Vernunft
Definition
Basiswissen
Als Vernunft oder Rationalität bezeichnet man tendenziell das Gewinnnen neuer Erkenntnisse durch logisches Schlussfolgern. Die Vernunft grenzt sich damit vom Verstand ab: der Verstand kann Erkenntnis alleine durch sinnliche Beobachtung gewinnen[2]. Man beobachtet zum Beispiel tauenden Schnee auf einem kleinen Stück einer Straße. Der Verstand erkennt das durch reine Beobachtung. Die Vernunft kann dann hinzutreten und etwa durch logische Schlüsse (die Umgebung taut nicht) zur Erkenntnis gelangen, dass der Untergrund unter der tauenden Stelle wärmer ist als die Umgebung. Dabei sie die Vernunft dem Menschen eigen[1], sie zielt ab auf das Übersinnliche[3], das Religiöse[5] und die Freiheit[6] Siehe auch Rationalität ↗
Fußnoten
- [1] Vernunft in als Abgrenzung von Mensch und Tier, 1793: "Die Vernunft, plur. car. von dem Zeitworte vernehmen. 1. In eigentlichem Verstande, die Handlung, da man etwas vernimmt, es mit Bewußtseyn, Unterscheidung und Anwendung empfindet, und das Vermögen der Seele auf diese Art zu empfinden. In diesem weitern Verstande, in welchem das Wort noch hin und wieder im gemeinen Leben vorkommt, da man denn auch den Thieren Vernunft zuzuschreiben pflegt, ist es in der bestimmtern Büchersprache veraltet, wo man es, 2. nur noch in engerm Verstande gebraucht, und zwar auf gedoppelte Art. (1) Subjective, die freye, von dem Körper nicht abhängige Vorstellungskraft der Seele, zum Unterschiede von der sinnlichen Erkenntnißkraft; oder nach andern, das Vermögen, den Zusammenhang mehrerer Dinge einzusehen, zu urtheilen und zu schließen, welches doch nur ein höherer Grad, oder eine nähere Anwendung der Vernunft ist. Die Vernunft ist das innere Unterscheidungsmerkmahl des Menschen von den Thieren, so wie es die Sprache von außen ist. Verstand ist das Vermögen zu deutlichen Vorstellungen oder allgemeiner Erkenntniß, von welchem die Vernunft nur ein höherer Grad ist, ob gleich beyde im gemeinen Leben häufig mit einander verwechselt werden. Die gesunde Vernunft, das Vermögen richtig zu schließen. Vernunft beweisen, an den Tag legen, Einsicht in den Zusammenhang der Dinge. Der Vernunft gemäß, was mit erkannten Wahrheiten überein stimmet, der Vernunft zuwider, was damit streitet, über die Vernunft, was aus den Wahrheiten der natürlichen Erkenntniß nicht begriffen oder erwiesen werden kann. Seine Vernunft gebrauchen, anwenden. Der Charakter der ehelichen Freundschaft ist von der Natur so weise und sorgfältig bezeichnet, daß ihn die Vernunft leicht wahrnehmen und ausbilden kann, Gell. Der Vernunft folgen. (2) Objective, der ganze Zusammenhang der natürlich bekannten Wahrheiten, in welchem Verstande es doch seltener vorkommt, und alsdann unter andern auch der Offenbahrung entgegen gesetzt wird. Anm. Unvernunft ist nicht bloß ein Gegensatz der Vernunft, sondern bezeichnet den unterlassenen pflichtmäßigen Gebrauch, oder die in hohem Grade irrige Anwendung der Vernunft. " In: Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 4. Leipzig 1801, S. 1101-1102. Online: http://www.zeno.org/nid/20000500518
- [2] Vernunft als begriffliches Denken, 1838: "Vernunft. Bildet der Verstand aus sinnlichen Wahrnehmungen Begriffe, so ist dagegen die V. das eigentliche ideale Denkvermögen, da sie die angeborenen, in unserem Inneren ruhenden Ideen der Nothwendigkeit, Freiheit, Ewigkeit etc. herausbildet, ordnet und ausbeutet." In: Damen Conversations Lexikon, Band 10. [o.O.] 1838, S. 332. http://www.zeno.org/nid/20001774336
- [3] Vernunft als Tor zum Übersinnlichen, 1841: "Vernunft (die), das edelste Gut des Menschen und Das, was er vor den Thieren der Erde voraus hat, ist die Quelle der von innen heraus sich entwickelnden Vervollkommnung der Menschheit, die erhabenste Äußerung der Geistes- oder Seelenthätigkeit. Sie ist das Vermögen des Übersinnlichen, des Idealen, des über Zeit und Raum Erhabenen, des Ewigen, und die von ihr erzeugten Vorstellungen heißen vorzugsweise Ideen. Denn die Vernunft ist nicht vorzugsweise auf das Zeitliche und Sinnliche hingewiesen und an das Gebiet der Erfahrung gebunden, wie der Verstand, für den sie als sittliche Gesetzgeberin (praktische oder moralische Vernunft) auftritt, während die theoretische oder speculative mit geistigem Bewußtsein das Wissen über die Schranken der Erfahrung zu erweitern strebt. Sie ist daher die höchste Stufe menschlicher Thätigkeit, die Quelle der Einheit und des höhern Zusammenhangs von Gedanken und Entschließungen, wobei ihr aber auch der Verstand (s.d.) zur Hand gehen muß, denn dieser ist so wenig ausschließlich auf Sinnliches und Zeitliches, wie jene allein auf Übersinnliches beschränkt." In: Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 593. Online: http://www.zeno.org/nid/20000873926
