Reproduzierbarkeit
Physik
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Definition
Als Reproduziebarkeit[1], Wiederholbarkeit oder[2] Replizierbarkeit[3] bezeichnet man die Eigenschaft eines Experimentes, einer Beobachtung oder einer Erkenntnis, dass man sie immer wieder neu nachstellen kann. Die Reproduzierbarkeit von Erfahrungen ist eine der wichtigsten Forderungen an die moderne Naturwissenschaft.
Positiv-Beispiel
Im Jahr 1887 berichteten zwei Wissenschaftler, Michelson und Morley, aus den USA über Experiment durch, dass die Geschichte der Physik für immer ändern sollte. Das Experiment trug wesentlich zur Entstehung von Albert Einsteins Relativitätstheorie im Jahr 1905 bei. Doch war das Ergebnis des Experiments so überraschend, so unverständlich, dass das Experiment zigmale wiederholt wurde. Man wollte sicher sein, dass die Ergebnisse wirklich stimmten. Und das hält bis heute an! Hier stehen einige (wenige) Beispiele dazu. Das Wort Nullresultat heißt dabei, dass die Ergebnisse des ursprünglichen Experiments von 1881 bestätigt wurden.
- 1887: Albert A. Michelson & Edward W. Morley „On the relative motion of the Earth and the luminiferous ether“, American Journal of Science 34, 333–345 (1887).
- 1902: Edward W. Morley & Dayton C. Miller „The ether‑drift experiment and the determination of the absolute motion of the earth“, Reviews of Modern Physics 5, 203–242 (1903) (Versuche 1902–1904).
- 1924, Heidelberger Sternlicht‑Variante: Rudolf Tomaschek „Über das Verhalten des Lichtes außerirdischer Lichtquellen“, Annalen der Physik 74, 3–12 (1924).
- 1925: Miller, Dayton C. “Ether-Drift Experiments at Mount Wilson.” Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, vol. 11, no. 6, 1925, pp. 306–14. JSTOR, http://www.jstor.org/stable/84909.
- 1925: Auguste Piccard & Émile Stahel „L’expérience de Michelson, réalisée en ballon libre“ Référence Archives des sciences physiques et naturelles, 131, 8, page (269-270).Publié: 1926.
- 1925: Auguste Piccard & Émile Stahel „Neue Resultate des Michelson‑Experimentes“, Die Naturwissenschaften 13, 196–198 (1925).
- 1929: Albert A. Michelson, F. G. Pease & F. Pearson “Repetition of the Michelson‑Morley experiment” Journal of the Optical Society of America 18, 181–182 (1929), Nature 123, 88 (1929).
- 1930: G. Joos & W. Hänle „Das Michelson‑Morley‑Experiment in Jena“ Annalen der Physik 5 Folge, 7(4), 1930.
- 1955: R. S. Shankland, S. W. McCuskey, F. C. Leone & G. Kuerti „Analysis of Dayton Miller’s ether‑drift data“. In: Rev. Mod. Phys. 27, 167 – Published 1 April, 1955. DOI: https://doi.org/10.1103/RevModPhys.27.167
- 1958: J. Cedarholm, A. Havens & C. Townes „Isotropy test of light speed using ammonia masers“ Physical Review 111, 1480–1483 (1958).
- 1964, mit He–Ne Laser: S. R. Jaseja, N. F. Javan, P. M. Murray & C. H. Townes „Test of light‑speed isotropy with rotating He‑Ne lasers“ Physical Review 136, A1044–A1048 (1964).
- 1969: J. Shamir & N. Fox „Plexiglas‑arm Michelson‑Morley test with He‑Ne laser“ Physical Review 186, 1435–1438 (1969).
- 1973: J. Trimmer „Triangular interferometer test of light isotropy“ Proceedings of the Physical Society 92, 105–110 (1973).
- 1979: E. Brillet & J. L. Hall „Improved Michelson‑Morley experiment using stabilized lasers“ Physical Review Letters 42, 549–552 (1979).
- 2003: H. Müller, S. Herrmann, C. Braxmaier, S. Schiller & A. Peters „Modern Michelson‑Morley experiment using cryogenic optical resonators“ Physical Review Letters 91, 020401 (2003)
- 2003: H. Müller u. a. „Modernes Michelson‑Morley‑Experiment mit kryogenen optischen Resonatoren“ Physical Review Letters 91, 020401 (2003)
- 2005 (Englisch) – confirmed original null result – B. Broda & M. Ostrowski „Michelson‑Morley experiment revisited“ arXiv und Physics Essays (2005)
- 2015: T. Pruttivarasin et al. „Michelson‑Morley analogue for electrons using trapped ions to test Lorentz symmetry“ Nature 517, 592–595 (2015).
