Personalität
Definitionen
Basiswissen
Eine als gegen die Umwelt abgrenzbar gedachte Lebensform, die ihre eigene Gestalt zu bewahren versucht: auf diesen gemeinsamen Nenner könnte man verschiedene Definitionen von Personalität bringen. Wo diese Definition Begriff wie Leben, Wille, Drang, Gestaltung etc. verwenden, bleiben sie im naturwissenschaftlich-messbaren Sinn oft unklar,lten aber dadurch gleichzeitig noch nicht präzisierbare Attribute offen und in Zukunft möglicherweise entwickelbar. Hier sind einige Beispiele.
Philosophisch: Personalität lässt sich zerlegen
Das Metzeler Lexikon der Philosophie behandelt Personalität unter dem Stichwort der personalen Identität[1]. Diese verbinde sich mit der Frage nach den Bedingungen einer zeitübergreifenden (diachronen) Identität. Es werden dabei zwei grundsätzlich Ansätze unterschieden, die personale Identität auf andere Relationen zurückzuführen: a) die Beständigkeit des Körpers insbesondere des Gehirns und b) der psychischen Beständigkeit, also des Erlebens zwischen zwei Zeitpunkten und vor allem der Erinnerung an frühere Zustände[7]. Diese beiden Ansätze sind reduktiv, da sie personale Identität zurückführen auf andere Gegebenheiten, die sich auch weiter zergliedern lassen. In nicht-reduktiven Ansätzen hingegen wird personale Identität als ein nicht weiter reduzierbares Faktum dargestellt. Worte wie Seele und Ich werden damit in Verbindung gebracht. Siehe auch Ich ↗
Philosophisch: Personalität lässt sich erweitern
Die Philosophen Andy Clark und David Chalmers schlugen im Jahr 1998 den Begriff des erweiterten Geistes (extended mind) vor. Sie sahen auch unbelebte Gegenstände wie Notizblätter oder Smartphones von der Funktion her als Teile einer Person berachtet werden können[5]. Chalmers wies 2017 darauf hin, dass schon länger der innere Wesenskern einer Person (personhood, selfhood, inner conscious self) erweitert wird um das Unterbewusstsein und den ganzen Körper eines Menschen. Die Erweiterung hin zu Teilen außerhalb des Körpers erscheint Chalmers dann nur folgerichtig. Die Person ist nicht ein eng begrenzter Punkt im Raum (narrowly limited to some point in Cartesian space). Vielmehr bewohnt eine Person die Welt in einer eher verteilten Weise (creatures that more fully inhabit the world in a more distributed way). Siehe dazu auch den Artikel zu erweiterter Geist ↗
Psychologisch: Persistenz als notwendige Bedingung
In einem fast 600-seitigen Handbuch zur Psychologie fand sich im Sachregister kein Eintrag zu Personalität, wohl aber zu Persönlichkeit. Persönlichkeit kann als konkrete Anwendung des Abstraktums der Personalität auf einzelne Menschen aufgefasst werden. In dem Buch wird direkt auf der ersten Seite definiert: "Die Persönlichkeit eines Menschen umfasst die Gesamtheit aller überdauernden individuellen Besonderheiten im Erleben und Verhalten. [...] Überdauernd bezieht sich in dieser Definition auf Zeiträume von wenigen Wochen oder Monaten. Persönlichkeit setzt also eine zumindest kurzfristige Stabilität von Tendenzen im Erleben und Verhalten voraus, in denen sich jemand von anderen altersgleichen Personen unterscheidet."[2] Wie die philosophische Definition betont auch diese Fassung die zeitliche Konstanz von Persönlichkeit. Eine Abgrenzung gegenüber unbelebten Objekten wird in dem Buch nicht vorgenommen, erscheint auch als unnötig, da der Kontext der Psychologie den Betrachtungsgegenstand von vorneherein auf Menschen festlegt. Die Idee einer zeitlich längeren Dauern nennt man in der Philosophie auch Persistenz ↗
Theologisch: eine gestaltende Einheit
"Das Wort [Persönlichkeit] ist zunächst die sachliche Bezeichnung einer bestimmten Stufe gestalteten Lebens. Bereits in der unbelebten Natur zeigt sich der Drang, eine gewisse Mannigfaltigkeit durch eine gewisse Einheit zu beherrschen [...]. Sobald wir 'Leben' vor uns haben, wird diese gestaltende Einheit in einer Mannigfaltigkeit vollends deutlich und wesentlich. Die Vorstellung des Lebens ist überhaupt nur so vollziehbar, daß eine geschlossene Einheit sich als selbständig aus der Umgwelt herauslöst, um diese ihre Selbständigkeit in ihr durch Aufnahme ihrer Einwirkungen und antwortende Gegenwirkungen zu behaupten."[3]
Ist Personalität bedroht?
