A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z 9 Ω


Ramsauer-Effekt

Physik

Basiswissen


Der deutsche Physiker Carl Ramsauer (1879 bis 1955) hatte zeitgleich mit dem Iren Townsend[13] untersucht, wie die Flugbahn langsamer Elektronen von Gasmolekülen beeinflusst wird. Das Ergebnis war, dass die Beeinflussung umso geringer ist, je langsamer die Elektronen sind. Das konnte weder mit Hilfe der kinetischen Gastheorie noch den klassischen Gesetzen der Elektrodynamik erklärt werden. Erst die Quantenphysik[15], speziell die Idee einer Materiewelle[3], brachte die Wende.

Die allgemeine Fragestellung von Ramsauer


Schießt man Elektronen auf ein Gas, so erscheint es zunächst offensichtlich, dass manche der Elektronen mit den Gasmolekülen entweder zusammenstoßen oder von ihnen auf irgendeine Weise in ihrer Bewegung beeinflusst werden. Als wirskamen Querschnitt bezeichnet man dabei die hypothetische Größe eines Gasteilchens, die gegebenen sein müsste, um die beobachteten Beeinflussungen zu erklären.

ZITAT:

"Das Ziel der nachstehenden Arbeit [… besteht] darin, den insgesamt wirksamen Querschnitt eines Gasmoleküls gegenüber langsamen Elektronen für eine einheitliche Elektronengeschwindigkeit und für einen eindeutig definierten Elektronenweg festzustellen."[1, Seite 513]

Man denke etwa an den berühmten Goldfolien-Versuch Rutherfords, bei dem dieser Alphateilchen auf eine dünne Goldfolie schoss und zeigen konnte, dass manche der Alphateilchen die Goldfolie unbeeinflusst durchflogen, manche aber auch merklich abgelenkt wurden.[4] Eine Ursache einer Ablenkung könnten etwa elektromagnetische Kräfte in Nähe der Elektronenhüllen oder der Atomkerne sein.

Der Versuchsaufbau


Ramsauer schoss Elektronen in einem eng gebündelten Elektronenstrahl[7] mit einem kreisförmigen Querschnitt[8] durch ein Gas[14]. Die Anzahl der Moleküle in dem Gas kann indirekt über den bekannten Druck des Gases bestimmt werden.[9] Beispielhaft sprach Ramsauer von "0,8 Volt mittlerer Elektronengeschwindigkeit[1, Seite 530], was weniger als 600 tausend m/s oder weniger als das das 0,2 Prozent der Lichtgeschwindigkeit entspricht.[12]. Bei seinen Versuchen lagen die verwendeten Beschleunigungsspannungen zwischen 0,75 und 1,1 Volt.

ZITAT:

"Zu diesem Zwecke werden Elektronen bestimmter Geschwindigkeit aus einer beliebigen Geschwindigkeitsverteilung heraus mittels eines entsprechenden magnetischen Feldes auf einem durch Blenden festgelegten Kreisbogen zuerst durch das ,,Vakuum" und darauf durch ein Gas bestimmten Drucks hindurchgeleitet und am Ende ihres Weges aufgefangen. Die im zweiten Falle fehlende Elektronenmenge gibt dann die Zahl aller derjenigen Elektronen an, welche durch die Moleküle des eingeführten Gases in irgendeiner Weise beeinflußt sind, nämlich nicht nur diejenigen Elektronen, welche von den Molekülen vorübergehend oder dauernd festgehalten werden, sondern auch alle diejenigen, welche durch Richtungsänderung oder Geschwindigkeitsänderung irgendwelcher Art eine Ablenkung aus dem Kreise erleiden."[1, Seite 518]

Gemessen wird also der Anteil der Elektronen, die das Gas ohne jede nennenswerte Beeinflussung durchflogen haben. Damit kann man dann berechnen, wie groß der sogenannte effektive Wirkungsquerschnitt der Gasteilchen gewesen sein muss. Diesen Wirkungsquerschnitt zu bestimmen war das eigentliche Ziel Ramsauers.

Drei mögliche Ausgänge des Versuchs


Ramsauer beschrieb zunächst drei Möglichkeiten, wie der von ihm geplante Versuch ausgehen könnte. Dabei geht er noch nicht auf mögliche Ursachen ein, sondern unterscheidet nur mögliche Beobachtungen. Wir werde weiter unten sehen, dass das tatsächliche Ergebnis sehr überraschend war.

