Überwesen
Soziologie
Definition
Gaia, Global Brain, Superorganismen, Insektenstaaten oder sogar der ganze Kosmos: als Überwesen bezeichnet man nicht nur Wesen mit überragenden Fähigkeiten, etwa Götter oder Genies, sondern auch Wesen, die sich aus mehreren anderen Wesen zusammensetzen. Zu dieser zweiten Bedeutung stehen hier einige Beispiele.
Definition von Überwesen
Ein Wesen, das aus vielen Zellen, Insekten, Menschen, Robotern oder anderen Komponenten besteht: Ein Wesen, das sich a) aus anderen Wesen mit eigener Identität sowie b) optional auch noch aus weiteren Komponenen zusammensetzt heißt hier Überwesen.
Um ein Überwesen sinnvoll von einem unbelebten Übersystem unterscheiden zu können, müssen bei einem Überwesen zwingend noch Elemente des Psychischen, mindestens eine Form von Bewusstsein hinzukommen. Hier stehen Beispiele möglicher solcher Überwesen aus verschiedenen Fachgebieten der Wissenschaft.
Mehrzeller
In der Biologie steht Überwesen im engeren Sinn meist für einen viel-, das heißt mehrzelligen Organismus im Gegensatz zu einem einzelligen Lebewesen. Man spricht dann zum Beispiel von Metazooa (Tiere) oder Metaphyta (Pflanzen) und fasst alle zusammen als Metabiont ↗
Mikro- und Makroorganismen
Die Gesamtheit eines makroskopisch großen Organismus mit der Fülle seiner mikroskopischen Bewohner bezeichnet man in der Biologie als Metaorganismus oder auch als Holobiont ↗
Insektenstaaten
Schon 1901 und 1925 führten die Schriftsteller Maurice Maeterlinck[6] und Marais[7] überzeugende Beobachtungen an Bienen- und Termitenstaaten an, die zeigten, wie sehr diese Insekten-Kollektive wie ein einzelner Organismus handelten. In der Biologie bezeichnet man solche Insektenstaaten heute als Superorganismus ↗
Der Kosmos als Überwesen
Bereits der antike Denker Dioegenes Laertios formulierte die Idee, dass der gesamte Kosmos ein Lebewesen mit Seele sein müsste[1]. Er argumentierte, dass Lebewesen stärker seien als nicht-Lebewesen und dass die Welt an sich durch nichts überragt werden könne. Folglich müsse die Welt ein Lebewesen sein. Dass der Kosmos als Ganzes etwas Seelisches, Empfindendes oder Bewusstsein haben könnte bezeichnet man als Kosmopsychismus ↗
Staaten als Überwesen
Zwischen rein beschreibender Metaphorik und systematischer Modellbildung bewegten sich viele Theorien vom Staat als Organismus. Während etwa der Engländer Herbert Spencer ausdrücklich ausschloss, in seinem "sozialen Organismus" ein real lebendes Wesen sehen zu wollen[2], unterstellten andere Autoren dem Staat eigenes Bewusstsein und eine eigene Seele[3]. Siehe mehr dazu unter organische Theorie ↗
Unternehmen als Überwesen
Im Jahr 1970 veröffentlichte der Biologe Hans Hass sein Buch "Energon". In diesem Buch suchte er allgemeine und abstrakte Prozesse und Strukturen herauszuarbeiten, die sowohl biologischen Lebewesen als auch Unternehmen gemeinsam sind. In dem Buch diskutiert er auch mit Verweisen auf andere Schriftstellern, inwiefern Staaten oder Unternehmen als Lebensform zu sehen sind. Siehe auch Energon ↗
Gaia als Überwesen
Die Erde ist ein Lebewesen: mit diesem Titel veröffentlichte der Biologie James Lovelock seine Hypothese vom Planeten Erde als Wesen. Lovelock schloss jedoch ausdrücklich aus, dass er diesem Wesen eine Psyche oder einen Willen zuschrieb. Er beschränkte seine Analogie vor allem auf Mechanismen der Selbststabilisierung. Siehe dazu auch Gaia-Hypothese ↗
Das globale Gehirn
1983 prägte Peter Russell den Begriff des Global Brain, einem weltumspannenden Denkorgan bestehend aus dem sich anbahnenden Internet und den darin vernetzten Menschen und Maschinen. Die Theorie wurde bis etwa zum Jahr 2000 stark weiterentwickelt, erreichte aber niemals den Stand einer empirisch überprüfen Theorie im Sinne der Naturwissenschaften. Lies mehr dazu unter Global Brain ↗
Überwesen in der Evolution
Atome ⭢ Moleküle ⭢ RNA ⭢ DNA ⭢ Zellen ⭢ Organismen ⭢ Gesellschaften ... und wie geht es weiter? Die Idee, dass die Evolution auf der Erde wiederkehrende Muster aufweist und man sie gedanklich in die Zukunft fortsetzen könne wurde seit den 1960er Jahren insbesondere von Naturwissenschaftlichern immer wieder ins Spiel gebracht. Ein zentrales, ständig wiederkehrendes Motiv ist die Verschmelzung von biologischen Lebensformen mit Technik und Software. Die Thesen bewegen sich vielfach noch im Bereich der bloß oberflächlichen Analogien, die nicht wissenschaftlich überprüfbar sind. Wegweisend für einen streng naturwissenschaftlichen Ansatz ist John Maynard Smiths Rahmenkonzept evolutionärer Transitionen[9]. Siehe mehr dazu unter Metasystem-Transitionen ↗
Kritik am Begriff
Metaman, Machina Sapiens, der lebende Staat, Gaia, das globale Gehirn: Konzepte eines Überwesens verweisen - zu Recht - auf sinnfällige Gemeinsamkeiten zwischen lebenden Organismen und anderen Gebilden. Sie überschreiten aber oft auf unzulässige Weise die Grenze hin zum Anspruch fester Gewissheiten und wissenschaftlicher Theorien. Sie überschreiten diese Grenze aus zwei Gründen auf unzulässige Weise: a) weil sie keine brauchbaren Definitionen von Leben liefern und b) weil sie keine Hinweise auf eine empirische Überprüfung oder Widerlegung mitliefern. Präzise Definitionen und empirische Überprüfbarkeit aber sind aber zwei notwendige Bedingungen für eine (natur)wissenschaftliche Theorie. Siehe auch Naturwissenschaft ↗
Ein soziotechnisches Überwesen?
Die Idee, dass es im Zuge einer Stufenfolge der Evolution zur Zeit zu einer Ausbildung von Überwesen aus sozialen, technologischen und organisatorischen Bestandteilen kommt ist hier weiter betrachtet unter dem Stichwort Technosoziobiont ↗