Swing away from Science
Ursachen
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Einführung|
Kurze Geschichte|
Der Befund in Deutschland|
Versuche einer Erklärung|
Die Mittelstufe als kritischer Zeitpunkt|
Physik ist schwer: kognitive Überforderung|
Physik heißt auch Mathematik|
ADHS, Legasthenie, Dyskalkulie & Co|
Die ent-Analogisierung des Alltags|
Eine Frage des Geschlechts?|
Physik: Philosophie oder Technik?|
Physik: Fach ohne Berufe?|
Technikfeindlichkeit?|
Fazit: die Objektivität als Besonderheit?|
Gesammelte Eindrücke|
Lehrereindrücke|
Schülereindrücke|
Persönliche Eindrücke (Lernwerkstatt)|
Schule heute: der Wirkungsgrad ist ausgereizt|
Eine Lösungsidee: neue Technologien für mehr Individualisierung|
Schlussgedanke: Swing to Science?|
Fußnoten
Einführung
Als „Swing away from Science“ bezeichnet man seit den 1960er Jahren eine Abkehr von Schülern und Studenten von naturwissenschaftlichen Fächern. Einerseits sind damit rückläufige Anteile von Studienanfängern gemeint, andererseits die Abwahl von naturwissenschaftlichen Fächern durch Schüler. Als kritischer Zeitpunkt wird - weltweit - die Mittelstufe und dort vor allem die Altersklasse von 8 bis 15 Jahren angesehen. Das wird hier für das Fach Physik vorgestellt. Am Ende plädiere ich dafür, Schule mit Hilfe von IT-Technologien gänzlich neu, nämlich hin zu stark individualisierten Lernpfaden zu denken.
Kurze Geschichte
Schon im Jahr 1913 untersuchte John Dewey, was Schüler zum Lernen motiviert. Was er damals als wesentlich beschrieb würde man heute vielleicht als Flow bezeichnen, eine tiefe Versenkung in den behandelten Stoff.[1] Deweys Betrachtungen betonen, wie individuell die mit einem Fach verbundenen Sinnerlebnisse sein können.
Im Jahr 1945 griff der englische Schriftsteller George Orwell den Wunsch der Politik auf, dass die Öffentlichkeit mehr naturwissenschaftlich gebildet sei.[32] Eine statistisch belegte Abkehr von den harten Wissenschaften hat dann spätestens im Jahr 1968 der sogenannte Dainton Report für England beklagt.[2][3] Zahlreiche gleichlautende Studien aus anderen Ländern folgten, denen aber auch methodische Mängel vorgehalten wurden.[7]
Als kritische Phase wurde wiederholt das Lebensalter von 8 bis 15 Jahren ausgewiesen.[9][10][29] Es entstand eine große Anzahl von Erklärungsversuchen und Vorschlägen zu Gegenmaßnahmen. Seit dem Jahr 2010 wurden für England und Deutschland für die Physik ein Anstieg des Studieninteresses beobachtet.[27]
Der Befund in Deutschland
Speziell auch für Deutschland wird eine deutliche Abnahme des Interesses am Schulfach Physik in der Mittelstufe immer wieder beschrieben[10][12], insbesondere auch für Mädchen[24]. Bei völliger Wahlfreiheit, würden die meisten Schüler die Physik gänzlich meiden.[18]
ZITAT:
Stand 2025: "Die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die in ihrem letzten Schuljahr […] einen Physikkurs 'mit erhöhtem Anforderungsniveau' (Leistungskurs) belegen, ist in den vergangenen 15 Jahren deutschlandweit um ein Drittel gesunken".[72]
Stand 2025: "Die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die in ihrem letzten Schuljahr […] einen Physikkurs 'mit erhöhtem Anforderungsniveau' (Leistungskurs) belegen, ist in den vergangenen 15 Jahren deutschlandweit um ein Drittel gesunken".[72]
Unter den Schülern, die Physik in der Oberstufe belegten war nur rund ein Drittel weiblich.[19] Aus Sicht der Physik besonders besorgniserregend ist der deutliche Rückgang von neu eingeschriebenen Bachelor-Studenten seit dem Jahr 2021, während aber die Neueinschreibungen etwa für Informatik gleichzeitig ansteigen.[34]
- Physik zählt seit Jahrzehnten stabil zu den unbeliebtesten Fächern.
- Auch aufwändige Maßnahmen brachten bisher keinen Durchbruch.[59]
- Es gibt eine große Anzahl plausibler Erklärungsversuche.
Der Physik, und mit ihr auch der Chemie, scheint etwas anzuhaften, dass vielen anderen Fächern zumindest in größerer Strenge fehlt. Gesucht ist also eine Eigenschaft der Physik, die die besondere Unbeliebtheit der Physik und gleichzeitig die Wirkungslosigkeit vieler gutgemeinter und gutgemachter Maßnahmen erkären kann.
Versuche einer Erklärung
Seit den späten 1960er Jahren entstand weltweit eine unübersehbar große Anzahl von Studien zur Fächerwahl von Schülern und Studenten,[7] speziell auch zur Physik. Während es einige Konstanten in der Erkenntnis zu geben scheint, haben doch viele über Jahrzehnte mit viel Geld durchgeführte Gegenmaßnahmen[5] bisher nicht den gewünschten Erfolg gebracht. Der Swing away from Science bleibt ein Dauerthema. Aus der Wissenschaft gibt es eine große Anzahl möglicher Erklärungen. Einige davon möchte ich nun kurz vorstellen. Interessant ist dabei die Frage, welcher dieser Ansätze eine Sonderrolle der Physik erklären könnten.
Die Mittelstufe als kritischer Zeitpunkt
Ein stabiler Befund der Forschung scheint zu sein, dass die Mittelstufe eine entscheidende Zeit ist: "Das Interesse besonders an Physik nimmt im Laufe der Sekundarstufe I systematisch ab."[10] Im ungünstigsten Fall dadurch, dass Schüler "bereits in der Mittelstufe sehr schlechte Erfahrungen mit formalistischem, langweiligem und wenig begeisterndem Physikunterricht gemacht haben. Anfänglich vorhandenes Interesse an dem Fach ist offenbar sehr gründlich ausgetrieben worden"[12]. Davon sind auch ursprünglich an Naturwissenschaften interessierte Schüler betrofffen, die aber dennoch "desertieren"[9], ohne dass es später zu einer nennenswerten "Erholung"[23] kommt. Dabei ist es plausibel, dass später erfolgreiche Schüler sich schon früh intensiv mit Mathematik und Physik beschäftigen sollten. Die "kritische" Lebensphase liegt zwischen 8 und 15 Jahren.[29]
Wenn nun gerade die Physik und Chemie in der Mittelstufe an Attraktvität verlieren, auch relativ zu anderen Fächern, dann stellt sich die Frage nach einer spezifischen Besonderheit dieser Fächer im Vergleich mit anderen Fächern. Die Redakteurin eines Wissenschaftsjournals wies 2024 sinngemäß darauf hin, dass sich die Physik und Chemie stark als "entspersonalisierte", "menschenfremde", eben positiv gesprochen als "objektive" Naturwissenschaften präsentieren[57], was wohl für Technik und Naturwissenschaft allgemein gilt.[61] Das trifft zeitlich auf die Pubertät, in denen die meisten Jugendlichen sich zunehmend stärker für andere Menschen interessieren. Dass eine stark entpersonalisierte Wahrnehmung der Physik etwas mit der wachsenden Unbeliebtheit der "harten Wissenschaften" in der Mittelstufe zu tun haben könnte, legen auch Befunde aus der Genderforschung nahe.[39]
Physik ist schwer: kognitive Überforderung
Physik ist schwerer als viele andere Schulfächer.[14] Es kommt oft zu einer kognitiven Überforderung,[13] die möglicherweise Gründe in einer mangelnden Beachtung entwicklungspsychologischer Erkenntnisse hat. Schon früh wird von Schülern verlangt, schnell und sicher zwischen sehr unterschiedlichen Darstellungsformen wie Diagrammen, Sprache, Formeln und Funktionen, Skizzen oder realen Versuche[55] wechseln zu können. Gleichzeitig wird eine Versiertheit im Umgang mit der Mathematik vorausgesetzt, die oft nicht gegeben ist. Auch sprachlich stellen Lehrer und Schulbücher oft unrealistisch hohe Anforderungen.[33][51] Tatsächlich hat sich die Physik sehr weit von alltäglichen Vorstellungen entfernt[70], mit denen es auch möglichst wenig Durchmischung geben darf.[71]
In einer schlichten Überforderung sehe ich aus meiner Erfahrung in der Lernwerkstatt den häufigsten Grund, dass an sich interessierte Schüler der Physik den Rücken zukehren: gerade in den Klassen 6 bis 9 kann ich von Stunde zu Stunde im außerschulischen Unterricht beobachten, dass auch bemühte und ausreichend intelligente Schüler keine Chance haben, dem neuen Stoff gedanklich zu folgen. Die nötigen Denkweisen sind nicht angeboren sondern müssen systematisch entwickelt werden. Stattdessen werden sie oft als gekonnt vorausgesetzt und mehr oder minder nur eingefordert.
Besonders schwer fällt Schülern in der Mittelstufe der physik-immanente und ständige Wechsel zwischen hypothetischem Denken in Modellen und dem Bezug auf gesicherte Tatsachen und Fakten, etwa aus Experimenten. Die methodisch streng geregelte Beziehung zwischen Faktizität und hypothetischem Denken tritt so in anderen Fächern in dieser Strenge nicht auf und könnte eine Sonderstellung der Physik erklären.[56]
Physik heißt auch Mathematik
Wer letztendlich in Physik etwas erreichen will muss gut in Mathematik sein. Um im Fach Physik einen guten Start an einer Hochschule haben zu können, sollten sich Schüler, so eine Empfehlung, schon ab etwa 13 Jahren Lebensalter auf Mathematik und Physik spezialisieren können.[8] Dass Physik letztendlich ein sehr mathematisches Fach ist dürfte auch Schülern in der Mittelstufe bekannt sein, und zwar vielleicht auch dann, wenn sie selbst in den unteren Klassen gar noch nicht so sehr mit Mathematik in der Physik konfrontiert sind. Hier tut sich ein Dilemma auf: nimmt man die Mathematik aus der Physik heraus, um sie länger für Schüler attraktiv zu halten, könnte gleichzeitig damit auch die (dann korrekte) Selbstwahrnehmung von Schülern steigen, nicht gut auf das Abitur oder auf ein Studium vorbereitet zu sein. Meine persönliche Einschätzung ist, dass gerade die quantitativen Methoden bis hinunter in die Grundschule von klein auf geduldig und verständnisvoll vermittelt werden sollten. So einfache Dinge wie Rechnen mit Brüchen und "Kommazahlen", Runden, die Bedeutung von Mittelwerten, das Aufstellen von Funktionsgleichungen und vor allem Umformungen können nicht häufig genug trainiert werden. Den Kontakt mit der Mathematik nach hinten zu schieben, reißt Lücken auf, die später nur schwer wieder zu schließen sind.
