Soziales Feld
Milieutheorie
Basiswissen
Justiz, Gesundheit oder die Literatur sind dem französischen Soziologen Pierre Bourdieu zufolge Beispiele für soziale Felder. Im Französischen spricht Bourdieu von champs, im englischen von field. Ganz in Analogie zu Feldern aus der Physik, erfahren Objekte - in Bourdieus Soziologie menschliche „Agenten“ oder Gruppen von Agenten - eine von außen auf sie einwirkende Kraft. Das ist hier kurz vorgestellt.
Die Feldidee in der Physik und in der Soziologie
In der Physik kennt man zum Beispiel das Gravitationsfeld (Schwerkraft) sowie elektrische, magnetische oder auch Wahrscheinlichkeitsfelder. Alle Felder sind so definiert, dass sie jedem Punkt im Raum eine für das jeweilige Feld spezifische Eigenschaft zuordnen. Das Gravitationsfeld ordnet jedem Punkt im Raum einen sogenannten Ortsfaktor (Newton pro Kilogramm) zu. Ein elektrisches Feld ordnet jedem Punkt im Raum ein elektrische Feldstärke (Newton pro Coulomb) zu. Solche Feldeigenschaften sind üblicherweise so defniert, dass sie eine Wirkung des Feldes auf Objekte im Feld beschreiben. Das Gravitationsfeld gibt an, mit wie viel Kraft (Newton) an einer Masse (Kilogrammzahl) gezogen wird. Das elektrische Feld bezieht eine ähnliche schiebende oder ziehende Kraft nicht auf die Masse, sondern auf eine elektrische Ladung (Coulomb). Die Idee einer Kraftwirkung von Feldern auf Objekte in ihnen übertrug Bourdieu auf die Soziologie. Er definierte „ein Feld von Kräften, das heißt eine Menge objektiver Beziehungen von Macht die sich allen aufdrängen, die ein Feld betreten, und die nicht reduziert werden können auf die Absichten einzeler Agenten, noch nicht einmal auf die direkten Interaktionen zwischen den Agenten[1, Seite 724, eigene Übersetzung]“. Die Idee des sozialen Feldes ist im Zusammenhang erklärt im Artikel sozialer Raum ↗
Soziale Felder erzeugen Funktionalität
Es ist bemerkenswert, dass die Kraftwirkungen der sozialen Felder im Sinne Bourdieus keine bewussten Konstruktionen der beteiligten menschlichen Akteure sind. Bourdieu schreibt ausdrücklich, dass die Kräfte eines Feldes nicht reduziert werden können auf die Absichten einzelner Akteure (irreducible to the intentions of individual agents;[1, Seite 724]). Felder bewegen Menschen damit zu Handlungen, die die Akteure so vielleicht gar nicht bewusst beabsichtigt haben, vielleicht sogar nach einer bewussten Betrachtung ablehnen würden.
Beispiele für soziale Felder
Justiz, Gesundheit, Wirtschaft, Bildung, Religion, Kunst[3], Literatur: innerhalb einer komplexen Gesellschaft existieren eigenständige Felder mit eigenen Regeln. Diese Felder führen verschiedene Funktionen aus. Im ökonomischen Feld geht es um Geld, im juristischen Feld um Recht, im medizinischen Feld um Gesundheit, im politischen Feld um Herrschaft, im religiösen Feld um Wahrheit.
Was ist eine Illusio?
Dass es im sozialen Feld des Bildungswesens um Chancengleichheit geht bezeichnete Bourdieu als Illusio. Tatsächlich geht es den beteiligten Akteuren in der Bildung auch um Macht, die Sicherung eigener (Renten)Ansprüche, einen sicheren Arbeitsplatz oder die Durchsetzung eigener Ideale. Siehe mehr unter Illusio ↗
Was ist die Milieutheorie?
Nicht so sehr unsere Gene, also unsere Erbanalgen, prägen unser Verhalten sondern anz oder weitgehend das soziale Umfeld, das Milieu, in dem wir aufwachsen und leben. Eine Theorie die diese Grundannahme macht, nennt man auch eine Milieutheorie. Milieutheorien legen entsprechend großen Wert auf die Bildung und die Gestaltung unserer Lebenswirklichkeit. Siehe mehr unter Milieutheorie ↗
Fußnoten
- [1] Pierre Bourdieu: The social space and the genesis of groups. Theor Soc 14, 723–744 (1985). Dort die Seite 724. https://doi.org/10.1007/BF00174048
- [2] Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Übersetzt von Bernd Schwibs und Achim Russer. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1982, ISBN 3-518-57613-5. Siehe dazu Die feinen Unterschiede ↗
- [3] Pierre Bourdieu: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes. Übersetzt von Bernd Schwibs und Achim Russer, 1. Auflage, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1999, 551 Seiten, mit Personen- und Begriffsregister, ISBN 3-518-58264-X. Erstausgabe auf Französisch schon 1992.
- [4] Moritz Sehn: Soziale Felder bei Pierre Bourdieu - Ein Überblick. Adobe ePub. 2012. ISBN: 9783656337676.
- [5] Thorstein Veblen: The Theory Of The Leisure Class. 1899 (wörtlich: Die Theorie der müßigen Klasse); Übersetzung: Theorie der feinen Leute. Eine ökonomische Untersuchung der Institutionen. Kiepenheuer & Witsch, Köln/Berlin, 1958. Neuauflagen: Fischer, 1997, ISBN 978-3-596-27362-1; 2007 ISBN 3-596-17625-5.
- [6] Julia Friedrichs: Gestatten: Elite. Auf den Spuren der Mächtigen von Morgen. Hoffmann und Campe Verlag. 2008.
- [7] Markus Arnold, Roland Fischer (Herausgeber): Disziplinierungen: Kulturen der Wissenschaft im Vergleich. Verlag Turia und Kant. Wien. 2004. ISBN: 978-3851323900.
- [8] Klaus R. Schroeter: Das soziale Feld der Pflege: Eine Einführung in Strukturen, Deutungen und Handlungen. Juventa Verlag (Weinheim ) 2005. 255 Seiten. ISBN 978-3-7799-1625-3.
- [9] Werner Thole (Herausgeber), Nicolle Pfaff (Herausgeber), Hans-Georg Flickinger (Herausgeber): Fußball als Soziales Feld. Studien zu Sozialen Bewegungen, Jugend- und Fankulturen. Springer VS. 2019. ISBN: 978-3658116781.
- [10] Valerie Moser: Bildende Kunst als soziales Feld. Eine Studie über die Berliner Szene. Transcript (Verlag). ISBN: 2013. 978-3837623314.