Weltseele
Philosophie
Grundidee
Als Weltseele, auch Weltgeist[1] oder Anima mundi[2], bezeichnet man „eine das Universum durchgängig bestimmende immaterielle Kraft, die als Ursprung der menschlichen Seele gedacht wurde[1].“ Die Idee geht mindestens zurück bis in die griechische Antike[4]. Diese Weltseele wurde oft als unpersönlich und unbewusst gedacht[5]. Sie erzeugte die Weltordnung[2][10]. Zum Teil werden die Einzelseelen aus Ausflüsse aus der Weltseele begriffen[4], teilweise als mit ihr identisch[8]. Das Seelische wird dabei auch als erster Beweger, als Ursache der Geschehnisse der Welt aufgefasst[10]. Ungeklärt bleibt bei all diesen Vorstellungen, wie etwa in physikalischen Begriffen die Einflussnahme der Weltseele auf die materielle Welt oder auf Einzelseelen gedacht werden soll. Siehe dazu auch Geist-Materie-Problem ↗
Fußnoten
- [1] 1793, auch Weltgeist: "Die Wêltsêele, plur. inusit. S. Weltgeist." In: Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 4. Leipzig 1801, S. 1484. Online: http://www.zeno.org/nid/20000530662
- [2] 1865, Ideengeschichte: "Weltseele (Anima mundi), die nach Analogie der menschlichen Seele in ihrem Verhältniß zum Körper gedachte, die ganze Welt durchdringende Seele. Bei den Pythagoreern läßt sich die Annahme einer besondern W. nicht mit Bestimmtheit nachweisen; dagegen denkt sich Plato die Entstehung u. das Bestehen der Weltordnung wesentlich als durch sie vermittelt. Sie ist ihm ein Erzeugniß des Weltbaumeisters, der höchsten Vernunft, ein zwischen der reinen Vernunft u. dem Sinnlichen in der Mitte stehendes Verbindungsglied, welches dem letzteren Maß u. Ordnung verleiht. Aristoteles nahm keine besondere W. an; bei den Stoikern fällt ihr Begriff mit dem der allwaltenden, alles aus sich erzeugenden göttlichen Urkraft zusammen. Bei Plotin u. den Neuplatonikern ist die W. nicht ein unmittelbares Erzeugniß der höchsten Ureinheit, sondern geht aus ihr erst vermittelst der Vernunft (νοῦς) hervor; sie ist auf der einen Seile von dieser erfüllt u. berührt sich auf der andern Seite mit der von ihr erzeugten Körperwelt. Dabei unterscheidet Plotin bisweilen eine doppelte W., eine höhere, welche ein schlechthin unsinnliches von der Körperwelt getrenntes Wesen ist, u. eine niedere, welche in ähnlicher Weise mit den Körpern des Weltalls verbunden ist, wie die einzelne Seele mit ihrem Leibe. Diese, bei den späteren Neuplatonikern verschiedenartig modificirte Vorstellungsart, mit welcher auch die Lehre der Gnostiker von den Äonen (s.d.) eine innere Verwandtschaft hat, hat ihren Grund in dem Bestreben zwischen dem höchsten Urgrunde u. der gegebenen Erscheinungswelt vermittelnde Glieder einzuschieben, welche bei der unendlichen Entfernung der letzteren von dem ersteren ihren Ursprung aus ihm begreiflicher machen sollen. Das Christenthum, indem es die Entstehung der Welt auf einen unmittelbaren Schöpfungsact Gottes zurückführt, verwirft die Annahme einer besonderen W." In: Pierer's Universal-Lexikon, Band 19. Altenburg 1865, S. 89. Online: http://www.zeno.org/nid/20011275200
- [3] 1874, im Hinduismus: "Wischnu, (Ind. M.), einer der höchsten indischen Götter, die zweite Person der indischen Dreieinigkeit: der Erhalter. Sein Cultus ist in Indien sehr allgemein verbreitet; er ist das Alles durchdringende Wesen, die allgemeine Weltseele im Glauben seiner Verehrer." In: Vollmer, Wilhelm: Wörterbuch der Mythologie. Stuttgart 1874, S. 450-451. Online: http://www.zeno.org/nid/20011520604
- [4] 1904, historisch, interkulturell: "Weltseele ist die, von verschiedenen Philosophen angenommene, Seele der Welt, d.h. das einheitliche Lebens- und geistige Princip, das in allen Dingen wirksam ist und von dem die Einzelseelen Teile oder Ausflüsse sind. Als Weltgeist (Weltvernunft, Weltwille) wird oft Gott (s. d.) betrachtet, als ein die Welt, das All geistig durchwaltendes Princip. Ale Weltseele bestimmen das Brahman (s. d.) die Upanishads (vgl. Deussen, Allg. Gesch. d. Philos. I 2, 179 f.). Eine Weltseele gibt es nach PLATO. Sie ist vom Demiurg (s. d.) geschaffen und hat in sich die Welt de Körper, sie