Das große Wozu
Philosophie
Grundidee
Das Große Wozu als letztendlich Frage nach dem Zweck des Daseins lässt sich zwei zunächst voneinander unabhängige Frage unterteilen: a) die Frage nach dem individuellen Sinn des Lebens und b) die Frage nach dem Zweck der Welt als Ganzer. Beides ist hier kurz vorgestellt.
Die Frage nach dem individuellen Wozu des Lebens
In Goethes Klassiker, seinem Faust, sucht ein Schüler des Dr. Faust das Glück im Wissen[1]. Doch der alternde Dr. Faustus macht immer wieder die ernüchternde Erfahrung, dass Wissen alleine nicht zu Glück führt. Wie ein Mantra wiederholt Goethe an vielen Stellen seiner Werke die Lebensweisheit, dass das Glück nicht in großen Gedankenentwürfen zu suchen sei, sondern in einer lebendigen Teilhabe am reichen Geschehen dieser Welt[2]. Dasselbe Motiv klingt auch in William Olaf Stapledons Klassiker Der Sternschöpfer an. Dort erlebt der Held der Geschichte das Werden und Vergehen des gesamten Kosmos und er nimmt Teil an Gottes Schöpfung der Welt. Doch letztendlich sehnt sich der Held zurück in die Welt seiner kleinen bedeutungslosen Existenz im England der 1930er Jahre[3]. Siehe mehr dazu unter Sinn des Lebens ↗
Die Frage nach dem kosmischen Wozu der Welt
What is it all about - was soll das Ganze? Das, so der Mathematiker und Philosoph Alfred North Whitehead (1861 bis 1947) sei im Kern die Frage jeder Philosophie[5]. Hier wird nicht nach dem individuellen Glück gefragt, sondern nach einem Zweck der Welt als Ganzer. Zumindest manche Menschen können eine tiefere Erfüllung erlange, in dem sie sich als Teil eines größeren Geschehens sehen. Der Soldat, der sich für sein Land hingibt, der Missionar Albert Schweizer, der Gutes dafür tut, "dass es in der Welt bleibt", oder eine Madame Curie, die ihr Leben ganz in den Dienst an der Wissenschaft stellt. Treibt man diese Frage nach dem Zweck immer weiter voran, kommt man mehr oder minder schnell zu der Frage, wozu die Welt da ist. Dass dieses Fragen aber nicht unbedingt zum individuellen Lebensglück beitragen muss, drückte wiederum Stapledon in seiner fiktiven Geschichte von den Großen Gehirnen aus[6]. Siehe mehr dazu unter Weltzweck ↗
Quaestiones
- 1) Kann der Mensch als Einzelwesen glücklich werden, auch ohne das Wohl oder den Zweck des Großen und Ganzen zu denken? Die Antwort ist wahrscheinlich ein Ja, wenn man nämlich nur einen Menschen kennt, der in eine eng gesteckten Lebenskreis sein Glück fand. Ich[4] glaube, solche Menschen zu kennen. Siehe auch World Happiness Report ↗
- 2) Soll der Mensch als Einzelwesen glücklich werden, auch ohne das Wohl oder den Zweck des Großen und Ganzen zu denken? Diese Frage ist durchaus zu unterscheiden von der ersten. Der Buddhismus, aber auch viele Angebote zur Selbstfindung versuchen reine Techniken zu vermitteln, an deren Ende persönliche Glücksgefühle stehen. Das Soll aber fragt nach einem Prinzip das für sich einen Wert darstellt. Bejaht man hier die Frage, heißt das eigentlich, dass individuelles Glück sich nicht um die restliche Welt kümmern muss. Die Verneinung aber würde bedeuten, dass individuelles Glück verbunden sein soll mit dem Glück oder Zweck der Welt. Zur Idee, dass das individuelle Glück mit einem höheren Prinzip verbunden ist, ist eine Grundlage jeder Idee von Moral ↗
- 3) Sind unsere moralischen oder religiösen Gefühle und Intuitionen Ausdruck einer höheren Kraft, eines höheren Wesens oder Prinzips, das uns über Gefühle von Glück und Sinn auf dem richtigen Pfad halten möchte. Dürfen wir dann im Umkehrschluss darauf vertrauen, dass unsere Intuitionen (höre auf dein Bauchgefühl!) ein verlässlicher Wegweiser zum Guten oder Richtigen sind?
