Skeptizismus
Definition
Basiswissen
Das Studium der Wissenschaften führte nur zu Zweifeln[1]: der Philosoph Rene Descartes (1596 bis 1650) zweifelte bewusst als Methode alles an, was ihm nicht ganz sicher schien, sogar die Existenz seines eigenen Körpers[2]. Einzig sicher schien ihm seine eigene Existenz als Gedankenwesen[3]. Skeptizismus bezeichnet man eine bewusst gewählte Geisteshaltung, ein philosophische Richtung, die an der Wahrheit und dem Wert von Wissen zweifelt[4] oder aber als Methode bewusst eingesetzt wird[5]. Wenn aber jede Erkenntnisfähigkeit radikal angezweifelt wird[7], endet man im Indifferentismus[8] ↗
Fußnoten
- [1] 1637, Rene Descartes zweifelte am Ende seiner Schulzeit alles an: "Ich bin seit meiner Kindheit in den Wissenschaften unterrichtet worden, und da man mich versicherte, dass dadurch eine klare und sichere Kenntniss von allem zum Leben Nützlichen gewonnen werde, so entstand in mir das dringende Verlangen, sie zu erlernen. Sobald ich jedoch die Studien vollendet hatte, nach deren Abschluss man unter die Klasse der Gelehrten aufgenommen zu werden pflegt, änderte sich meine Ansicht gänzlich. Denn ich sah mich von so viel Zweifeln und Irrthümern bedrängt, dass ich von meinen Studien nur den einen Vortheil hatte, meine Unwissenheit mehr und mehr einzusehen." Und: "Von der Philosophie kann ich nur sagen, dass, obgleich sie seit vielen Jahrhunderten von den ausgezeichnetsten Geistern gepflegt worden, dessenungeachtet kein Satz darin unbestritten und folglich unzweifelhaft ist." In: René Descartes' philosophische Werke. Abteilung 1, Berlin 1870, S. 19. Erstdruck (anonym) unter dem Titel »Discours de la méthode pour bien conduire sa raison et chercher la vérité dans les sciences« in: »Essais«, Leiden 1637. Text nach der Übersetzung durch Julius Heinrich von Kirchmann von 1870., S. 45-53. Online: http://www.zeno.org/nid/20009161031
- [2] 1637, Rene Descartes zweifelt die Existenz seines Körpers an: "Ich forschte nun, Wer ich sei. Ich fand, dass ich mir einbilden konnte, keinen Körper zu haben, und dass es keine Welt und keinen Ort gäbe, wo ich wäre; aber nicht, dass ich selbst nicht bestände; vielmehr ergab sich selbst aus meinen Zweifeln an den anderen Dingen offenbar, dass ich selbst sein müsste; während, wenn ich aufgehört hätte zu denken, alles Andere, was ich sonst für wahr gehalten hatte, mir keinen Grund für die Annahme meines Daseins abgab. Hieraus erkannte ich, dass ich eine Substanz war, deren ganze Natur oder Wesen nur im Denken besteht, und die zu ihrem Bestand weder eines Ortes noch einer körperlichen Sache bedarf; in der Weise, dass dieses Ich, d.h. die Seele, durch die ich das bin, was ich bin, vom Körper ganz verschieden und selbst leichter als dieser zu erkennen ist; ja selbst wenn dieser nicht wäre, würde die Seele nicht aufhören, das zu sein, was sie ist." In: René Descartes' philosophische Werke. Abteilung 1, Berlin 1870, S. 19. Erstdruck (anonym) unter dem Titel »Discours de la méthode pour bien conduire sa raison et chercher la vérité dans les sciences« in: »Essais«, Leiden 1637. Text nach der Übersetzung durch Julius Heinrich von Kirchmann von 1870, S. 45-53. Online: http://www.zeno.org/nid/20009161031