Auch die Notwendigkeit letztendlich gut in Mathematik zu sein, könnte eine Sonderrolle der Physik erklären. Diese Abhängigkeit des Erfolges in einem Fach vom Erfolg in einem anderen Fach tritt in dieser Schärfe so nur in der Physik auf.
ADHS, Legasthenie, Dyskalkulie & Co
ADHS und Legasthenie werden allgemein als eine Lernstörung oder sogar Krankheit angesehen.[53] Gleichzeitig gibt es aber auch Ansätze, eher von Neurodivergenz zu sprechen und anstatt nach Defiziten vor allem nach Stärken auch für physikalisches Denken zu suchen. So seien Studenten mit ADHS der Physik in einem geeignet Lernumfeld oft besonders kreativ,[40] und auch Studenten mit einer Legasthenie[41] oder einem Asperger-Syndrom[42] brächten eigene Stärken mit, etwa im visuellen oder sprachlichen Denken. Hier kann ich aus eigener, vielfältiger Erfahrung zustimmen, dass solche Kinder tastächlich schon in der Mittelstufe ein großes Interesse und einen regen Geist mit latent vorhandenen Fähigkeiten zeigen können. Diese Stärken müssen aber aktiv mit dem geforderten Schulstoff verbunden werden. Und die Kinder müssen gleichzeitig lernen, ihre eigenen Schwächen, etwa Sprunghaftgkeit im Denken (ADHS) und einen großen psychischen Aufwand beim Lesen von Texten (Legasthenie) aktiv in ihrem Lernen zu berücksichtigen. Bei einer ausgeprägten Dyskalkulie scheint mir der Weg zur akademisch betriebenen Physik in der Tat völlig versperrt zu sein. Gleichwohl sind aber auch diese Kinder bis hin zum Abitur oft in der Lage, die Physik phänomenologisch auf hohem Niveau zu betreiben. Wozu sollten man ihnen nur wegen eines fehlenden Verständnisses von Zahlen die Freude an dem Fach nehmen?
Abgesehen von einer Dyskalkulie ist eine Sonderrolle der Physik gegenüber anderen Fächern nur schwer zu erkennen. Ein interessanter Ansatz wäre es, eine Diagnose von ADHS, Asperger oder Varianten des Autismus als eine besondere, divergente Art des Denkens aufzufassen und darüber sogar vielleicht Stärken für die Physik zu erkennen.[65]
Die ent-Analogisierung des Alltags
Zu diesem Abschnitt habe ich keine Hinweise zur Literatur, aber ich möchte ihn doch etwas ausführlicher darlegen. Unsere Umwelt wird immer ärmer an analogen, spürbaren und sichtbaren physikalischen Erlebnissen. Bei einer alten Balken- oder Federwaage konnte man "das Gewicht" mit den eigenen Muskeln spüren, sah Zeiger und Hebel sich bewegen. Bei einer Längenmessung mit einem Maßband rollte man etwas auf und ab und schritt die Strecke auch selbst entlang. Ein Flüssigkeitsthermometer zeigte eine sich ausdehnende Flüssigkeit. Bei einem Auto mit Nadeltacho zitterte die Nadel ab einer Geschwindigkeit und sie hatte eine Position mehr links oder rechts je nach Geschwindigkeit. All diese sinnlich erlebbare Physik ist heute verschwunden hinter digitalen Anzeigen. Beim unbeaufsichtigten Klettern auf Bäumen erlebte man Schwung, Hebelkräfte, Höhen und eventuell auch einen "Impakt". Auf dem selbst zu Fuß oder mit dem Rad zurückgelegten Schulweg erlebte man als Kind intensiv Entfernungen, Hitze, Kälte, Glatteis und Regen. All diese Erfahrungen machen viele Kinder in ihrer behüteten und durchdigitaliserten Umwelt heute nicht mehr.[54] Man könnte die Liste weiter fortsetzen. Wo man früher im Zug ein Fenster öffnen konnte und den Fahrtwind spürte, hat man heute eine geschlossene Fensterscheibe und eine Klimaanlage. In meiner Arbeit in der Lernwerkstatt bin ich immer wieder überrascht, wie wenig früher geläufiges Alltagsverständnis viele Kinder heute haben. Trägt vielleicht auch das dazu bei, dass physikalische Größen wie Temperatur, Kraft, "Gewicht" oder Geschwindigkeit immer alltagsferner erscheinen könnten?
Ein weitgehend „Rentsinnlichter“ Alltag im Bezug auf den Umgang mit Objekten könnte sowohl die Physik wie auch die Chemie hinderlich beeinflussen, weniger aber andere Fächer. Soziale und Geistige Erfahrungen werden weit weniger von Digitalität und Automatisierung verdrängt wie der ehemals alltagägliche Umgang mit analogen Messgeräten und der natürlichen Umwelt.
Eine Frage des Geschlechts?
Genderstudien zur Beliebtheit von Physik sind nicht neu. Die Physik gilt seit langem als jungenlastig.[10][19] Es scheint einen leichten Zusammenhang zwischen der Leistung von Mädchen in Physik und einer getrennt- (single sex) oder gemischt-geschlechtlichen (co-education) Schulform zu geben.[36]. Ein Aspekt könnte die selbst-abwertende Einschätzung von Mädchen bezüglich ihrer eigenen Kompetenz sein.[43] Aber schon der Einfluss des sozioökonomischen Umfeldes zuhause könnte stärker sein.[37] Dennoch gibt es in der Genderforschung einen recht stabilen Befund, der leicht umsetzbar ist: wird Physik anhand von Naturphänomen (Astronomie, Medizin, Biologie) vermittelt, sind Jungen und Mädchen gleichermaßen zu gewinnen. Je technischer, insbesondere je elektronischer die Bezüge werden, desto deutlich mehr Mädchen springen ab. Eine Konsequenz daraus wäre es, im Schulfach Physik ausreichend viele Naturphänomene zu betrachten.[15] Auch kann gefragt werden, ob eine als "abschreckend erlebte Fachkultur"[38] in der Physik bis hin zu Schülerinnen der Mittelstufe reichen kann. Überhaupt ist das gesellschaftliche Bild von Physikern und Physikerinnen möglicherweise für Mädchen wenig attraktiv, wo man nämlich Physiker als "menschenscheue Genies" und die Frauen unter ihnen als "suspekte Exotinnen" sieht.[33]
Physik: Philosophie oder Technik?
Der gegenwärtige Lehrplan für das Fach Physik für das Bundesland Nordrhein-Westfalen beinhaltet unter anderem stark historische und philosophische Bezüge zur Quantenphysik, etwa im Zusammenhang mit dem Welle-Teilchen-Dualismus oder der Kopenhagener Deutung. Demgenüber kann man aber auch die ontologischen Fragestellung zur Physik ganz in den Hintergrund treten lassen und die Quantenphysik rein als Rechenwerkzeug benutzen.[47] Doch mit diesem Ansatz würde man berechtigen Fragen[48] und vorhandenen Interessen einiger Schüler vor den Kopf stoßen. Mein Eindruck aus der Lernwerkstatt ist, dass gerade ältere Schüler, etwa ab 14 bis 16 Jahren, ein großes Interesse an philosophischen Themen wie Freier Wille, Religion oder Determinismus haben. Man muss nicht die gesamte Physik ständig auf diese Themen beziehen. Es genügt, wenn entsprechend interessierte Schüler immer wieder kurz Hinweise, zum Beispiel zu lesbarer Literatur bekommen. Aber auch historische und dort vor allem biographische Anekdoten und Geschichten können viel Interesse wecken.[49]
Physik: Fach ohne Berufe?
Viele Schüler haben nur wenige Vorstellungen von der Vielfalt an Berufsmöglichkeiten in Verbindung mit einzelnen Schulfächern. Das gilt auch für die Physik. Ausgebildete Physiker aber in weit Situationen als bloßer Laborforschung oder späterer Lehrer.
Dass Schüler der Oberstufe mehr Berufsmöglichkeiten für die Physik aufgezeigt bekommen sollten ist ein Fazit einer Studie aus Finnland.[44] Dabei scheint es zu genügen, dass Schüler den Bezug zur Wirklichkeit erkennen. Die betrachten Beispiel müssen nicht die gesamte Komplexität der realen Welt beinhalten.[45] Diese Vermutung kann ich aus meiner Arbeit in der Lernwerkstatt bestätigen. Oft fragen Schüler nach der praktischen Bedeutung eines neuen Themas in der Schulphysik, etwa dem Elektromagnetismus.[46] Vielen genügen dann durchaus schon drei bis vier episodische erzählte Beispiele, etwa die Konstruktion von Elektromotoren, Wirbelstrombremsen, elektrischen und magnetischen Sensoren aus dem Tierreich (Vogelflug, Haie) oder auch die Tellurik als einer geophysikalischen Methode zum Auffinden von Lagerstätten. Ein weiteres Standard-Beispiel ist die Anwendung der Vektorrechnung für Navigationssysteme, zur Modellierung des Schwarmfluges von Vögeln, für die Meteorologie und - verblüffenderweise - auch für Llamas. Hier merke ich immer wieder wie wichtig für viele Schüler es ist, wenn der Lehrer über ein breit angelegtes Allgemeinwissen verfügt, das er ad hoc auf konkrete Fragen beziehen kann. Ich bekomme von Schülern oft bestätigt, dass ein kurzer aber plausibler Bezug zur realen Welt für sie als Motivation ausreicht. Besonders interessant ist es für viele Schüler zu wissen, woran aktuell gerade geforscht wird.[46]
Inwiefern die Physik mehr als andere Schulfächer darunter leidet, dass sich Schüler kaum praktische Anwendungen vorstellen können, darf angezweifelt werden. Schüler der Mittelstufe dürften auch für Fächer wie Deutsch, Politik, Französisch oder Sport ähnlich vage Berufsvorstellungen wie für die Physik haben.
