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Das Banner der Rhetos-Website: zwei griechische Denker betrachten ein physikalisches Universum um sie herum.

Flacherde

Geologie

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Basiswissen


Das Wort Flacherde wird in mindestens drei Bedeutungen benutzt: erstens als Weltmodell, heute oft mit verschwörungstheoretischem Anstrich[1], zweitens als Bezeichnung für einen weitgehend eingeebneten Landbereich im Sinne der Geologie[2], und drittens als Bezeichnung für eine fiktive Welt im Sinne einer gekrümmten Raumzeit der Physik[15].



Bildbeschreibung und Urheberrecht
Die Welt als flache Scheibe unter einem Himmelsgewölbe, so wie Gott die Welt erschaffen haben könnte. Hier in einer Darstellung des Malers Hieronymus Bosch, entstanden kurz vor der Fahrt des Christoph Kolumbus nach Amerika (1492). © Hieronymus Bosch (etwa 1450 bis 1516) ☛


Die Flacherde als Weltmodell


Die Flacherde in der Geschichte


Die Vorstellung einer flachen Erdscheibe kann man zum Beispiel für die Zeit um 2000 vor Christus bei den Babyloniern nachweisen[1, Seite 284]. Später findet sich auch bei den frühen Naturphilosophen des antiken Griechenland. Die Idee einer flachen Erde wird auf Karten, den sogenannten Radkarten, bis ins christliche geprägte Mittelalter Europas tradiert.[2] Die konkurrierende Idee einer kugelförmigen Erde ist spätestens seit Pythagoras nachgewiesen[1, Seite 117]. Zur Geschichte von Vorstellungen zur Gestalt der Erde siehe auch den Artikel zur Erdkugel ↗

Die Flacherde nach Samuel Rowbotham


Im 19ten Jahrhundert galt die mehr oder minder kugelige Form der Erde unter Wissenschaftlern und praktisch arbeitenden Menschen (Seefahrern, Landvermessern) seit langem als erwiesen.[3]. Im Jahr 1865 veröffentlichte dann der Engländer Samuel Rowbotham (1816 bis 1884) eine Schrift, in der er unter anderem mit Argumenten aus der Bibel die Flachheit der Erde beweisen wollte.[4] Rowbotham schilderte viele Experimente, die man selbst ohne großen Aufwand nachstellen könne. Die Experimente sollten die Kugelform der Erde widerlegen und die vermeintlich biblische Sicht bestätigen. Siehe mehr dazu unter Flacherde (Rowbotham) ↗

Die Flat Earth Society


Aus der von Robotham begründeten "Zetetic Society"[5] entstand dann bis zum 21ten Jahrhundert die die Flat Earth Society[6]. Diese vertritt auch weiterhin Argumente für eine flache Erde. Das Wort Flacherde bezeichnet meist die Idee einer nicht-kugeligen flachen Erdscheibe.

Die Flacherde nach Ludwig Strackerjahn


In einem Buch aus dem Jahr 1867 über den Aberglauben aus dem damaligen Herzogtum Oldenburg heißt es: "Die Erde ist eine große flache Scheibe und treibt auf dem Wasser (Saterld.) Über ihr wölbt sich der Himmel, an welchem sich Sonne, Mond und Sterne als um ihren Mittelpunkt drehen." In der Einleitung zu seinem Buch charakterisiert der Autor Ludwig Strackerjahn (1825 bis 1881) den Aberglauben des Volkes unter anderem darüber, dass es die Idee einer von Gott wohl erschaffenen Welt ausschmückt: "Wir haben es im Folgenden mit dem Aberglauben im christlichen Volke zu tun. Nach Lehre des Christentums ist der Endzweck der Erschaffung der Welt die Offenbarung der Vollkommenheiten Gottes. Die leblosen und lebenden unvernünftigen Geschöpfe sollen diese Vollkommenheiten unbewußt verkünden, der vernünftige Mensch bewußt und frei. Zu dem Ende lenkt und ordnet der Schöpfer alles so, daß dieser Zweck erreicht wird. Deshalb heißt es in einem bekannten Liede: Nichts geschieht von ungefähr, Alles kommt von oben her."[9] Siehe auch Aberglaube ↗

Reductio ad absurdum: Eddingtons Grönland-Dämon


Das Bild einer flachen Erde wirft schwierige Probleme auf. Um es zu entkräften, eignet sich unter anderem die Argumentation in Form eines Beweises durch Widerspruch, einer reductio ad absurdum ↗

Wenn die Erde flach wäre, dann müsste man alle Länder, Küsten und Meere maßstabsgerecht und geometrisch in korrekter Form auf einer flachen darstellen können. Das aber geht nicht. Wer etwa eine Karte so anlegt, dass Griechenland einigermaßen korrekt erscheint wird unweigerlich Grönland viel zu groß zeichnen (zumindest in der sogenannten Mercator-Projektion). Wenn nun die Einwohner Grönlands berichten, in wie wenigen Tagen sie ihr Land durchqueren können, so müssen die griechischen Geographen von geheimnisvollen Dämonen oder Kräften ausgehen, die den Grönlandern übermenschliche Geschwindigkeiten verleihen. Will man auf solche Hilfsannahmen verzichten, wird das Bild einer flachen Erde schwierig aufrecht zu erhalten.[14]

