Kontinuum (Physik)
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Definition|
Raum als Kontinuum|
Zeit als Kontinuum|
Materie als Kontinuum|
Das Kontinuum als schwieriger Begriff|
Fußnoten
Definition
Ein Kontinuum ist etwas, das zusammenhängt, in der Erdkunde etwa ein Kontinent[1]. In der Physik bezeichnet man damit Dinge, die lückenlos zusammenhängen, deren Teile immer auch eine gemeinsame Grenze haben. Dass die physikalische Realität tatsächlich in diesem Sinn kontinuierlich ist, wurde über Jahrhunderte als Gewissheit angenommen, gilt heute aber als fragwürdig.
Raum als Kontinuum
Bewegt man einen Gegenstand von einem Punkt A zu einem Punkt B, so nimmt man intuitiv an, dass er jeden einzelnen Punkt im Raum auf der Strecke von A nach B eingenommen hat und dass es unendlich viele solche Punkte gibt. Keiner der Zwischenpunkte wurde übersprungen und zwischen Punkten gibt es auch keine Lücken. So gedacht wäre der Raum in dem wir physikalisch existieren ein Kontinuum. Eine widersinnige Konsequenz aus dieser Annahme beschrieb der Philosoph Zenon über seine Metapher Achilles und die Schildkröte ↗
Zeit als Kontinuum
Wenn man sich zwischen zwei beliebigen Zeitpunkten immer noch mindestens einen weiteren Zeitpunkt denken kann, dann bildet die Zeit ein Kontinuum. Es treten dann keine Lücken in der Zeit auf, keine Zeitsprünge. Jeder Zeitraum besteht aus unendlich vielen kleineren Zeiträumen. Diesen Gedanken hatte unter anderem schon der antike Denker Aristoteles formuliert.[2] Siehe auch Zeitpunkt ↗
Materie als Kontinuum
Denkt man sich Materie als Kontinuum, so tritt an keiner Stelle hin zu immer kleineren Strukturen an keiner Stelle plötzlich eine Körnigkeit auf. Man kann gedanklich zwischen zwei Materiestücken räumlich immer noch ein weiteres gleichartiges Materiestück packen. Es gibt keine räumlich begrenzten Grundbausteine von Materie, kein Atom. Stahl kann man also gedanklich in immer kleinere Stück teilen, die immer weiterhin Stahl bleiben. Die Gegenidee zu dieser kontinuierich gedachten Materie ist das Atomon ↗
Das Kontinuum als schwieriger Begriff
Der Mathematik, Physiker und Philosoph Hermann Weyl (1885 bis 1955) schrieb ein grundlegendes und umfangreiches Buch über die Idee des Kontinuums. Als Grundlage sei es nicht fest, doch in Ermangelung von etwas Besserem, müsse man sich damit wohl begnügen:
ZITAT:
"In dieser Schrift handelt es nicht darum, den »sicheren Fels«, auf den das haus der Analysis gegründet ist, im Sinne des Formalismus mit einem hölzernen Schaugerüst zu umkleiden und nun dem leser und am Ende sich selber weiszumachen: "dies sei das eigentliche Fundament. Hire wird vielmehr die Meinung verreten, daß jenes Haus zu einem wesentlichen Teil auf Sand gebaut ist. Ich glaube, diesen schwankenden Grund durch Stützen von zuverlässiger Festigkeit ersetzen zu können; doch tragen sie nicht alles, was man heute allgemein für gesichert hält; den Rest gebe ich preis, weil ich keine andere Möglichkeit sehe. Im Mittelpunkt meiner Betrachtungen steht jenes uns duch das Kontinuum aufgebene begriffliche Problem [...] das wir durch die arithmetische Theorie der Irrationalzahlen zu lösen versuchen. [...] Unsere Betrachtung des Kontinuumprolems liefert einen Beitrag zu der erkenntniskritischen Frage nach den Beieungen zwischen dem unmittelbar (anschaulich) Gegebenen und den formalen Begriffen (der mathematischen Sphäre), durch welche wir in Geometrie und Physik jenes Gegebene zu konstruieren versuchen."[3]