Fußnoten
- [1] Der Schüler des Dr. Faust, Wagner, ist ein junger Wissenschaftler mit hohen Zielen: "Mit Eifer hab’ ich mich der Studien beflissen, Zwar weiß ich viel, doch möcht’ ich alles wissen." Die Zeile 600 in: Johann Wolfang von Goethe: Faust - Der Tragödie erster Teil. 1808.
- [2] "Tages Arbeit, Abends Gäste! Saure Wochen, frohe Feste! Sei dein künftig Zauberwort." So spricht Goethe in seinem "Schätzgräber" aus dem jahr 1797. Siehe auch Der Schatzgräber ↗
- [3] Nachdem der Held von Stapledons komischer Phantasie die tiefsten Wahrheiten des Kosmos gesehen hatte, und selbst an Gott teilhatte, kehrte dieser zurück zu seiner kleinen bedeutungslosen Erde. Aber gerade dort erlebte er Sinn und Bedeutung: "The littleness, but the intensity, of this whole grain of rock, with its film of ocean and of air, and its discontinuous, variegated, tremulous film of life; of the shadowy hills, of the sea, vague, horizonless; of the pulsating, cepheid, lighthouse; of the clanking railway trucks. My hand caressed the pleasant harshness of the heather." Ähnlich wie bei Goethe, findet auch bei Stapledon der Mensch nicht in Intellektualität sein Glück, sondern in der Teilhabe am kleinen abe intensiven Leben um sich herum. In: William Olaf Stapledon. Star Maker. 1937. Siehe auch Der Sternenschöpfer ↗
- [4] Das Ich steht hier für sGunter Heim ↗
- [5] Ich glaube, das steht fast wörtlich so recht früh in Whiteheads Klassiker Prozess und Realität. Siehe auch Alfred North Whitehead ↗
- [6] Dass eine zügellos wuchernde Intellektualität in Form ständig verbesserter Gehirne den Sinn des Lebens verfehlen könnte beschrieb der Philosoph und Pionier der Science Fiction, William Olaf Stapledon in einem Roman aus dem Jahr 1930. In einer fiktiven Zukunft verfolgt die Menschheit das Projekt von einem "super-brain". Durch Manipulation der Biologie wurde ein abnormes Wachstum des Großhirns erreicht: By inhibiting the growth of the embryo's body, and the lower organs of the brain itself, and at the same time greatly stimulating the growth of the cerebral hemispheres. Letztendlich waren dieses künstlich geschaffene Wesen fast nur noch Großhirn mit kleinen Händen und Füßen daran. Die Ernährung fand technisch statt: A chemical factory poured the necessary materials into its blood. Die Beatmung erfolgte durch große Räume mit elektrischen Lüftern: Its lungs consisted of a great room full of oxidizing tubes, through which a constant wind was driven by an electric fan. Am Ende bewohnten diese Gehirne Türme von 13 Metern Durchmesser: a roomy turret of ferro-concrete some forty feet in diameter. Das Große Gehirn wird zum erfolgreichen Berater der Menschheit: in time he began to take pleasure in suggesting brilliant solutions of all the current problems of social organization. His advice was increasingly sought and accepted. Das Große Gehirn folgte dabei rein intellektuellen Beweggründen und interessierte sich nicht für die vermeintlich kleinen Sorgen der Menschen (the petty troubles of his people). Das Große Gehirn löst letztendlich auch die großen Fragen der Philosophie: He measured the cosmos; and with his delicate instruments he counted the planetary systems in many of the remote universes. He casually solved, to his own satisfaction at least, the ancient problems of good and evil, of mind and its object. Nachdem das Große Gehirn die Erschaffung weiterer seiner Art bewirkt hatte, setzte der Niedergang ein. Diese ganz von wissenschaftlicher Neugier getriebene Rasse hatte die Grenzen ihrer eigenen Erkenntnisfähigkeit erreicht: Indeed, it began to dawn on them that they had scarcely plumbed a surface ripple of the ocean of mystery. Their knowledge seemed to them perfectly systematic, yet wholly enigmatic. They had a growing sense that though in a manner they knew almost everything, they really knew nothing. Die Geschichte der Großen Gehirne ist erzählt in: "Chapter XI. Man Remakes Himself. 1. The First of the Great Brains" In: William Olaf Stapledon: Last And First Men. Auf Englisch zuerst veröffentlicht im Jahr 1930. Deutsch: Die letzten und die ersten Menschen. Heyne (Bibliothek der Science Fiction Literatur), 1983, ISBN 3-453-30960-X. Siehe auch William Olaf Stapledon ↗