Interessant ist, dass etwa im Jahr 1925 die ursprünglichen Ergebnisse von Michelson und Morley in einem erneut durchgeführten Experiment nicht mehr bestätigt wurden. Tatsächlich wurde dann eine Geschwindigkeit des Äthers relativ zur Erde gemessen:
ZITAT:
"Die Ätherdrift-Experimente am Mount Wilson während der letzten vier Jahre, von 1921 bis 1925, führen zu dem Schluss, dass es eine relative Bewegung der Erde und des Äthers an diesem Observatorium gibt, von etwa neun Kilometern pro Sekunde, was etwa ein Drittel der Umlaufgeschwindigkeit der Erde beträgt. Durch Vergleich mit den früheren Beobachtungen in Cleveland deutet dies auf eine teilweise Mitführung des Äthers durch die Erde hin, die mit der Höhe abnimmt. Es wird angenommen, dass eine erneute Betrachtung der Cleveland-Beobachtungen aus diesem Blickwinkel zeigen wird, dass sie mit dieser Annahme übereinstimmen und zu dem Schluss führen werden, dass das Michelson-Morley-Experiment kein wirkliches Nullergebnis liefert. Eine vollständige Berechnung der Beobachtungen, die derzeit im Gange ist, zusammen mit weiteren Experimenten, die in naher Zukunft durchgeführt werden sollen, sollte definitive Hinweise auf die absolute Bewegung des Sonnensystems im Raum geben."[14]
"Die Ätherdrift-Experimente am Mount Wilson während der letzten vier Jahre, von 1921 bis 1925, führen zu dem Schluss, dass es eine relative Bewegung der Erde und des Äthers an diesem Observatorium gibt, von etwa neun Kilometern pro Sekunde, was etwa ein Drittel der Umlaufgeschwindigkeit der Erde beträgt. Durch Vergleich mit den früheren Beobachtungen in Cleveland deutet dies auf eine teilweise Mitführung des Äthers durch die Erde hin, die mit der Höhe abnimmt. Es wird angenommen, dass eine erneute Betrachtung der Cleveland-Beobachtungen aus diesem Blickwinkel zeigen wird, dass sie mit dieser Annahme übereinstimmen und zu dem Schluss führen werden, dass das Michelson-Morley-Experiment kein wirkliches Nullergebnis liefert. Eine vollständige Berechnung der Beobachtungen, die derzeit im Gange ist, zusammen mit weiteren Experimenten, die in naher Zukunft durchgeführt werden sollen, sollte definitive Hinweise auf die absolute Bewegung des Sonnensystems im Raum geben."[14]
Tatsächlich aber gelten die ursprünglichen Ergebnisse von Michelson und Morley von 1887 als korrekt. Wie also kam es zu der Ablehnung im Jahr 1925? Wie wurde dann darauffolgend die Ablehnung wieder abgelehnt? Es ist typisch für eine seriös betriebene Wissenschaft, dass Ergebnisse sorgfältig aus allen Richtungen geprüft und immer wieder neu diskutiert werden. Unter anderem um das zu fördern, fordert man von Experimenten eine Reproduzierbarkeit.
Negativ-Beispiel
Was kann nun passieren, wenn ein Experiment nicht oder erst sehr spät reproduziert wird? Auch dafür gibt es ein Beispiel aus der Geschichte der Wissenschaft. Im Jahr 1971 führten Wissenschaftler in den USA ein "Experiment" durch, das weltweit für Aufsehen sorgte: sie brachten eine größere Anzahl von Mensch in ein künstlich simuliertes Gefängnis. Dort teilten sie die Teilnehmer in Wärter und Gefangene ein. Ein Ergebnis soll gewesen sein, dass etwa ein Drittel der Wärte deutlich aggressiver geworden sei.[8] Die vermeintliche Erkenntnis konnte dann als Beleg für das im Menschen angelegte Böse genutzt werden, etwa um Mechanismen sozialer Kontrolle zu rechtfertigen.
Tatsächlich aber konnten die Ergebnisse in späteren Versuchen - Jahrzehnte später - nicht nach wieder hergestellt, also nicht reproduziert werden. Im Gegenteil: in ähnlich gestalteten Versuchen zeigte sich eher, dass sich die Wärter mit den Gefangenen solidarisierten, also Mitgefühl für sie zeigten. Das ursprüngliche Experiment wies zahlreiche Mängel auf[9] und wurde über Jahrzehnte zu unrecht als Beleg für das im Menschen angelegte Böse gedeutet[10].
