Kinästhetisches Lernen
Physik
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- 2025
Basiswissen|
Einführung|
Kinästhetik in der Lernwerkstatt|
Hand-Wirbel-Versuch|
Kreis-Renn-Versuch|
Vertikal-Schleuder-Versuch|
Geschwindigkeitsvorgabe: cm/s|
Geschwindigkeitsvorgabe: m/s|
Geschwindigkeiten im Schwimmbad|
Winkel bilden|
Winkel- und Bahngeschwindigkeit|
Beschleunigung|
Hubarbeit|
Hubleistung|
Frequenz|
Seildehnung|
Einseitiger Hebel|
Flaschen-Schüttel-Versuch|
Physik unterwegs|
Treppen-Renn-Versuch|
5-Meter-Sprungturm|
Fußnoten
Basiswissen
Als kinästhetisch bezeichnet man eine Lernen, wenn es aktiv Bewegungsabläufe mit einbezieht. Inspiriert durch Howard Gardners (umstrittenes) Konzept der Multiplen Intelligenzen, wurde vor allem in den 1990er bis 2010er Jahren untersucht, inwiefern Bewegung als Teil des Lernens den Lernerfolg verbessert. Hier stehen einige Beispiele, wie kinästhetisches Lernen in der Physik aussehen kann.
Einführung
Wer einmal gelernt hat, wie man Schuhe bindet, wird es wahrscheinlich sein Leben lang nicht mehr vergessen: es fühlt sich so an, als ob, "das Wissen in den Fingern wäre". Auch andere Bewegungsabläufe wie eine Rollwende beim Schwimmen, Jonglieren oder Tanzbewegungen gehen in der Regel nicht vergessen. Anders als rein intellektuelle Fertigkeiten scheinen viele Bewegungsabläufe zuverlässig im Langzeitgedächtnis abgelegt zu sein. Eine zweite Besonderheit des kinästhetischen Lernen, dass es zuvor abstrakte Vorstellung begreifbar, erfahrbar, spürbar und damit auf einer tieferen Ebene überhaupt erst verständlich macht. Und die gedankliche Fixierung auf eine Bewegung bindet Interesse und Aufmerksamkeit. Dies hilft zum Beispiel bei Kindern und Jugendlichen, deren Gedanken leicht abschweifen können. Es sind vor allem die letzten zwei Gründe, die für ein kinästhetisches Lernen im Zusammenhang mit der Physik sprechen.
Tatsächlich haben viele Kinder und Jugendliche heute einen nur sehr kleinen Erfahrungsschatz was Bewegungen oder körperliche Empfindungen außerhalb eines eng umsteckten Tagesablaufs zwischen Wohnung, Auto und Schule angeht. Viele Kinder sind noch nie Zug gefahren, fahren selbst kaum Fahrrad, können nicht mehr Schwimmen, klettern nicht auf Bäumen, schlittern nicht mehr auf Eis und so weiter. Diese Erfahrungen fehlen ihnen dann, um die damit verwandten Größen der Physik wirklich begreifen zu können.
Kinästhetik in der Lernwerkstatt
Die folgenden Beispiele für ein kinästhetisches Lernen stammen aus der 2010 gegründeten Mathe-AC Lernwerkstatt in Aachen. Dort wird das Fach Physik von der Grundschule bis hin zu einem Studium unterrichtet. Für ein kinästhetisches Lernen stehen dafür ein größerer Garten sowie große freie Tischflächen und freigeräumte Innenräume zur Verfügung. Die Lernmethode ist an kein besonderes Alter gebunden. Im Zusammenhang mit Geschwindigkeiten hat es sich als sehr nützlich erwiesen, die Einheit Zentimeter pro Sekunde mit zu betrachten.