Technikfeindlichkeit?
Seit den 1980er Jahren wurde wiederholt ein technikfeindliches gesellschaftliches Klima[25][62] beklagt, was aber niemals empirisch belegt werden konnte.[35] Wenn aber schon die Gesellschaft skeptisch gegenüber modernen Technologien sei, so wäre es nur folgerichtig, dass das auch einen Einfluss auf die Studierendenzahlen in den MINT-Fächern hat. Eine logische Konsequenz war es, den Stellenwert von Technologie deutlich zu machen. An der RWTH Aachen etwa wurde eigens ein "disziplinübergreifendes Modul FASZINATION TECHNIK" für das Lehramtsstudium eingerichtet. Bei dieser Argumentation gibt es mindestens zwei Fallstricke. Erstens darf man nicht von einer Ablehnung einzelner Technologien auf eine generelle Technikfeindlichkeit schließen. Und zweitens wird nicht jeder der gerne Fleisch isst, deswegen auch gerne Metzger. Der Zusammenhang zwischen inhaltlicher Akzeptanz oder sogar Interesse und einer Fachentscheidung ist komplizierter.[30]
Eine Technikfeinfliche oder auch nur ein Desinteresse an Technik an sich scheinen als Erklärung für die geringe Beliebtheit von Physik wenig plausibel.
Fazit: die Objektivität als Besonderheit?
Die bis hier vorgestellten möglichen Gründe für eine Abkehr von der Physik in der Mittelstufe kann man grob zwei großen Clustern zuordnen: a) einer kognitiven Überforderung und b) einer affektiven Ferne. Und diese beiden Problemkreise haben vielleicht ihre tiefere, gemeinsame Wurzel in der Physik als einer streng objektiven Wissenschaft.
Die Physik ist das Vorbild einer exakten, quantifizierenden und objektiven Wissenschaft. Damit einher geht eine Herangehensweise, für die das kindliche oder jugendliche Denken nur in wenigen Ausnahmefällen geborener "Naturtalente" vorbereitet ist. Das pragmatische "Shut up and calculate"[47] wird vielleicht schon durch den Habitus[60] von Lehrern vermittelt und ist nicht jedermanns natürliche Neigung. Für eine Mehrzahl auch durchschnittlich oder höher intelligenter Schüler im kritischen Alter von 8 bis etwa 15 Jahren sind die folgenden Anforderungen der "Fachkultur Physik"[58] nicht angeboren. Die nötigen Denkhaltung muss vielmehr systematisch und über Jahre hinweg auch gegen diffuse Verständnisbarrieren entwickelt werden:
- Die letztendlich immer nötige starke Mathematisierung
- Die Entsprachlichung und starke symbolische Formalisierung
- Das stark entpersonalisierte, sinnesfreie "Ambiente" einer objektiven Wissenschaft[66]
- Das Denken in "falschen" (aber praktischen) Modellen
Können diese Merkmale einer objektivierten Wissenschaft auch die weitgehende Wirkungslosigkeit vieler Maßnahmen zur Steigerung der Attrakivität von Physik erklären? Ich glaube ja, und zwar, wenn man davon ausgeht, dass es einen kleinen Anteil an Kindern und Jugendlichen gibt, die von sich aus schon ein hohes Maß an physik-förderlichen Haltungen und Fähigkeiten mitbringen. Besonders aussagekräftig könnten hier Befunde dazu sein, inwiefern etwa der Anteil von Menschen mit Asperger-Syndrom oder autistischen Anteilen in der Persönlichkeit unter Physikern und Mathematikern überrepräsentiert sind.[42]
Die durchaus beliebten Kinderuniversitäten, Sommercamps, Physik-Olympiaden und vieles mehr spricht vielleicht die ohnehin schon entschiedenen, und schon früh leistungsstarken Kinder an. Die Maßnahmen sind dann vielleicht im Sinne einer Eliteförderung erfolgreich, sprechen aber gerade nicht die potentiellen "Derserteure" an, nämlich die Kinder und Jugendlichen, die an sich interessiert sind, deren Denken aber noch nicht von alleine auf die Physik als objektive Wissenschaft vorbereitet ist. Diese Kinder kehren dann vielleicht (zu) früh und unwiderruflich der Physik den Rücken zu.
Gesammelte Eindrücke
Im Folgenden möchte ich lose und unsortiert Meinungen und Eindrücke von einzelnen, zufällig befragten Lehrern und Schülern zusammenstellen. Daraus kann selbstverständlich kein Trend abgelesen werden, aber es werden möglicherweise Aspekte kurz beleuchtet, die nicht offensichtlich sind und vielleicht auch nur auf wenige Situationen zutreffen.
Lehrereindrücke
Im Oktober 2024 sprach ich anlässlich einer einwöchigen Fortbildung verschiedene Lehrer aus Deutschland auf das Phänomen an, dass die Interessen vieler Schüler an der Physik und Chemie in der Mittelstufe schwinden. Alle Lehrer bestätigten das Phänomen auch aus ihrer individuellen Sicht. Ich frug dann nach Ideen, woran das liegen könne. Hier sind die aus der Erinnerung (am selben Tag) notierten Antworten.
- In einer Physik-Stunde strömen auf die Schüler in etwa so viele neue Vokabeln ein wie in einer durchschnittlichen Stunde in Fremdsprachen. Das überfordert die meisten.
- Die Formalisierung der Physik kommt zu abrupt.
- Kollegen geben zu stark ein negatives Feedback, wenn Schüler "falsche" Formulierungen verwenden wie "Stundenkilometer" oder "Gewicht" (statt Masse). Das schüchtere viele ein.
- Einige Lehrer sehen auch einen generellen Abfall des Leistungswillens bei Schülern. Sie vermissen zunehmend den Willen, sich anstrengen zu wollen.
- Die Schüler haben zunehmend nicht mehr die Fähigkeit oder den Willen längere Texte zu lesen.
- Die "Marschrichtung" in der Fachdidaktik ändert sich zu oft. Es ist ein ständiges "Hü" und "Hott".
- Die Fachdidaktiker an Hochschule haben ein illusorisches Bild von Schülern in echten Schulen. Sie sollten "zwangsweise" immer mal wieder ein halbes Jahr in "echten Schulen" unterrichten.
- Andere Fächer "verschenken" gute Noten für wenig Aufwand. Die Schüler gehen dann den Weg des geringsten Widerstandes und wählen z. B. lieber Erdkunde.
- Man muss in der Physik früh fleißig sein. Das sind viele Schüler nicht.
- Man führt zu früh abstrakte Modell ein, wie etwa das Atommodell.
- Alles ist zu alltagsfern. Die Versuche sind nur Laborexperimente ohne Bezug zum "echten" Leben.
- Gerade in der Pubertät, wo Soziales überragend wichtig wird, präsentieren sich Physik und Chemie als lebensferne "objektive" Wissenschaften ohne jeden sozialen Bezug.
- Generell eine fehlende Sensibilität vieler Kollegen für Verständnisprobleme von Schülern.
- Die Physik hat keinen Alltagsbezug mehr: man muss nicht wissen, wie eine Parallelschaltung funktioniert, um Lichtschalter im Haus bedienen zu können.
- Man kann das Wissen nicht direkt im Alltag umsetzen. Das ist z. B. bei den Sprachen anders, wo man neu gelernte Vokabeln sofort nutzen kann oder auf fremdsprachlichen Beiträgen im Internet sofort wiederentdecken kann.
- Die Öffentlichkeit hat ein Bild von Wissenschaftlern, das für viele Schüler als eigener Lebensentwurf unattraktiv ist.[63]
- Die Physik in der Schule greift auf Mathematik zurück, die zu den jeweiligen Zeiten im Mathematik-Unterricht noch nicht behandelt wurde. Als Beispiel wurde die Behandlung von Kräften mit Vektoren genannt, lange bevor Vektoren in der Mathematik erstmals genannt werden.
- Es fehlen generell Mathematik-Fertigkeiten.
- Die offiziellen Lehrpläne und Prüfungsinhalte fördern ein "learning to the test" und erlauben es Lehrern nicht, langfristig fundierte Fertigkeiten anzulegen.
- Angehörige von Hochschulen bemängelten, dass in Kommissionen zu Lehrplänen nur Lehrer säßen, aber keine Vertreter der Hochschulen. Damit wäre der Schulunterricht zu wenig an den später notwendigen Fertigkeiten für Hochschulen ausgerichtet. Das wiederum fördert dann "Horror-Geschichten" darüber, wie schwer ein Studium mit Mathe oder Physik am Anfang sein kann.
Schülereindrücke
In der Zeit von etwa 2022 bis 2024 frug ich gezielt Schüler in meinem eigenen außerschulischen Unterricht (Mathe, Physik), was für sie die Physik unattraktiv macht. Hier sind einige Antworten, vorwiegend von Schülern aus den Klassen 9 bis zum Abitur.
- Die meisten Physik waren nicht gut, man will in der Obertufe kein Risiko eingehen, einen schlechten zu bekommen.
- Die Lehrer setzen zu viel voraus (in der Mittelstufe). Sie machen nur Unterricht mit den Guten.
- Es fallen ständig Stunden aus, etwa weil Lehrer nicht da sind oder man Arbeiten in anderen Fächern schreibt. (sehr oft genannt)
- Am Anfang von neuen Theman prasseln zu viele neue Worte ein. Man kommt von Anfang an nicht mit.
- Lehrer reden non-stop im Unterricht durch. Alles ist zu viel und zu schnell. Ständig kommt Neues. (wird oft genannt)
- Ein Thema fängt erst leicht an, bleibt dann lange leicht und kurz vor einer Arbeit werden dann schwere neue Themen hineingeschoben.
- Wenn eine Arbeit von mehreren Lehrern gemeinsam gestellt wird, hat der eigene Lehrer die Klasse nicht passend auf die Aufgaben vorbereitet.
- Die Klasse wird in Gruppen eingeteilt. Jede Gruppe "erarbeitet" ein Thema und stellt es dann vor. Anschließend geht der Lehrer davon aus, dass alle Schüler alles können. Der Lehrer selbst hat gar nicht mehr an Erklärungen teilgenommen.
