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Kollaps der Wellenfunktion

Physik

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Basiswissen


Als Kollaps der Wellenfunktion[1] oder Zustandsreduktion beschreibt man den Übergang eines quantenmechanischen Systems von einer reinen Wahrscheinlichkeitsverteilung vieler möglicher Zustände hin zu einem tatsächlich gemessenen oder realisierten Zustand.[4] Welcher der möglichen Zustände angenommen wird scheint dem echten Zufall zu unterliegen.[5] Hier wird eine philosophisch interessante Interpretation vorgestellt.

Eddingtons Sirius-Paradoxon


Der englische Astrophysiker Arthur Stanley Eddington beschrieb im Jahr 1926 ein Paradoxon, das ganz ohne Verständnis der Quantenphysik zeigt, wie erst eine Welle zu existieren scheint, dann dann ohne Zeitverzug verschwindet, sozusagen kollabiert: am Stern Sirius sendet ein Atom ein Lichtquant aus. Dieses breitet sich als Welle kugelförmig in alle Richtungen den Weltraum aus. Nach acht Jahren und neun Monaten trifft ein klitzekleiner Teil dieser Welle auf das Auge eines menschlichen Sternenguckers. Sofort wird die gesamte Energie des ausgesandten Quants von einem Atom im Auge des Menschen aufgenommen. Wie aber hat man sich das für die gigantisch große Kugelwelle mit einem Durchmesser von 17½ Lichtjahren Durchmesser vorzustellen? Geht von der Stelle, wo ein Stück der Welle auf den Menschen traf, schlagartig eine Nachricht an alle anderen Stelle der Welle, dass man ein Auge gefunden habe und sich jetzt hier versammele? Offensichtlich hört die gesamte Kugelwelle nun auf zu existieren, da keine weitere Energie mehr an irgendetwas abgegeben werden kann.[3] Die von Eddington formulierte Zuspitzung ist ein Ausdruck des quantenphysikalischen Welle-Teilchen-Dualismus ↗

Jamiesons Wellen-Bild


Der australische Physiker David Jamieson nutzt ein schönes Sinnbild aus seiner Heimat Melbourne, um das wirklich Widersinnige an der Idee eines Kollaps der Wellenfunktion besser zu verstehen.

ZITAT:

David Jamieson, 2020: "Stell dir vor, du surfst und du siehst diese Welle kommen und da sind noch andere Surfer, die auf die Welle warten. Einsteins Idee zufolge kann nur ein Surfer die Welle kriegen.[12] Die anderen zwei Surfer links und rechts hängen dann nur im flachen Wasser rum, nur der Surfer in der Mitte erwischt die ganze Energie. Die Welle, oder die Funktion, die sie beschreibt, kollabiert auf eine gewisse Weise wenn sie wechselwirken (interact) muss. Dies ist ein zentrales Mysterium der Quantenphysik."[13]

Wie bei Eddingtons Beispiel von der Lichtwelle von Stern Sirius vereinigt sich auch die gesamte Energie der hypothetischen Wasserwellen Jamiesons schlagartig an einem eng umgrenzten Ort. Für die uns vertraute Welt der Dinge des Alltags wäre ein solches Verhalten völlig unerwartet und gegen jeden gesunden Menschenverstand.

Die Simulationshypothese


Nach der sogenannten Simulationshypothese sind wir Menschen und auch das uns umgebende Universum eine von Computern erzeugte Simulation. Nimmt man an, dass dieser Computer nur begrenzte Rechnerkapazität hat, dann kann man erwarten, dass er die Simulation auf seine Kapazitäten hin optimiert. Eine Möglichkeit ist es, dass der Kollaps der Wellenfunktion dann stattfindet, wenn ansonsten die benötigte Rechenleistung für eine Weiterführung der Wellenfunktion zu groß würde[2]. Siehe dazu auch Simulationshypothese ↗

Was ist das Multiversum?