erkennt alles, indem sie aus einem Unteilbaren und einem Teilbaren besteht. Sie ist die Bewegerin der Welt (Tim. 34 squ.). Psychên de eis to meson autou theis dia pantos te eteine kai eti exôthen to sôma autê periekalypse tautê, kai kyklô dê kyklon strephomenon ouranon hena monon erêmon katestêse, di' aretên de auton hautô dynamenon xyngignesthai kai oudenos heterou prosdeomenon, gnôrimon de kai philon hikanôs auton autô. dia panta dê tauta eudaimona theon auton egennêsato (Tim. 34 B squ., vgl. 33). Nach der Lehre der Stoiker ist[721] die Weltseele das pneuma (s. d.), sofern es alles belebt. »Animans est... mundus composque rationis« (Cicer., De nat. deor. II, 8). hen zôon ho kosmos mian ousian kai psychên mian epechon (M. Aurel, In so ips. IV, 40. VI, 40. VII, 9). Als Emanation (s. d.) des »Geistes« (s. d.), als Einheit der Einzelseelen (s. Seele), als Bildnerin der Welt bestimmt die Weltseele PLOTIN: zôa epoiêse panta empneusasa autois zôên ... autê ekosmêsen ... kinei ... zên poiei (Enn V, 1, 2). Eine Weltseele nehmen die Manichäer (s. d.) an (August., De vera relig. IX, 16). ORIGENES erklärt: »Universum mundum velut animal quoddam immensum atque immane opinandum puto, quod quasi ab una anima, virtute Dei ac ratione teneatur« (De princ. I, 1, 3). Nach CLAUDIANUS MAMERTINUS ist die Welt »non in toto mundo... tota, sed sicut Deus ubique totus in universitate, ita haec ubique tota invenitur in corpore« (De stat. anim. III, 2). Eine allgemeine Seele (s. d.) gibt es nach AVERRO?S. – Mit dem heiligen Geist identificiert die Weltseele ABAELARD (Theol. Christ. I, 1013), so auch WILHELM VON CONCHES, welcher bestimmt: »Anima mundi est naturalis vigor, quo habent quaedam res tantum moveri, quaedam crescere, quaedam sentire, quaedam discernere« (bei Stöckl I, 216). Nach BERNHARD VON CHARTRES ist die Weltseele, welche die Materie belebt, ein Ausfluß des göttlichen Geistes. Einen »spiritus mundi« als »quinta essentia« lehrt AGRIPPA (Occ. philos. I, 14). Die »anima mundi« ist »vita quaedam unica, omnia replens, omnia perfundens, omnia colligens et connectens, ut unam reddat totius mundi machinam« (De occ. philos. II, 57). Ähnlich lehrt CARDANUS (De subtil.), F. ZORZI (De harmon. mund. 1525), PATRITIUS (Panpsych. IV, 54 ff.. Panarch. XI), CAMPANELLA. Nach ihm ist die Weltseele ein Werkzeug Gottes, das nach den göttlichen Ideen wirkt (De sens. rer. II, 32. III, 1 ff.). Als »anima universalis« bezeichnet Gott ANDREAS CAESALPINUS (Quaest. peripat. 1571). Beseelt ist die Welt (s. d.) nach GIORD. BRUNO (Del l'infin. p. 25, 67 ff.. De la causa). Einen »calor vitalis« »quasi anima« der Welt lehrt GASSENDI (Phys. sct. IV, 8). Nach R. FLUDD ist die Weltseele halb geistig, halb körperlich, sie beseelt alle Elemente, ist die Quelle der Einzelseelen (Histor. utriusque cosmi, C. 9 f.). »Animam... vocamus eam unionem seu mixtionem, quae facta est inter effluxum illum. aeternum, ac subtilissimum mundi spiritum ipsius praesentia creatum« (Philos. mos. sct. II, 1, 4). Einen ordnenden Weltgeist gibt es nach SHAFTESBURY (The Moral. III, 1). CHR. THOMASIUS erklärt: »Der Geist ist eine Kraft, d. i. ein Ding, welches ohne Zutun der Materie bestehen kann, in welchem alle materialischen Dinge bewegt werden und welches auch diesen die Bewegung gibt, sie ausspannt, zerteilt, vereinigt, zusammendrückt, anzieht, von sich stößt, erleuchtet, erwärmt, kältet, durchdringt, mit einen, Worte, in der Materie wirkt und ihr gehörige Gestalt gibt« (Vers. vom Wes. d. Geist. 