Weltharmonie
Philosophie
Basiswissen
Als Weltharmonie[9] oder auf Latein auch Harmonia mundi[3] bezeichnet man die Idee, dass die Welt in Gänze harmonisch eingerichtet ist. Alle Teile fügen sich in ein Ganzes und haben dort ihren Platz. Das ist hier kurz vorgestellt.
Geschichtliche Wurzeln der Idee einer Weltharmonie
Die Vorstellung geht vielleicht zurück bis ins Alte Ägypten[1], und ist auch für das alte Babylonien nachgewiesen[22]. Die Idee war spätestens seit dem 5ten Jahrhundert vor Christus im antiken Griechenland verbreitet[2] und inspirierte sowohl das christlich-mitterlalterliche Denken einer Göttlichen Ordnung[18] sowie auch die neuzeitliche Suche nach einer ästhetisch-harmonisch eingerichten Himmelsmechanik[5], bis hin zur Idee, dass auch die Moral dort ihren Platz habe[12]. In der Antike, dem Mittelalter und vor allem in der Neuzeit (ab etwa 1500) bezeichnete man die Weltharmonie vorwiegend Latein mit Harmonia mundi ↗
Die Kohärenz des Alfred North Whitehead
Als eine Art logischer Harmonie kann man das Konzept der Kohärenz von Alfred North Whitehead (1861 bis 1946) charakterisieren. Kein Teil einer Weltsicht, so Whitehead, dürfe Sinn ohne jedes andere Teil machen[20]. Diese Grundanahme über die Welt als harmonisches, ganzheitiches Gebilde ist weiter erklärt im Artikel Whiteheadsche Kohärenz ↗
Der sinnlose Kosmos als Gegenentwurf
Dass die Welt harmonisch sei, ist nur eine Vermutung. Eine intensive literarische Verneinung war etwa das Lebenswerk von H. P. Lovecraft[16]. Lovecraft geht vonb der Idee eines alles beherrschenden Materialismus aus. Für Sinn und Wohlergehen blinde Naturgesetze oder der pure Zufall bestimmen das Weltgeschehen. Einige originale Aussprüche dazu stehen auf der Seite H. P. Lovecraft (Zitate) ↗
Die hässliche Physik als Gegenentwurf
Von den Anfängen in der Antike[2] bis zur modernen Stringtheorie[19] gehen Physiker davon aus, dass die Physik der Welt auch zu mathematisch schönen Konstrukturen führt. Dass die Physik der Welt ganz und gar nicht ästhetischen Gedanken, etwa der Symmetrie, folgen muss, ist ein zentraler Kritikpunkt der Physikerin Sabine Hossenfelder. Provokativ spricht sie im Titel eines ihrer Bücher von einem "hässlichen Universum"[17]. Weltweit würden große Summen von Geld für den Bau von Teilchenbeschleunigern verschwendet, nur um nach fehlenden Teilchen zur Rettung einer ästhetischen, harmonischen Physik zu suchen. Hossenfelder zufolge gibt es aber keinerlei logischen Grund, dass die Physik der Welt irgendeiner menschlichen Ästhetik folgen sollte. Siehe auch Sabine Hossenfelder ↗
Fußnoten
- [1] 2700 vor Christus: in der altägyptischen Mythologie spielt das Konzept der "Maat", einer Art heiliger Weltordnung, einer alles umfassenden Gerechtigkeit eines zentrale Rolle. Das das griechische Denken, insbesondere das der klassichen griechischen Zeit und er Zeit der Ptolemäer (in Ägypten) zum Teil star von ägyptischem Gedankengut inspiriert war, geht die Idee einer Weltharmonie vielleicht mit zurück auf die Weltordnung der "Maat".
