Malthusianische Katastrophe
Mathematisch
Grundgedanke
Der englische Ökonom Thomas Robert Malthus (1766 bis 1834) glaubte ein naturgesetzliches Prinzip zu erkennen: die Menschen vermehren sich grundsätzlich geometrisch (exponentiell), das Angebot an Nahrungsmitteln aber nur arithmetisch (linear). Das hatte seiner Sicht zufolge dramatische Konsequenzen. Das ist hier kurz ausgeführt.
Malthus' ursprünglicher Gedankengang
Malthus ging davon aus, dass sich Menschen stets geometrisch, das heißt exponentiell vermehren. Die grundlegende Formel, das mathematische Modell dafür ist die Exponentialfunktion f(x)=a·bˣ. Das x steht dabei für die Zeit, das kleine a für die Anzahl Menschen zum Zeitpunkt x=0 und das kleine b für den Wachstumsfaktor, zum Beispiel 1,02. Während sich die Menschen exponentiell vermehren, steigert sich die Produktivität der Landwirtschaft nach Malthus aber nur arithmetisch, das heißt linear, mit der Zeit. Die Formel dafür ist g(x)=mx+a. Hier ist x wieder die Zeit, a ist die Menge landwirtschaftlich produzierter Güter zum Zeitpunkt x=0 und das kleine m ist der sogenannte Zuwachs, zum Beispiel 2 oder irgendeine andere Zahl. Betrachtet man sich die Graphen beider Funktionen für beliebige (positive) Werte von a, b, m und x, so wird auf lange Sicht irgendwann ein Zeitpunkt kommen, bei dem die landwirtschaftliche Produktion die Menschenmenge nicht mehr ernähren kann. Dann muss es unweigerlich zu einer Katastrophe kommen: Seuchen, Hungersnöte, Kriege oder ähnliches. Über 100 Jahre späte greift der deutsche Militärhistoriker Friedrich von Bernhardi solche Gedanken auf, um damit aggressive Eroberungskriege zu rechtfertigen. Ein Originalzitat von Bernhardi steht im Artikel Deutschland und der nächste Krieg ↗
Wie sah Malthus seine Erkenntnis moralisch?
In der ersten Ausgabe seine Werkes forderte Malthus klar, dass neu hinzugeborene Menschen kein Lebensrecht haben, wenn es nicht mehr genug zu essen gibt: "Ein Mensch, [...] der in einer schon okkupierten Welt geboren wird, wenn seine Familie nicht die Mittel hat, ihn zu ernähren oder wenn die Gesellschaft seine Arbeit nicht nötig hat, dieser Mensch hat nicht das mindeste Recht, irgend einen Teil von Nahrung zu verlangen, und er ist wirklich zu viel auf der Erde. Bei dem großen Gastmahle der Natur ist durchaus kein Gedecke für ihn gelegt. Die Natur gebietet ihm abzutreten, und sie säumt nicht, selbst diesen Befehl zur Ausführung zu bringen." Solches Denken führte in späteren Jahrzehnten zum sogenannten Sozialdarwinismus ↗
Wie beeinflusste Malthus Darwin?
Charles Darwin brütete gedanklich mehrere Jahrzehnte über den Tier- und Pflanzenbeobachtungen, die er auf seiner Weltumseglung in jungen Jahren gemacht hat. Darwin suchte später nach einem Prinzip, aus dem die Vielfacht der Lebensformen hervorgeht. Inspiriert durch Malthus' Gedanken des Mangels[5] kam Darwin über den Kampf ums Dasein auf das Prinzip der Selektion und darüber zu seiner Idee des Darwinismus ↗
Fußnoten
- [1] Thomas Robert Malthus: An Essay on the Principle of Population. 1798.
