Indifferentismus
Philosophie
Basiswissen
Als Indifferentismus bezeichnet man eine Gleichgültigkeit gegenüber „gegen wichtige, die höchsten Interessen[3]“. Wird er gezielt aber gegen niedere Interessen verwendet, um sich besser auf die höheren Interessen richten zu können, ist er nützlich[2]. Hier ist noch der hoffnungslose Gedanke des amerikanischen Schriftstellers H. P. Lovecraft vorgestellt. Ihm zufolge ist der Kosmos uns Menschen gegenüber völlig indifferent.
H. P. Lovecraft: jenseits des Pessimismus
Menschen oder überhaupt die Gefühle und das Wohlergehen von Lebewesen spielen für den Kosmos keinerlei Rolle. So charaktisierte der Autor H. P. Lovecraft seine Grundhaltung zur Welt, die im Englischen auch als cosmicism bezeichnet wird. Lovecraft bezeichnete sich dabei selbst als Indifferentist: „Contrary to what you may assume, I am not a pessimist but an indifferentist—that is, I don't make the mistake of thinking that the resultant of the natural forces surrounding and governing organic life will have any connexion with the wishes or tastes of any part of that organic life-process. Pessimists are just as illogical as optimists; insomuch as both envisage the aims of mankind as unified, and as having a direct relationship (either of frustration or of fulfilment) to the inevitable flow of terrestrial motivation and events. That is—both schools retain in a vestigial way the primitive concept of a conscious teleology—of a cosmos which gives a damn one way or the other about the especial wants and ultimate welfare of mosquitos, rats, lice, dogs, men, horses, pterodactyls, trees, fungi, dodos, or other forms of biological energy.“ Siehe auch H. P. Lovecraft (Zitate) ↗
Heinrich Heine: die schweigende Natur
Das Gefühl des Indifferentismus, dass nämlich die Natur und der Kosmos sich nicht für die Belange des einzelnen Menschen interessieren, kommt auch sehr schön in einem Gedicht von Heinrich Heine[8] zum Ausdruck:
Am Meer, am wüsten nächtlichen Meer
steht ein Jüngling-Mann
die Brust voll Wehmut, das Haupt voll Zweifel
und mit düsteren Lippen fragt er die Wogen
Es murmeln die Wogen ihr ew'ges Gemurmel,
es wehte der Wind es fliehen die Wolken,
es blinken die Sterne, gleichgültig und kalt.
Und ein Narr wartet auf Antwort.
Martin Luther: der schweigende Gott
Martin Luther soll die Erfahrung gemacht haben, dass er Gott um Zeichen und Worte bat, Gott aber nicht antwortete. In der Theologie bezeichnet man einen schweigenden, sich einzelnen Menschen nicht zeigenden Gott als deus absconditus ↗
William Olaf Stapledon: der suchende Philosoph
Fußnoten
- [1] 1834: "Indifferent, gleichgiltig. Indifferentismus, Lossagung von allem Systematischen, gänzliche Formlosigkeit." In: Damen Conversations Lexikon, Band 5. [o.O.] 1835, S. 416. Online: http://www.zeno.org/nid/20001740148
- [2] 1838, auch als nützliche Gleichgültigkeit: "Indifferentismus bezeichnet im Allgemeinen den Zustand der Gleichgültigkeit und Unempfindlichkeit. Er bezieht sich theils auf sinnliche Gegenstände, – Gleichgültigkeit gegen Luft und Schmerz – theils auf geistige Gegenstände. In der letztern Beziehung ist er die entweder erzwungene und dann zuweilen klug berechnete, nur scheinbare Gleichgültigkeit gegen gewisse geistige Interessen, welche die Mehrzahl der Menschen, auf dem Gebiete der Politik, der Religion, der Wissenschaft, der Kunst u.s.w. zu Parteimeinungen und Leidenschaften aufregt. Da der Mensch durch die Bildung zu einem höhern Standpunkte erhoben wird, von welchem aus