ZITAT:

"1. Das Elektron erfährt keinerlei Veränderung in der Geschwindigkeit oder Richtung seiner Bewegung."[1, Seite 514]

ZITAT:

"2. Das Elektron erleidet eine merkliche, aber doch so geringe Beeinflussung, daß sein Bewegungszustand im großen und ganzen erhalten bleibt. Zu unterscheiden sind: Geschwindigkeitsverminderung und Richtungsänderung. Letztere wird in ihrer Gesamtwirkung auf das Strahlenbündel als Diffusion bezeichnet und ist dadurch charakterisiert, daß die Wahrscheinlichkeit jeder Richtungsänderung schnell mit ihrer Größe abnimmt."[1, Seite 514]

ZITAT:

"3. Das Elektron wird beim Zusammentreffen mit einem Gasmolekül in Geschwindigkeit und Richtung zu ungeordneter Bewegung von molekularer Größenordnung reduziert, d. h. absorbiert, wobei es gleichgültig ist, ob das Elektron dauernd oder vorübergehend festgehalten wird. Von ähnlicher Wirkung ist die bei sehr langsamen Strahlen auftretende Reflexion, welche das Elektron ebenfalls bei einem Zusammenstoß aus dem Strahlenbündel ausschaltet, ohne allerdings die Geschwindigkeit sofort auf die molekulare Größenordnung zu reduzieren. Diese Reflexion unterscheidet sich äußerlich von der Diffusion dadurch, daß bei ihr jede Bewegungsrichtung nach dem Zusammenstoß gleich wahrscheinlich ist. Echte Absorption und Reflexion (auch unechte Absorption genannt) lassen sich experimentell schwer trennen, da beide die plötzlich Ausschaltung des Elektrons aus dem Strahlenbündel bedeuten, wobei allerdings bei der Reflexion die Rückkehr in das Strahlenbündel nur unwahrscheinlich, nicht, aber unmöglich ist."[1, Seite 514]

Die Präzisierung der Fragestellung


Ramsauer unterscheidet zwischen einem absorbierenden und einem gesamten Querschnitt. Als Absorption bezeichnet Ramsauer das Einfangen der Elektronen vom Gas, sodass die Elektronen der Absorption sich genauso unregelmäßig bewegen wie die Gasatome. Der absorbierende Querschnitt ist also derjenige Querschnitt eines Gasteilchens, auf den ein Elektron auftreffen müsste, um so stark aus seiner Flugbahn abelenkt zu werden, dass es ganz aus dem Strahl heraustritt und sich der ungeregelten Bewegung der Gasteilchen angleicht.

ZITAT:

"Das Elektron wird beim Zusammentreffen mit einem Gasmolekül in Geschwindigkeit und Richtung zu ungeordneter Bewegung von molekularer Größenordnung reduziert, d. h. absorbiert".[1, Seite 514]

Dieser absorbierende Querschnitt ist kleiner als der Gesamtquerschnitt. Der Gesamtquerschnitt ist derjenige hypothetische Querschnitt den ein Gasteilchen haben müsste, um eine irgendwie geartete Beeinfluss der Elektronen aus dem Strahl zu bewirken.

ZITAT:

"Der Vergleich der beiden Methoden[2 und 3 aus der obigen Liste der Möglichkeiten] gibt die Differenz zwischen dein iiberhaupt mirksamen und deni absorbierenden Querschnitt, d. h. derjenigen Teil des Querschnitts, innerhalb dessen die Beeinflussung der Elektronen von der völligen Festhaltung (oder Reflexion) zur nicht, mehr merklichen Richtungs- und Geschwindigkeitsänderung übergeht, wobei es begrifflich gleichgültig ist, wieweit dieser Übergang sprunghaft, und wieweit, er stetig erfolgt."[1, Seite 515]

Zu erwarten wäre, dass langsame Elektronen länger Zeit hätten, eine irgendwie geartete elektromagnetische Wechselwirkung mit den Gasteilchen einzugehen ("da es sich hier um sehr langsame, also leicht zu beeinflussende Elektronen handelt"[1, Seite 540]). Es tritt aber genau das Gegenteil ein.