- [2] Um 450 v. Chr., der griechische Philosoph Empedokles (490 bis 444 v. Chr.) erblickte im Kosmos eine Weltharmonie: "Sein philosophisches System, welches bisher als ein Synkretismus aus Lehren der Ionischen, Eleatischen u. Pythagoreischen Schule galt, ist jetzt als übereinstimmend mit der ägyptischen Philosophie nachgewiesen worden, es ist pantheistisch u. lehrt: es giebt 4 Grundstoffe (Rhizomata), Feuer, Luft, Erde u. Wasser, dazu zwei gestaltende Principien: Feindschaft od. Liebe u. Haß od. Streit; diese werden auch mythologisch als die Götter Zeus, Here, Hades, Nestis, Aphrodite u. Neikos genannt. Zusammengefaßt sind diese in dem Sphäros, dem Kugelrund, welches materiell genommen das Chaos, geistig aber die Weltharmonie ist. Der Streit beginnt die Elemente zu bewegen, daß sie sich trennen, aber die Liebe vereinigt die getrennten Theile wieder u. bildet immer neue Gestalten; die sich erhebenden Bildungen werden vollkommenere Organisationen, auf der niedrigsten Stufe, mit der Verbindung gemeiner Theile, die Thiere, auf der höchsten, wo Feuer u. Liebe vorwalten, der Mensch." Im Artikel "Empedokles", in: Pierer's Universal-Lexikon, Band 5. Altenburg 1858, S. 677-678. Online: http://www.zeno.org/nid/20009857168
- [3] 1536, Harmonia mundi als philosophisches Weltbild: "Venĕtus, Franz Georg, Franciscaner zu Ende des 15. u. Anfang des 16. Jahrh., entwarf aus mannigfachen heterogenen Vorstellungsarten ein neues philosophisches System, dargestellt in dem Werke: De harmonia mundi totius canticatria, Vened. 1525; er schr. außerdem: Problematt. in script. sacr., ebd. 1536, u.a.m." In: Pierer's Universal-Lexikon, Band 18. Altenburg 1864, S. 430. Online: http://www.zeno.org/nid/20011202106
- [4] 1549, die Welt als Harmonie: "Nach FRANZ. ZORZI ist alles in der Welt nach Zahlen geordnet. Zwischen irdischer und himmlischer Welt besteht eine Harmonie. Die Seele ist eine vernünftige Zahl (De harmonia mundi, 1549)." In: Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 2. Berlin 1904, S. 811-818. Dort der Artikel "Zahl". Online: http://www.zeno.org/nid/2000181107X
- [5] 1619, die Harmonie der Sphären in Keplers Astronomie: "Die mannigfachsten Versuche wurden gemacht und selbst die harmonischen Verhältnisse nach Weise der Pythagoreer mit herangezogen; so wollte K. gefunden haben, daß sich die Geschwindigkeiten im Aphel und Perihel beim Saturn und Jupiter wie 4: 5, beim Mars aber wie 2: 3 verhalten, entsprechend den Schwingungszahlen bei der großen Terz und Quinte, und daraus schloß er nun, daß jeder Planet in seiner Bahn ein musikalisches Intervall durchlaufe, u. dgl. Endlich, im März 1618, kam er auf das richtige Gesetz, und 15. Mai war es, nach Beseitigung eines Rechenfehlers, festgestellt. Es wurde als das dritte der drei Gesetze der Planetenbewegung 1619 in der Schrift »Harmonices mundi libri V« veröffentlicht." In: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 10. Leipzig 1907, S. 840-841. Online: http://www.zeno.org/nid/2000688556X
- [6] Rudolf Haase: Kepler und der Gedanke der Weltharmonie. In: Jahrbuch des Oberösterreichischen Musealvereines. Band 117a. 1972. Seite 213 bis 222.
- [7] F. Warrain: Essai sur L'Harmonices Mundi ou Musique du Monde de Johann Kepler. 2 Bände, Paris 1942.
- [8] Renate Wahsner: Weltharmonie und Naturgesetz: Zur wissenschaftstheoretischen und wissenschaftshistorischen Bedeutung der Keplerschen Harmonienlehre. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, vol. 29, no. 5, 1981, pp. 531-545. https://doi.org/10.1524/dzph.1981.29.5.531
- [9] Thomas Porsch: Johannes Kepler: Die Entdeckung der Weltharmonie. Herausgegeben von Konrad Theiß. 2017. ISBN: 978-3806234527.
