Metasystem-Transitionen
Evolutionssprünge
Einführung
Von Atomen über kleine Molekülen zur RNA, von dort zur Zelle, zu vielzelligen Lebewesen und dann zu Gesellschaften: insbesondere in der angelsächsischen Literatur ist evolutionäre Transition, auch Metasystem-Transition genannt, ein fest etablierter Begriff. Die biologische Evolution wird dabei oft in die technologische und gesellschaftliche Sphäre hinein extrapoliert. Das wird hier näher erklärt.
Definition
Ein System S', das aus Untersystemen S sowie zusätzlich einem Kontrollmechanismus für das Verhalten und die Herstellung von S verfügt nennt man eine Metasystem. Wenn aus Systemen S ein solches Übersystem S' entsteht, spricht man von einer evolutionären Transition oder auch einer Metasystem-Transition. [11]
Beispiele aus der Erdgeschichte
Vor etwa 4,54 Milliarden Jahren war die Erde entstanden, vor gut 4,41 Milliarden Jahren die ersten Ozeane. "Kurz darauf", Fossilien deuten auf eine Zeit nicht später als vor 4,28 Milliarden, verbanden sich die ersten größeren Moleküle zu Vorläufern von Zellen [6]. Das war eine evolutionäre Transistion. Später verbanden sich einzeln lebende Zellen zu Viellzellern, eine weitere Transition. Und aus den so entstandenen Tieren und Pflanzen entstanden Herden, Schwärme oder Biozönosen: die nächste Transition: als Tranistion bezeichnet man die Verbindung kleinerer Komponenten zu größeren Systemen mit mehr Komplexität. Siehe auch => Erdgeschichte
Von der göttlichen Ordnung zum biologistischen Prozess
Spätestens seit der antiken griechischen Philosophie Platons und Aristoteles' ordneten abendländische, das heißt europäische, Naturphilosophen die unbelebten und belebten Dinge in eine Stufenfolge ein: von den "niedersten" Pflanzen über "höherstehende Tiere", den Menschen, die Engel bis hin zu Gott. Die so gedachte Welt sah man in der christlichen Theologe als statisch an, Gottes unveränderliche Schöpfung als eine Art Ort der Bewährung für den Menschen. Diese Scala Naturae als Rang- oder Stufenfolge prägte bis weit in das 19te Jahrhundert das Denken vieler Naturforscher. Erst Darwins Evolutionstheorie sowie die Entdeckung der großen geologischen Zeiträume mit ihren untergegangenen Lebensformen und Landschaften förderte Zweifel an so einem statischen Bild der Schöpfung. Heute denken Evolutionsbiologen und Geologen eher in Prozessen als in dauerhaft festen Ordnungen. Die Idee der Stufenfolge aber lebt weiter in der Idee von unterschiedlich großer Komplexität, wobei auf moralische oder religiöse Aspekte weitgehend verzichtet wird. Für die traditionelle Vorstellung lies mehr unter => Scala Naturae
Ein begrifflicher Rahmen
Quarks, Hadronen, Atomkerne, Atome, Moleküle, Organellen, Zellen, Organe, Organismen, Populationen, Kolonien, Gemeinschaften, Ökosysteme, Planeten, Sonnensysteme, Galaxien, Galaxienhuafen und am Ende das gesamte Universum: op Akkerhuis zufolge [5] sind solche Stufenfolgen sehr populär, doch wissenschaftlich irreführend. Es fehlen klare Kriterien, mit denen sich sich Abfolge der Komplexität definieren lässt. Als Operator bezeichnet er dabei Systeme, die theromdynamisch geschlossene Kreisläufe der Selbststabilisierung.
Extrapolation in die Zukunft?
