Lukrezsches Atommodell
Antik
Basiswissen
Der römische Naturphilosoph Lukrez (99 v. Chr. bis 55. v. Chr.) griff die antike Atomidee (Demokrit, Epikur) seiner Zeit auf und entwickelte sie mit Fragestellungen weiter, die auch heute noch ungelöst sind. Das ist hier kurz vorgestellt.
Auch der Geist besteht aus Atomen
"Welcherlei Körper der Geist nun besitzt und aus welchen Atomen dieser besteht, soll weiter mein Vers dir näher erläutern. Erstlich behaupt' ich, er sei aus den allerfeinsten und kleinsten Urelementen gebildet. Daß dieses sich also verhalten, magst du aus folgendem lernen, so daß es dir völlig gewiß wird. Nichts in der Welt scheint wohl an Geschwindigkeit irgend zu gleichen unserem Geist, der im selben Moment, was er denkt, auch schon anfängt. Also bewegt sich der Geist viel schneller als irgendwas andres aus dem Bereiche der Dinge, die unserem Auge sind sichtbar. Aber nun kann doch ein Ding, das so leicht sich bewegt, nur bestehen Aus ganzkugelig runden und allerkleinsten Atomen, die beim leichtesten Stoß sofort in Bewegung sich setzen.[1]". Die Idee, dass auch Geist aus einer Art atomarer Materie besteht lebte im 19ten Jahrhundert erneut auf unter dem Stichwort Mind-stuff ↗
Simulacra machen die Welt sichtbar
Von den Objekten der Atomwelt lösen sich ständige feinste Häutchen als Abbilder der Objekt ab. Das sind die Simulacra. Diese Häutchen gelangen dann in das menschliche Auge[1] und erzeugen dort ein Bild der Wirklichkeit. Jedes solche Häutchen ist ein Simulacrum ↗
Clinamen ermöglichen einen Freien Willen
Lukrez sah das Problem, dass die Atome keinen Freien Willen von Menschen zuließen, wenn sie sich ganz physikalisch nur nach dem Prinzip von Ursache und Wirkung bewegten. Erst wenn die Bewegung der Atome kleinste Abweichung von der Naturgesetzlichkeit zuließen, eröffnet sich die Möglichkeit für einen Freien Wille. Eine solche kleinste Abweichung nannte Lukrez Clinamen ↗
Was sagt die moderne Physik zu Lukrez' Atomidee?
Die antike Idee fester kleinster Körper im Sinne von Atomen wurde bereits im 19ten Jahrhundert nachhaltig angezweifelt[6] und kann von der heutigen Physik nicht mehr aufrecht erhalten werden. Das von Lukrez konkretisierte Problem des Freien Willens ist mit der Ersetzung der antiken Kugel-Atome durch gestaltlose Quantenobjekte ins Schwimmen geraten, ohne dass es dabei aber gelöst wurde. Die moderne Quantenphysik hat keines der philosophischen Probleme der Antike endgültig gelöst sondern die alten Probleme um neue Aspekte erweitert[7]. Siehe dazu den Artikel zum Quantenobjekt ↗
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===== Fußnoten
- [1] Lukrez: Über die Natur der Dinge. Original: De rerum natura. Zweites Buch, zitiert nach Hermann Diels, 1924.
- [2] Ernst A. Schmidt: „Clinamen – Eine Studie zum dynamischen Atomismus der Antike.“ Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2008
- [3] Christian Reidenbach: Abweichung. In: Stephan Günzel (Hrsg.): Lexikon der Raumphilosophie. Wissenschaftliche
- [4] Madelaine F. Wheeler: The Ethics of Perception in Lucretius’ De rerum natura IV. Submitted in partial fulfilment of the requirements for the degree of Master of Arts. Dalhousie University. Halifax, Nova Scotia. August 2019. Dort die Seiten 72 ff.
- [5] D. P. Fowler: Lucretius on the Clinamen and Free Will. In: SUZHTHSIS: Studi sull'epicureismo greco e romano offerti a Marcello Gigante, 3 vols. Naples, 1.329-52. 1983.
- [6] Ernst Mach: Die Analyse der Empfindungen und das Verhältnis des Physischen zum Psychischen. Ersterscheinung: 1886. Siehe auch Ernst Mach ↗
- [7] Anton Zeilinger: Einstein auf dem Prüfstand. In: Sternstunde Philosophie. Interview des Schweizer Rundfunks. 14.05.2006.