Der Mensch als statistische Masse, der dumpfe Pöbel, gleichgeschaltete Individuen in Diktaturen und konturlose Allerwelts-Gesichter in Konsumgesellschaften[8]: Individualität und die Ausbildung einer eigenen Persönlichkeit gilt einerseits als ein großes Gut, andererseits sind Menschen oft auch ohne Druck schnell bereit, Eigenständigkeit preiszugeben, wenn sie im Gegenzug Komfort, Luxus, Sicherheit oder einfach nur eine Gruppenzugehörigkeit dafür versprochen bekommen. Es ist schwer festzustellen, ob es früher tatsächlich mehr oder weniger starke und interessante Persönlichkeiten gab als heute, ob es eine Tendenz hin zu mehr oder weniger echter Individualität gibt. Zumindest theoretisch spricht aber einiges dafür, dass wirtschaftliche und biologische Selektionsprozesse hin zu mehr Konformität und Austauschbarkeit von Menschen wirken. Lies mehr dazu unter soziointegrative Degeneration (Soziologie) ↗
Fußnoten
- [1] Metzeler Lexikon der Philosophie. 2. Auflage. 1999. ISBN: 3-476-01679-X. Artikel zu: Identität, personale
- [2] Jens B. Asendorpf: Persönlichkeit: Stabilität und Veränderung. In: Handbuch der Persönslichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie. Verlag Hogrefe. 2005. ISBN: 3-8017-1855-7. Seite 15.
- [3] Perönlichkeit. In: Hermann Gunkel; Leopold Tscharnak: Die Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft. Zweite Auflage. Vierter Band. Mi-R. Verlag von J. C. B. Mohr, Tübingen, 1930.
- [4] Peter Putnam: Buber I - Thou 1970 [Die Physik der Ich-Skepsis von Martin Buber]. Siehe auch Peter Putnam ↗
- [5] Andy Clark, David Chalmers: The extended mind. In: Analysis 58(1). 1998.
- [6] David Chalmers: Secrets of Brain and Mind. In: Closer to Truth. Cosmos. Consciousness. Meaning. Als Film produzert von: The Kuhn Foundation, Getzels Gordons Productions. 2017. Online: https://www.youtube.com/watch?v=rSngHyD44OY&ab_channel=CloserToTruth
- [7] Wie flüchtig die Anbindung des jetzigen ich an das eigene frühere Ich sein kann beschreibt der Physiker Erwin Schrödinger (1887 bis 1961) im Jahr 1944, als er im irischen Dublin im Exil lebte: "Es kann geschehen, daß man in ein fernes Land verschlagen wird und alle Freunde aus den Augen verliert und fast vergißt; man wird neue Freunde gewinnen und sein Leben mit diesen ebenso intensiv teilen wie zuvor mit den alten. Die Erinnerung an das frühere Leben verliert im neuen Leben immer mehr an Bedeutung. Man mag dazu kommen, vom »Jüngling, der ich war«, in der dritten Person zu sprechen, und wahrscheinlich steht einem der Held des Romans, den man gerade
- [8] Schweppenhäuser, G. (2018). Die Selfiekultur der Social Media: Pseudo-Individualität und die Ambivalenz des Konzepts »Identität« im Zeitalter der »sozialen Netzwerke«. In: Revisionen des Realismus. Abhandlungen zur Philosophie. J. B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04628-4_9