Reductio ad absurdum: das Schacht-Paradoxon


Angenommen die Erde wäre flach: wir täufen jetzt zwei Schächte senkrecht nach unten ab. Die Schächte bilden mit der flachen Erdoberfläche einen Winkel von 90°. Nach unten hin dürften sie ihren anfänglichen Abstand nicht ändern. Sie bleiben zueinander immer parallel. Diese Annahme führt aber zu Beobachtungen, die in der Wirklichkeit nicht zutreffen. Zwei lotrecht, das heißt senkrecht nach unten abgeteufte Schächte nähern sich mit zunehmender Teufe aneinander an. Das ist bereits bei Bergwerken mit einer üblichen Teufe von 800 Metern messbar. Siehe mehr dazu unter Schachtparadoxon ↗

Reduction ad absurdum: Gebäudeplanung


Wenn Architekten oder Bauingenieure Software zu dreidimensionalen Planung von Gebäuden verwenden, arbeiten sie bewusst oder unbewusst mit der Annahme einer Flacherde. Die Modelle verwenden ein sogenannten kartesisches Koordinatensystem, in dem dann zum Beispiel Einfamilienhäuser geplant werden. Dieses Denken im Modell einer flachen Erde bleibt für kleinere Gebäude meist ohne nennenswerte Fehler. Die Planung größer Gebäudekomplexe hingegen (Bahnhöfe, Flughäfen, Bergwerke etc.) muss aber die Krümmung der Erdoberfläche berücksichtigen. Tun sie das nicht treten Fehler im Bereich von über 10 bis 20 cm/km auf.[16]

Die Flacherde als geologische Ebene


Eine seltener genutzte Bedeutung von Flacherde bezieht sich auf die Geologie. Von vor 1,8 bis etwa 0,8 Milliarden Jahren, im sogenannten Proterozoikum sei die Plattentektonik auf der Erde weitgehend zum Stillstand gekommen. Die Landmassen seien eingeebnet worden, der Superkontinent Nunia-Rodinia konnte so sehr lange bestehen bleiben. Durch den fehlenden Eintrag von Nährstoffen vom Land ins Meer wurde, so eine Theorie, die weitere Evolution der Eukaryotischen Einzeller im Meer stark ausgebremst[7]. Tastächlich entwickelte sich das größere, vor allem tierische Leben erst seit 700 Millionen Jahren vor heute, etwa als auch Rodinia auseinanderbrach. Siehe auch Rodinia ↗

Die Flacherde als Ausgangspunkt zur Raumkrümmung


Eine als flach angenommene Erde dient vielen Autoren als Ausgangspunkt zur Erklärung von Einsteins und Minkowskis gekrümmter Raumzeit.[15] So wie die Annahme einer flachen Erde für die eigene kleine Umgebung vielleicht einigermaßen gut passen kann, versagt sie bei größeren Dimensionen. Ein typisches Gedankenspiel zum Sprung zwischen nieder- und höherdimensionalen Räumen ist das sogenannte "Flatland", eine zweidimensionale Welt in der die Bewohner keine Wahrnehmung einer dritten, höheren Raumdimension haben.[15] Siehe auch Flatland ↗