er Vieles als wohlgeordnetes Ganze erkennt, welches, von einem niedrigern Standpunkt betrachtet, verwirrt und widerspruchsvoll erscheint, auch seinem Geiste sich erhabenere Interessen erschließen, als die des großen Haufens sind, so ist häufig den Gebildeten von den geistig niedriger Stehenden mit Unrecht der Vorwurf des Indifferentismus gemacht worden. Wenn jedoch die großartigen Interessen des Geistes in Wahrheit den Menschen unberührt lassen und er ohne Theilnahme für religiöses, politisches und wissenschaftliches Leben nur den sinnlichen Genüssen nachgeht, so verdient er allerdings den Vorwurf der Niederträchtigkeit und Gemeinheit. – Am Magnet nennt man Indifferenz punkt denjenigen Punkt, in welchem keine Art von magnetischer Wirksamkeit auftritt. (Vgl. Magnet.)" In: Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 442. http://www.zeno.org/nid/20000834823
- [3] 1859, vor allem religiös: "Indifferentismus (lat.), die Denkungsart, wonach der Mensch auch gegen wichtige, die höchsten Interessen berührende Angelegenheiten eine gewisse Gleichgültigkeit behauptet. Bes. ist der I. a) ein religiöser, u. dieser ein absoluter (universeller), wenn auf Einen gar keine Religion einen Eindruck macht; od. ein relativer (particularer), wenn Einer keinen Unterschied in den verschiedenen Glaubensansichten, bes. des Christenthums, macht u. der Religion nur moralischen Nutzen zuerkennt; der religiöse I. steht dem Fanatismus entgegen; ein kirchlicher, der keiner kirchlichen Anstalt od. Einrichtung irgend einen Werth beilegt; ein confessioneller, welcher den Unterschied zwischen den verschiedenen christlichen Confessionen als nichtssagend bezeichnet u. sich deßhalb für unbeschränkte Toleranz erklärt; b) ein moralischer, wenn Einer den wesentlichen Unterschied zwischen Gut u. Bös läugnet; ein c) politischer, wenn Einem gleichgültig ist, unter welcher Staatsform er lebt; d) scientifischer od. wissenschaftlicher, dem alle wissenschaftlichen Theorien u. Systeme gleich gelten; e) ästhetischer, der gegen das Schöne u. das Häßliche gleichgültig ist; f) physischer, der gegen Luft u. Unlust gleichgültig ist etc. Die christliche Ethik verwirft den I. als ein Zeichen eines trägen Verstandes od. eines zerstreuten, für die höheren Interessen unempfänglichen Herzens, wobei allmälig das geistige Heben u. der sittliche Charakter ganz in das Ordinäre herabsinkt. Vgl. Clerious, Contra indifferentismum in religione, 1724; Tzschirner, Über den moralischen I., 1805." In: Pierer's Universal-Lexikon, Band 8. Altenburg 1859, S. 882. Online: http://www.zeno.org/nid/20010174885
- [4] 1904: "Indifferentismus: Standpunkt der Gleichgültigkeit bezüglich der Wertung von Objecten, Erkenntnissen, Handlungen u.s.w. (ethischer, philosophischer Indifferentismus)." In: Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 1. Berlin 1904, S. 503. Online: http://www.zeno.org/nid/20001791885
- [5] 1907, Indifferentismus als Willensschwäche: "Die Behauptung, es gäbe keinen Satz, der nicht bezweifelt werden könne, nicht einmal diesen Satz selbst ausgenommen, hebt sich selbst auf und führt, wie bei den alten Skeptikern, zum Indifferentismus, welcher Geistestod ist. Wendet sich die Skepsis kritisch gegen bestimmte Gedanken und Richtungen, so ist sie berechtigt; richtet sie' sich aber gegen den Verstand selbst, gegen seine Fähigkeit, irgend welche Wahrheit überhaupt zu finden, so ist sie haltlos und zeugt von Erschlaffung des Wissens- und Willenstriebes." In: Kirchner, Friedrich / Michaëlis, Carl: Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe. Leipzig 1907, S. 579-581. Online: http://www.zeno.org/nid/2000359081X
