Kernfusion
Verschmelzung
Basiswissen
Als Kernfusion bezeichnet man die Vereinigung von zwei ehemals getrennten Atomkernen: Atomkerne sind immer elektrisch positiv geladen. Sie stoßen sich deshalb mit der Coulomb-Kraft ab, und zwar umso stärker, je näher sie zusammen kommen. Ab einer Entfernung von etwa 10 hoch minus 15 Metern aber überwiegt eine anziehende Kernkraft. Wenn man Atomkerne nahe genug zusammen bringt, dann können sie fusionieren (verschmelzen). Dabei kann eine sehr große Energiemenge freigesetzt werden.
Die Kernfusion und der Tunneleffekt
Um zu verschmelzen, müssen sich zwei Protonen ausreichend nahe sein. Auf größere Abstände überwiegt die abstoßende elektrische Coulomb-Kraft. Nur bei sehr Abständen von weniger als 3 mal 10 hoch minus 15 Metern überwiegen die anziehenden Kernkräfte. Diesen Coulombwall könnten die Protonen mit hohen Geschwindigkeiten überwinden. Sie bräuchten dafür eine Bewegungsenergie (kinetische Energie) von rund 250 keV (Kiloelektronenvolt). Tatsächlich haben aber die Protonen im Inneren der Sonne im Durchschnitt nur 2 keV an Bewegungsenergie. Zwar gibt es nach der Maxwellschen Geschwindigkeitsverteilung immer auch einige sehr schnelle Protonen. Doch bei den Temperaturen von 15 Millionen Kelvin im Inneren der Sonne wären das nur etwa 1200 Protonen in jeder Sekunde. Es fusionieren in der Sonne aber rund 3,6 mal 10 hoch 38 Protonen pro Sekunde. Diese große Anzahl von Protonen kann unmöglich alleine durch die hohe Temperatur im Sonneninneren den Coulombwall überwunden haben. Wichtig für den letztendlichen Erfolg im Sinne einer Fusion ist der sogenannte Tunneleffekt ↗
Die Deuterium-Tritium-Reaktion
Die beste Energieausbeute bietet die Fusion von Wasserstoffkernen zu Heliumkernen. So gewinnt unsere Sonne ihre Energie und so funktionieren auch Wasserstoffbomben. In Frage kommen dabei sowohl Deuterium-Deuterium-Reaktionen wie auch Deuterium-Tritium-Reaktionen. Beide können funktionieren. Die Reaktionsfreudigkeit bei der zweiten Art ist jedoch 20 mal höher als bei der ersten Reaktionsart. Auch benötigt man bei Deuterium-Tritium-Reaktionen nur ein Drittel der Temperatur von Deuterium-Deuterium-Reaktionen. Sie ist daher die von Kernphysiker technologisch bevorzugte Reaktionsart. Siehe mehr dazu im Artikel zur Deuterium-Tritium-Reaktion ↗
Das Grundproblem der technischen Kernfusion
Bei einer künstlich auf der Erde betriebenen Kernfusion, auch Kernverschmelzung genannt, soll die Gewinnung von Energie wie im Inneren der Sonne nachgestellt werden[1]. Für eine Fusion von Atomkernen müssen die starken abstoßenden Coulombkräfte überwunden werden[3]. Atomkerne sind immer elektrisch positiv geladen und stoßen sich bei mittleren bis großen Entfernungen voneinander sehr stark gegenseitig ab. Erst wenn sie sehr nahe beieinander sind, überwiegen die stark anziehenden Kernkräfte[4]. Die Grundidee eines Fusionsreaktors ist es daher, die elektrisch positiven Atomkerne so schnell zu machen, dass ihre Bewegungsenergie (kinetische Energie) stark genug ist, um die starken elektrischen Abstoßungskräfte zu überwinden[5]. Eine Art Teilchen schnell zu machen ist es, sie stark zu erhitzen[6], was zum Beispiel in der Sonne auf natürliche Weise geschieht[9]. Die Probleme einer technisch umsetzbaren Kernfusion gehen oft darauf zurück, dass die Teilchen des Wasserstoffplasmas so stark erhitzt werden muss, dass kein Material der Welt die hohen Temperaturen aushalten würde. Die Lösungsidee, das Plasma frei schwebend in einer Art Käfig aus Magnetfeldern zu halten gelingt zwar für kurze Zeit in Versuchsreaktoren[7]. Aber die nötigen starken Magnetfelder mit bis zu 4 Tesla Magnetfeldstärke bringen die Elektromagnete an die Grenze ihres Materials[8]. Ein Ausweg wird darin gesucht, dass die Spulen der Elektromagnete aus Supraleitern gebaut werden, bei denen höhe Ströme keine nennenswerten Mengen an Hitze produzieren[10].