- "Das mit den Einheiten" ist völlig unverstanden.
- Man sieht keinen Nutzen, keine Anwendung. (wird häufig genannt)
- Auch wenn eine Arbeit mit einem Schnitt schlechter als Vier ausfällt, geht es im Stoff einfach weiter. Es wird nicht danach gesucht, warum der Stoff nicht verstanden wurde.
- In anderen Fächern kriege ich gute Noten leichter. (wird tatsächlich oft als Argument genutzt)
- "Physik ist schwer." Auch das sagen viele Schüler genau so.
Persönliche Eindrücke (Lernwerkstatt)
Seit dem Jahr 2010 unterrichte ich die Fächer Mathematik und Physik in einer außerschulischen Lernwerkstatt in Aachen. Für etwa zwei Drittel der Schüler steht das extrinsisch motivierte Lernen für die nächste Arbeit im Sinne einer Nachhilfe im Vordergrund. Etwa ein Drittel der Schüler kommt aus intrinsischem Interesse, unabhängig von den aktuellen Schulnoten.
- Bis zur Klasse 6 sind so gut wie alle Schüler unabhängig vom Geschlecht, leicht für physikalische Themen zu begeistern.
- In der Klasse 9 bis 10 hoffen viele Schüler, Physik möglichst bald abwählen zu können.
- Ein häufig von Schülern genannter Grund ist, dass sie "mit dem Lehrer" nicht zurecht kamen. Bei Rückfragen bezieht sich das dann häufig darauf, dass der Lehrer a) nicht erklären könne, b) kein Engagement zeige oder c) langweilig sei.[31]
- Versuche motivieren vor allem dann, wenn sie nach einer anfänglichen kurzen Erklärung lange Zeit alleine durchgeführt werden können und Raum bieten für ungeplante eigene Beobachtungen und kreative Verbesserungen und Fragestellungen. (Wellenwanne, Elektrolyse, Pendel) etc.[52]
- Ein oft gehörtes Argument ist, dass man in anderen Fächern zuverlässiger und mit weniger Aufwand gute Noten bekommen kann.
- Tatsächlich fallen sehr viele Stunden aus. In ungünstigen Fällen (Herbstferien + Krankheiten + Ausfall + Ausflüge etc.) haben Kinder bis zu zwei Monaten am Stück kein Physik.
- Es wird so gut wie gar nicht mit Schulbüchern gearbeitet. Lehrer verweisen oft auf isolierte Texte oder Videos im Internet.
- Ein sehr großes Problem ist für viele das Verständnis formaler Schreibweisen. Griechische Buchstaben wie das Ny werden nicht erkannt und für ein kleines Vau gehalten.
- In Mitschriften von Tafeln (auch Screenshots oder Photos) fehlen bei Formeln und Rechengängen oft eine Legende. Die Kinder haben keine Chance, zuhause alleine nach zu vollziehen, wofür die einzelnen Zeichen stehen.
- Gerade in Physik sehe ich viele Mitschriften (auch Screenshots oder Photos) bei denen kein erläuternder Text vorhanden ist. Der sprachliche Zugang ist damit ganz verwehrt.
- Die Schüler haben enorme Problem, die Texte in Schulbüchern zu verstehen. Das Lesen von Texten muss oft über ein Jahr lang hinweg mühsam (außerschulisch) vermittelt werden.
- Schüler suchen kurze schnelle und auf Aufgaben passgenaue Antworten, idealerweise im Internet.
- Es gibt kein für Schüler geeignetes Lexikon der Physik. Online-Angebote, wie etwa vom Spektrum der Wissenschaft, richten sich an Fachpersonen. Auch Wikipedia ist für viele Schüler unverständlich und auch nicht als Erklärseite gedacht.
- Erklärseiten im Internet sind oft für einzelne Themen sehr gut gemacht. Der Preis sind die Ablenkung durch Werbung, die Notwendigkeit gesprochene Sprache hören zu müssen und eine - über das Internet gesehen - nicht abgestimmte Darstellung.
- Motivierte Schüler möchten Themen erschöpfend behandeln. Sie möchten eigenen Ideen auch über mehrere Stunden hinweg nachgehen können. Sie werden demotiviert, wenn der Schulstoff dann weiter geht und Dinge an der Oberfläche bleiben.
- Das Umformen von Termen, das Lösen von Gleichungen und ein grundlegendes Zahlenverständnis (was ist 4 durch 0,5?) sind oft nicht vorhanden. Fast alle Schüler stimmen zu, dass das in den Schulen mehr trainiert werden sollte.
- Es gibt, so mein Eindruck, sehr viele intellektuell begabte und an Physik interessierte Schüler, die aufgrund einer Summe von widrigen Umständen spätestens in der Klasse 10 die Physik aufgegeben haben.
- Viele Kinder die eine Diagnose ADHS haben, haben tatsächlich einen anderen Denkstil, nämlich einen weit um sich greifenden, alles miteinander verbinden wollenden. Diese Kinder benötigen keine Tabletten sondern eine Kultivierung und Bändigung ihres eigenen Denkens. Gerade für die Physik benötigen sie praktische, oft organisatorische Hilfestellungen wie sie ihr Denken verstetigen können.
Schule heute: der Wirkungsgrad ist ausgereizt
Wer bis hier gelesen hat oder die vorherigen Betrachtungen überflogen hat, wird sich fragen, wer das alles umsetzen soll. Gibt es nicht eine Kernerkenntnis, die man sich als Lehrer aneignet oder die man als Lehrinstitution umsetzt, sodass deutlich mehr Schüler sich auch langfristig erfolgreich für Physik entscheiden?
Viele (nicht alle) der oben beschrieben Einflussfaktoren können je nach Schüler und sogar je nach dessem oder deren momentanem Entwicklungsstand sowohl fördernd wie auch hemmend wirken. Macht man den Unterricht anschaulicher oder praktischer werden die einen mehr motiviert, andere eher demotiviert. Betont man mehr die sozialen oder philosophischen Aspekte der Physik sind manche begeistert, andere gelangweilt bis abgestoßen.[64] Eine schnelle und anspruchsvolle Mathematisierung kann die einen "triggern", andere wenden sich ab. Geht man ausreichend auf lernschwächere Schüler ein, langweilt man die "Überflieger". Und so weiter.
Die Momente und Stellen aber, bei denen gerade in der Physik der Mittelstufe, der Verständnisfaden reißen kann, sind vielfältig und für Lehrer oft unsichtbar. Es kann im Einzelunterricht einer Nachhhilfestunde oft eine ganze Stunde dauern, bis man in einem tiefen Gespräch oder vor einer komplizierten Rechnung an der Tafel gemeinsam die Verständnisbarriere zu einem speziellen Problem gefunden hat. Das kann zum Beispiel die unbewusste Annahme eines Schülers sein, dass Dinge im Weltraum per se kein Gewicht hätten. Es ist für Lehrer in größeren Klassen und mit eng vorgegebenem Lehrplan technisch unmöglich, für alle Schüler die nötige Aufmerksamkeit aufbringen zu können. Und die wenigsten Lehrer dürfte über eine ausreichende Bandbreite an Denkweisen und Wissen verfügen, um auch nur einer Mehrheit der Schülerbedürfnisse in der Kürze der Zeit im Schulalltag gerecht zu werden.
In dem bestehenden Format von Schule können einzelne Lehrer hier und da kleine Änderungen bewirken. Aber der klassische Unterricht mit wenigen Lehrern, die fest einer großen Anzahl von Schülern zugeordnet sind, sehe ich das heute weltweit dominierende System mehr oder minder an der Obergrenze seiner Möglichkeiten. Der Wirkungsgrad ist weitgehend ausgereizt. Das könnte auch erklären, warum die vielen aufwändigen Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität zwar messbare Erfolge bringen können, diese aber meist im kleinen einstelligen Prozentbereich verbleiben. Durchbrüche, so meine Meinung, sind nur zu erreichen, wenn es gelingt, das Lernen über Größenordnungen mehr zu individualisieren als es zurzeit möglich ist.
Eine Lösungsidee: neue Technologien für mehr Individualisierung
Es wäre interessant, in einem Workshop das Thema Bildung und Lernen einmal ganz neu zu denken, sozusagen für die sprichtwörtliche Grüne Wiese. Schon immer sah ich in meinem geistigen Auge viele interessante Lernräume, sogar verteilt auf kleine Gebäude in einer dorfartigen Anordnung. Jeder Raum gehört fest zu einer Lehrperson.[50] Und jeder Raum ist eine eigene Lernwerkstatt, vermittelt einen für den Lehrer spezifischen Zugang zu Themen oder Versuchen. Schüler können dann einem eigenen Lernpfad folgend die einzelnen Räume besuchen. Dabei sollten dieselben Themen durchaus bewusst von verschiedenen Lehrern mit verschiedenen Herangehensweisen vermittelt werden. Ein Schüler kann dann einige Minuten (noch mal die pq-Formel erklären) oder auch einige Wochen (Strahlenoptik) oder Monate (Quantenphysik in bestimmten Räumen zubringen.[26] Dabei werden die Lernenden von erfahrenen Mentoren beraten. Prüfungen können zu einem selbstgewählten Zeitpunkt genommen werden. Über die Jahre erwerben die Schüler nach eigenem Lerntempo individuell zusammengestellte Fähigkeiten, die in einem Zeugnisartigen Buch dokumentiert sind. Die Sache hat nur einen Haken.
Der Haken an dieser Utopie ist das Geld. Wir leben zwar in reichen Gesellschaften, sind aber wenig bereit einen deutlich höheren Anteil unser Produktivität auf Bildung zu verwenden. Hinzu kommt der Mangel an geeigneten Lehrern. Tatsächlich glaube ich, dass die Vision eines Lerndorfes mit individuellen Lernpfaden zumindest dem Geist nach mit Hilfe von digitalen KI-Assistenten einigermaßen gut angenähert werden könnte. Schon heute hat etwa ChatGPT auf fingierte Schülerfragen zutreffend die Diagnose Dyskalkulie gestellt und mir passende (gute) Lernvorschläge gemacht. KIs haben gegenüber Menschen ein nahezu unbegrenztes Fachwissen. Sie können ihre Sprache (ich habe es mehrfach getestet) sehr gut dem Alter und dem Bildungsstand anpassen. Und sie könnten zukünftig unser Lernen und Leben über lange Zeiträume erfassen und organisieren.
