Buch habe ich nicht mehr zur Hand.
- [7] Das Wort Denkkollektiv wurde erst im 20ten Jahrhundert geprägt, gibt aber gut die idealisierte Wirkung einer Disputation wieder: Ludwik Fleck: Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache. Einführung in die Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv. Ersterscheinung bei Benno Schwabe & Co. in Basel. 1935. Seite 130. Siehe auch Denkkollektiv ↗
- [8] 1908, Defendent auch als Disputant bezeichnet: "Opponieren (lat.), sich widersetzen, Widerspruch erheben; daher Opponent bei akademischen Disputationen der Gegner des Disputanten." In: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 15. Leipzig 1908, S. 84-85. Online: http://www.zeno.org/nid/20007186983
- [9] 1911, Defendent auch als Disputant bezeichnet: "Opponént (lat.), bei einer Disputation Gegner des Disputanten; opponieren, widersprechen." In: Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 2. Leipzig 1911., S. 313. Online: http://www.zeno.org/nid/20001409387
- [10] "Nach einer Definition, die Thomas von Aquin zugesprochen wird, ist eine Disputation eine syllogistische Veranstaltung (actus syllogisticus) zwischen mindestens zwei Gesprächspartnern (duae personae opponentis et respondentis inter quas vertitur disputatio) mit dem Zweck, eine Proposition zu demonstrieren." In: William J. Hoye: Die mittelalterliche Methode der Quaestio. Erschienen in: Philosophie: Studium, Text und Argument, hrsg. von Norbert Herold, Bodo Kensmann und Sibille Mischer. Münster, 1997. Dort die Seiten 155-178. Online: https://hoye.de/name/quaestio.pdf