Ist der Brennstoff wirklich unbegrenzt verfügbar?
Brennstoff für die Deuterium-Deuterium-Reaktion ist nahezu unbegrenzt verfügbar. Diese Reaktion ist aber weniger effizient und technisch schwieriger zu realisieren als die Deuterium-Tritium Reaktion. Tritium kommt in der Natur nicht in wirtschaftlich sinnvoll abbaubaren Lagerstätten vor. Es kann auch nicht sinnvoll aus normalen Wasser angereichert werden. Die übliche Quelle für Trititum sind klassische Atomkraftwerke auf Basis von Kernspaltung. Diese müssten als Tritiumquellen für den Betrieb von Fusionsreaktoren also weiter betrieben werden. Zwar ist es möglich Tritium auch im Fusionsreaktor selbst herzustellen. So kann man das Plasma mit einem Lithium-Mantel umgeben. In diesem entstehen durch den Beschuss mit Neutronen aus der Fusion Tritium-Atome. Doch genügt die Ausbeute nicht, um einen Fusionsreaktor vollständig damit zu versorgen. Man muss also entweder Fissions-Reaktoren als Tritiumquelle nutzen oder auf die technisch aufwändigere Deuterium-Deuterium-Reaktion ausweichen.[1]
Fußnoten
- [1] In der Astrophysik spricht man vom sogenannten Wasserstoffbrennen. Im Inneren der Sonne herrscht ein Druck von rund 200 Milliarden bar, eine Temperaturn um die 15 Millionen Kelvin und eine Dichte von rund 150 Gramm pro Kubikzentimeter. Siehe auch Sonnenkern ↗
- [2] "Breaking New Ground: JET Tokamak’s Latest Fusion Energy Record Shows Mastery of Fusion Processes. In a major scientific achievement, European researchers at the Joint European Torus (JET) facility have set a new world energy record of 69 megajoules released in sustained and controlled fusion energy." Die Pulsdauer bei diesem Rekord lag bei 6 Sekunden, die verwendete Menge an Deuterium-Tritium Brennstoff bei 0,21 Milligramm ("six seconds from only 0.21 milligrams of fuel"). Meldung der Eurofusion News. 8. Februar 2024. Online: https://euro-fusion.org/eurofusion-news/dte3record/
- [3] Als Coulombkraft bezeichnet man die Kraft zwischen elektrisch positiven und elektrisch negativen Ladungen. Gleiche Ladungen stoßen sich immer ab, ungleiche Ladungen ziehen sich immer an. Da Atomkerne immer positiv geladen sind, wirkt die Coulombkraft hier also stark abstoßend. Siehe auch Coulombkraft ↗
- [4] Man unterscheidet zwei Arten von Kernkräften, die schwache und die starke Wechselwirkung. Die Kernkräfte sind im Vergleich zur Coulombkraft auf kurze Entfernung sehr viel stärker. Sie verlieren aber ihre Stärke mit zunehmender Entfernung sehr viel schneller als die Coulombkraft. Die Grundidee der Kernfusion ist es also, Kerne so nahe aneinander zu bringen, dass die anziehenden Kernkräfte gegenüber der abstoßenden Coulombkraft überwiegen. Siehe auch Kernkräfte ↗