Ich halte es für zumindest möglich, dass gut gemachte digitale KI-Assistenten schon bald viele Jugendliche auch über die Mittelstufe hinweg zunehmend für das Fach Physik werden begeistern und befähigen können. Es wäre schade, wenn ein solcher Sprung in der Didaktik in Form kommerzieller Apps von einem Tech-Unternehmen der USA durchgedrückt würde. Schöner fände ich es, wenn solche Innovationen dem europäischen oder deutschen Geist von Bildung gemäß aus unserer eigenen Kultur heraus entstünden.
Schlussgedanke: Swing to Science?
Peter Mandler von der Universität Cambridge münzte den Ausdruck vom Swing away from Science um in einen Swing to Science. Candler bezog sich darauf auf einen steigenden Anteil von Physik-Schülern oder Studenten in England seit den 2010er Jahren. Will man mehr Menschen für Physik gewinnen, sei es als Schüler, Studenten, im Berufstätige oder interessierte Laien, so lohnt vielleicht ein Blick in die Geschichte. Es gab ganze Epochen, in denen Naturwissenschaften als Ganzes oder Teilbereiche viele Menschen begeisterten. Vom 18ten bis ins frühe 20te Jahrhundert gab es eine große Anzahl von Privatgelehrten, von Pfarrern, Adligen und Bürgern, die Physik trieben. Aus den Wunderkammern wurden Naturalienkabinetten[67] und später Museen. Man traf sich zu wissenschaftlichen Salons[68] und derlei mehr. Spätestens seit dem frühen 18ten Jahrhundert wurde neue physikalische Erkenntnisse intensiv und öffentlich auch auf ihre theologischen und philosophischen Aspekte hin diskutiert. Reiche Bürger und Adelige veranstalteten gesellschaftliche Abende, in denen physikalische Experimente vorgeführt und diskutiert wurden. Die Physik war in jener Zeit Teil einer Suche nach Sinn dem unseres Sein und unserem Platz im Kosmos. Nicht umsonst bezeichnete sich die Physik bis ins frühe 20te Jahrhundert noch als Naturphilosophie.[69] Damit gewann die Physik aber neben ihrer innerphysikalischen Faszination und ihrer großen technischen Bedeutung auch eine weltanschauliche Bedeutung, die heute - zumindest in der Schule - weitgehend nicht mehr vermittelt wird.[67] Vielleicht wären gerade die sehr vielfältigen philosophischen Aspekte der Physik ein Aspekt, der viele Schüler der Mittelstufe für die Physik mit interessieren könnte?
Schließen möchte ich mit der Idee für einen Wechsel der Perspektive. Wir sollten auch - aber nicht nur - fragen, was schreckt Schüler ab von Physik. Genauso oder noch interessanter ist vielleicht die Frage: was könnte Menschen für eine erfolgreich betriebene Physik gewinnen, die bisher in ganze andere Gebiete gehen?
Fußnoten
- [1] John Dewey: Interest and Effort in Education. Riverside Educational Monographs. Boston, Cambridge: Houghton-Mifflin, Riverside Press. 1913. Online: http://openlibrary.org/books/OL7104169M/Interest_and_effort_in_education
- [2] F. S. Dainton: Enquiry into the flow of Candidates in Science and Technology into Higher Education. Kurz auch bezeichnet als Dainton Report. 171 Seiten. H. M. Stationery Office. 1968. Dieser Bericht an das englische Parlament sieht einen Abkehr von Studenten von den reinen Wissenschaten (pure sciences) hin zu anderen Fächern ("arts and social sciences").
- [3] Eine Zusammenfassung des Dainton Reports findet sich in: John Walsh ,Dainton Report: British Youth Swings—Away from Science.Science159,1214-1215(1968). DOI:10.1126/science.159.3820.1214. Online: https://www.science.org/doi/10.1126/science.159.3820.1214
- [4] L. N. Tanner: The Swing Away From Science. The Educational Forum, 36(2), 229–238. (1972). DOI: https://doi.org/10.1080/00131727209338967
- [5] Trotz großer Geldmengen, die verwendet wurden, um Naturwissenschaften attraktiver zu machen, ließen sich die Zahlen der Studierenden in diesem Bereich nicht wesentlich steigern. Das Phänomen wird schon für die 1950er und 1960er Jahre beschrieben: "Despite vast sums invested to revise traditional high school physics programs and efforts to persuade youth to embark upon careers in science, enrollments in physics were dropping." In: L. N. Tanner: The Swing Away From Science. The Educational Forum, 36(2), 229–238. (1972). DOI: https://doi.org/10.1080/00131727209338967
- [6] Das Phänomen ist schon seit langem international. Im Bezug auf den Dainton Report aus dem Jahr 1968 heißt es: "Although very diverse educational systems are involved in England, Wales, The Netherlands, West Germany, Australia, and the United States, they exhibit a common trend away from science and technology." In: L. N. Tanner: The Swing Away From Science. The Educational Forum, 36(2), 229–238. (1972). DOI: https://doi.org/10.1080/00131727209338967
- [7] Eine Meta-Studie für die Zeit von 1972 bis 2019 weist für viele Studien zum "Swing away from Science" große methodische Mängel aus: Critical Review of “Swing away from Science” Research Methodology in the Literature: On J-STAGE Articles Published in the Last 50 Years. Journal of Science Education in Japan. 2020 Volume 44 Issue 4 Pages 289-300. Print ISSN : 0386-4553. (Abstract auf Englisch, Hauptteil auf Japanisch).
- [8] Das englische Schulsystem erlaubt eine frühe Spezialiserung ganz auf Naturwissenschaften und Mathematik, die Schüler gut auf einen Einstieg in Hochschulen vorbereitet: "... a science student must concentrate solely on science and mathematics in the final 2 years of secondary school in order to meet entrance requirements and to cope with university work in his field. Acutally, if he is to do well in the final two 'sixth-form' years of school, which are the launching pad for the university, the student must begin specializing earlier, usually at the age of 13." In: John Walsh ,Dainton Report: British Youth Swings—Away from Science.Science159,1214-1215(1968). DOI:10.1126/science.159.3820.1214. Online: https://www.science.org/doi/10.1126/science.159.3820.1214
- [9] Eine Studie an 338 Schülern, die sich im Jahr 1967 an der University of Bradford eingeschrieben hatten, weist eine Abkehr in der Zeit der Mittelstufe aus, obwohl die Schüler akademisch leistungsfähig waren: "Almost a half of the students of social science had wanted a science-based career at some stage of their school lives. A half of these had swung away from science by the age of 15 through declining interest; the other half swung after the age of 15 mainly through inadequate performance in the relevant subjects. But these ‘deserters' were of good academic quality in terms of A-level examination results." Und der Grund sei nicht ein schlechter Lehrer gewesen: "The personal influence of teachers, and even ‘bad teaching,’ were not recalled as principal reasons for turning away from science-based occupations." In: F. Musgrove, Angela Batcock: Aspects of the swing from science. British Journal of Educational Psychology. 39. 320-325. (2011).
- [10] "Das Interesse besonders an Physik nimmt im Laufe der Sekundarstufe I systematisch ab. Und: Mädchen sind in der Regel weniger an Physik interessiert als Jungen." In: Hoffmann, Lore; Lehrke, Manfred: Eine Untersuchung über Schülerinteressen an Physik und Technik. Zeitschrift für Pädagogik 32 (1986) 2, S. 189-204.
- [11] "Swing away from science" kein rein deutsches Phänomen, sondern seit den 1960er Jahren weltweit zu beoachten: In: Hoffmann, Lore; Lehrke, Manfred: Eine Untersuchung über Schülerinteressen an Physik und Technik. Zeitschrift für Pädagogik 32 (1986) 2, S. 189-204.
- [12] Schon 1978 deutete sich an, dass viele Schüler "bereits in der Mittelstufe sehr schlechte Erfahrungen mit formalistischem, langweiligem und wenig begeisterndem Physikunterricht gemacht haben. Anfänglich vorhandenes Interesse an dem Fach ist offenbar sehr gründlich ausgetrieben worden". In: Born, G.; Euler, M.: Physik in der Schule. Bild der Wissenschaft 15 (1978), S. 78-81.
- [13] Kognitive Überforderung: "Es sieht nämlich so aus, als sei der Unterricht sehr stark geprägt durch Tätigkeiten der theoretisch-konstruktiven Ebene und auf formal abstraktes Denken ausgerichtet. Diese Feststellung legt die Vermutung nahe, daß Physikunterricht sich häufig an einer Stufe der kognitiven Entwicklung orientiert, die viele Schüler noch nicht erreicht haben." In: Hoffmann, Lore; Lehrke, Manfred: Eine Untersuchung über Schülerinteressen an Physik und Technik. Zeitschrift für Pädagogik 32 (1986) 2, S. 189-204.
- [14] Physik besonders schwer: "Einige Autoren sehen ganz allgemein in der „Schwierigkeit" von Physik die Hauptursache für Desinteresse und Abneigung." In: Hoffmann, Lore; Lehrke, Manfred: Eine Untersuchung über Schülerinteressen an Physik und Technik. Zeitschrift für Pädagogik 32 (1986) 2, S. 189-204.
- [15] Mädcheninteressen (Naturphänome) als Hinweis: "„Wenn man sich nach den Mädchen richtet, dann ist es auch für die Jungen richtig, umgekehrt aber nicht." Wagenschein, M.: Der Ruf des Raben. In: Ursprüngliches Verstehen und exaktes. Denken, 2. Aufl. Stuttgart 1970, S. 346-350.
- [16] "Der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die sich mit Naturwissenschaften (in der Sekundarstufe I) bzw. Physik (in der Sekundarstufe II) auseinandersetzen, nimmt im Verlauf der Schullaufbahn ab." In: Harri Heise et al.: DPG-Studie zur Unterrichtsversorgung im Fach Physik und zum Wahlverhalten der Schülerinnen und Schüler im Hinblick auf das Fach Physik. 2014. ISBN: 978-3-9811161-5-1.
- [17] 40 % wählen Physik in Oberstufe: "40 % belegen in den letzten beiden Jahren vor dem Abitur das Fach Physik, darunter 15 % auf erhöhtem Anforderungsniveau." In: Harri Heise et al.: DPG-Studie zur Unterrichtsversorgung im Fach Physik und zum Wahlverhalten der Schülerinnen und Schüler im Hinblick auf das Fach Physik. 2014. ISBN: 978-3-9811161-5-1.
