Physik (Einführung)
Selbststudium
Basiswissen
Es gibt einige irreführende Vorstellungen von der Physik, die im schlimmsten Fall den Lernerfolg ganz verhindern. Diese Mythen zu kennen, hilft, die individuell beste Strategie für das Lernen zu wählen.
Mythen der Physik
Mythos I: die Physik sagt, woraus die Welt besteht
DER MYTHOS: Materie besteht aus kleinsten Lego-artigen Teilchen, den Elementarteilchen. Aus diesen Teilchen bauen sich alle größeren Körper auf. Daneben gibt es Wellen und Felder, die keine Masse besitzen und sich über den Raum ausbreiten können. Diese zwei Vorstellungen sind fundamental falsch. Sie führen schon bei der Deutung einfachster Versuche wie dem Durchgang von Licht durch Glas zu unlösbaren Widersprüchen. Wer versucht, sich ein einziges, allgemein gültiges Bild von Bausteinen der Welt zu machen, wird sich in unlösbare Widersprüche verstricken. Beispielhaft wird dieses Probleme sehr gut erkennbar am sogenannten Welle-Teilchen-Dualismus ↗
DIE LÖSUNG: statt danach zu fragen, woraus die Welt "wirklich" besteht, muss man sich zum gegenwärtigen Stand der Forschung mit Modellvorstellungen zufrieden geben. Man muss sich bewusst halten, dass viele Modelle, außerordentlich erfolgreich in der praktischen Anwendung sind. Mehr dazu unter Modelldenken ↗
Mythos II: mit Physik lässt sich alles berechnen
DER MYTHOS: wenn man die Gesetze der Physik ausreichend genau kennt und die Ausgangsbedingungen eines Versuches oder auch der Welt als Ganzer genau genug kennt, dann kann man damit den weiteren Verlauf sehr genau vorausberechnen. Diese Vorstellung war etwa im 19ten Jahrhundert populär, gilt heute aber aus mehreren Gründen als fundamental falsch. Es gibt Inseln der Berechenbarkeit, der gegenüber weite Bereiche schwer bis gar nicht vorhersagbarer Abläufe stehen. Siehe etwa Chaostheorie ↗
DIE LÖSUNG: Man hält sich bewusst, dass es genau umschriebene, oft idealisiert gedachte Situationen sind, in denen die Physik sehr exakte Vorhersagen machen kann. Man sucht und beschäftigt sich vor allem mit diesen Situationen. Sich auf das zuverlässig Machbare zu beschränken bezeichnet man als Pragmatismus ↗
Mythos III: die Physik ist die fundamentale Wissenschaft
DER MYTHOS: die Idee, dass die Physik die fundamentalste aller Wissenschaften ist weit verbreitet: zerlegt man die Wirklichkeit in ihre kleinsten Bausteine und kennt man dann alle Gesetze für diese Bausteine, so kann man die Abläufe der Welt mit diesen Bausteinen simulieren. Die Chemie, Biologie bis hin zu den Gesellschaftswissenschaften sind dann letztendlich nur dann angewandte Physik. Ein wesentlicher Grund warum das nicht zutrifft ist, dass die Physik als Methode von Erkenntnis bewusst jede Wirkung von geistigen Dingen, etwa einem menschlichen Willen ausschließt. Alleine deshalb schon liegt etwa die Erklärung psychischer Phänomene außerhalb des Erklärungsanspruches der Physik. Siehe dazu auch Reduktionismus ↗
DIE LÖSUNG: Wer die Erklärung psychischer, geistiger Phänomene sucht, sollte sie nicht alleine bei der Physik suchen. Und möglicherweise lassen sich manche Phänomene der Physik nur unter durch ein Hinzuziehen von etwas Geistiem erklären. Siehe dazu beispielhaft den Artikel zum Einstein-Podolsky-Rosen-Paradoxon ↗
Zwei Herangehensweisen an die Physik
Bekannt ist die Unterteilung der professionell betriebenen Physik in eine experimentelle und eine theoretische Physik. Selten vereint eine Person die für beide Gebiete nötigen Fähigkeiten in sich. Diese Unterteilung spielt in Lern- und Lehreinrichtungen jedoch weniger eine Rolle. Zum Lernen eignet sich besser eine andere Unterscheidung.
a) Die pragmatische Physik
Als Pragmatismus bezeichnet man eine Haltung oder Herangehensweise, bei der das einigermaßen zuverlässig Erreichbare, der planbare Erfolg, im Vordergrund stehen. Man wählt sich seine Ziele so aus, dass man sie mit möglichst hoher Wahrscheinlichkeit auch erreichen kann. Das kann sich sowohl auf experimentell-praktische wie auch theoretische Fragestellungen beziehen:
- Man orientiert sich in seinen Zielen an ausformulierten Fragen der Fachdisziplin.