- [5] Die Wirkung der Bewegungsenergie, auch kinetische Energie genannt, kann man sich gut am Beispiel von Magneten vorstellen: hat man zwei Magnete so in einer Röhre eingeschlossen, dass sie sich mit ihren beiden Nordpolen gegenüberliegen so stoßen sie sich sehr stark ab. Die Röhre soll dazu dienen, dass sich die Magneten nicht drehen können und dadurch ein Nordpol plötzlich einem Südpol gegenüber liegt, wodurch sich die Magneten von alleine anziehen würden. Wenn die Magneten sehr stark sind, bräuchte man sehr viel Kraft, um sie sehr nahe aneinander zu bringen. Schießt man aber die Magneten mit hoher Geschwindigkeit aufeinander zu, so können sie durch die "Wucht" ihrer Bewegung, ihres Impulses, einen großen Teil der abstoßenden Kräfte überwinden und sich stark annähern. Siehe auch Bewegungsenergie ↗
- [6] Eine Methode, Teilchen eine hohe Bewegungsenergie mitzugeben ist es, sie zu erhitzen. Temperatur ist letztendlich nur eine hohe durchschnittliche kinetische Energie der beteiligten Teilchen. Bei Luft mit Raumtemperatur sind die Luftteilchen um die 300 Meter pro Sekunde schnell. Erhitzt man die Luft, werden die Teilchen im statistischen Durchschnitt schneller. Siehe auch Temperatur ↗
- [7] Bekannte Versuchsreaktoren für eine Kernfusion sind oder waren der Joint European Torus (1983 bis 2023), die Wendelstein-Anlage in Greisfwald, sowie der ITER in Südfrankreich (Baubeginn 2007). Siehe auch ITER ↗
- [8] Die Elektromagneten für das Magnetfeld des JET (Joint European Torus) benötigen so starke Ströme, dass sie nach maximal einer Minute ausgeschaltet und aktiv gekühlt werden: "Die Pulsdauer ist durch die schnelle Erwärmung der Kupferspulen begrenzt und beträgt, abhängig von der gewünschten Feldstärke, 20 bis 60 Sekunden. Die Pausen dauern 15 Minuten, in denen die Wärme über Kühlkreisläufe zu Kühltürmen transportiert wird (4 × 35 MW) und die Schwungradspeicher geladen werden (2 × 8 MW)." In: Wikipedia. Dort der Artikel "Joint European Torus". Abgerufen am 6. Februar 2024. Online: https://de.wikipedia.org/wiki/Joint_European_Torus
- [9] Zur Rolle der Temperatur bei der Kernfusion: "The Sun’s gravitational force confines the positively-charged hydrogen nuclei and the high temperatures cause the nuclei to move around furiously. As a result they collide at high speeds overcoming the natural electrostatic repulsion that exists between the positive charges and subsequently fuse to form the heavier helium." In: EuroFusion. Offizielle Webseite der europäischen Forschung zur Kernfusion. Abgerufen am 6. Februar 2024. Online: https://euro-fusion.org/fusion/fusion-on-the-sun/
- [10] Als Supraleiter bezeichnet man elektrische Leiter, die Strom verlustfrei leiten können. Verlustfrei heißt dabei hier vor allem, dass keine Erwärmung der Leiter auftritt. Für die Stärke der erzeugten Magnetfelder ist ausschließlich die Stromstärke (die Amperezahl) ausschlaggeben. Ob dabei viel Wärme auftritt oder nicht ist für das Magnetfeld unwichtig. Der zugrundeliegende physikalische Effekt zur Erzeugung der Magnetfelder heißt auch Oerstedsches Prinzip (externer Link)