Hätte man aber direkt nach der ersten Veröffentlichung von Zimbards Ergebnissen im Jahr 1973 versucht, das Experiment unter ähnlichen Bedingungen wie beschrieben nachzustellen, so hätte man schnell erkannt, dass Zimbardo unfachmännisch vorgegangen war. Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig die Reproduzierung von Ergebnissen für die Erlangung zuverlässiger Erkenntnisse ist. Nicht das Vertrauen auf Autoritäten (Professor Zimbardo, Stanford University") sondern erst die kritische und eigene Überprüfung können echtes Vertrauen geben.
Arten der Reproduzierbarkeit
Man unterscheidet verschiedene Arten der Reproduzierbarkeit. Dabei werden die Worte in oft widersprüchlicher Weise benutzt. Wichtig ist es dann, dass man für sich selbst klar macht, an welche Art man denkt, und dies in Dokumente auch möglichen Lesern klar macht.
- Wiederholbarkeit: Experimente könnte kurzfristig mit demselben Ausgang neu durchgeführt werden.[2]
- Replizierbarkeit: das exakt selbe Experiment und die Auswertung der exakt selben Daten führt zu denselben Resultaten.[6]
- Reproduzierbarkeit: auch abgewandelte Experimente führen zu derselben theoretischen, abstrakten Erkenntnis.[5][6]
- Präzision: in der Messtechnik, wenn die gleiche Messung auch zu gleichen Ergebnissen führt.[11]
Hier ist aber der ärgeliche Umstand zu erwähnen, dass die Gegenüberstellung von Reproduzierbarkeit und Replizierbarkeit der Idee nach bei verschiedenen Autoren zwar auf dieselbe Weise gemacht wird, sie aber die verwendeten Begriffe exakt gegensätzlich verwenden. Wenn die einen in der Replzierbarkeit den weiter gefassten Begriff sehen[4], sehen die anderen in der Replizierbarkeit geraden den enger gefassten Begriff[4]. Und genauso mit der Reproduzierbarkeit.
Fußnoten
- [1] "Die Reproduzierbarkeit bezieht sich auf die Methoden und Analyse und bezeichnet die Ähnlichkeit zwischen den Ergebnissen einer Studie oder eines Experiments und davon unabhängigen Ergebnissen Dritter, die mit den gleichen Methoden und unter identischen Bedingungen erzielt wurden." Glossar in: Open Economics Guide. ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft, Kiel. Abgerufen am 11. Juli 2025. Online: https://openeconomics.zbw.eu/open-science-glossar
- [2] Unterschied zur Wiederholbarkeit: "Wiederholbarkeit, bezieht sich nach Übereinstimmung mit der International Organization of Standardization (Genauigkeit von Testmethoden – Bestimmung der Wiederholbarkeit und Reproduzierbarkeit. Entwurf eines Internationalen Standards ISO/Dis 5.725, Oktober 1977) auf die Messungen in einem Labor über einen kurzen Zeitraum, während die Reproduzierbarkeit sich auf Messungen über einen längeren Zeitraum in einem oder mehreren Labors bezieht." In: der Artikel "Wiederholbarkeit". Spektrum Lexikon der Biologie. Abgerufen am 11. Juli 2025. Online: https://www.spektrum.de/lexikon/biochemie/wiederholbarkeit/6662
- [3] "The replication of important findings by multiple independent investigators is fundamental to the accumulation of scientific evidence. Researchers in the biologic and physical sciences expect results to be replicated by independent data, analytical methods, laboratories, and instruments." Und: "An attainable minimum standard is “reproducibility,” which calls for data sets and software to be made available for verifying published findings and conducting alternative analyses." In: Roger D. Peng, Francesca Dominici, Scott L. Zeger, Reproducible Epidemiologic Research, American Journal of Epidemiology, Volume 163, Issue 9, 1 May 2006, Pages 783–789, https://doi.org/10.1093/aje/kwj093
- [4] "Reproduzierbarkeit bezeichnet im engen Sinne die Möglichkeit, mit den identischen Daten und Berechnungswegen das gleiche Ergebnis zu erzielen. Vereinfacht ausgedrückt könnte man sagen, dass Forschung entweder reproduzierbar ist oder nicht. Replizierbarkeit beziehungsweise Replikationen sind hingegen ein weiterer Begriff. Hier steht die Robustheit von Forschungsergebnissen im Mittelpunkt. Hier steht die Robustheit von Forschungsergebnissen im Mittelpunkt, also die Frage, ob diese auch unter veränderten Voraussetzungen Bestand haben." In: Warum Reproduzierbarkeit und Replizierbarkeit wichtig sind. Open Economics Guide. ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft, Kiel. Abgerufen am 11. Juli 2025. Online: https://openeconomics.zbw.eu/knowledgebase/warum-reproduzierbarkeit-und-replizierbarkeit-wichtig-sind/
- [5] Zur Replizierbarkeit: "[Drummond] zufolge wird bei einer erfolgreichen Replikation durch die verfügbaren Arbeitsmaterialien das frühere Forschungsergebnis eins zu eins kopiert und führt somit zu exakt demselben Ergebnis. Bei der Reproduktion dagegen wird eine Studie nachgestellt und Variablen verändert. Die Reproduktion prüft folglich ein übertragbares Prinzip." [2]" Amelie Andresen: Reproduzierbarkeit von Studien in der Computerlinguistik. Bachelorarbeit. Hochschule Hannover Fakultät III – Medien, Information und Design. Abteilung Information und Kommunikation. 2019.