- [10] Andreas Cellarius: Harmonia macrocosmica seu atlas universalis et novus. Amsterdam: Johannes Janssonius, 1661; Reprint des Exemplars der Landesbibliothek Darmstadt, hrsg. und komm. von Jürgen Hamel. Berlin 2006. Im Vorwort schreibt Cellarius: "Die Harmonie der großen Welt oder allgemeiner und neuer Atlas darstellend die allgemeine und neue Kosmographie des gesamten erschaffenen Universums In welchem die harmonische Verbindung aller Weltkreise nach den widerstreitenden Meinungen verschiedener Autoren auch die Himmelsbeschreibung oder der ganze Himmelskreis die Theorie der Planeten und der Erdkugel in der Ebene und in szenischer Darstellung sowie in neuen Beschreibungen vor Augen gestellt werden." Siehe auch Weltharmonie ↗
- [11] Um 1700, die Monaden des Gottfried Wilhelm Leibniz als Ausdruck göttlicher Weltharmonie: "Alle Monaden stellen das ganze Universum vor, aber hinsichtlich des Bewußtseinsgrades, mit dem sie dies tun, sind sie verschieden. Die höchste Monade ist Gott, welcher »actus purus«, reine Wirksamkeit ohne Leiden ist; er ist die ursprüngliche Monade (»monas seu substantia simplex«, »monade primitive«), der Schöpfer aller übrigen Monaden, der Ort der ewigen Wahrheiten, der Baumeister der Natur, der Monarch im Reiche der Geister, der Stifter der Weltharmonie." Im Artikel "Leibnis, Gottfried Wilhelm". In: Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 392-403. Online: http://www.zeno.org/nid/20001826816
- [12] Um 1720: der Philosoph Samuel Clark brachte die Sitten mit ein in die Weltharmonie: "Clarke, Samuel, geb. 1675 in Norwich, studierte in Cambridge Mathematik und Philosophie, später Theologie, trat energisch für Newtons Lehren ein, wurde Pfarrer in London und starb 1729. In theoretischer Beziehung schließt sich Cl. an Newton an; wie dieser betrachtet er den Raum als das »Sensorium Gottes«. Das Dasein Gottes, die Unsterblichkeit der Seele, die Willensfreiheit sucht er sicherzustellen. In seiner Ethik nimmt er einen intuitionistisch-objektivistischen Standpunkt ein. Das Sittengesetz ist von unserem Willen unabhängig und beruht letzten Endes auf dem Willen Gottes, der die Welt nach (in der Natur der Dinge selbst liegenden) bestimmten Verhältnissen und Gesetzen eingerichtet hat, die zur Harmonie des Ganzen zusammenwirken sollen. Es ist nun oberstes Sittengesetz, die Dinge ihrer Eigenart gemäß nach ihrem Verhältnis zu anderen Dingen und zur Weltharmonie zu behandeln (Works II, 60 ff.). Auf der Angemessenheit (»fitness«) der Verhältnisse der Dinge und deren Behandlung beruhen unsere Pflichten. Unsere Nebenmenschen sind als vernünftige Wesen zu behandeln und daher Selbstzwecke. Schriften: A demonstration of the being and attributes of God, 1705-6; deutsch 1756. – A discourse concerning the unchangeable obligations of natural religion, 1708. – Remarks upon a book entitled a philosophical enquiry concern. hum. liberty, 1715. – Cl.s Briefwechsel mit Leibniz in: A collection of papers, 1717; deutsch 1720. – Werks, 1738-42. – Vgl. R. ZIMMERMANN, Cl.s Leben u. Lehre, 1870." In: Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 94-95. Online: http://www.zeno.org/nid/20001818708
- [13] 1855, die Psyche strebt zur Weltharmonie: "Durand de Gros (geb. zu Gros), 1826-1900, Pseudonym Dr. Philips (Electrodynamisme vital ou les relations physiol. de l'esprit et de la matière, 1855). D. ist ein Gegner des Positivismus und Materialismus. Er lehrt eine idealistische (spiritualistische) Metaphysik, nach welcher es Monaden, psychische Kräfte gibt, die miteinander in Wechselwirkung stehen und durch ihre gegenseitigen Anpassungen zur Weltharmonie führen. Leben und Entwicklung sind durch die Reaktionen der psychischen Kräfte, die mit den verschiedenen Nervenzentren verbunden sind, bedingt (Ganglienseelen usw.; ähnlich