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Das Banner der Rhetos-Website: zwei griechische Denker betrachten ein physikalisches Universum um sie herum.

Sinn

Didaktik

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Grundidee


Die Aufgabe macht keinen Sinn! Oder: ich kann nur gut lernen, wenn ich den Sinn von etwas erkenne. Sinn spielt in der Didaktik der Mathematik und Physik eine wichtige Rolle. Dabei kann das Sinngefühl ganz unterschiedichen Quellen enstpringen. Das Bedürfnis nach Sinn reicht von kleinen Dingen des Alltags bis hin zum Sinn unseres Lebens oder des gesamten Kosmos in seiner Existenz.



Bildbeschreibung und Urheberrecht
Pflanzen wachsen in die Höhe, um in Konkurrenz mit anderen Pflanzen an das lebensnotwendige Sonnenlicht zu gelangen. Der Sinn davon ist es, schnell an das lebensnotwendige Sonnenlicht zu gelangen. Diesen Sinn nennt man auch Zweck. Als Sinn des Lebens hingegen bezeichnet man ein Gefühl, Teil eines Guten und durchdachten Weltganzen zu sein. Das Gefühl stellt sich bei manchen Menschen in der Nähe zur Natur ein. © Axle Helsted (1847-1907) ☛


Die Frage nach dem Sinn


„Sie kamen aus dem Nichts - sie gehen ins Nichts. Wozu das Ganze[2]“: so sieht der Biologe Carsten Bresch die Lage des Menschen in einem „ziel- und sinnlosen“ Naturgeschehen. Dieser aufs Große zielenden Frage nach dem Sinn stehen oft Fragen nach dem ganz konkrten persönlichen Leben gegenüber: welchen Sinn macht eine Ausbildung zum Mechaniker? Oder: was ist der Sinn von diesem oder jenen Schulthema oder Fach. Diesen Sinnfragen gemeinsame ist oft, dass sie einzelne Dinge in einen größeren Rahmen stellen möchten, in dem die Einzelerscheinung eine notwendige und gute Rolle spielt, eben Sinn macht. Das ist hier kurz mit Beispielen skizziert.

Sinn als praktischer Nutzen


Viele Lernende fragen am Anfang von neuen Themen der Mathematik oder Physik nach dem Sinn des Themas. Hier haben wir in unserer Lernwerkstatt die Erfahrung gemacht, dass oft ein mit konkreten Beispielen angedeuteter Nutzen als Antwort ausreicht: ein Sinn der Vektorrechnung besteht zum Beispiel in Navigationsaufgaben oder der Vorausberechnung möglicher Kollisionspunkte von Flugzeugen. Dieser Sinn ist meist identisch mit einem praktisch-pragmatischen Zweck. In der psychologischen Typologie nach C. G. Jung entspricht diese Art von Sinn weitgehend dem extravertierten Interesse. Siehe dazu auch extravertierte Mathematik ↗

Sinn als Neugier-Befriedigung


Der österreichische Quantenphysiker Anton Zeiliger äußerte in einem Interview[1] einmal, dass er keinerlei Interesse an dem praktischen Nutzen seiner Entdeckungen hat: Quantencomputer, Krypotgraphie oder Teleportation als Beamen von Menschen im Sinne von Produkten oder Dienstleistungen sind für ihn zweitrangig. Was ihn vorrangig interessiere seien die Grundkonzepte und Ideen. Man spricht hier auch von Grundlagenforschung. In der psychologischen Typologie nach C. G. Jung entspricht diese Art von Sinn weitgehend dem introvertierten Interesse. Siehe dazu auch introvertierte Mathematik ↗

