Stetigkeit
Mathematik, Physik
Basiswissen
Unendlich viele Werte ohne Lücken und Sprünge: die Idee der Stetigkeit spielt in der Mathematik und Physik eine große - und nicht ganz unumstrittene - Rolle.
Stetigkeit für eine einzelne Funktion
In der Mathematik ist das Wort stetig eng beschränkt auf Funktionen: eine Funktion heißt stetig, wenn ihr Graph weder Sprünge noch Lücken aufweist. Beliebig kleine Änderunge des x-Wertes eines Punktes ziehen immer auch nur beliebig kleine Änderungen des y-Wertes nach sich. Anschaulich: man den Graphen der Funktion komplett zeichnen, ohne dass man dabei den Stift an irgendeiner Stelle absetzen muss. Dieser Gedanke ist weiter erklärt im Artikel stetige Funktion ↗
Stetigkeit bei abschnittsweise definierten Funktionen
Baut man eine Funktion aus mehreren Teilabschnitten zusammen, spricht man von einer abschnittsweise definierten Funktion. Oft interessiert die Frage, ob eine abschnittsweise definierte Funktion an einem solchen Zusammenfügepunkt stetig ist. Das heißt: der linke Funktionsteil und der rechte Funktionsteil müssen bei demselben x-Wert an der Fügestelle auch denselben y-Wert haben. Beispiel: man definiert, dass eine Funktion f(x) von x=0 bis x=4 den Funktionsterm x² hat. Für alle x-Werte größer 4 definiert man dann, dass die Funktionsgleichung den Term 2x+8 hat. Nun überprüft man: haben die beiden zusammengefügten Terme bei x=4 denselben Funktionswert? Nur dann sind sie an der Fügestelle auch stetig. Hier trifft das zu: f(4) hat für x² den Funktionswert 16. Und auch f(4) für den Term 2x+8 gibt als y-Wert 16. Anschaulich heißt das, dass die Teilabschnitte ohne Lücke zusammengefügt sind. Siehe auch abschnittsweise definierte Funktion ↗
Stetigkeit in der (Natur)Philosophie
Nach dem Metzeler Philosophie Lexikon bezeichnet Stetigkeit einen fortlaufenden Prozess, lückenlosen Zusammenhang oder auch kontinuierliche Grenzen und Übergänge und steht daher in Opposition zur Diskretheit[3]. Nach Aristoteles[4] sind alle Teile von etwas Stetigem immer durch gemeinsame Grenzen verbunden.[5] Der Mathematiker und Naturforscher Gottfried Wilhelm Leibniz zufolge sind alle Naturprozesse durch eine solche Stetigkeit ausgezeichnet (loi de continuité, natura non facit saltus). Damit ließen sich alle Naturvorgänge durch mathematisch stetige Funktionen beschreiben. Diese Annahme wurde im Jahr 1900 durch die Entdeckung von Max Planck erschüttert, dass die Natur wohl doch Sprünge macht, also nicht stetig ist. Dies war der Grundgedanke der sogenannten Quantenphysik. Die Idee einer stetigen, sprungfreien Physik wird meist bezeichnet als Kontinuum (Physik) ↗
Was ist das Gegenteil von stetig?
- Normalerweise wird dem Wort stetig das Wort diskret gegenübergestellt.
- Diskret meint: zwischen zwei Werten liegen nur endlich viele Zwischenwerte.
- Ob es dabei Lücken gibt oder nicht ist in dem Wort nicht enthalten.
- Lies mehr unter diskret ↗
Was ist das Nachfolgerparadoxon?
- Die reellen Zahlen sind alle Zahlen auf dem Zahlenstrahl.
- Es sind also beliebige "Kommazahlen" erlaubt.
- Zwischen zwei Zahlen, zum Beispiel 1 und 4 ...
- gibt es dann unendlich viele Zwischenzahlen.
- Und es gibt keine Lücke. Deshalb nennt man die reellen Zahlen stetig.
- Eine Folgerung ist aber, dass man für eine Zahl keinen Nachfolger angeben kann.
- Siehe dazu unter Nachfolgerparadoxon ↗
Fußnoten
- [1] Guido Walz: Spektrum Lexikon der Mathematik. Band 5: Sed bis Zyl; 2002; ISBN: 3-8274-9437-1 Spektrum Lexikon der Mathematik ↗
- [2] Bronstein, Semendjajew, Musiol, Mühlig: Taschenbuch der Mathematik. 10. Auflage, 2016. ISBN: 978-3-8085-5789-1. Verlag Harri Deutsch. Seite 60. Siehe auch Der Bronstein ↗
- [3] Metzeler Philosophie Lexikon. Herausgegeben von Peter Prechtl und Franz-Peter Burkard. 2. überarbeitete Auflage. Stuttgart, Weimar, 1999. ISBN: 3-476-01679-X.