1709, S. 75, 97). An eine Weltseele glaubt GOETHE (WW. II, 224). Als Ursache organischer und anorganischer Gebilde betrachtet die Weltseele SAL. MAIMON (Üb. d. Weltseele, Berl. Journal f. Aufklär. VIII, 1790). Nach SCHELLING ist die Weltseele das allgemeine Princip, welches »die Continutität der anorganischen und der organischen Welt unterhält und die ganze Natur zu einem allgemeinen Organismus verknüpft« (WW. I 4, 569). J. J. WAGNER erklärt: »Die lebendige Gestalt des Absoluten ist die Welt, und in dieser Beziehung gedacht ist das Absolute die reine Lebendigkeit oder Seele der Welt« (Syst. d. Idealphilos. S. XLIX). Nach GIOBERTI hat die Welt als Intelligibles[722] eine Seele. SCHOPENHAUER erklärt: »Weltseele ist der Wille, Weltgeist das reine Subject des Erkennens« (Neue Paralipom. § 472). Als Weltgeist faßt die Gottheit FECHNER auf (Zend-Av. I, 288). Nach CZOLBE werden die einzelnen Empfindungen und Gefühle »aus den die Körperwelt, mithin auch das Gehirn der Menschen und Tiere durchdringenden unbegrenzten Raume, in welchem sie als sein ruhender Inhalt, als tote, unsichtbare Spannkraft überall verborgen sind, durch ganz bestimmte Gehirnbewegungen als lebendige, zum Bewußtsein kommende Kräfte freigemacht oder ausgelöst« (Gr. u. Urspr. d. menschl. Erk. S. 200). Diesen geistigen Inhalt des Raumes nennt Czolbe Weltseele (l. c. S. 201 ff.). Der Geist ist nicht eine Function des Nervensystems, sondern besteht in rein mechanischen Äußerungen der unabhängigen Weltseele, welche das Nervensystem nur vermittelt (l. c. S. 209). »Die Seele des Menschen ist die Summe der durch Gehirntätigkeiten bedingten, aus Empfindungen und Gefühlen der Weltseele sich zusammenfügenden und in derselben wieder verschwindenden Mosaikbilder« (l. c. S. 210). Einen Allgeist gibt es nach M. VENETIANER (s. Panpsychismus), S. BRASSAI, BACKHAUS (Wesen d. Hum. S. 80) u. a. Nach EMERSON umfaßt die »Überseele« alle Dinge (Essays, S. 86 ff.). Vgl. M. MESSER, Die moderne Seele 1903, S. 34, 41, 109, 130." In: Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 2. Berlin 1904, S. 721-723. Online: http://www.zeno.org/nid/20001810138
- [5] 1905, unpersönlich, unbewusst: "Weltseele (Weltgeist, Anima mundi), der von einigen Philosophen (z. B. Giordano Bruno, Schelling, Fechner, Ed. v. Hartmann) vorausgesetzte einheitliche geistige, wenn auch unbewußte und unpersönliche Grund des Weltprozesses. Die Annahme einer W. schließt eine monistische Auffassung des Weltganzen in sich, indem alle einzelnen Bestandteile und Vorgänge in ihm durch ihre Beziehung zu jener als dem alles beherrschenden Prinzip auch zueinander in eine innige Beziehung treten, umgekehrt betrachten deshalb die Anhänger dieser Lehre den einheitlichen Zusammenhang und die Wechselbeziehung der Teile des Naturganzen als einen Beweis für die Richtigkeit ihrer Voraussetzung." In: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 526. Online: http://www.zeno.org/nid/20007686897
- [6] 1907: "Weltseele nannte Platon (Tim. p. 34) und nach ihm die Stoa, Schelling u. a. das belebende Prinzip der Welt." In: Kirchner, Friedrich / Michaëlis, Carl: Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe. Leipzig 1907, S. 692. Online: http://www.zeno.org/nid/20003593525
- [7] 1910: "Weltseele, s. Weltgeist." In: Karl Ernst Georges: Kleines deutsch-lateinisches Handwörterbuch. Hannover und Leipzig 71910 (Nachdruck Darmstadt 1999), Sp. 2674.
- [8] 1911, Hinduismus: "Advaita (sanskr., s.v.w. Nicht-Dualismus, Monismus), in der ind. Philosophie Lehre von der Einheit der Weltseele mit den Einzelseelen." In: Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 1. Leipzig 1911., S. 18. Online: http://www.zeno.org/nid/20000886505
- [9] 1962, die Weltseele als "eine das Universum durchgängig bestimmende immaterielle Kraft, die als Ursprung der menschlichen Seele gedacht wurde" In: Duden-Lexikon in drei Bänden. Dritter Band. P-Z. Bibliographisches Institut. Mannheim. Dudenverlag. 1962. Dort die Seite 2319.
- [10] 1999, die Weltseele als Erster Beweger, als Prima causa oder als "das Einheit stiftende Prinzip der Natur und des Lebens. Wie etwa die Bewegungskraft Teil der das ganze Weltall bewegenden Kraft ist, so ist nach platonischer Vorstellung die Einzelseele Teil der allgemeinen und alles bewegenden Weltseele." In: Metzeler Philosophie Lexikon. Herausgegeben von Peter Prechtl und Franz-Peter Burkard. 2. überarbeitete Auflage. Stuttgart, Weimar, 1999. ISBN: 3-476-01679-X. Dort die Seite 656. Der Gedanke, dass etwas Seelisches das "alles Bewegende" ist findet sich auch in der antiken bis neuzeitlichen Idee des Ersten Bewegers, noch allemeiner einer Ur-Ursache, einer Causa prima ↗