Sinn von Textaufgaben


Von einem Kinderzimmer ist ein Grundriss mit den Maßen des Raumes gegeben. In eine bestimmte Ecke soll ein Schrank gestellt werden. In der Nähe ist auch die Tür ins Kinderzimmer. Der Schrank kann also nicht beliebig viel Platz einnehmen. Nun lautet die Aufgabenstellung, dass man die Tiefe des Schrankes berechnen soll. Das Wort Tiefe meint hier aber nicht, wie tief unter dem Boden der Schrank ist und auch nicht, wie weiter er sich von oben nach unten erstreckt, sondern von vorne nach hinten. Kennt man diese letzte Bedeutung von Tiefe nicht, wird sich kein rundes Gesamtbild von der Fragestellung ergeben, sie bleibt sinnlos. Zum Umgang mit solchen Aufgabenstellungen siehe unter Textaufgaben über Gesamtbildmethode ↗

Sinn als Tiefenverständnis


Die Vektorrechnung und die Idee des Ableitens werden im mathematischen Teilgebiet der Vektoranalysis zusammengeführt. Man kann dort dann auch Vektorfelder ableiten. In der Physik hat sich gezeigt, dass alle optischen Phänomene letztendlich aus mathematischen Strukturen heraus berechnet werden können, die ursprünglich zur Beschreibung von Wellen im Meer dienten. Als tieferen Sinn bezeichnet man oft eine Erkenntnis, dass scheinbar getrennte Wissensbereiche eine gemeinsame Wurzel haben könnten. Eine Lernmethode die auf diese Art von Tiefenverständnis abzielt ist das Deep Learning ↗

Sinn als Widerspruchsfreiheit


Nach der Relativitätheorie von Albert Einstein kann sich im Universum nichts schneller bewegen als Licht im Vakuum. Gleichzeitig gibt es anerkannte kosmologische Modelle, nach denen sich der Weltraum an seinem Rand mit Überlichtgeschwindigkeit ausdehnen kann. Hier könnte man passenderweise sagen, dass die zwei Aussagen zusammen keinen Sinn ergeben. Entweder es gilt das eine oder es gilt das andere. Wenn das Sinngefühl durch echte oder vermutete Widersprüche gestört wird, spricht man unter anderem von einer sogenannten intelligent confusion ↗

Sinn als philosophisch rundes Weltbild


Der englische Mathematiker und Philosoph Alfred North Whitehead wünschte sich mehr spekulative Philosophie. Damit meinte er, dass man nach Weltbildern sucht, deren Teile alle nötig für ein Gesamtbild sind. Jeder Teil für sich alleine bleibt dabei bedeutugslos. Diese Idee lässt sich auch gut auf das Lösen von Textaufgaben übertragen. Lies mehr zum philosophischen Konzept der Kohärenz unter Whiteheadsche Kohärenz ↗

Sinn als individuelle Wirkmächtigkeit


Lernen erscheint oft dann sinnvoll, wenn es "etwas bringt". Der umgekehrte Fall kann deutlich machen, was damit gesagt sein soll. Es gibt Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die bestimmte beliebig lange und intensiv lernen können, ohne dass sich dabei eine erkennbare Besserung einstellt. Das kann zum Beispiel bei einer Dyskalkulie der Fall sein. Oft aber stellen sich Erfolge ein, die man aber selbst gar nicht wahrnimmt. Erinnert man sich zum Beispiel, was man vor drei Jahren alles noch gar nicht konnte, wir einem oft schlagartig bewusst, wie viel man überhaupt gelernt. Dass ein eigenes Handeln einen Erfolg haben kann nennt man in der Psychologie auch Wirkmächtigkeit ↗

Sinn als Sinn des Lebens


Wenn alles mit dem Tod endet, kann dann unser Leben überhaupt einen Sinn haben? Welchen Sinn hat mein Leben, wenn ich am großen Gang der Welt doch ohnehin nichts ändern kann? Solche Fragen flackern oft bereits kurz in Kindheit auf und werden dann im Jugendalter oft drängender. Siehe dazu unter Sinn des Lebens ↗

Die Umkehr der Sinnfrage


„Die Frage ist falsch gestellt, wenn wir nach dem Sinn des Lebens fragen. Das Leben ist es, das Fragen stellt.“: diese Worte stamen von dem in Österreich geborenen Juden Viktor Frankl. Durch den den deutsch-österreichischen Terrorstaat während der Zeit des Nationalsozialismus wurde fast seine gesamte Familie ermordet. Frankl baute sich später eine Existenz als Psychiater in den USA auf. Er ist heute bekannt für Bücher und Zitate, die von tiefer Weltweisheit zeugen.