- Man wählt Ziele im Rahmen der eigenen Möglichkeiten.
- Man nutzt Formeln und Verfahren zur Lösung konkreter Aufgaben.
- Man entwickelt Lösungen für drängende Aufgaben.
- Man fragt typischerweise: wie berechnet man?
- Man wählt bewährte Methoden.
Diese Herangehensweise ist oft verbunden mit der angewandten Physik. Man findet sie zum Beispiel in den Ingenieur- und Naturwissenschaften, sowie eher an Fachhochschulen als an Universitäten.
b) Die philosophische Physik
Dem pragmatischen Zugang gegenüber steht der philosophische. Hier geht es weniger um den greifbaren, oft individuellen Erfolg als vielmehr um den ergebnissoffenen, gemeinschaftlichen Zuwachs an Wissen.
- Man entwickelt neue Fragestellungen, die vorher nicht bewusst waren.
- Man lässt Ziele auch außerhalb der eigenen Fähigkeiten zu.
- Man sucht Formeln mit möglichst großer Allgemeingültigkeit.
- Man entwickelt Lösungen für Probleme, die es noch nicht gibt.
- Man fragt typischerweise: was ist? Was bedeutet?
- Man erlaubt spekulative Methoden.
Fußnoten
- [1] Das Rätsel, woraus Licht besteht, gilt stellvertretend für viele Bereiche der Physik. Man kann sehr erfolgreich den Ausgang von Experimenten voraussagen, weiß aber überhaupt nicht woraus die Dinge bestehen, deren Verhalten man so erfolgreich vorhersagt. Ein guter Einstieg in diese Art von Problem ist der sogenannte Welle-Teilchen-Dualismus ↗
- [2] Zum Verständnis des Welle-Teilchen-Dualismus: Dem Physiker Erwin Schrödinger (1887 bis 1961) zufolge, ist die Vereinigung von Wellen- und Teilchenbild niemals befriedigend gelungen. Nachdem er ausführlich die Richtigkeit des Wellen- sowie auch des Teilchenbildes dargelegt hat, fährt er fort: "Dabei ist der Zusammenhang der beiden Bilder in voller Allgemeinheit, mit großer Klarheit und bis zu erstaunlichen Einzelheiten bekannt. An seiner Richtgkeit und Allgemeingültigkeit zweifelt niemand. Bloß über die Vereinigung zu einem einzigen, konkreten, handgreiflichen Bilde sind die Meinungen so sehr geteilt, daß sehr viele dies überhaupt für unmöglich halten. Ich werde den Zusammenhang jetzt kurz umreißen. Aber rechnen sie nicht damit, daß Ihnen daraus solch einheitliches konkretes Bild erwachse; und schieben Sie es weder auf mein Ungeschick in der Darstellung noch auf Ihre eigene Begriffsstutzigkeit, daß das nicht gelingen wird - denn es ist bisher noch niemandem gelungen." In: Erwin Schrödinger: Was ist ein Naturgesetz? Beiträge zum naturwissenschaftlichen Weltbild. Scientia Nova. Oldenbourg. 2008. ISBN 978-3-486-58671-8. Dort im Abschnitt "Wellenfeld und Partikel: ihr theoretischer Zusammenhang" auf Seite 112.
- [3] Wie tief die Unsicherheit bezüglich der Bausteine der Realität besteht, beschreibt kurz und gut verständlich ein Artikel des Physikers und Philosophen Meinard Kuhlmann: Was ist real? Spektrum der Wissenschaft. Juli 2014. Online: https://www.physik.tu-dresden.de/docs/Kuhlm2014-SpektrumReal.pdf