Hand-Wirbel-Versuch
Man versucht die Spitze des ausgetreckten Zeigefingers möglichst schnell eine kreisförmige Bewegung ausführen zu lassen. Für diesen Versuch benötigt man eine Kamera mit hoher zeitlicher Auflösung für eine gute Zeitlupe. Siehe mehr unter Hand-Wirbel-Versuch ↗
Kreis-Renn-Versuch
Wie schnell kann man entlang einer Kreislinie rennen, wenn der Kreis a) einen Durchmesser von einem Meter oder b) einen Durchmesser von zwei Metern hat? Versuche mit mehreren Probanden ergaben sehr unterschiedliche Werte. Siehe dazu Kreis-Renn-Versuch ↗
Vertikal-Schleuder-Versuch
Man nimmt ein schweres Gewicht, etwa 2 bis 5 Kilogramm in einen Hand. Dann schleudert man dieses Gewicht möglichst schnell auf einer vertikalen Kreisbahn herum, also ähnlich einem Riesenrad. Dabei kann man sehr eindrucksvoll einen Kraftunterschied an verschiedenen Positionen der Bahn spüren. Siehe mehr und Vertikal-Schleuder-Versuch ↗
Geschwindigkeitsvorgabe: cm/s
Auf einem langen freien Tisch wird eine Messstrecke markiert. Strecken zwischen 40 und 140 sind alle gleichermaßen gut geeignet. Die Aufgabe ist es nun, den Finger vom Anfang bis zum Ende mit einer möglichst konstanten Geschwindigkeit zu bewegen. Die Geschwindigkeit kann über Zeit und Strecke indirekt oder mit einem Smartphone auch direkt gemessen werden. Interessante Variationsmöglichkeiten ergeben sich, wenn man Geschwindigkeiten von 0,1 bis vielleicht 40 cm pro Sekunde als Ziel vorgibt. Siehe auch Zentimeter pro Sekunde ↗
Geschwindigkeitsvorgabe: m/s
Ein Meter pro Sekunde ist eine typische Geschwindigkeit für einen gemütlichen Spaziergang. Größere Geschwindigkeiten lassen sich in geschlossenen Räumen nur schlecht nachstellen. Die Versuche macht man besser im Freien. Wieder kann die Geschwindigkeit indirekt über Zeit und Strecke oder direkt mit einem Smartphone bestimmt werden. Hier kann man zwischen 0,1 bis vielleicht 4 m/s variieren. Interessant ist auch die Überlegung, wie viele Meter pro Sekunde ein Weltrekordsprinter durchführt. Siehe auch Meter pro Sekunde ↗
Geschwindigkeiten im Schwimmbad
In einem Schwimmbad kann man die eigene Geschwindigkeit beim schnellen Schwimmen in Zentimetern oder Metern pro Sekunde bestimmen. Stoppuhr und eine 25- oder 50-Meter Bahn genügen dazu. Interessant ist auch, dass man beim Aufprall von einem Fünf-Meter-Sprungturm eine Geschwindigkeit von ziemlich genau 10 Metern pro Sekunde hat. Auch das lässt sich gut erfahren. Welche Aufprallgeschwindigkeiten hat man bei Fall aus einem oder aus drei Metern Höhe? Siehe auch Aufprallgeschwindigkeit ↗
Winkel bilden
Spreizt man die Arme zu einem V, kann man daraus einen Winkel bilden. Um ein Gefühl für Winkel zu erhalten und dieses zu verinnerlichen, ist es gut, in sehr schneller und langer Abfolge immer wieder vorgegebene Winkel mit den Armen zu bilden oder bei einem gezeigten Winkel diesen von der Größe her laut sprechend zu schätzen. Für ältere Schüler kann man die Winkel statt im Gradmaß auch im Bogenmaß in Rad betrachten. Siehe auch Winkelschätzung ↗
Winkel- und Bahngeschwindigkeit
Man kann den Zeigefinger auf dem Tisch oder in der Luft kreisen lassen und dabei eine bestimmte Winkel- oder Bahngeschwindigkeit wie etwa 20° pro Sekunde oder 10 cm/s nachstellen. Zur Messen kann man Stoppuhren oder auch Aufzeichnungen von Filmen verwenden.
- Was ist die maximale Winkelgeschwindigkeit, die du mit einer Kreisbewegung der Hand oder eines Fingers hinkriegst?
- Was ist die maximale Bahngeschwindigkeit, die du mit einer Kreisbewegung der Hand oder eines Fingers hinkriegst?
- Versuche eine konstante Winkelgeschwindigkeit von z. B. 10° Grad pro Sekunde beizubehalten, während du dabei aber den Radius immer wieder deutlich vergrößerst oder verkleinerst.
- Versuche eine konstante Bahngeschwindigkeit von z. B. 10 cm pro Sekunde beizubehalten, während du dabei aber den Radius immer wieder deutlich vergrößerst oder verkleinerst.