- [3] 1637, Rene Descartes' Cogito ergo sum: "Alles als entschieden falsch zu verwerfen, wobei ich den leisesten Zweifel fand, um zu sehen, ob nicht zuletzt in meinem Fürwahrhalten etwas ganz Unzweifelhaftes übrig bleiben werde. Deshalb nahm ich, weil die Sinne uns manchmal täuschen, an, dass es nichts gebe, was so beschaffen wäre, wie sie es uns bieten, und da in den Beweisen, selbst bei den einfachsten Sätzen der Geometrie, oft Fehlgriffe begangen und falsche Schlüsse gezogen werden, so hielt ich mich auch hierin nicht für untrüglich und verwarf alle Gründe, die ich früher für zureichend angesehen hatte. Endlich bemerkte ich, dass dieselben Gedanken wie im Wachen auch im Traum uns kommen können, ohne dass es einen Grund für ihre Wahrheit im ersten Falle giebt; deshalb bildete ich mir absichtlich ein, dass Alles, was meinem Geiste je begegnet, nicht mehr wahr sei als die Täuschungen der Träume. Aber hierbei bemerkte ich bald, dass, während ich Alles für falsch behaupten wollte, doch nothwendig ich selbst, der dies dachte, etwas sein müsse, und ich fand, dass die Wahrheit: »Ich denke, also bin ich«, so fest und so[45] gesichert sei, dass die übertriebensten Annahmen der Skeptiker sie nicht erschüttern können. So glaubte ich diesen Satz ohne Bedenken für den ersten Grundsatz der von mir gesuchten Philosophie annehmen zu können." In: René Descartes' philosophische Werke. Abteilung 1, Berlin 1870, S. 19. Erstdruck (anonym) unter dem Titel »Discours de la méthode pour bien conduire sa raison et chercher la vérité dans les sciences« in: »Essais«, Leiden 1637. Text nach der Übersetzung durch Julius Heinrich von Kirchmann von 1870, S. 45-53. Online: http://www.zeno.org/nid/20009161031
- [4] 1907, Arten, Gegenpositionen: "Skepsis (gr. skepsis = Prüfung, Untersuchung, Bedenken) oder Skeptizismus nennt man diejenige philosophische Richtung, welche an der Wahrheit und dem Werte unseres Wissens zweifelt. Der Skeptizismus kann als vorübergehende Phase in der Entwicklung des einzelnen Philosophen oder als dauernde Ansicht des einzelnen oder ganzer Generationen auftreten; er kann als Ausgangspunkt des philosophischen Denkens vorkommen, oder zum Ergebnis eines Systems werden. Er setzt sich der unphilosophischen naiven Weltanschauung, der Wissenschaft, der positiven Philosophie und dem religiösen Glauben entgegen. Seine Gegensätze in der Philosophie sind der Dogmatismus, der auf dem Vertrauen zur Leistungsfähigkeit der menschlichen Vernunft beruht, und der Kritizismus, der die Grenzen der menschlichen Vernunft prüft, aber den korrekten Aufbau der Wissenschaft zum Ziel hat." Es folgt dann eine längere Behandlung historischer Positionen. In: Kirchner, Friedrich / Michaëlis, Carl: Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe. Leipzig 1907, S. 579-581. Online: http://www.zeno.org/nid/2000359081X
- [5] 1909, gesunder Skeptizismus: "Skeptizismus (griech.), im allgemeinen die Neigung, an dem zu zweifeln, was andre für sicher oder feststehend halten. Von besonderer Bedeutung sind der religiöse, der ethische und der theoretische S. Der religiöse S. bestreitet entweder nur die historische Glaubwürdigkeit der religiösen Überlieferung, bez. das System der in einer Religionsgemeinschaft anerkannten Dogmen (Strauß) oder die Berechtigung der religiösen Weltanschauung überhaupt (Feuerbach) und führt je nachdem zum Freidenkertum oder zu völliger Religionslosigkeit. Der ethische S. greift die geltenden sittlichen Werte an, um sie entweder umzuprägen oder ganz zu verwerfen (die Sophisten, Nietzsche). Der theoretische S. wendet sich entweder nur gegen das (dogmatische) Verfahren, gewisse Voraussetzungen ohne weitere Prüfung als selbstverständlich anzusehen und zur Grundlage philosophischer Deduktionen zu machen, oder er bezweifelt (als absoluter S.) die Möglichkeit des Erkennens überhaupt. Letztere Art von S. ist in sich selbst haltlos und immer nur das Symptom einer pessimistischen Stimmung, wie sie sich zeitweilig geltend macht. Die erstere Art von S. kann dagegen geradezu als die Triebfeder aller echt philosophischen Forschung bezeichnet werden und bildete,[522] wie die Geschichte zeigt, bei den meisten schöpferischen