Howard Bloom
Soziale Intelligenz
Basiswissen
Howard Bloom (geboren 1943) veröffentlichte mehere Bücher, in denen er evolutionär geprägte Prozesse in biologischen sozialen Gruppen mit denen auf der menschlich-soziologischen Ebene verglich. Ein hervorstechendes Merkmal seine Schriften ist sein fachübergreifendes Denken. Dazu sind hier kurz einige Beispiele aufgeführt.
Apoptose und Suizid
Biologische Zellen in Organismen können einen kontrollierten Selbstmord durchführen, die sogenannte Apoptose. Der Prozess läuft von der Zelle selbst gesteuert so ab, dass umliegendes Gewebe möglichst wenig geschädigt wird. Bloom glaubt diesen Prozess in Form von Depressionen und Suizid auch in meschlichen Gesellschaften zu erkennen. Er zititert dabei umfangreich aus dem Fachgebiet der Psychoneuroimmunologie: Depression und Selbstmord von Menschen seien ein von den betroffenen Personen aktiv durchgeführter Prozess, mit dem sie sich selbst soziale Ressourcen entziehen, um der Gesamtgesellschaft sinngemäß nicht zur Last zur fallen. Siehe auch Apoptose (Soziologie) ↗
Das Luzifer-Prinzip
In seinem Buch über das Luzifer-Prinzip (nur Englisch) skizziert Bloom mit vielen fachübergreifenden Betrachtung den Prozess menschlicher Geschichte als Ausdruck mechanistisch evolutionärer Prozesse. Anders aber als Sozialdarwinisten enthält er sich einer Erhebung der unterstellten Prinzipien zu einem Weltprozess, dem man sich hingegeben müsse. Bloom bleibt beschreibend und hypothsenbildend. Der Titel spielt auf Luzifer als einen lichtbringenden Engel an, der aber auch zugleich mit dem Bösen in Verbindung gebracht wird. Blooms Buch erklärt das Böse in der Welt und ist damit eng verwandt mit der sogenannten Theodizee ↗
Soziale Intelligenz
In seinem Buch über die Evolution sozialer Intelligenz[3] arbeitet Bloom an vielen konkreten Beispielen 5 Grundprinzipien einer jeden kollektiven Intelligenz heraus: a) Konformitätsverstärker, b) Diversitätsgeneratoren, c) Nutzensortierer d) Ressourcenschalter und e) Kämpfe zwischen Gruppen[6]. Bloom wendet sein Konzept auf so verschiedene Gebiete an wie die Überlebensstrategien von Bakterien in der erdgeschichtlichen Frühzeit, den Krieg der Kleinstaaten im antiken Griechenland, moderne Volkswirtschaften, die Medizin (Psychoneuroimmunologie) und die Informatik. Metaphorisch spricht Bloom von der Ausbildung von einem weltweiten Global Brain ↗
Blooms Schreibstil
Bloom Stil zu schreiben neigt zu bombastischen, burlesken Schöpfungen. So bezeichnet er manche Bakterien als"epileptisch mißgestaltete Würste[3, Seite 29]", spricht von einem "Bienenschwarm als Denkmaschine[3, Seite 65]", von einem "Mekka der Komplexität[3, Seite 78]" oder von einem "pubertierenden Oliver Cromwell[3. Seite 145]. Die oft ungewöhnlichen Zusammenfügungen von Adjektiven und Substantiven erinnern an den Science Fiction Autoren H. P. Lovecraft[7]. Bloom verbindet ständig Wörter, die im üblichen Sprachgebrauch nicht zusammenfinden. Das kennzeichnet gleichzeitig aber auch sein Denken. Er verdaut und synthetisiert Material aus den Geschichtswissenschaften, der Politik, der Biologie, der Informatik oder einem beliebigen sonstigen Gebiet. Man kann seinen Stil fast synästhetisch nennen. Und genau darin liegt der Reiz an Blooms Büchern überhaupt. Bloom wurde nie durch eine akademische Ausbildung dazu "diszipliniert" sich strikt an die Regeln und Beschränkungen eines Fachgebietes, einer Disziplin zu halten. Sein Wissen hat er sich autodidaktisch angeeignet und er unterwarf sich wohl nie einem Fachzwang, er war nie Teil von einem Denkkollektiv ↗
Fußnoten
- [1] Howard Bloom: The God problem: how a godless cosmos creates. Prometheus Books, 2012, ISBN 978-1-61614-551-4.
- [2] Howard Bloom: The Genius of the Beast: A Radical Re-vision of Capitalism. Prometheus Books, 2010, ISBN 978-1-59102-754-6.
- [3] Howard Bloom: The Global Brain: The Evolution of Mass Mind from the Big Bang to the 21st Century. Wiley, 2000, ISBN 978-0-471-29584-6; deutsch: Global Brain: die Evolution sozialer Intelligenz. Aus dem Amerikanischen und mit einem Nachwort von Florian Rötzer. DVA, 1999, ISBN 978-3-421-05304-6.
- [4] Howard Bloom: The Lucifer Principle: A Scientific Expedition into the Forces of History. Atlantic Monthly Press, 1995, ISBN 978-0-87113-532-2.
- [5] Max Liboiron, Josh Lepawsky: Discard Studies. Wasting, Systems, and Power. MIT Press. 2022. ISBN: 9780262543651. Das Buch untersucht unter anderem wie eine bewusste Auswahl von Nützlichem und Unnützem gerade im Bezug auf soziale Aspekte Machtstrukturen verfestigen kann. Es beschreibt damit möglicherweise Prozesse, die dem Bloomschen Nutzensortierer und Ressourcenschalter nahe kommen [3].
- [6] In der deutschen Übersetzung es zitierten Buches [3] steht auf Seite 79 wörtlich: "Und zum Schluß gibt es noch Kämpfe innerhalb der Gruppe, die jedes kollektive Gebilde, jedes Gruppengehirn dazu zwingen, ständig frische Innovationen im Dienst des Überlebens auszubrüten." Ich vermute, dass hier nicht Kämpfe innerhalb einer Gruppe gemeint ist (intragroup) sondern Kämpfe zwischen Gruppen (intergroup). Für eine Übersetzungfehler spricht, dass Bloom auf Seite 87 Bakterienkolonien auf getrennten Petrischalen als Beispiel für soziale Lernmaschinen anführt und schreibt: "Wenn die zwei Gruppen um die Macht in der Petrischale kämpfen, entstünde dann aus dem Kampf ene Innovation, die das Schicksal einer Art für Äonen ereicht?" Der Gedanke der 5 Prinzipien ist kurz vorgestellt in den Kapitel "Die Komponenten der kollektivern Lernmaschine" ab Seite 79 und exemplarisch ausgeführt im Kapitel "Das bakterielle Gruppengehirn" ab von der Seite 81 bis zur Seite 87.
- [7] Lovecrafts eigenwilliger, überbordender Schreibstil ist liebevoll kritisch beschrieben in: Michel Houellebecq: Gegen die Welt, gegen das Leben. DuMont Buchverlag; 1. Edition. 2002. ISBN: 978-3832155315.