- [4] Der antike griechische Philosoph Aristoteles (384 bis 322 v. Chr.) sah in der Bewegung ein Beispiel für etwas Stetiges: "Es scheint aber die Bewegung zu gehören zu dem Stetigen. In diesem aber zeigt sich zunächst das Unbegrenzte. Darum wenn man das Stetige bestimmen will, begegnet es einem häufig zu gebrauchen den Begriff des Unbegrenzten, als sei das ins Unbegrenzte theilbare ein Stetiges. Hieran reiht sich, daß ohne Raum und Leeres und Zeit, keine Bewegung ist." In: Aristoteles. Physik. Drittes Buch. Erstes Kapitel. Aristoteles: Physik. Leipzig 1829, S. 51-54. Siehe auch Bewegung ↗
- [5] Wie Artistoteles die Vorstellung der Stetigkeit auch geometrisch denken wollte, zeigt das folgende Zitat: "Wenn nun ist stetig und sich berührend, und der Reihe nach, den vorherigen Bestimmungen zufolge, stetig, dessen letzte Theile Eins, sich berührend, von dem sie zusammen sind; der Reihe nach aber, was nichts gleichartiges dazwischen hat: so kann nicht aus Untheilbarem etwas Stetiges sein; z.B. die Linie aus Puncten, dafern die Linie ein Stetiges, der Punct aber ein Untheilbares ist. Denn weder sind Eins die letzten Theile der Puncte, (da nicht hat letzte und außerdem noch andere Theile das Untheilbare), noch sind sie zusammen. Denn überhaupt nichts Letztes hat, was ohne Theile ist. Ein anderes nämlich wäre das Letzte und das, wovon es letztes ist. Nun müßten nothwendig entweder stetig oder durch gegenseitige Berührung zusammenhängend sein die Puncte, aus denen das Stetige besteht. Das nämliche gilt von allem Untheilbaren. Stetig kann es nicht sein, aus dem angegebenen Grunde. Durch Berührung aber hängt überhaupt zusammen entweder Ganzes mit Ganzem, oder Theil mit Theil, oder Theil mit Ganzem. Da nun keine Theile hat das Untheilbare, so muß es als Ganzes mit Ganzem durch Berührung zusammenhängen. Ein Ganzes aber welches ein Ganzes berührt, kann nicht stetig sein. Das Stetig nämlich hat verschiedene Theile, und zerfällt in gleichfalls theilbare und räumlich für sich bestehende Theile. – Aber auch nicht folgen der Reihe nach kann Punkt auf Punkt, oder das Jetzt auf das Jetzt, so daß hieraus die Länge wäre, oder die Zeit. Denn folgend der Reihe nach ist, was nichts gleichartiges zwischen sich hat; die Punkte aber haben stets zum Dazwischen eine Linie, und die Jetzt eine Zeit. Auch würde beides getheilt werden müssen in Untheilbares, wenn es, woraus es besteht, darein auch getheilt wird. Aber nichts war von dem Stetigen in Untheilbares theilbar. Von anderer Gattung aber läßt sich nicht denken, daß etwas zwischen den Punkten oder dem Jetzt sei. Denn wäre etwas, so müßte es offenbar entweder theilbar oder untheilbar sein. Und wenn theilbar, entweder in Untheilbares, oder in stets Theilbares. Dieß aber wäre stetig. – Ersichtlich aber ist auch, daß alles Stetige theilbar ist in stets Theilbares. Denn wenn in Untheilbares, so würde Untheilbares mit Untheilbarem sich berühren. Denn Eins ist das Letzte und sich berührend, des Stetigen. Ganz das nämliche aber gilt sowohl von räumlicher Größe, als von Zeit, als von Bewegung, wiefern diese alle entweder aus Untheilbarem zusammengesetzt sind und getheilt werden in Untheilbares, oder nichts davon geschieht. Dieß erhellt hieraus. Wofern die Größe aus Untheilbarem zusammengesetzt ist, so wird es auch die Bewegung desselben aus gleichen untheilbaren Bewegungen sein." In: Aristoteles. Physik. Sechstes Buch. Erstes Kapitel. Aristoteles: Physik. Leipzig 1829, S. 143-146. Online: http://www.zeno.org/nid/20009149120