Pflüger, Preyer u. a.). Die Seele ist zusammengesetzt, ein »Polyzoismus« oder »Polypsychismus«; als Substanz ist sie unsterblich, wenn auch ihr Bewußtsein sich nicht erhält. SCHRIFTEN: Essais de physiologie philos., 1866. – Ontologie et psychol. physiol., 1871. – Les origines animales de l'homme, 1891. – Genèse naturelle des formes animales, 1888. – Le merveilleux scientifique, 1894. – L'idée et lefait en biologie, 1896. – Nouvelles recherches sur l'esthétique et la morale, 1900. – Variétés philosophiques, 1900. – Questions de philos. morale et sociale, 1901." In: Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 144. Online: http://www.zeno.org/nid/20001820184
- [14] 1874 die Weltharmonie als verlorener Leitgedanke der Forschung: "Inzwischen sind wir so frei, zu behaupten, dass die meisten Naturforscher unseres Zeitalters, wie sehr sie sich brüsten mögen, nicht in Harmonie mit Natur und Geist sich befinden, sondern in Disharmonie. Man möchte sagen, sie haben die Fähigkeit für die Einsicht in die ewigen Gesetze der Dinge verloren. Die Vollkommenheit der Weltharmonie ahnt und begreift einzig und allein der wahre Dichter, in welchem Alles Harmonie ist; er vernimmt den göttlichen Klang, in welchem der menschliche Geist und das unsichtbare Leben der Seele sich ausdrückt und seine irdische Form gewinnt." In: Vollmer, Wilhelm: Wörterbuch der Mythologie. Stuttgart 1874, S. XL40-LXXI71. Online: http://www.zeno.org/nid/20011450908
- [15] Um 1900, Weltharmonie als Ausdruck eines Weltgeistes: "Markovic, Franjo, geb. 1845 in Krizevac (Kroatien), Universitätsprofessor, Zagreb (Agram), seit 1909 pension. = Schüler R. Zimmermanns, dessen Bestimmungen er weiterbildet und kritisiert. Markovic' Ästhetik strebt eine Vereinigung der formalistischen (Herbart, Zimmermann) und der idealistischen Ästhetik (Platon, Hegel) an. Sie hat zur Voraussetzung eine Weltharmonie, die einem absoluten Geiste entspringt. Fünf Merkmale des Schönen gibt es: l. Die Form des Lebens, der Stärke, der Vollkommenheit. 2. Die Form der Harmonie (Einheit in der Vielheit). 3. Die Form der individuellen Charakteristik. 4. Die Form des harmonischen Abschlusses (Aussöhnung der zeitl. und räuml. Widersprüche). 5. Die Form der Regelmäßigkeit. M. eigen ist der Nachweis des Zugammenhanges von Struktur und Idee im Kunstwerk, das Aufsuchen einer immanenten, durch Form und Zahlverhältnisse ausdrückbaren Gesetzmäßigkeit. – M. hat als erster eine kroatische Terminologie für alle philosophischen Disziplinen gebildet. Schriften (kroatisch): Entwicklung und System der allgemeinen Ästhetik, 1903. – Abhandlungen im »Bad«, Mitteilungen der südslawischen Akademie in Zagreb: Ästhetische Würdigung von Gundulic Osman (Kad 46, 47, 50, 52). – Die philosoph. Tätigkeit des B. S. Boskovic (87, 88, 90). – Der ethische Gehalt unserer Volkssprüche (96). – Ein Beitrag über die Ästhetik der Ballade und Romanze (138), u. a." In: Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 881. Online: http://www.zeno.org/nid/20001841807
- [16] Um 1920: der amerikanische Schriftsteller H. P. Lovecraft verwirft jede Idee einer menschenfreundlich, überhaupt irgendwie sinnvoll eingerichteten Welt und baut darauf sein fiktives Universums auf. Siehe dazu auch H. P. Lovecraft (Zitate) ↗
- [17] 2018, die Weltharmonie als irreführender Leitgedanke in der Physik: Sabine Hossenfelder: Lost in Math. Deutsche Ausgabe: Das hässliche Universum: Warum unsere Suche nach Schönheit die Physik in die Sackgasse führt. Übersetzerinnen Gabriele Gockel, Sonja Schuhmacher. S. Fischer 2018, ISBN 978-3-10-397246-7. Siehe auch Sabine Hossenfelder ↗
- [18] Die Mittelalterliche Auffassung Vom Mundus. In: Archiv Für Begriffsgeschichte. Felix Meiner Verlag GmbH. Vo.. 2, no. 1/2, 1958, pp. 133–74. JSTOR, http://www.jstor.org/stable/24355815.