- [18] Bei völliger Wahlfreiheit wird Physik im Abitur nicht gewählt: "Das Wahlverhalten im Zusammenhang mit der Abiturprüfung zeigt, dass Physik bei weitgehender Wahlfreiheit überwiegend nicht gewählt wird." In: Harri Heise et al.: DPG-Studie zur Unterrichtsversorgung im Fach Physik und zum Wahlverhalten der Schülerinnen und Schüler im Hinblick auf das Fach Physik. 2014. ISBN: 978-3-9811161-5-1.
- [19] "Anteil der Mädchen unter denjenigen, die Physik belegen 33 %." In: Harri Heise et al.: DPG-Studie zur Unterrichtsversorgung im Fach Physik und zum Wahlverhalten der Schülerinnen und Schüler im Hinblick auf das Fach Physik. 2014. ISBN: 978-3-9811161-5-1. Dort die Seite 37.
- [20] Zum Begriff Empowerment: Mitchell-Polka, K, W. Lindsay, J. Martins, and V. Otero. "The physics classroom as a space for empowerment." Paper presented at the Physics Education Research Conference 2020, Virtual Conference, July 22-23, 2020. DOI: 10.1119/perc.2020.pr.Mitchell-Polka
- [21] Zum Begriff Nurturing: "This article takes the design and study of the experiment which is related to the relationship between the stretch and outer force of rubber band as example in order to discuss the task on small-scale physics experiment. By designing and studying the task, students are expected to develop such ability as making observations, doing experiments, asking questions, thinking scientifically, analyzing and solving problems. The task also aims at training students' creativity and developing their consciousness and spirit of innovation." In: Li Dean: Nurturing and training of creative thinking ability in physics experiments. Asia-Pacific Forum on Science Learning and Teaching. 2000.
- [22] Hans-Dieter Körner, Susanne Ihringer: Selbstwirksamkeit beim Experimentieren – Mädchen und Jungen in den Naturwissenschaften. In: KAMPSHOFF, Marita; WIEPCKE, Claudia (Hrsg.): Vielfalt geschlechtergerechten Unterrichts. Ideen und konkrete Umsetzungsbeispiele für die Sekundarstufen. Berlin : epubli GmbH, 2016, S. 106–140.
- [23] Noch im Jahr 2021 ist die Mittelstufe eine Interessens-Senke: "Empirische Studien belegen, dass das Interesse von Schülerinnen und Schülern im Laufe der Sekundarstufe 1 abnimmt [1] und sich insbesondere bei den Mädchen auch kaum wieder erholt. Bei den Jungen hingegen fällt das Interesse am Physikunterricht auch ab, jedoch bleibt es im Gesamten deutlich über dem Interesse der Mädchen" In: Welberg, Julia, Daniel Laumann, und Susanne Heinicke. 2021. „‚Und für Wen Ist Dieser Kontext?‘- Studien Zu Kontexten Und Interessen Im Physikunterricht Unter Beachtung Von Gender Und Selbstkonzept“. PhyDid B - Didaktik Der Physik - Beiträge Zur DPG-Frühjahrstagung 1 (Oktober). https://ojs.dpg-physik.de/index.php/phydid-b/article/view/1150.
- [24] Noch im Jahr 2021: Mädchen wählen Physik gerne ab: "Für Mädchen sei Physik ein „Horrorfach“, welches sie versuchen schnellstmöglich abzuwählen, was dazu führt, dass Mädchen in der Oberstufe gering und in den Leistungskursen meist zu unter 10% vertreten sind. Einen naturwissenschaftlichen oder technischen Beruf wählen im Anschluss an die Schullaufbahn die wenigsten Mädchen." In: Welberg, Julia, Daniel Laumann, und Susanne Heinicke. 2021. „‚Und für Wen Ist Dieser Kontext?‘- Studien Zu Kontexten Und Interessen Im Physikunterricht Unter Beachtung Von Gender Und Selbstkonzept“. PhyDid B - Didaktik Der Physik - Beiträge Zur DPG-Frühjahrstagung 1 (Oktober). https://ojs.dpg-physik.de/index.php/phydid-b/article/view/1150.
- [25] Noch im Jahr 2019 gingen Fachverbände zumindest implizit von einer Technikfeindlichkeit aus: "Wir können uns weder einen Fachkräftemangel im MINT-Bereich und noch eine auf fehlendem Grundwissen basierende Technikfeindlichkeit leisten." In: Verbandsübergreifendes Positionspapier zur Oberstufe im neunjährigen Gymnasium. Herausgegeben vom: Landesverband Südbayern des Deutschen Vereins zur Förderung des mathematischen und naturwissenschaftlichen Unterrichts e. V. 15. April 2019.
- [26] Wieland, K. (2012). Asynchronous Learning Networks. In: Seel, N.M. (eds) Encyclopedia of the Sciences of Learning. Springer, Boston, MA. https://doi.org/10.1007/978-1-4419-1428-6_921
- [27] Während der Anteil an MINT-Fächern (STEM) im UK von den 1960er bis in die 1990er Jahren sank, stieg er seit etwa 2010 deutlich wieder an. Peter Mandler von der Universität Cambridge geht möglichen Gründen nach. In: Peter Mandler: The Swing to Science: Retrospects and Prospects. Centre for Global Higher Education. CGHE Webinar 348. 18 April 2023. Online: https://www.researchcghe.org/events/the-swing-to-science-retrospects-and-prospects/
- [28] Dass das Engagement (involvement) der Eltern eine wichtige Rolle für die Neigung hin zu Wissenschaften spielt, wurde speziell für Sri Lanka untersucht in: De Silva et al.: Can parental involvement mitigate “swing away from science”? Sri Lankan perspectives. Cogent Education (2018), 5: 1467244https://doi.org/10.1080/2331186X.2018.1467244
- [29] Das kritische Lebensalter ist die Zeit zwischen 8 und 15 Jahren: "The critical period for influencing students is between 8 and 13 years old. Perhaps the most consistent finding throughout the century is that people who eventually succeed in STEM careers developed their interest early in life." In: Cary Ivan Sneider: Reversing the swing from science: Implications from a century of research. Presented at ITEST Convening on Advancing Research on Youth Motivation in STEM, September 9, 2011. Online: http://www.noycefdn.org/news.php
- [30] Physik-Interesse ist nicht gleich Schul-Physik-Interesse: "Young people like science — though not necessarily in school. Osborne’s extensive review (2003) highlighted findings that the great majority of boys and girls like science and related fields; but are turned off by poorly taught courses in school, especially high school physics." In: Cary Ivan Sneider: Reversing the swing from science: Implications from a century of research. Presented at ITEST Convening on Advancing Research on Youth Motivation in STEM, September 9, 2011. Online: http://www.noycefdn.org/news.php
- [31] Der Einfluss der Lehrer ist groß: "Teachers, teaching methods, and curriculum can make a difference. Whether in formal or informal settings, knowledgeable and skillful teachers have tremendous power to get kids interested in STEM." In: Cary Ivan Sneider: Reversing the swing from science: Implications from a century of research. Presented at ITEST Convening on Advancing Research on Youth Motivation in STEM, September 9, 2011. Online: http://www.noycefdn.org/news.php
- [32] Der englische Schriftsteller George Orwell empfiehlt den Begriff der Wissenschaft weg von engen Labor-Situationen hin zu einer besonderen Art von Denkstil zu erweitern: George Orwell: What is Science (Tribune, October 26th, 1945). In: George Orwell. Essays. Everyman Library. 242. Herausgegeben von Alfred A. Knopf. 2002. ISBN: 978-1-85715-242-5. Seite 907 ff. Siehe auch Wissenschaft (George Orwell) ↗
- [33] Dass die Physik immer von einer möglichst einfachen Sprache hin zur Fachsprache gehen sollte ist eine Kernaussage von: M. Apolin: Die Sprache in Physikschulbüchern, Dissertation. Wien 2002.
- [34] "Die Zahl der Neueinschreibungen in grundständige Physik Studiengänge geht weiter zurück. Andere MINT-Studiengänge sind vom Studierendenrückgang noch stärker betroffen – nur die Informatik nicht." Auf der Seite 31 zeigt eine Statistik, wie die Zahl der Neueinschreibungen von Bachelorstudenten von etwa 2010 bis 2020 zunahm, dann aber stark einbrach. Gleichzeitig bleiben die Neueinschreibungen für die teilweise oder stark englischsprachigen Master-Studiengänge weiter auf einem erhöhten Niveau. In: DPG Studierendenstatistik. Physik Journal 23 (2024) Nr. 8/9. Seite 29.
- [35] In einer Studie aus dem Jahr 1994 konnte keine generelle Abneigung der Mehrheit der Bevölkerung gegenüber Technik festgestellt werden: "Auf der Grundlage einer Vielzahl mittlerweile vorliegender Meinungsumfragen zum Thema Technik läßt sich - trotz manchmal widersprüchlicher Ergebnisse im einzelnen - zeigen, daß zwar seit den 60er Jahren die Zahl von positiven Bewertungen des "technischen Fortschritts" abnimmt. Dennoch überwiegt aber in keiner Umfrage die "technikfeindliche" Position." In: Zusammenfassung des TAB-Arbeitsberichtes Nr. 24. "Technikakzeptanz und Kontroversen über Technik" - Ist die (deutsche) Öffentlichkeit 'technikfeindlich'?
- [36] Eine Studie aus Australien verglich die Leistungen in Physik zwischen Mädchen in getrennten und geschlechtlich gemischten Klassen. Es gibt Unterschiede, aber diese sind nicht besonders groß: "Results revealed that both cohorts have high levels of achievement motivation in relation to physics irrespective of their classroom composition" In: J. Abraham, K. Barker: Motivation and Engagement with Physics: a Comparative Study of Females in Single-Sex and Co-educational Classrooms. Res Sci Educ 50, 2227–2242 (2020). DOI: https://doi.org/10.1007/s11165-018-9770-3
- [37] Dass der nach Geschlechtern getrennte Unterricht möglicherweise weniger Einfluss hat als ein geeignetes "sozioökonomisches" Umfeld zuhause ist eine Kernaussage von: D. Young: Single‐sex schools and physics achievement: are girls really advantaged? International Journal of Science Education, 16(3), 315–325. (1994). DOI: https://doi.org/10.1080/0950069940160306
- [38] Helene Goetschel: Physik: Gender goes Physical – Geschlechterverhältnisse, Geschlechtervorstellungen und die Erscheinungen der unbelebten Natur. In: Becker, R., Kortendiek, B. (eds) Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. VS Verlag für Sozialwissenschaften. 2008. DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-531-91972-0_100
- [39] Martina Erlemann: Das Image der Physik. Menschenscheue Genies und suspekte Exotinnen. Die KoKonstruktion von Physik und Geschlecht in öffentlichen Diskursen. Dissertation, Universität Wien. 2009.