- Siehe mehr unter Winkelgeschwindigkeit ↗
Beschleunigung
Für viele ist eine Beschleunigung wie zum Beispiel 10 m/s² anschaulich nur schwer oder gar nicht begreifbar. Geht man aber auf eine Beschleunigung von 1 cm/s² zurück, wird die Größe erfahrbar. Man kann versuchen, seinen Finger so über den Tisch zu führen, dass er jede Sekunde um etwa einen cm/s schneller wird. Zur Kontrolle kann man die Bewegung zum Beispiel filmen und später auswerten. Dazu kann man eine Stoppuhr mitlaufen lassen. Man kann aber auch versuchen, formelmäßige Zusammenhänge wie s=½at² für eine gleichmäßig beschleunigte Bewegung zur Kontrolle zu nutzen. Siehe auch Beschleunigung ↗
Hubarbeit
Hat man ein einigermaßen schweres Gewicht zur Hand, fünf Kilogramm sind schon gut, lässt sich die Hubarbeit gut erfahrbar machen. Man soll das Gewicht zum Beispiel zehn mal um jeweils einen Meter anheben. Alternativ kann man auch mit dem ganzen Körper eine Treppe hinaufsteigen. Siehe mehr unter Hubarbeit ↗
Hubleistung
Wie bei der Hubarbeit kann man auch bei der Hubarbeit als kinästetisches Lernen Gewichte oder seinen ganzen eigenen Körper benutzen. Hier kommt nun der Zeitaspekt hinzu. Siehe mehr unter Hubleistung ↗
Frequenz
Bewege die geschlossene Faust so auf und ab, dass eine Frequenz von zum Beispiel einem Hertz, zwei Hertz oder auch 0,5 oder einem Zehntel Hertz entsteht. Kann man dasselbe auch durch Hüpfen erreichen? Siehe auch Frequenz ↗
Seildehnung
Es ist verblüffend, wie stark man Seile dehnen kann, die beim ersten ziehen mit zwei Händen an einem kurzen Stück fast undehnbar erscheinen. Siehe mehr unter Seildehnung (Kurzversuch) ↗
Einseitiger Hebel
Als Tischversuch: eine kleine starre Holzlatte ist einseitig drehbar eingespannt. Um sie waagrecht zu halten, wird der Zeigefinger am Ende des losen Teiles von unten an die Latte gehalten. Man kann nun entweder oben auf die Latte ein spürbar schweres Gewicht auflegen und dieses auf der Latte hin und her schieben. Oder man kann den Finger unter der Latte langsam hin zum Drehpunkt bewegen. In beiden Fällen spürt man sehr deutlich die Wirkung des Hebelgesetzes. Siehe mehr unter einseitiger Hebel (kinästhetisch) ↗
Flaschen-Schüttel-Versuch
Drei gleichartige Flaschen enthalten gleich viele Milliliter von je einer Flüssigkeit: Glycerin, Wasser und Alkohol. Man darf die Flaschen nicht öffnen. Dennoch kann man recht gut über verschiedenen Bewegungen herausfinden, welche der Flüssigkeiten in welcher Flasche ist. Siehe mehr unter Flaschen-Schüttel-Versuch ↗
Physik unterwegs
Treppen-Renn-Versuch
Für diesen Versuch eignet sich jede Treppe, zum Beispiel an einem Deich, oder aber auch einfach in einem Haus. Man misst den gesamten Höhenunterschied aus. Dann versucht man möglichst schnell die Treppe hinauf zu steigen. Dabei wird die Zeit gemessen. Damit kann man letztendlich die eigene Hubleistung messen und spüren. Siehe mehr unter Treppen-Renn-Versuch ↗
5-Meter-Sprungturm
Ein Fall von einem Sprungturm aus 5 Meter Höhe dauert ziemlich genau eine Sekunde. Beim Aufprall hat man eine Geschwindigkeit von rund 10 m/s. Wer sich den Sprung zutraut, kann einige Größen der Physik auf eindrucksvolle Weise am eigenen Körper erfahren. Siehe mehr unter 5-Meter-Sprungturm ↗
Fußnoten
- [1] Galeet Benzion Westreich: An Analysis of Kinesthetic Learners' Responses: Teaching Mathematics Through Dance (Ph.D.). Washington, D.C.: American University. 1999.
- [2] Ronald R. Sims; Serbrenia J. Sims (1995). The Importance of Learning Styles: Understanding the Implications for Learning, Course Design, and Education. Greenwood Publishing Group. pp. 53–. ISBN 978-0-313-29278-1.
- [3] Traci Lengel; Mike Kuczala (2010). The Kinesthetic Classroom: Teaching and Learning Through Movement. Sage Publications. ISBN 978-1-4522-7120-0.
- [4] Richards, AJ (2019). "Teaching Mechanics Using Kinesthetic Learning Activities". The Physics Teacher. 57 (1): 35–38. Bibcode:2019PhTea..57...35R. doi:10.1119/1.5084926. S2CID 125222905.