- [4] Vernunft in Abgrenzung zum Verstand, 1857: "Vernunft (von vernehmen, lat. ratio woher das ital. ragione, franz. raison, engl. reason), die das Uebersinnliche, das Wesen der Dinge inne werdende Geisteskraft, das Vermögen der Ideen oder Principien, das Wesen des menschlichen Geistes, wodurch dieser ein Ebenbild Gottes und so hoch über die Thierwelt gestellt ist, als die Unendlichkeit über das Endliche. Sie liegt als Anlage in der Menschenseele, ihr archimedischer Punkt ist das geistige Selbstbewußtsein (s. Bewußtsein), endlich muß sie durch Erziehung, Leben und Wissenschaft entwickelt werden und ist einer Unzahl von Verkümmerungen u. Verirrungen fähig. Im gemeinen Verkehr werden die Ausdrücke V. und Verstand gleichbedeutend gebraucht, die Philosophen seit Aristoteles Zeit thaten dies gleichfalls und bezeichneten mit beiden Ausdrücken eben das Erkenntnißvermögen des Menschen in seiner höchsten Potenz, aber seit Kant unterschied man V. und Verstand sehr scharf, übrigens ohne die Unterscheidungen objectiv genügend zu begründen." Es folgen noch weitere Ausführungen zum Unterschied von Vernunft und Verstand. In: Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1857, Band 5, S. 612-613. Online: http://www.zeno.org/nid/20003557103
- [5] Vernunft geht über die Erfahrung hinaus, 1904: " Vernunft (nous, logos, dianoia, intellectus, ratio, raison, reason) ist im allgemeinsten Sinne des Wortes so viel wie Geist (s. d.), Intelligenz (s. d.), Denkprincip gegenüber der Sinnlichkeit (s. d.). Im engeren Sinne wird Vernunft vom Verstande (s. d.) unterschieden als höhere Geistesfähigkeit. In diesem Sinne ist Vernunft die Einheit und Kraft alles besonnenen, zielbewußten Denkens und Wollens, die auf Zusammenhang und abschließende Einheit des Wissens und Handelns (theoretische – praktische Vernunft) abzielende (auf das »Unbedingte« gehende) Geistestätigkeit, Geistesdisposition. Sie verarbeitet das durch den Verstand, durch die den Erfahrungsinhalt urteilend gestaltende Geistesrichtung Gewonnene zu innerlich verbundenen, geschlossenen, »vernünftigen« (nach Grund und Folge, Mittel und Zweck geordneten) Zusammenhängen (von Gedanken, Handlungen). Sie ist die Quelle theoretischer (metaphysischer, religiöser) und praktischer (ethischer, juridischer) Ideen (s. d.). " Es folgt dann ein sehr langer, historischer Abriss. In: Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 2. Berlin 1904, S. 630-641. Online: http://www.zeno.org/nid/20001808672
- [6] Vernunft oder Ratio als Kern gedanklicher Freiheit, 1909: "Vernunft (Ratio), im Sinne des allgemeinen Sprachgebrauches die den Menschen vom Tier unterscheidende höhere geistige Kraft, also das Vermögen der den kenden Verarbeitung äußerer Eindrücke, der Bildung von Begriffen und Schlüssen. Sofern die V. ihr Gesetz in sich selbst trägt, läßt sie den Menschen nicht nur den Naturmächten als geistig freies (autonomes) Wesen gegenübertreten, sondern sie ermöglicht es ihm auch, sich von den geistigen Einflüssen der Umgebung unabhängig zu machen. Daher besteht zwischen der V. einerseits, der Sitte, Tradition, Autorität, Offenbarung anderseits ein natürlicher Gegensatz, und die Geschichte des geistigen Lebens zeigt einen beständigen Kampf zwischen Richtungen, die eine Unterordnung des Einzelnen unter diese Mächte verlangen, und solchen, welche die V. (die eigne Überzeugung, die Einsicht in das Wesen der Sache) zur obersten Richtschnur machen. Im philosophischen Sinn ist V. im Unterschied vom Verstand (s. d.) die Fähigkeit, vom Besondern, Untergeordneten zu den allgemeinsten Gründen sich zu erheben, die Gesamtheit unsrer Gedanken durch Unterordnung unter allgemeinste Prinzipien in einen umfassenden Zusammenhang zu bringen." Es folgen noch umfangreiche weitere Ausführungen. In: "Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 91-92. Online: http://www.zeno.org/nid/20007645732
- [7] Vernunft und Verstand, nach Kant, 1911: "Vernunft und Verstand, zwei Bezeichnungen für die höhern Funktionen des menschlichen Vorstellungslebens. Nach Kant bringt der Verstand die Beziehungen des Begriffsinhalts in Urteilen zum Bewußtsein (Verstandesbegriffe), während die Vernunft ganze Massen der Verstandeserkenntnisse einem gemeinsamen Gesichtspunkte der Betrachtung unterwirft (praktische [sittliche] und ästhetische Vernunft)." In: Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 2. Leipzig 1911., S. 915. Online: http://www.zeno.org/nid/20001653709