Fußnoten


  • [1] Jürgen Teichmann: Wandel des Weltbildes. Astronomie, Physik und Meßtechnik in der Kulturgeschichte. Mit Beiträgen von Volker Bialas und Felix Schmeidler. Herausgegeben vom Deutschen Museum in München, über die Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Darmstadt. 1983. Dort die Seite 284 mit den Beispiel der Babylonier, Thales und Anaximander als Vertreter der Idee einer flachen Erdscheibe.
  • [3] P. L. Maupertuis: La Figure de la Terre. Paris. 1738.
  • [5] Im Vorwort seines Buches "Earth not a globe!" erklärt Robotham das Wort zetetic als Namen seiner Gesellschaft: "The term " zetetic " is derived from the Greek verb zeteo; which means to search or examine — to proceed only by inquiry" oder auch "inquiry before conclusion [Seite 38]"
  • [6] Auf der Internpräsenz der Flat Earth Society hieß es am 10. Oktober 2023: "The mission of the Flat Earth Society is to promote and initiate discussion of Flat Earth theory as well as archive Flat Earth literature. Our forums act as a venue to encourage free thinking and debate." Die Vertreter einer kugelförmig gedachten Erde werden dort als Globuaristen (globularists) bezeichnet. Online: https://theflatearthsociety.org/home/index.php/about-the-society
  • [8] Ludwig Strackerjan: Aberglaube und Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg. Erstveröffentlichung im Jahr 1867. Das Zitat stammt aus Band 2, Oldenburg 1909, S. 103. Online: http://www.zeno.org/nid/20005740843
  • [9] Ludwig Strackerjan: Aberglaube und Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg 1–2, Band 1, Oldenburg 1909, Dort im Abschnitt zur Einteilung des Buches, Seite XI11-XIV14. Online: http://www.zeno.org/nid/20005729092
  • [10] Bob Schadewald: The Flat-Earth Movement. In: The Fringes of Reason: A Whole Earth Catalog, edited by Ted Schultz. New York: Harmony Books, 1989.
  • [11] Bob Schadewald: Geocentricity. In The History of Science and Religion in the Western Tradition: An Encyclopedia, edited by Gary B. Ferngren. New York & London: Garland Publishing Inc., 2000.
  • [12] Bob Schadewald: Flat-Earthism. In The History of Science and Religion in the Western Tradition: An Encyclopedia, edited by Gary B. Ferngren. New York & London: Garland Publishing Inc., 2000.
  • [13] Bob Schadewald: 2008 Worlds of Their Own; A Brief History of Misguided Ideas: Creationism, Flat-Earthism, Energy Scams, and the Velikovsky Affair. (A collection of Schadewald's writings, edited and published posthumously) ISBN 978-1-4363-0435-1
  • [14] Eddingtons Grönland-Dämon: wäre die Erde flach, müssten wir Dämonen oder mysteriöse Gesetze erfinden, um die scheinbar zu hohen Geschwindigkeiten von Reisenden in fernen Gegenden der Welt zu erklären: "The ancients believed that the earth was flat. The small part which they had explored could be represented without serious distortion on a flat map. When new countries were discovered it would be natural to think that they could be added on to the flat map. A familiar example of such a flat map is Mercator's projection, and you will remember that in it the size of Greenland appears absurdly exaggerated. (In other projections directions are badly distorted.) Now those who adhered to the flat earth theory must suppose that the map gives the true size of Greenland—that the distances shown in the map are the true distances. How then would they explain that travellers in that country reported that the distances seemed to be much shorter than they "really" were? They would, I suppose, invent a theory that there was a demon living in Greenland who helped travellers on their way. Of course no scientist would use so crude a word; he would invent a Graeco-Latin polysyllable to denote the mysterious agent which made the journeys seem so short; but that is only camouflage. But now suppose the inhabitants of Greenland have developed their own geography. They find that the most important part of the earth's surface (Greenland) can be represented without serious distortion on a flat map. But when they put in distant countries such as Greece the size must be exaggerated; or, as they would put it, there is a demon active in Greece who makes the journeys there seem different from what the flat map clearly shows them to be. The demon is never where you are; it is always the other fellow who is haunted by him. We now understand that the true explanation is that the earth is curved, and the apparent activities of the demon arise from forcing the curved surface into a flat map and so distorting the simplicity of things." In: Arthur Stanley Eddington: The Nature of the Physical World. MacMillan, 1928 (Gifford Lectures). Dort im Kapitel "Gravity", Seite 117. Die Betrachtung stammt aus Eddingtons allgemeinverständlichen Buch über die Physik Das Weltbild der Physik und ein Versuch seiner philosophischen Deutung ↗
  • [15] Die Flacherde als Ausgangspunkt einer gekrümmten Raumzeit: "What has happened to the theory of the earth has happened also to the theory of the world of spacetime. An observer at rest at the earth's centre represents what is happening in a frame of space and time constructed on the usual conventional principles which give what is called a flat space-time. He can locate the events in his neighbourhood without distorting their natural simplicity. Objects at rest remain at rest; objects in uniform motion remain in uniform motion unless there is some evident cause of disturbance". In: Arthur Stanley Eddington: The Nature of the Physical World. MacMillan, 1928 (Gifford Lectures). Dort die Seite 118. Siehe auch gekrümmter Raum ↗
  • [16] Zum Building Information Modeling: "Die dreidimensionale Vermessung des vorhandenen Baubestandes bildet die Grundlage der dreidimensionalen Modellierung. Allerdings arbeitet die in der BIM-Methode eingesetzten 3D-Autoren- und Koordinationssoftware meistens nicht mit geodätischen Koordinaten, sondern mit „normalen“ kartesischen Koordinatensystemen, oder – überspitzt formuliert: „BIM denkt, die Erde sei eine Scheibe“. Die systematischen Abweichungen bis zu 100 cm/1 km bei UTM-Koordinaten entstehen derzeit, weil 3D-Planungssoftware die Erdkrümmung nicht berücksichtigt." Daher: "Ziel der Ansätze ist es stets, ein geodätisches Koordinatenreferenzsystem zu schaffen, das sowohl in andere Koordinatenreferenzsysteme transformiert werden kann als auch die systematischen Abweichungen zwischen „gekrümmter Erde“ und „flat-earth“ BIM minimiert." Als Anwendungsfälle werden etwa das Auffahren des Brenner Basistunnels (BBT) oder der "Verkehrsstation Hbf Hannover" genannt. In: Enrico Romanschek, Christian ClemenWarum die Erde manchmal eine Scheibe ist. 1. BIM-OKSTRA -Symposium 2024 (FGSV 002/138), © FGSV, Köln. Dort speziell auch das Kapitel "1.4 Ursachen für die Abweichungen – Die Erde ist keine Scheibe!". Siehe auch Georeferenzierung ↗