Wissenschaft liefert keinen Sinn


Der Astrophysiker Arthur Stanley Eddington (1882 bis 1944) betonte eindringlich, dass die (natur)wissenschaftliche Methode Fragen nach Sinn oder Bedeutung (significance) nicht beantworten kann. Wissenschaft beschränkt sich auf zahlenmäßig fassbare Dinge. Ganz sicher, so Eddington, haben die Zunahme der Entropie im Universum aber auch Massen und Abstände eine Bedeutung jenseits von Zahlenfakten. Aber für die Naturwissenschaft bleiben solche Bedeutungs- und Sinnkategorien der Dinge in einer Schattenwelt.[4] Der Grund für diese Selbstbeschränkung der (Natur)Wissenschaftenist das methodisch sinnvolle Gebot der Objektivität ↗

Fußnoten


  • [1] Anton Zeilinger: Einstein auf dem Prüfstand. In: Sternstunde Philosophie. Interview des Schweizer Rundfunks. 14.05.2006.
  • [2] Zwischenstufe Leben. Evolution ohne Ziel? Piper, München 1977. ISBN 3-492-02270-7. Seite 21. Siehe auch Carsten Bresch ↗
  • [3] Der Astrophysiker Arthur Stanley Eddington (1882 bis 1944) sah im Bewusstsein eine Art Sinnesorgan für Sinn angelegt: "This is in fact the kind of idea which I wish to advocate; but the "average reader" has probably not appreciated that before the physicist can admit it, a delicate situation concerning the limits of scientific method and the underlying basis of physical law has to be faced. It is one thing to introduce a plausible hypothesis in order to explain observational phenomena; it is another thing to introduce it in order to give the world outside us a significant or purposive meaning, however strongly that meaning may be insisted on by something in our conscious nature. From the side of scientific investigation we recognise only the progressive change in the random element from the end of the world with least randomness to the end with most; that in itself gives no ground for suspecting any kind of dynamical meaning. The view here advocated is tantamount to an admission that consciousness, looking out through a private door, can learn by direct insight an underlying character of the world which physical measurements do not betray. "In: Arthur Stanley Eddington: The Nature of the Physical World. MacMillan, 1928 (Gifford Lectures). Dort im Kapitel "Becoming", die Seite 90 und 91.
  • [4] Wissenschaft beschränkt sich auf zahlenmäßig erfassbare Aspekte der Welt. Damit bleiben Kategorien wie Sinn und Bedeutung außen vor: "what exact science looks out for is not entities of some particular category, but entities with a metrical aspect. We shall see in a later chapter that when science admits them it really admits only their metrical aspect and occupies itself solely with that. It would be no use for beauty, say, to fake up a few numerical attributes (expressing for instance the ideal proportions of symmetry) in the hope of thereby gaining admission into the portals of science and carrying on an aesthetic crusade within. It would find that the numerical aspects were duly admitted, but the aesthetic significance of them left outside. So also entropy is admitted in its numerical aspect; if it has as we faintly suspect some deeper significance touching that which appears in our consciousness as purpose (opposed to chance), that significance is left outside. These fare no worse than mass, distance, and the like which surely must have some significance beyond mere numbers; if so, that significance is lost on their incorporation into the scientific scheme—the world of shadows." In: Arthur Stanley Eddington: The Nature of the Physical World. MacMillan, 1928 (Gifford Lectures). Dort im Kapitel "Becoming", die Seiten 105 und 106.