Zwei Seelen
Goethe
Basiswissen
Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust... - Goethes Weltsicht fußte auf einer alles durchwirkenden Polarität in der Welt des Seins. Hier steht das Zitat in ganzer Länge.
Ganzes Zitat
Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust;
Die eine will sich von der andern trennen;
Die eine hält in derber Liebeslust
Sich an die Welt mit klammernden Organen;
Die andere hebt gewaltsam sich vom Dust
Zu den Gfilden hoher Ahnen, ...
Goethes Idee der Polarität
Dunkelheit und Licht in der Farbenlehre, Gut und Böse im Faust, Freude und Arbeit in Wilhelm Meisters Wanderjahren: durch fast alle Werke Goethes zieht sich die Idee einer Polarität, von zwei Extremen deren Wechselspiel die Fülle der Erscheinungen in unserer Welt ergibt. Lies mehr unter Goethes Polarität ↗
Die zwei Seelen als Extra- und Introversion?
Aufgeschlossenheit, Perfektionismus, Extraversion, Empathie, Verletzlichkeit: die Psychologie versucht charakterliche Züge von Menschen über Messvorgänge greifbar zu machen. Das klassische Beispiel ist das Maß der Extraversion. Als Extraversion im Sinne des Pioniers der Typenlehre, Carl Gustav Jung, die Neigung eines Menschen, sich den realen Dingen der Außenwelt einschließlich sozialer Beziehungen zuzuwenden[1]. Diese Extraversion ist in Goethes Gedicht treffend mit dem Bild beschrieben, dass sich jemand in „in derber Liebeslust“ sich „an die Welt“ haftet mit „klammernden Organen“. Der Gegenpol der Extraversion ist die Introversion, die Neigung eines Menschen, sich mit gedanklichen Innenwelten zu beschäftigen. Siehe dazu auch den Artikel zur Extraversion ↗
Ähnliche Konzepte dualer Persönlichkeiten
- Als klinisches Bild die dissoziative Identitätsstörung[3] ↗
- Als Ergebnis von Chirurgie Split Brain[2] ↗
Fußnoten
- [1] C. G. Jung: Psychologische Typen. Neunte, revidierte Auflage. Rascher Verlag Zurich und Stuttgart. 1960. Siehe auch Carl Gustav Jung ↗
- [2] Michael S. Gazzaniga: The Split Brain in Man. In: Scientific American, Vol. 217, No. 2 (August 1967), pp. 24-29. Siehe auch Split Brain ↗
- [3] Dissoziative Identitätsstörung, seit 2022: Medizinische oder psychologische Diagnosen werden internal nach einer Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation (WHO) benannt, der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD: International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) Seit 2022 gilt die Version 11, in der unter dem Kürzel 6B64 die Dissoziative Identitätsstörung definiert wird.
- [3] William Olaf Stapledon: A Man Divided. Methuen. London. 1950. In diesem autobiographischen Roman wird ein Mann beschrieben, dessen Persönlichkeit unkontrollierbar zwischen einem herzlosen Egoisten und einem einfühlsamen Denkertypen wechselt. Beide Typen wissen zunächst nichts voneinander und treten auch niemals gleichzeitig auf. Der fiktive Charakter passt damit gut auf das klinische Bild einer dissoziativen Identitätsstörung. Siehe auch William Olaf Stapledon ↗
- [4] Robert Louis Stevenson: Strange Case of Dr Jekyll and Mr Hyde. Published by London, Longmans, Green, and Co., 1886.