Die Idee, dass es mehrere nebeneinander ablaufende Universen geben könnte: das Multiversum ist die Gesamtheit aller Universen. Die Idee zu einem Multiversum entstand als eine von mehreren Interpretationen der quantenphysikalischen Wellenfunktion: in der Wellenfunktion existieren mathematisch mehrere mögliche Verläufte zeitgleich. Wenn alle diese Möglichkeiten auch tatsächlich realisiert, also zu Realität gemacht würden, wäre die logische Konsequenz daraus ein Multiversum ↗

Was ist das Zwei-Stufen-Modell von William James?


Der US-amerikanische Pionier der Psychologie William James (1842 bis 1910) betrachtete den Freien Willen im Menschen als einen zweistufigen Prozess. Zuerst entstehen im Bewusstsein (stream of consciousness) auf nicht nachvollziehbare Weise mehrere Handlungsalternativen. Weder kennt der Mensch die Herkunft, noch kann die Entstehung davon beeinflussen. Was der Mensch aber beeinflussen kann ist die Verweildaue der Gedanken (er kann sie festhalten) und auch eine von mehreren Handlungsmöglichkeiten eher auszuwählen als eine andere. Siehe dazu den Artikel zum Zwei-Stufen-Modell (Freier Wille) ↗

Fußnoten


  • [1] Der englische Mathematiker Roger Penrose spricht gleichbedeutend von einem "Kollaps der Wellenfunktion", einer "Reduktion des Zustandsvektors" und dem "Prozess R". In: Roger Penrose: Computerdenken. Des Kaisers neue Kleider oder Die Debatte um Künstliche Intelligenz, Bewußtsein und die Gesetze der Physik. Englischer Originaltitel: The Emperor's New Mind (1989). Deutsche Ausgabe: Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH. Heidelberg. 1991. ISBN: 3-89330-708-7. Dort unter anderem aufSeite 243.
  • [2] Tom Campbell, Houman Owhadi, Joe Sauvageau, David Watkinson: On Testing the Simulation Hypothesis. 2017. arXiv:1703.00058v2 [quant-ph]
  • [3] Der Kollaps der Wellenfunktion ganz ohne Quantenphysik, in den Worten des Astrophysiker Arthur Eddington (1882 bis 1944): "The pursuit of the quantum leads to many surprises; but probably none is more outrageous to our preconceptions than the regathering of light and other radiant energy into h-units, when all the classical pictures show it to be dispersing more and more. Consider the light-waves which are the result of a single emission by a single atom on the star Sirius. These bear away a certain amount of energy endowed with a certain period, and the product of the two is h. The period is carried by the waves without change, but the energy spreads out in an ever-widening circle. Eight years and nine months after the emission the wave-front is due to reach the earth. A few minutes before the arrival some person takes it into his head to go out and admire the glories of the heavens and—in short—to stick his eye in the way. The light-waves when they started could have had no notion what they were going to hit; for all they knew they were bound on a journey through endless space, as most of their colleagues were. Their energy would seem to be dissipated beyond recovery over a sphere of 50 billion miles' radius. And yet if that energy is ever to enter matter again, if it is to work those chemical changes in the retina which give rise to the sensation of light, it must enter as a single quantum of action h. Just 6·55 . 10⁻²⁷ erg-seconds must enter or none at all. Just as the emitting atom regardless of all laws of classical physics is determined that whatever goes out of it shall be just h, so the receiving atom is determined that whatever comes into it shall be just h. Not all the light-waves pass by without entering the eye; for somehow we are able to see Sirius. How is it managed? Do the ripples striking the eye send a message round to the back part of the wave, saying, "We have found an eye. Let's all crowd into it!" In: Arthur Stanley Eddington: The Nature of the Physical World. MacMillan, 1928 (Gifford Lectures). Dort die Seiten 185 und 186. Online: https://gutenberg.ca/ebooks/eddingtona-physicalworld/eddingtona-physicalworld-01-h-dir/eddingtona-physicalworld-01-h.html