- [6] 1907, nicht mit Duldsamkeit zu verwechseln: "Indifferentismus (neulat.), »Gleichgültigkeit« sowohl im allgemeinen (als Charaktereigenschaft) als speziell in bezug auf Wahl und Bevorzugung eines Gegenstandes vor dem andern und dann entweder auf Mangel an Kenntnis von ihm oder an Interesse für ihn beruhend. So fehlt dem moralischen I. das Gefühl für den wesentlichen Unterschied zwischen dem Guten und Bösen. Der religiöse I. verhält sich den verschiedenen Religionsformen gegenüber gleichgültig, weil er die Religion überhaupt als bedeutungslos betrachtet. Der politische I. verkennt die Wichtigkeit der verschiedenen staatlichen Verfassungsformen in bezug auf das allgemeine Wohl und stellt sich ins besondere vaterländischen Interessen gegenüber auf einen willen- und haltlosen kosmopolitischen Standpunkt. Der philosophische I. bestreitet den Wert und die Bedeutung der philosophischen Probleme und Systeme für Wissenschaft und Leben. In keinem Fall ist der I. mit der Duldsamkeit (s. d.) zu verwechseln, mit der er nur insofern übereinstimmt, als beide dem Fanatismus (s. d.) entgegengesetzt sind und ihn ausschließen. – In der Metaphysik bedeutet I. auch die Annahme einer Indifferenz des Willens, d. h. einer absoluten Unabhängigkeit desselben von (äußern wie innern) Bestimmungsgründen." In: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 9. Leipzig 1907, S. 794. http://www.zeno.org/nid/20006815839
- [7] 1911, auch für Magnete: "Indifferént (lat.), ununterschieden, gleichgültig, keine (chem.) Wirkung äußernd. Indifferentísmus, Teilnahmlosigkeit. Indifferénzpunkt, der Punkt zwischen beiden Polen eines Magnets oder einer Voltaischen Säule, an dem keine Anziehung oder Abstoßung oder keine elektr. Spannung bemerkbar ist. Die Verbindung der Indifferenzpunkte heißt Indifferenzlinie oder Indifferenzzone." In: Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 1. Leipzig 1911., S. 855. http://www.zeno.org/nid/20001210610
- [8] 1929: Letter to James Ferdindand Morton. Zitiert in "H.P. Lovecraft, a Life" by S. T. Joshi. Dort die Seite 483.
- [8] Das Gedicht ist zitiert nach Stefan Ruf: Klimapsychologie. Atmosphärisches Bewusstsein als Weg aus der Krise. Info3 Verlag. 2019. ISBN: 978-3-95779-109-2. Dort das Kapitel "Der abgekapselte Mensch wird eine Insel", Seite 81. Ruf entwickelt in seinem Buch dann passend zum Indifferentismus die psychologische Idee von einem Moderne">Inselbewusstsein ↗
- [9] In seinem Roman "Nebula Make" beschreibt der Philosoph William Olaf Stapledon (1886 bis 1950) wie der Held seines Romanes gleichzeitig Gott erblickt und die Gegenwart seiner Zeit empfindet: "Im remembered the contemporary world crisis in human affairs, the millions of unemployed, the recrudescence of barbarism in Europe an America, the forlorn struggle for a new world. Under the innumaeable and cryptic eyes of God I found myself searching in all these terrestrial aspects for some new significance. But I could not seize it. [Seite 7]" Sowie: "In utter boredom and indignation I cursed my fate. Why, why had I been snatched out of the vivid though distressful world of men to be subjected to all this irrelevance? [Seite 23]" In: William Olaf Stapledon: Nebula Maker. Entstanden Anfang der 1930er Jahre. Posthum zuerst veröffentlicht im Jahr 1976. Bran's Head Books Ltd. ISBN: 0 905220 06 4. Siehe auch Nebula Maker ↗