- [19] Brian Greene: The Elegant Universe: Superstrings, Hidden Dimensions, and the Quest for the Ultimate Theory. Vintage Series, Random House Inc., February 2000 ISBN 0-375-70811-1.
- [20] Alfred North Whitehead: Process and Reality, corrected edition, based on the Gifford Lectures 1927 and 1928. Die Definition der erkenntnistheoretischen Kohärenz findet sich zum Beginn des Kapitels I (Speculative Philosophy). Siehe auch Whiteheadsche Kohärenz ↗
- [21] Benedikt Wagner: Die Deutung des Deckenfreskos im Marmorsaal des Benediktinerstiftes Seitenstetten. In: Veröffentlichungen des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum. Band 77. Im Jahr 1997. Dort die Seiten 27 bis 38. Die Seiten geben eine sehr detaillierte Beschreibung allegorischer Figuren, etwa der Künste, Wissenschaften, Tugenden etc., wie sie für das 18te Jahrhundert typisch waren.
- [22] Die alten Babylonier sollen von einer Weltharmonie ausgegangen sein, und indirekt darüber aus über eine Vorhersagbarkeit der Zukunft: "Mantik (Mantie), bei den Griechen die Wahrsagekunst; im heutigen Sprachgebrauch die durch künstliche Mittel angestrebte Entschleierung der Zukunft, im Gegensatz zu der durch inneres Schauen (Prophetie) und göttliche Eingebung bewirkten Weissagung. Zu jenen künstlichen Mitteln gehört sowohl das diesem Zwecke gewidmete Studium der Naturerscheinungen (s. Geomantie, Hydromantie, Pyromantie, Astrologie etc.) als die Auslegung geworfener Stäbe (s. Rhabdomantie), Lose, Würfel, Karten und die Befragung der Toten (s. Nekromantie) und Dämonen. Diese der Zauberei sich nähernden, nicht eine freiwillige Offenbarung der höhern Wesen (Divination), sondern eine gewaltsame Aufdeckung des Schicksals anstrebenden Methoden gründen sich auf die Weltanschauung der alten Babylonier, nach der die Welt in ihrem Gang einer unabänderlichen und gesetzmäßigen, durch die Gestirnstellungen gegebenen Vorherbestimmung folgen sollte. Da nun alle Dinge der Welt untereinander und insbesondere mit dem Menschen in unmittelbarster Harmonie und Wechselwirkung stehen sollten, so durfte man mit Umgehung der Gottheit aus dem Stand und Wechsel der Naturdinge unmittelbar zu ersehen hoffen, welchen Gang das Welt- und Menschenschicksal nehmen würde. Die meisten der vom Altertum bis auf die Neuzeit gekommenen Methoden der M. waren bereits im alten Chaldäa völlig ausgebildet, und die neuern Keilschriftforschungen haben erwiesen, daß die Griechen und Römer mit Recht diese trügerische Wissenschaft als eine spezifisch chaldäische betrachteten. Vgl. Fr. Lenormant, La divination chez les Chaldéens (Par. 1875); Bouché-Leclercq, Histoire de la divination dans l'antiquité (das. 1879–1881, 4 Bde.). Allerdings berühren sich die hierher gehörigen Methoden ziemlich unmittelbar mit der Deutung des Vogelfluges und Hühnerfressens, der Blitze, der Eingeweide geschlachteter Opfertiere, der Befragung heiliger Tempelpferde (s. Augurn, Haruspices, Alektryomantie, Hieroskopie und Hippomantie), in denen man göttliche Fingerzeige voraussetzte, sowie mit der Traumdeutung, die noch unmittelbarer auf der Annahme göttlicher Eingebung fußte. Über die verschiedenen Gattungen der M. hat am eingehendsten Kaspar Peucer, der Schwiegersohn Melanchthons, geschrieben (Wittenb. 1553 u. ö.). Von den unzähligen Methoden der M. sind heute fast nur noch Punktierkunst, Chiromantie (s. d.), vor allem aber Karten- und Kaffeesatz-Wahrsagung im Schwange. Vgl. Weissagung und Orakel. – Die Araber verstehen unter M. (um-ul-mantik) die Wissenschaft der Logik." In: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 13. Leipzig 1908, S. 252. Online: http://www.zeno.org/nid/20007048378