Postulat
Erkenntnistheorie
Definition
Eine Postulat ist eine Annahme oder Denkforderung[4], die man macht, um damit einen anderen Sachverhalt erklären zu können[5]. So postulierte man zur Erklärung der Welleneigenschaften von Licht etwa einen Lichtäther[7], zur Erklärung von Wärme einen Wärmestoff[8] oder zur Erklärung rätselhafter Bewegungen von Sternen die Dunkle Materie[8]. In der Geometrie Euklids sind Postulate unbewiesene Grundannahmen, die aber als wahr gelten sollen. Während ein Postulat meist eingeführt wird, um einen Sachverhalt zu erklären, kann ein Axiom[10] auch ganz willkürlich ohne solchen Zwang gesetzt werden. Siehe auch Axiom ↗
Fußnoten
- [1] 1798, nur im Handwerk: "Das Postulāt, des -es, plur. die -e, ein aus dem Latein. postulare entlehntes und besonders bey den Buchdruckern übliches Wort, diejenige Handlung zu bezeichnen, da ein Cornut auf sein Verlangen zu einem eigentlichen Gesellen erkläret wird; von welcher Handlung auch das Zeitwort postuliren üblich ist." Anmerkung: ein Cornut war im Buchdruckwesen ein ehemaliger Lehrling, der noch nicht als Geselle anerkannt war. In: Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 3. Leipzig 1798, S. 817. Online: http://www.zeno.org/nid/20000363006
- [2] 1839, in der Mathematik: "Postulat, d. h. Foderung, wird in der Mathematik und in der Denklehre ein Satz genannt, welcher eine Aufgabe enthält, die sofort ohne nähere Anweisung oder Beweisführung ausgeführt werden kann, wie z. B.: es soll eine gerade Linie gezogen werden; man denke sich irgend einen Gegenstand. In einem höhern Sinne führte Kant die Benennung »Postulate der praktischen Vernunft« in die Philosophie ein, indem er darunter Sätze verstand, welche nicht eigentlich zu beweisen sind, deren Annahme aber Gewissen und praktische Vernunft fodern, und stellte namentlich als solche die drei auf: es ist ein Gott, der Mensch ist frei, ist unsterblich. – Postulatlandtage heißen die kurzen Versammlungen der Landstände in den deutschen Ländern des östr. Kaiserthums, welchen die von der Regierung bestimmten Beiträge zu den Staatsbedürfnissen in Form besonderer Postulate vorgelegt werden, zu denen sie dann ihre Beistimmung erklären und die nöthigen Anordnungen zur leichtesten Herbeischaffung derselben treffen." In: Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 547-548. Online: http://www.zeno.org/nid/20000855235
- [3] 1857, als Handlungsforderung: "Postulat (v. lat. Postulātum), 1) Verlangen; 2) ein Satz, welcher vorschreibt, etwas zu thun, so v. w. Aufgabe. In der Geometrie sind bes. folgende drei P-e: a) von jedem Punkte nach jedem Punkte eine Gerade zu ziehen; b) eine begrenzte Gerade stetig gerade fort zu verlängern; c) aus jedem Punkte in jedem Abstande einen Kreis zu ziehen; 3) P. der praktischen Vernunft, nach Kant Glaubenswahrheiten, welche als solche nicht eigentlich bewiesen werden können, die aber doch als Forderung des Gewissens auf dem Gesetze der praktischen Vernunft beruhen; 4) früher Gebrauch beim Lossprechen eines Buchdruckers, s. d." In: Pierer's Universal-Lexikon, Band 13. Altenburg 1861, S. 433. Online: http://www.zeno.org/nid/20010672974
- [4] 1904: "Postulat (postulatum, aitêma): Forderung, Denkforderung, Voraussetzung eines Etwas, dessen Gültigkeit nicht zu beweisen ist, bewiesen werden kann, wohl aber notwendig, zur Begreiflichkeit und Möglichkeit von Tatsachen der Erfahrung, gesetzt werden muß (Logische, ethische, religiöse Postulate). Im a priori (s. d.) des Erkennens und Handelns (in den Axiomen) liegen Postulate vor, deren Bestätigung an und in der Erfahrung erwartet wird (z.B. Postulat der Begreiflichkeit der Erfahrung, der Universalität des Causalgesetzes, der Constanz des Seins u.s.w.)." und so weiter, auch mit historischen Beispielen. In: Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 2. Berlin 1904, S. 128-129. Online: http://www.zeno.org/nid/20001799827
- [5] 1908, Postulat als Prämisse der Geometrie: "Postulāt (lat.), Forderung, Forderungs- oder Heischesatz. Für den Aufbau der Geometrie sind außer der Erklärung der Grundbegriffe noch gewisse Postulate nötig, d. h. man muß die Forderung aufstellen, daß gewisse Konstruktionen, die man nicht auf noch einfachere Konstruktionen zurückführen kann, ausführbar seien. Solcher Art sind die von Euklid im Anfang seiner Elemente aufgestellten Postulate: Man soll von jedem Punkte nach jedem andern eine gerade Linie ziehen können; man soll jede begrenzte gerade Linie geradlinig verlängern können; man soll um jeden beliebigen Punkt mit jedem beliebigen Halbmesser einen Kreis beschreiben können. – In der Philosophie ist P. im allgemeinen eine unbewiesene oder unbeweisbare Annahme, deren Anerkennung verlangt wird. In der Philosophie Kants heißen deswegen die Ideen von Gott, Freiheit und Unsterblichkeit Postulate der praktischen Vernunft, weil ihre Realität zwar nicht logisch bewiesen werden kann, aber doch von dem Menschen als einem handelnden Wesen anerkannt werden muß." In: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 16. Leipzig 1908, S. 226. Online: http://www.zeno.org/nid/20007280416
- [6] 1911, in der Theologie: "Postulāt (lat.), Forderung. P. der praktischen Vernunft nannte Kant die Glaubenssätze vom Dasein Gottes und von der Unsterblichkeit der Menschenseele. Postulieren, verlangen, fordern." In: Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 2. Leipzig 1911., S. 443. Online: http://www.zeno.org/nid/20001461168
- [7] So wie Schallwellen Luft für ihre Ausbreitung benötigen, so müssten theoretisch die Wellen des Lichts auch ein Medium benötigen, in dem sie ausbreiten. Das so postulierte - aber bisher nicht gefundene - Medium war der Lichtäther ↗
- [8] Wenn man im Winter einen kalten Stein anfasst, fühlt es sich so an, als ob Wärme aus dem Körper nach dort abfließt. Und wenn man umgekehrt die Hand in warmes Wasser hält, scheint Wärme in die Hand zu fließen. Den entsprechend postulierten Stoff nannte man Caloricum oder Wärmestoff ↗
- [9] In unserem Sonnensystem bewegen sich die Planeten nahe der Sonne sehr schnell, die von der Sonne weit entfernten Planeten hingegen bewegen sich sehr langsam. In einer Galaxie gilt diese Regel aber nicht: Sterne weit vom Zentrum entfernt bewegen sich sehr viel schneller, als sie es der Theorie nach dürften. Um das zu erklären, postuliert man eine sogenannte Dunkle Energie ↗
- [10] Berühmt sind die drei Newtonschen Axiome als Grundlage der klassischen Mechanik. Die Worte Postulat und Axiom scheinen im Sinne einer Grundannahme oft mit gleicher Bedeutung verwendet zu verwenden. Siehe auch Axiom ↗