- [6] "Reproducibility requires changes; replicability avoids them. Al-though reproducibility is desirable, I contend that the impoverished version, replicability, is one not worth having." Und: "replicability is a poor substitute for scientific reproducibility." In: Drummond, Chris. (2009). Replicability Is Not Reproducibility: Nor Is It Good Science. Proceedings of the Evaluation Methods for Machine Learning Workshop at the 26th ICML.
- [7] Peter Walter: Reproduzierbarkeit. Wie (un)zuverlässig ist die Forschung? In: Spektrum der Wissenschaft. 3.17 (März 2017). Online: https://www.spektrum.de/magazin/reproduzierbarkeit-wissenschaftlicher-studien/1432742
- [8] "Experimentally studied interpersonal dynamics in a prison environment by designing a functional simulation of a prison in which 21 male undergraduates role-played prisoners and guards over a 1-wk period." Und: " At least 1/3 of the guards were judged to have become more aggressive and dehumanizing than would have been predicted in a simulation study. Social implications are discussed in terms of the pathological prisoner syndrome. ". In: Haney, C., Banks, C., & Zimbardo, P. (1973). Interpersonal dynamics in a simulated prison. International Journal of Criminology & Penology, 1(1), 69–97.
- [9] "Possible explanations of the inaccurate textbook portrayal and general misperception of the SPE's [Stanford Prison Experiment] scientific validity over the past 5 decades, in spite of its flaws and shortcomings, are discussed." In: T. Le Texier: Debunking the Stanford Prison Experiment. Am Psychol. 2019 Oct;74(7):823-839. doi: 10.1037/amp0000401. Epub 2019 Aug 5. PMID: 31380664.
- [10] Eine ausführliche Geschichte des Standford Prison Experiments, seiner falschen Deutungen und seiner Widerlegung findet man auf Deutsch in: Rutger Bregman: Im Grunde gut. Rowohlt Taschenbuch Verlag. 2021. ISBN: 978-3-499-00416-2.
- [11] Zur Präzision: "Die Präzision beschreibt, wie klein die maximalen Abweichungen voneinander unabhängiger Ermittlungsergebnisse werden, welche gewonnen wurden, indem der Prüfer ein festgelegtes Ermittlungsverfahren mehrfach unter vorgegebenen Bedingungen anwandte. Die Formulierung impliziert, dass hohe Präzision durch niedrige Absolut- und Relativwerte ausgedrückt wird. Die DIN weist zudem explizit darauf hin, dass ein Ermittlungsverfahren umso präziser arbeitet, je kleiner die „zufälligen Ergebnisabweichungen“ des Verfahrens sind." Zitiert nach dem Artikel "Präzision". Wikipedia, 11. Juli 2025. Sinngemäß nach: Deutsches Institut für Normung: Qualitätsmanagement und Statistik. DIN-Taschenbuch 223. Beuth Verlag, Berlin/Wien/Zürich 2001, ISBN 3-410-15136-2.
- [12] Die Übersetzung wurde mit Hilfe einer KI erstellt und von mir geprüft. Im englischen Original aus dem Jahr 1925 heißt es: "The ether-drift experiments at Mount Wilson during the last four years, 1921 to 1925, lead to the conclusion that there is a relative motion of the earth and the ether at this Observatory, of approximately nine kilometers per second, being about one-third of the orbital velocity of the earth. By comparison with the earlier Cleveland observations, this suggests a partial drag of the ether by the earth, which decreases with altitude. It is believed that a reconsideration of the Cleveland observations, from this point of view, will show that they are in accordance with this presumption and will lead to the conclusion that the Michelson-Morley Fxperiment does not give a true zero result. A complete calculation of the observations, now in progress, together with further experiments to be made in the immediate future, should give definite indications regarding the absolute motion of the solar system in space." In: Miller, Dayton C. “Ether-Drift Experiments at Mount Wilson.” Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, vol. 11, no. 6, 1925, pp. 306–14. JSTOR. Online: http://www.jstor.org/stable/84909.