- [40] Dass Studenten mit ADHS besonders befähigt sind zu "divergentem Denken" und "Kreativität" und dass bei einer geeigneten Gestaltung der Lernumgebung daraus auch ein Erfolgsfaktor wird: In: Kaleigh I. Salty, Chou E. Asteria, Eleanor W. Close: ADH… Disorder? Discoveries on ADHD and physics learning from collaborative autoethnography. In: 2022 PERC Proceedings edited by Frank, Jones, and Ryan. DOI: doi.org/10.1119/perc.2022.pr.Salty
- [41] Dass Kinder mit Legasthenie (dyslexia) einen Vorteil beim wissenschaftlichen Denken haben könnten wird in dem folgenden Artikel diskutiert: Moskal, Barbara M. ; Wright, Lyndsey ; Taylor, P. C.: Physics, Dyslexia and Learning: A Collaboration for Disabled Students. APS March Meeting 2014, abstract id. G3.001. Bibcode: 2014APS..MAR.G3001M.
- [42] Dass Autismus und das Asperger-Syndrom positiv mit einer Karriere in Mathematik, Physik oder den Ingenieurwissenschaften korreliert, wird episodisch immer wieder behauptet. Dass diese vermeintlichen Krankheiten tatsächlich auch einen eigenen und zwar durchaus guten Denkstil mit sich bringen könnten wird diskutiert in: Temple Grandin: Genius May Be an Abnormality: Educating Students with Asperger's Syndrome, or High Functioning Autism. Indiana Resource Center for Autism. Dezember 2001. Online: https://www.iidc.indiana.edu/irca/articles/genius-may-be-an-abnormality-educating-students-with-aspergers-syndrome-or-high-functioning-autism.html
- [43] Eine Untersuchung an einem deutschen Gymnasium zeigten, dass auch für Physik begabte Mädchen ihre eigenen Fähigkeiten niedriger ("unrealistically low) einschätzen, gerade auch im Vergleich zu Jungen. In: Ziegler, Albert, Kurt A. Heller, and Patrick Broome: Motivational Preconditions for Girls Gifted and Highly Gifted in Physics. In: High Ability Studies 7 (2): 129–43. (1996) DOI: doi:10.1080/0937445960070203.
- [44] Dass Schüler in der Oberstufe mehr Berufsmöglichkeiten in der Physik aufgezeigt bekommen sollten, ist ein Fazit in: Makkonen, T., Lavonen, J., & Tirri, K. Actualizing Talent in Physics: A Qualitative Study of Gifted Finnish Upper-Secondary-School Physics Students. Journal for the Education of the Gifted, 46(1), 3-33.(2023) DOI: https://doi.org/10.1177/01623532221143819
- [45] Eine Empfehlung aus einem Projekt in Mexiko ist es, dass Schüler nicht direkt mit der vollen Komplexität einer Ingenieur-Problems konfrontiert werden müssen. Oft genügt eine didaktisch reduzierte Variante: "It is important for teachers to understand that they do not necessarily have to involve high school students in highly complicated engineering processes in which students do not possess the technical knowledge that is required. But, they can start by involving them in the early stages of some design or in a simplification of it to attract their attention." Die Motivation, ein Problem zu lösen, stieg steil an, wenn es einen Bezug zur echten Welt (real world) hatte. In: Monica Daniela Hernandez-sanchez: Physcis Applications: their Impact on Students' Motivation and Perspective of STEM. ASEE Annual Conference Excellence Through Diversity. Minnesota (USA). 2022.
- [46] Richard Feynman brachte als Beispiel die zu seiner Zeit entstehenden Trägheitsnavigationssysteme für Flugzeuge. Er berichtete, dass es für Studenten sehr motivierend sei zu wissen, woran die aktuelle Forschung gerade arbeite. Ich kann mich nicht mehr an die Originalstelle erinnern, wo Feynman das sagte.
- [47] Den pragmatischen Zugang zur Quantenphysik soll David Mermin angesprochen auf die Kopenhagener Deutung auf die prägnante Formel gebracht haben: "If I were forced to sum up in one sentence what the Copenhagen interpretation says to me, it would be “Shut up and calculate!”. Das Zitat stammt vermutlich aus: N. David Mermin; What's Wrong with this Pillow?. Physics Today 1 April 1989; 42 (4): 9–11. DOI: https://doi.org/10.1063/1.2810963
- [48] Ein pragmatischer Zugang zur Quantenphysik sollte tiefer gehende philosophische Fragen nicht ausblenden: "we have to acknowledge that a dogma of indifference to philosophical questions was at least as much to blame for the rejection of foundational enquiry as anything Bohr might have said." In: Jim Baggot: Calculate but don’t shut up. The cliché has it that the Copenhagen interpretation demands adherence without deep enquiry. That does physics a disservice. Aeon Media Group. 6. Dezember, 2021. Online: https://aeon.co/essays/shut-up-and-calculate-does-a-disservice-to-quantum-mechanics
- [49] Einen guten Überblick über die Frühgeschichte der Quantenphysik gibt Oliver Passon: The History of Quantum Mechanics. 2021. Der Artikel ist online verfügbar und frei lizensiert: DOI: https://doi.org/10.11588/oepn.2022.3.90499
- [50] Im Jahr 2009 verbrachte ich drei Wochen als Austauschlehrer an einer Schule in Johannesburg in Süd-Afrika. Dort wanderten nicht die Lehrer zwischen Klassenräumen sondern die Schüler zwischen "Lehrerräumen". Jeder Lehrer hatte seinen eigenen festen Unterrichtsraum. Entsprechend ansprechend und inspirierend waren die Räume eingerichtet. Es war tatsächlich dieser Auslandsaufenthalt, der mich letztendlich zur Idee einer eigenen Lernwerkstatt in Aachen anregte.
- [51] Jahnke-Klein, S., Busse, V.: Sprachsensibel unterrichten in den Naturwissenschaften – Kontextorientierung als Lernhilfe oder zusätzliche Barriere?. In: Butler, M., Goschler, J. (eds) Sprachsensibler Fachunterricht. Sprachsensibilität in Bildungsprozessen. Springer, Wiesbaden. 2019. DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-27168-8_5
- [52] Eine Zusammenstellung einiger Versuche aus unserer Lernwerkstatt in Aachen findet sich auf der Seite Werkstattversuche ↗
- [53] ADHS als Krankheit: "F90.0: Einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung. Ihre Aufmerksamkeit und Ihr Bewegungsdrang sind im Rahmen einer Erkrankung beeinträchtigt. Diese Erkrankung nennt man auch ADHS." In: „Was hab’ ich?“ gemeinnützigen GmbH im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG). Abgerufen am 27. Oktober 2024. Siehe mehr unter ADHS ↗
- [54] Ein besonders krasses Beispiel stammt aus dem Jahr 2023: ein vierjähriger Junge aus dem eigenen Bekanntenkreis spielte mit einer Seifenblasenmaschine. Die Seifenblasen wurde per Knopfdruck aus einem Behälter mit Seifenwasser automatisch ausgestoßen. Dem Jungen entging damit ganz die spielerische Erfahrung, wie man durch Änderung des Blasens mit dem Mund die Seifenblasen größer oder kleiner machen kann, sie schneller oder langsamer wachsen lässt. Die Beobachtung lässt sich verallgemeinern: modernes Spielzeug ersetzt die ehemals reichhaltige körperlich-physikalische Auseinandersetzung mit der stofflichen Umwelt durch ein bloßes Drücken von Knöpfen. In der Lernwerkstatt beobachte ich, dass viele Kinder nicht mehr gut mit Schere und Kleber basteln können. Es gibt einen fließenden Übergang hin zur Dyspraxie ↗
- [55] "Students have difficulty with the nature of the subject because of the high workload compared to other subjects, and they must engage with several representations, such as experiments, equations and calculations, graphs, and conceptual explanations, and also transform data, such as flipping between graphical and numerical representations. Physics is a cumulative subject such that if the initial concept is not clear, subsequent material will be difficult to understand." Wangchuk, Damcho & Wangdi, Dumcho & Tshomo, Sonam & Zangmo, Jampel. (2023). Exploring Students’ Perceived Difficulties of Learning Physics. Educational Innovation and Practice. 6. 10.17102/eip.6.2023.03.
- [56] Im Einzelunterricht merke ich immer wieder, wie sehr Schüler bis weit in die Oberstufe davon ausgehen, dass die Physik "Fakten vermittelt". Dass viele der Theorien hypothetisch sind und letztendlich kein treues Bild der Wirklichkeit sein müssen, ist vielen überhaupt nicht bewusst. Und wenn es ihnen bewusst ist, trägt genau das zu der Frustration bei, "falsche Sachen" zu lernen. Im täglichen Unterricht bleibt das meist eine Erkenntnis des Unterbewusstseins, die sich dann bei gedanklich regsamen Schülern bestenfalls äußert als intelligent confusion ↗
- [57] Ich werde als Lehrer in der Lernwerkstatt immer wieder gefragt, warum beim Verfassen physikalischer Texte, etwa einer Versuchsbeschreibung, das Wort "Ich" nicht verwendet werden soll. Dies ist ein schönes Beispiel dafür, dass die Notwendigkeit einer Objektivierung für Jugendliche keineswegs offensichtlich ist, sondern begründet und akzeptabel gemacht werden muss.
- [58] Studenten an Hochschulen werden einer fachkulturellen Disipzlinerung unterworfen, die stark auch später unbewusst verinnerlichte Denkmuster prägt. So argumentiert Markus Arnold in: Disziplin und Initiation. Die kulturellen Praktiken der Wissenschaft. In: Markus Arnold / Roland Fischer (Hrsg.): Disziplinierungen. Kulturen der Wissenschaft im Vergleich. Wien: Turia & Kant. 2004. Wenn dieselben Studenten später als Lehrer auf Schüler in der Pubertät treffen, so vermitteln die Lehrer vielleicht unbewusst Aspekte einer Fachkultur, die Schüler in diesem Alter und eben vor einer entsprechenden "Disziplinierung" schlicht überfordert.