- [2] Thomas Robert Malthus: Principles of Economics. Zuerst veröffentlicht im Jahr 1820. Online: https://oll.libertyfund.org/titles/malthus-principles-of-political-economy
- [3] Das Bevölkerungsgesetz. dtv-bibliothek 6021. dtv-Taschenbuch, München 1977, ISBN 3-423-06021-2 (Digitalisat der Ausgabe von 1924/25 – Originaltitel: An essay on the principle of population, as it affects the future improvement of society, with remarks on the speculations of Mr. Godwin, M. Condorcet, and other writers. Übersetzt von Christian M. Barth).
- [4] Adolph Blanqui: Geschichte der politischen Ökonomie in Europa. Zweiter Band. Verlag Detlev Auvermann KG, Glashütten im Taunus 1971. Unveränderter Neudruck der Ausgabe Karlsruhe 1841: Geschichte der politischen Oekonomie in Europa, von dem Alterthume an bis auf unsere Tage, nebst einer kritischen Bibliographie der Hauptwerke über die politische Oekonomie, von Adolph Blanqui (dem Aeltern), Mitglied des Instituts von Frankreich (Akademie der moralischen und politischen Wissenschaften), Professor der industriellen Oekonomie an dem Conservatoire des Arts et Métiers, Director der Specialschule des Handels in Paris. Aus dem Französischen übersetzt, mit Anmerkungen versehen, mit einem Auszug aus des Grafen G. Pecchio Geschichte der politischen Oekonomie in Italien vermehrt, und mit einem theils ergänzenden, theils berichtigenden Epilog begleitet von Dr. F. J. Buß, ord. öffentl. Professor des Staats- und Völkerrechtes und der Staatswissenschaften an der Universität Freiburg. Zweiter Band, Druck und Verlag von Ch. Th. Groos, Karlsruhe 1841, Seite 105f.
- [5] Darwin greift Malthus Idee direkt in seinem Hauptwerk auf wenn er schreibt: "Der Kampf ums Daseyn ist die unvermeidliche Folge der hochpotenzirten geometrischen Zunahme, welche allen organischen Wesen gemein ist. Dieses rasche Zunahme-Verhältniss ist thatsächlich erwiesen aus der schnellen Vermehrung vieler Pflanzen und Thiere während einer Reihe günstiger Jahre und bei ihrer Naturalisirung in einer neuen Gegend. Es werden mehr Einzelwesen geboren, als fortzuleben im Stande sind. Ein Gran in der Wage kann den Ausschlag geben, welches Individuum fortleben und welches zu Grunde gehen soll, welche Art oder Abart sich vermehren und welche abnehmen und endlich erlöschen muss. Da die Individuen einer nämlichen Art in allen Beziehungen in die nächste Bewerbung miteinander gerathen, so wird gewöhnlich auch der Kampf zwischen ihnen am heftigsten seyn; er wird fast eben so heftig zwischen den Abarten einer Art, und dann zunächst zwischen den Arten einer Sippe seyn. Aber der Kampf kann oft auch sehr heftig zwischen Wesen seyn,[S. 501] welche auf der Stufenleiter der Natur am weitesten auseinander stehen. Der geringste Vortheil, den ein Wesen in irgend einem Lebens-Alter oder zu irgend einer Jahreszeit über seine Mitbewerber voraus hat, oder eine wenn auch noch so wenig bessere Anpassung an die umgebenden Natur-Verhältnisse kann die Wage sinken machen." In: Charles Darwin: Über die ENTSTEHUNG DER ARTEN im Thier- und Pflanzen-Reich durch natürliche Züchtung, oder Erhaltung der vervollkommneten Rassen im Kampfe um’s Daseyn. Nach der zweiten Auflage mit einer geschichtlichen Vorrede und andern Zusätzen des Verfassers für diese deutsche Ausgabe aus dem Englischen übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Dr. H. G. Bronn. Stuttgart. E. Schweizerbart’sche Verlagshandlung und Druckerei. 1860. Dort die Seite 500. Siehe auch Kampf ums Dasein ↗