Denkern (z. B. Descartes, Kant) den Ausgangspunkt für ihre weitere Gedankenarbeit. Überhaupt ist ein gewisses Maß von gesundem S., dem der Zweifel nicht Selbstzweck, sondern nur eine Vorstufe auf dem Wege zur Wahrheit ist, als Gegengewicht gegen die tote Überlieferung und den starren Autoritätsglauben, ein unentbehrliches Element des geistigen Fortschritts. In der griechischen Philosophie ist Pyrrhon (s. d.) der Hauptvertreter des S., weswegen dieser auch als Pyrrhonismus bezeichnet wird. Eine Sammlung »skeptischer Argumente« gegen die verschiedenen Systeme der griechischen Philosophie findet sich in den beiden Hauptschriften des Sextus Empiricus (s. d.). In der Neuzeit haben sich hauptsächlich Bayle und Hume durch ihren Zweifel an der Möglichkeit eines logisch begründeten Wissens bekannt gemacht, welch letzterm Kant die Anregung zur Entwickelung seines Kritizismus verdankt. S. auch Relativismus. Vgl. R. Richter, Der S. in der Philosophie (Leipz. 1904, Bd. 1); Goedeckemeyer, Die Geschichte des griechischen S. (das. 1905); Saitschick, Deutsche Skeptiker: Lichtenberg, Nietzsche (Berl. 1906) und Französische Septiker: Voltaire, Merimée, Renan (das. 1906)." In: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 18. Leipzig 1909, S. 522-523. Online: http://www.zeno.org/nid/20007483732
- [6] Skeptizismus (grch.), im allgemeinen die Neigung, die Gewißheit herrschender Vorstellungsweisen und Autoritäten, bes. der religiösen, in Zweifel zu ziehen; in der Philosophie die erkenntnistheoretische Ansicht, daß der Mensch mit seinem Denken eine wahre Erkenntnis der Dinge nicht gewinnen könne. Die Hauptvertreter des altgriech. S. (Skeptĭker, auch Pyrrhonier oder Aporetiker, d.i. die Ungewissen oder Ephektiker, d.i. die sich Enthaltenden, genannt) waren, abgesehen von den Sophisten: Pyrrho, Arcesilaus, Karneades, Änesidemus, Sextus Empirikus. In der neuern Philosophie erneuerte Montaigne den S., der in Bayle Hume bedeutende Vertreter fand." In: Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 2. Leipzig 1911., S. 714. Online: http://www.zeno.org/nid/20001568434
- [7] 1978 bringt der Science Fiction Autor Philip K. Dick (1928 bis 1982) einen radikalen Skeptizismus auf den Punkt: "The point of all that is that we cannot trust our senses and probably not even our a priori reasoning." In: How to Build a Universe That Doesn't Fall Apart in Two Days. Vortrag aus dem Jahr 1978.
- [8] 1907, Indifferentismus als Willensschwäche: "Die Behauptung, es gäbe keinen Satz, der nicht bezweifelt werden könne, nicht einmal diesen Satz selbst ausgenommen, hebt sich selbst auf und führt, wie bei den alten Skeptikern, zum Indifferentismus, welcher Geistestod ist. Wendet sich die Skepsis kritisch gegen bestimmte Gedanken und Richtungen, so ist sie berechtigt; richtet sie' sich aber gegen den Verstand selbst, gegen seine Fähigkeit, irgend welche Wahrheit überhaupt zu finden, so ist sie haltlos und zeugt von Erschlaffung des Wissens- und Willenstriebes." In: Kirchner, Friedrich / Michaëlis, Carl: Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe. Leipzig 1907, Der Artikel zum Stichwort Skepsis, S. 579-581. Online: http://www.zeno.org/nid/2000359081X
- [9] Carl Sagan zitiert George Santayana: "Skepticism is the chastity of the intellect, and it is shameful to surrender it too soon or to the first comer; there is nobility in preserving it coolly and proudly through long youth, until at last, in the ripeness of instinct and discretion, it can be safely exchanged for fidelity and happiness." In: Carl Sagan: Contact: a novel. New York: Simon and Schuster. 1985. ISBN 0671434004. Dort das Kapitel 14. Die Seite 231. Zur Quelle, siehe auch Contact ↗