Bereits im 19ten Jahrhundert wurden Analogien zwischen lebenden Organismen einersetis und Unternehmen oder Staaten andererseis formuliert (organische Theorie). Aber erst seit den 1960er Jahren argumentieren Autoren wie zum Beispiel Joel de Rosnay [7], Hans Hass [8] oder Peter Russell [9] zunehmend auch naturwissenschaftlich und technisch. Sie skizzierten, wie die Konstrukte der Technosphäre - Unternehmen, Netzte, das Internet - zu Vorstufen neuer Lebensformen werden könnten. Der Niederländer op Akkerhuius versucht dafür einen nahtlosen Begriffsrahmen zu formulieren [5], in dem biologische und organisationale Entitäten zusammengefasst werden als Operatoren. In den Wirtschaftswissen werden Unternehmen zunehmend als darwinistisch interpretierbare Objekte gedeutet (Evolutionsökonomik) oder als organisationale Intelligenzen (Neuroökonomie). Die Informatik blickt auf das Phänomen mit einem Fokus auf dem Begriff der Information [1][10] und spricht etwa von einem Digitalen Organismus [14]. Die Idee eines entstehenden Überwesens auch biologischen, technischen und sozialen Teilen wird hier weiter betrachtet unter dem Stichwort => Metaman-Welten
Fußnoten
- [1] John Maynard Smith, Eörs Szathmáry: The Major Transitions in Evolution. Oxford University Press, New York 1995, ISBN 0-19-850294-X.
- [2] Francis Heylighen (1995): (Meta)systems as Constraints on Variation: a classification and natural history of metasystem transitions. In: World Futures: The Journal of General Evolution 45, p. 59-85.
- [3] Francis Heylighen (2000): Evolutionary Transitions: how do levels of complexity emerge?. In: Complexity 6 (1), p. 53–57
- [4] Richard Michod (1999): Darwinian Dynamics: Evolutionary Transitions in Fitness and Individuality (Princeton University Press).
- [5] G.A.J.M Jagers op Akkerhuis (2010): "The operator hierarchy: a chain of closures linking matter, life and artificial intelligence".
- - [6] 4,28 Milliarden Jahre altes Leben: Dodd, Matthew S.; Papineau, Dominic; Grenne, Tor; slack, John F.; Rittner, Martin; Pirajno, Franco; O'Neil, Jonathan; Little, Crispin T. S. (2 March 2017). "Evidence for early life in Earth's oldest hydrothermal vent precipitates". In: Nature. 543 (7643): 60–64. Bibcode:2017Natur.543...60D. doi:10.1038/nature21377. PMID 28252057. S2CID 2420384.
- [7] Joel de Rosnay: Biologie. Das Buch vom Leben. Vom Atom zur Zelle. Von der Zelle zum Menschen (Co-Autor: Max de Ceccatty). Olten, Walter-Verlag, 1971.
- [8] Hans Hass: Energon. Das verborgene Gemeinsame. Fritz Molden (Verlag). 1970.
- [9] Peter Russell: Auf dem Weg zum globalen Gehirn. Die digitale Revolution ist die letzte Stufe auf dem Weg zu einem Superorganismus. Übersetzt von Florian Rötzer. 3. Dezember 1996. In: Telepolis. https://www.heise.de/tp/features/Auf-dem-Weg-zum-globalen-Gehirn-3412629.html
- [10] Gillings MR, Hilbert M, Kemp DJ. Information in the Biosphere: Biological and Digital Worlds. Trends Ecol Evol. 2016 Mar;31(3):180-189. doi: 10.1016/j.tree.2015.12.013. Epub 2016 Jan 8. PMID: 26777788.
- [11] V. Turchin, C. Joslyn: The Metasystem Transition. In: F. Heylighen, C. Joslyn and V. Turchin (editors): Principia Cybernetica Web (Principia Cybernetica, Brussels), 199. URL: http://cleamc11.vub.ac.be/filename.
- [12] Valentin Turchin: The Phenomenon of Science. New York: Columbia University Press. ISBN 978-0-231-03983-3. Erstmals veröffentlicht im Jahr 1977.
- [13] Valentin Turchin: "A dialogue on metasystem transition". World Futures. 45 (1): 5–57. 1995. CiteSeerX 10.1.1.214.9001. doi:10.1080/02604027.1995.9972553.
- [14] Gillings, Michael R;Hilbert, Martin;Kemp, Darrell J: Information in the Biosphere: Biological and Digital Worlds. In: Trends in Ecology and Evolution. Volume 31, Issue 3, Pages 180-189, March 2016. DOI: 10.1016/j.tree.2015.12.013. Die Autoren gehen in ihren Schlussbemerkungen (concluding remarks) von der Entstehung eines globalen Superorganismus, eines Digitalen Organismus: "We argue that we are already in the midst of a major evolutionary transition that merges technology, biology, and society". Online: https://escholarship.org/uc/item/38f4b791