"In dieser Schrift handelt es nicht darum, den »sicheren Fels«, auf den das haus der Analysis gegründet ist, im Sinne des Formalismus mit einem hölzernen Schaugerüst zu umkleiden und nun dem leser und am Ende sich selber weiszumachen: "dies sei das eigentliche Fundament. Hire wird vielmehr die Meinung verreten, daß jenes Haus zu einem wesentlichen Teil auf Sand gebaut ist. Ich glaube, diesen schwankenden Grund durch Stützen von zuverlässiger Festigkeit ersetzen zu können; doch tragen sie nicht alles, was man heute allgemein für gesichert hält; den Rest gebe ich preis, weil ich keine andere Möglichkeit sehe. Im Mittelpunkt meiner Betrachtungen steht jenes uns duch das Kontinuum aufgebene begriffliche Problem [...] das wir durch die arithmetische Theorie der Irrationalzahlen zu lösen versuchen. [...] Unsere Betrachtung des Kontinuumprolems liefert einen Beitrag zu der erkenntniskritischen Frage nach den Beieungen zwischen dem unmittelbar (anschaulich) Gegebenen und den formalen Begriffen (der mathematischen Sphäre), durch welche wir in Geometrie und Physik jenes Gegebene zu konstruieren versuchen."[3]
In der hier zitierten kleinen Schrift geht der Autor Hermann Weyl (1885 bis 1955) ausführlich auf all jene Fragen ein, die manchen bei der Mathematik der Mitteltufe kommen: was bedeuten eigentlich natürliche, rationale, irrationale Zahlen? Was ist eine Funktion? Darf man mit unendlich denken. Wie bei so vielen Themen lohnt es sich oft, die Schriften der frühen Denker zu lesen. Dort kommen oft sehr viel klarer als in späteren Schriften die eigentlich schwierigen Themen zur Sprache.[4]
Fußnoten
- [1] Duden online. 17. Juni 2022.
- [2] Im Zusammenhang mit Zenons Paradoxon (Achilles und die Schildkröte) betrachtet Aristoteles (384 bis 322 v. Chr.) nicht nur den Raum sondern auch die Zeit als kontinuierlich: "Auf dieselbe Weise ist zu begegnen auch denen, die mit Zenon fragen und behaupten: ob stets die Hälfte durchgegangen werden müsse; dieß aber sei unbegrenzt. Unbegrenztes aber könne nicht durchgangen werden. Oder wie die nämliche Frage Andere aufwerfen, indem sie behaupten, daß, indem etwas durch die Hälfte sich bewege, es zuvor jedes andere halbe, durch das es komme, überzähle: so daß, wenn etwas durch die ganze Linie kommt, es eine unbegrenzte Zahl überzählt haben müsse. Dieß aber kann zugestandener Weise nicht geschehen. In unsern ersten Betrachtungen nun über die Bewegung haben wir dieß dadurch gelöst, daß die Zeit unbegrenzt viele Theile in sich schließe." Und weiter so in: Aristoteles. Physik. Achtes Buch. Achtes Kapitel. Aristoteles: Physik. Leipzig 1829, S. 222-231. Online: http://www.zeno.org/nid/20009149368
- [3] Hermann Weyl: Das Kontinuum – kritische Untersuchungen über die Grundlagen der Analysis, Leipzig, von Veit und Comp., 1918. Online: https://archive.org/details/daskontinuumkrit00weyluoft/page/n5/mode/2up
- [4] Die Empfehlung, immer auch einen Blick in die frühen Schriften zu einem neu aufkommenden Thema zu nehmen geht auf den deutsch-baltischen Philosophen Nicolai Hartmann zurück. Man findet sie in seinem Buch über die Philosophia perennis ↗