  • [4] Auch der Physiker David Bohm sah Schwierigkeiten mit den hergebrachten Ideen zum Kollaps der Wellenfunktion. Im Jahr 1982, in einem Gespräch mit dem Biologen Rupert Sheldrake, sagte er: "See, at present we say that the wave function as potential spreads out very fast and then it suddenly collapses into some definite actual state for reasons totally outside the theory. So we say it requires a piece of measuring apparatus to do so. Then another collapse, and the only continuity of this system would be achieved by an infinite set of measuring apparatuses that would keep it in observation all the time, and these observation apparatuses in turn would have to be observed to allow them to exist actually, and so on. And the whole thing vanishes in a fog of confusion. Because people take the present mathematics as sacred, they say these equations in their general form are never to be altered, and then they say here we are with all these strange problems. But you see almost no one wants to introduce anything fundamentally different into this general framework." In: Morphic Fields and the Implicate Order. A dialogue with David Bohm. ReVision 5(2), 41–48 (1982). Gemeint ist eine Diskussion zwischen dem Biologen Rupert und dem Physiker David Bohm. Das Gespräch ist auch als Appendix B aubgedruckt in der zweiten Auflage von Rupert Sheldrake’s A New Science of Life (1985).
  • [5] Bereits im Jahr 1932 unterschied Johann von Neuman einen streng kausalen und einen völlig akausalen Aspekt der Entwicklung von Quantensystemen: "Wir haben durch die bisherigen Erörterungen das Verhältnis der Quantenmechanik zu den verschiedenen kausalen und statistischen Methoden der Naturbeschreibung erörtert, dabei aber eine eigenartige Duplizität ihres Vorgehens gefunden, die nicht genügend erklärt werden konnte. Wir fanden nämlich, daß einerseits ein Zustand φ sich unter dem Einfluß eines Energieoperators H im Zeitintervall 0 ≤ τ ≤ t folgendermaßen in den Zustand φ verwandelt [es folgen dann Gleichungen] also rein kausal." Und: "Andererseits erleidet der Zustand φ bei einer Messung - die eine Größe mit lauter einfachen Eigenwerten, und den Eigenfunktionen φ₁, φ₂,…, messen mag - eine akausale Veränderung, indem jeder der Zustände φ₁, φ₂,… entstehen kann, und zwar mit den bzw. Wahrscheinlichkeiten [es folgen weitere Berechnungsterme]". In: Die Grundlehren der mathematischen Wissenschaften mit besonderer Berücksichtigung der Anwendungsgebiete. Band XXXVIII (38). Johnann von Neumann. Mathematische Grundlagen der Quantenmechanik. Herausgegeben von R. Courant. Göttingen. Verlag von Julius Springer. Berlin. 193. Dort im Kapitel "VI. Der Meßprozeß. 1. Formulierung des Problems.", Seite 222. Siehe auch Kollaps der Wellenfunktion ↗
  • [6] Dass der Kollaps der Wellenfunktion zu einem der fundamentalsten Rätseln der Physik gehört, macht der australische Physiker David Jamieson mit einem einfachen Sinnbild deutlich: "Imagine you are surfing and you see this wave approaching and there is a whole bunch of surfes lined up ready to catch the wave. In Einsteins idea only one surfer can catch the wave. So it's like the other two surfers left and right are left flat in the water and just the surfer in the middle catches the entire wave. And so in some ways the wave, the function that describes the wave, collapses just to one point when it has to interact. This is a fundamental mystery of quantum mechanics." In: David Jamieson: Einstein's Revolution. Quantum computing in the 21st Century. Public Lecture at 17th ICNMTA (Virtual International Conference on Nuclear Microprobe Technology and Applications), Online via Zoom, 16 September 2020, 13:00 CET. Veröffentlichung auf Videolectures.net am 17 September 2020. Online: https://www.youtube.com/watch?v=zxml8UQSwC0&t=14s