- [59] Für die weitgehende Wirkungslosigkeit im Sinne einer großen Trendwende soll folgender Befund aus der Genderforschung stehen: "Die Hochschule Emden/Leer investiert viel in die Förderung einer klischeefreien Studienwahl. Mit Maßnahmen wie dem Zukunftstag, MINTAngeboten für Schülerinnen und dem NiedersachsenTechnikum sollen Mädchen und junge Frauen die Chance bekommen, vor allem technische Studiengänge kennenzulernen und ihre MINT-Kompetenz zu erfahren und auszubauen. Obwohl es bundesweit solche Förderprogramme seit bald 20 Jahren gibt, hat sich an den Geschlechterverhältnissen in den Studiengängen insgesamt nur wenig getan." In: Lisbeth Suhrcke: „Ich musste erstmal verstehen, wie ticken die hier, um was geht es?“ Fachkulturen an der Hochschule Emden/Leer. Schriftenreihe der Hochschule Emden/Leer, Band 30. 2020. ISBN 978-3-944262-20-8.
- [60] Das sich die Fachkulturen nicht nur in Denkneigunen zeigen sondern auch in so scheinbar oberflächlichen Dingen wie "Büroeinrichtungen, Kleidungsstile, und Vorlesungsskripte" sowie "präsentierten Bildern und Texten" wird am Beispiel der Fachhochschule Emden/Leer ausführlich behandelt in: Lisbeth Suhrcke: „Ich musste erstmal verstehen, wie ticken die hier, um was geht es?“ Fachkulturen an der Hochschule Emden/Leer. Schriftenreihe der Hochschule Emden/Leer, Band 30. 2020. ISBN 978-3-944262-20-8.
- [61] Die Selbstdarstellung von Fachbereichen, etwa in Infomappen für Studienanfänger zeichnen ganz unterschiedliche Milieus oder Menschentypen. Die Physik könnte man am ehesten dem Bereich Technik zuordnen. Eine Auswertung von Bilder für die Fachhochschule Emden/Leer kommt zu dem Fazit: "Im Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit steht Kommunikation im Vordergrund, der Fachbereich Seefahrt und Maritime Wissenschaften betont das Zusammenspiel von Mensch und Maschine, den Fachbereich Technik zeichnet eine hohe Konkretion aus in der Anwendung technischer Artefakte, und der Fachbereich Wirtschaft wiederum zeigt sich teamorientiert." Dieser Befund lässt aber offen, inwiefern die Darstellungen auch der Wirklichkeit entsprechen. So zeigte die Bilder der nicht-technischen Fachbereiche weiter überwiegend Studierende, die sich aufeinander bezogen, einander anblickten oder miteinander sprachen. Die drei Bilder des technischen Bereiches zeigten a) einen Kapitän alleine auf der Brücke, b) eine Frau alleine mit einer VR-Brille und c) mehrere Studierende, die gemeinsam an Computern arbeiten. Die Autorin benutzte zur Charakterisierung dieser Bilder auch das Wort "Einzelgänger". In: Lisbeth Suhrcke: „Ich musste erstmal verstehen, wie ticken die hier, um was geht es?“ Fachkulturen an der Hochschule Emden/Leer. Schriftenreihe der Hochschule Emden/Leer, Band 30. 2020. ISBN 978-3-944262-20-8.
- [62] Stefan Theil setzte in einem Artikel in Newsweek noch im Jahr 2009 die Ablehnung einzelner Technologiefelder noch gleich mit einer generellen Technikfeindlichkeit: "a powerful coalition of environmental activists, church leaders, politicians, and journalists mobilized fears against medical biotechnology as a dangerous meddling with nature, an attack on human dignity reminiscent of Nazi eugenics." In dem Artikel finden sich Begriffe wie "techno-skepticism", "Green technophobia", "techno-angst". Theils Betrachtungen können stellvertretend für viele ähnliche Argumentationen aus den 1980 bis in die 2010er Jahre betrachtet werden. In: Germany's Technophobia Is Holding It Back. Newsweek. 17. Juli 2009.
- [63] Die Figur Karl Vierstein aus der Jugendbuchserie TKKG ist ein klassisches Beispiel für die klischeehafte Darstellung von naturwissenschaftlichen Typen. Karls Vater ist Professor für Mathematik und Physik, Karl selbst ist Brillenträger, "wenig sportlich" und "schlaksig". Mädchen gegenüber sei er hin und wieder "etwas gehemmt". Diese Charakterisierungen stammen aus verschiedenen weitgehend übereinstimmenden Fanseiten zur Buchserie im Internet.
- [64] Deutlich unterschiedliche "Interessenstypen" für die Altersklasse von 12 bis 16 Jahren und in Bezug auf das Fach Physik werden beschrieben in: Häußler, Peter; Hoffmann, Lore; Langeheine, Rolf; Rost, Jürgen; Sievers, Knud: Qualitative Unterschiede im Interesse an Physik und Konsequenzen für den Unterricht. In: Zeitschrift für Didaktik der Naturwissenschaften, 2 (1996) 3, S. 57-69.
- [65] James T. Webb et al.: Misdiagnosis and Dual Diagnoses of Gifted Children and Adults. ADHD, Bipolar, OCD, Asperger's, Depression and Other Disorders. Great Potential Press, Inc. Scottsdale, Arizona (USA). 2005. ISBN:0-910707-64-2.
- [66] Alfred North Whitehead: The Aims of Education and other Essays. The Free Press. New York. 1967 (enstanden zwischen 1912 bis 1929). ISBN: 0-02-935180-4.
- [66] Das Ausschalten der subjektiven Sinnesqualitäten war schon dem Physiker und Nobelpreisträger Erwin Schrödinger (1887 bis 1961) verdächtig. Er hält es für eine "wunderliche Tatsache, daß einerseits unser gesamtes Wissen über die uns umgebende Welt, ob es nun im Alltagsleben oder durch höchst sorgfältig geplante und mühsame Laboratoriumsversuche erworben ist, ganz und gar auf unmittelbaren Sinnensempfindungen beruht, während andererseits dieses Wissen nicht imstande ist, uns die Beziehung der Sinnesempfinden zur Außenwelt zu enthüllen." In: Erwin Schrödinger: Geist und Materie. Friedrich Vieweg & Sohn Braunschweig, 1961. Deutsche Ausgabe der Tanner Lectures vom Trinity College Oxford aus dem Jahr 1956 (Mind and Matter). Dort die Seite 66. Siehe auch Objektivierung ↗
- [67] Während bei den Wunderkammern des 16ten und 17ten Jahrhunderts noch das bloße Staunen im Vordergrund stand, entwickelten sich diese im 18ten Jahrhundert wissenschaftlich motivierten Sammlungen. Siehe auch Naturalienkabinett ↗
- [68] Ein Beispiel für einen "modernen" Salon waren die internationalen Treffen des Aerodynamikers Theodore von Karman in dem niederländischen Örtchen Vaals bei Aachen in der Weimarer Zeit. Siehe auch Theodore von Karman ↗
- [69] Schüler der Oberstufe sind immer wieder völlig verwundert, wenn ich ihnen erzähle, dass Große Physiker wie Max Planck oder Carl Friedrich von Weizsäcker sich mit der Idee eines Freien Willens oder der Naturgeschichte der Erde auseinandersetzen. Ein Physik-Buch, das entgegen dem Trend, die philosophischen Aspekte der Physik in eigenen Abschnitten ausführlich mitbehandelt ist Der Höfling [Lehrbuch] ↗
- [70] H. Joachim Schlichting: Zwischen common sense und physikalischer Theorie – wissenschaftstheoretische Probleme beim Physiklernen. In: Der Mathematische und Naturwissenschaftliche Unterricht, 44/2, 74 (1991). Der Artikel behandelt eher allgemeine, fundamentale Fragen der Verständlichkeit von Physik und weniger konkrete Beispiele oder Aspekte des Physikunterrichts.
- [71] Wie weit sich die Physik seiner Zeit (1928) sich von allen älltäglichen Vorstellungen entfernt hat, unterstreicht der Astrophysiker Arthur Stanley Eddington sehr plastisch und eindringlich über viele Abschnitte in der Einführung zu seinen Gifford Lectures: "Until recently there was a much closer linkage; the physicist used to borrow the raw material of his world from the familiar world, but he does so no longer. His raw materials are aether, electrons, quanta, potentials, Hamiltonian functions, etc., and he is nowadays scrupulously careful to guard these from contamination by conceptions borrowed from the other world." Und: "Science aims at constructing a world which shall be symbolic of the world of commonplace experience. It is not at all necessary that every individual symbol that is used should represent something in common experience or even something explicable in terms of common experience. The man in the street is always making this demand for concrete explanation of the things referred to in science; but of necessity he must be disappointed." In: Arthur Stanley Eddington: The Nature of the Physical World. MacMillan, 1928 (Gifford Lectures). Dort in der Einführung: "Introduction". Dort die Seite xv.
- [72] "Die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die in ihrem letzten Schuljahr (Qualifikationsphase 2) einen Physikkurs 'mit erhöhtem Anforderungsniveau' (Leistungskurs) belegen, ist in den vergangenen 15 Jahren deutschlandweit um ein Drittel gesunken, von 36000 auf 24000, während die Zahl der Schülerinnen und Schüler insgesamt leicht zugenommen hat. Der Anteil derer, die in ihrem letzten Schuljahr 'auf erhöhtem Anforderungsniveau' mit Physik in Berührung kommen, ist demnach von über 15 Prozent auf zuletzt 9 Prozent gefallen." Es wird ausdrücklich erwähnt, dass der Grund dafür nicht das geringere Angebot an geeigneten Kursen gewesen sei. Und auch der Anteil der Schüler in Grundkursen sei von gut über 32 % im Schuljahr 2017/2017 auf 28 im Schuljahr 2023/24 gesunken. In: Georg Düchs, Erich Runge: Physikunterricht im Abwärtstrend? Statistiken zum Physikstudium in Deutschland 2025. Physik Journal 8/9 2025. Dort die Seiten 35 und 36.