Versuchsergebnisse


ZITAT:

"der gesamte Wirkungsquerschnitt ist für diese geringen Elektronengeschwindigkeiten nicht größer als der absorbierende Querschnitt ."[1, Seite 538]

ZITAT:

"Jedenfalls bestätigt der Vergleich die außerordentliche Kleinheit des Argonquerschnitts für geringe Elektronengeschwindigkeiten"[1, Seite 538]

ZITAT:

"Da die aufgefangenen Elektronen keine Ablenkung aus der Kreisbahn erfahren haben können, so ist damit bewiesen, daß die Verminderung des Wirkungsquerschnitts mit abnehmender Elektronengeschwindigkeit eine Erhöhung der völlig freien Durchlässigkeit des Atoms bedeutet."[1, Seite 540]

ZITAT:

"Durch diese abnorme Durchlässigkeit des Argonatoms für langsamste Elektronen wid auch die bekannte Kleinheit des Kathodenfalls für Argongas, welcher mit der verhältnismäßig hohen Trägerbildungsspannung im Widerspruch zu stehen scheint, verständlich, indem sich die freie Weglänge der Elektronen mit der Kleinheit der Wirkungsquerschnitte stark erhoht."[1, Seite 540]

ZITAT:

"Unter Zuhilfenahme der beiden Angaben der Tab. 11 als Bezugswerte ergibt sich für den Wirkungsquerschnitt ein weiterer fast auf 0 hinzeigender Abfall unterhalb 0,75 Volt und ein steiler Anstieg oberhalb 1,1 Volt."[1, Seite 535]

Deutung der Ergebnisse


Kurz gesagt besagen die Ergebnisse: je langsamer die Elektronen sind, die durch ein Gas fliegen, desto weniger werden sie von ihre ursprünglichen Weg abgelenkt. Daraus kann man einige Schlüsse ziehen.

Grenzen der kinetischen Gastheorie


Dieser Befund ist völlig unerklärlich, wenn man im Sinne der kinetischen Gastheorie als einzige Wechselwirkung jene des Stoßes in Betracht zieht.[10] Damit zeigt der Ramsauer-Effekt eine (von mehreren) für die Gültigkeit dieses - durchaus sehr erfolgreichen - Modells auf. Siehe mehr unter kinetische Gastheorie ↗

Quantelung der Energieübertragung


Ramsauer selbst erwägt eine Quantelung der Energieübetragung: "Ob es sich hier um eine Quantelung in den Energiewirkungen der Atome oder um eine räumliche Diskontinuität der elektromagnetischen Felder handelt, wie Hr. Lenard sie annimmt, muß vorläufig dahingestellt bleiben"[1, Seite 539]). Siehe auch Quantelung ↗

Die Größe der Gasteilchen


Ramsauer selbst deutet die Ergebnisse noch dahingehend, dass man die Größe der Gasteilchen für langsame Elektronen bestimmen könne: "Die Identität des Wirkungsquerschnitts mit dem absorbierenden Querschnitt zeigt, daß ein Elektron entweder absorbiert oder überhaupt nicht, weder in der Größe noch der Richtung seiner Geschwindigkeit, beeinflußt wird. Damit ist auch für das Molekül bzw. Atom eine feste Wirkungsgenze gegeben, außerhalb deren ein langsames Elektron überhaupt nicht, innerhalb deren es stark beeinflußt wird."[1, Seite 539]. Siehe ganz allgemein auch Atomgröße ↗

Wegbereitung hin zur Idee der Elektronenwelle


Die Befunde des Versuchs waren für das anschauliche Denken ein schwerer Schlag. Das bezeugt unter anderem der spätere Nobelpreisträger Max Born, als er kurz nach Erscheinen von Ramsauers Ergebnissen im Jahr 1921 diese zunächst als "schier verrückt"[2] bezeichnet. Erklärlich werde die Ergebnisse letztendlich erst dadurch, dass man die Elektronen selbst mit Welleneigenschaften ausstattet.

ZITAT:

"Erklärt konnte sie erst werden mit Hilfe von de Broglies Wellenmechanik: Die Materiewellen der Elektronen haben eine der Geschwindigkeit proportionale Wellenlänge. Sieht man ihre Stöße auf Atome als Beugungserscheinungen an, so ist sofort verständlich, daß langsame Elektronen, d. h. solche von großer Wellenlänge, von den atomaren Hindernissen wenig beeinflußt werden."[3]

Erst die Idee einer Elektronenwelle, allgemeiner einer Materiewelle, macht den Ramsauer-Effekt verständlich. Denn Elektronen kann man eine sogenannte de-Broglie-Wellenlänge zuordnen[1]. Und diese Wellenlänge ist umso größer, je langsamer ein Teilchen ist. Und eine große Wellenlänge wiederum macht Teilchen zunehmend gleichgültig gegenüber kleineren Teilchen. Man kann sich als Analogie hier vorstellen, dass Meereswellen mit großer Wellenlänge kaum von einem im Meer stehenden Leuchtturm beeinflusst werden, Wellen mit sehr kleiner Wellenlänge hingegen schon. Siehe mehr unter de-Broglie-Wellenlänge ↗

Fußnoten